Montag, 4. Juni 2012

Mörder unter sich

Die Welt meint es nicht gut mit C. Ronaldo, dem Drei-Wetter-Taft-Cowboy von der Blumeninsel Madeira. Ich schreibe C. Ronaldo, weil Cristiano so ganz ohne „h“ erstens immer unangenehm falsch aussieht für unsere Augen, und zweitens der allzu kundige Fußballfan dazu verleitet würde, das s wie „sch“ auszusprechen. Das ist zwar dem Portugiesischen durchaus gerecht, macht aber ein bisschen unsympathisch. Und wenn es um C. Ronaldo geht, wabert immer schon so viel Unsympathisches am Lößboden des Diskurses, dass man sich nicht extra mühen braucht, es noch unsympathischer zu gestalten. Warum jetzt Lößboden, fragt der Geologie-affine Fußballfan, und ich kann es ihm nicht beantworten, sondern nur vermuten, dass, immer wenn es um C. Ronaldo geht, ich mich nur allzu gerne von scheinbar Unwichtigerem und Uninteressanterem ablenken lasse...

Zurück zum Haargel-Bomber aus Funchal. (Funchal ist übrigens die Hauptstadt von Madeira und der Name bedeutet so viel wie Fenchel. Fenchel ist meistens grauslich, denn sein bitter-süß-seifiger Geschmack macht sich höchsten im Tee gut. C. Ronaldo selbst ist auch ein bisschen fenchelig, wenn ich das mal so behaupten darf, ob man ihn allerdings deswegen in den Tee tun sollte, ist fraglich. Schon wieder schweife ich ab...)

C. Ronaldo – das C. müssen Sie mir lassen, sonst verwechselt man ihn mit dem brasilianischen Riesenbaby – hat ja bekanntlich im Halbfinale der Championsleague beim Elfern verschossen. Damit ist er jetzt ungefähr auf einer tragischen Ebene mit Roberto Baggio und Arjen Robben. Obwohl: Nein, denn diese Herren haben ja jeweils in Finalspielen verschossen, bei einem der beiden handelt es sich zudem um einen Foul-Elfmeter-Schützen. Aber egal, denn der wesentliche Unterschied zwischen C. Ronaldo und allen anderen tragischen Elferschützen dieser Erde ist der, dass dem Portugiesen so etwas komplett egal zu sein scheint. C. Ronaldo grämt sich nicht über einen verschossenen Elfer, viel eher ist er wütend auf den Ball, der so hoch geflogen ist, oder das Tor, das zu niedrig war. C. Ronaldo scheint ein Teflon-Mann zu sein, an dem nichts haften bleibt – außer das Haargel eben.

Diese Eigenschaft mag für einen Sportler ein großer Vorteil sein, helfen wird sie C. Ronaldo wenig. Und das ist ein bisschen schade, denn die Portugiesen haben ihre Glanzzeit schon hinter sich und bedürfen eines Weltfußballers mehr denn je. Leider kann er momentan in kein funktionierendes taktisches Gewebe eingebunden werden, was für einen wie ihn spielerisch eigentlich lebenswichtig ist. Findet man für ein Talent keinen taktischen Rahmen, in dem es seine Möglichkeiten voll ausschöpfen kann, wird das Talent früher oder später meinen, das Spiel an sich reißen zu müssen. Das endet selten gut – nicht für das Talent und nicht für die Mannschaft. Diese Krankheit könnte man als Arnautovicismus bezeichnen, und Portugal läuft Gefahr, dass sein wichtigster Spieler daran erkranken könnte.

Außer...

… die beiden Gruppenfavoriten Niederlande und Deutschland provozieren bei den Portugiesen einen … so und jetzt hätte ich gerne ein schönes, bildhaftes Wort für den Effekt, den ich hier benennen will. Es geht darum, dass ein Team, wenn es das Gefühl bekommt, ohnehin nichts verlieren zu können, plötzlich zu seiner ureigensten Stärke findet – einem unbekümmerten, unverkopften Spiel, das nicht von jeglicher Taktik gelöst sein muss, in dem sich aber eine „natürliche Taktik“ den Spielern förmlich aufdrängt („von innen her“, um es esoterisch zu formulieren), und das vollkommen von den individuellen Stärken der einzelnen Akteure getragen wird; und individuelle Stärke, das haben die Portugiesen immer. Es braucht halt Köpfe wie Felipe Scolari oder vielleicht Jose Mourinho, damit diese individuellen Stärken in die richtigen Bahnen geleitet werden. Oder eben diesen Effekt, für den ich mir noch einen klingenden Namen ausdenken muss. Vorschläge sind natürlich erbeten.

Damit sind wir auch schon beim Problem der Gruppe B: Wir haben es wieder einmal mit einer „Mördergruppe“ zu tun, einer Gruppe von Mördern also, von denen jeder einzelne danach trachtet, die jeweils anderen zu morden und zu meucheln. Ganz unten wird dann erwartungsgemäß Dänemark liegen, was wieder sehr schade wäre, weil die Dänen immer beherzten und intelligenten Fußball spielen. Dänemark ist das Anti-Griechenland, was nicht heißen soll, dass die Griechen dummen Fußball spielen, aber er wirkt immer uninspiriert und ein bisschen tölpelhaft, auch fehlt ihnen das rassig-kämpferische Element, das zum Beispiel die Türkei immer gefährlich macht. Die Dänen können – und das ist das Bittere an dieser Gruppe – jeden ihrer Gegner schlagen, wenn alles gut läuft. Ich traue ihnen auch zu, dass sie Portugal schlagen und einem der anderen beiden Teams einen Punkt abringen, und ich wünsche mir so sehr, dass dies auch passieren möge, denn dann wird es erst richtig interessant in der Mördergruppe.

Was die beiden Favoriten angeht, bleibt eigentlich nur zu sagen, dass wir uns endlich wieder einmal auf ein Deutschland-Holland-Match freuen dürfen, was uns in den letzten beiden Großveranstaltungen leider verwehrt geblieben ist. Freilich handelt es sich bei beiden Mannschaften um Favoriten auf den Turniersieg – aber das sind sie immer irgendwie und meistens wird es dann doch nichts. Großartig ist aber, dass beide Länder in den letzten Jahren fußballerische Entwicklungen gemacht haben, die man so bei (fast) keinem anderen Nationalteam feststellen kann: nämlich konstante und folgerichtige, immer zielgerichtete Entwicklungen (man könnte sagen, dass im Falle Deutschlands der Titelgewinn dafür schon fast zu lange ausständig ist. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass es eine Mannschaft gibt, die ihre ganz eigene Entwicklung genommen und alle anderen Entwicklungen vorweg genommen hat. Und diese Mannschaft, Spanien, stand den Deutschen allzu oft im Weg). Das Ergebnis sind taktisch komplex agierende Teams mit überdurchschnittlichem Spielermaterial, die obendrein Fußball spielen können, der zu begeistern vermag: den viel geforderten attraktiven Fußball nämlich. Wenn sie bei ihrem Aufeinandertreffen nicht zu vorsichtig agieren, könnte es natürlich das Spiel der EM, ein vorweg genommenes Finale (der Herzen!) werden. Auf jeden Fall wird es emotional. Ich tippe auf Deutschland, würde mich aber natürlich mehr über einen Sieg der Holländer freuen.


Worauf wir uns freuen können:

Weil es sich bei der Gruppe B um die Anti-Gruppe-A handelt, dürfen wir uns folgerichtig auf alle Begegnungen freuen. Deutschland-Holland hat natürlich das größte Potenzial.

Mit Aufmerksamkeit wird man die Dänemark-Spiele verfolgen müssen, vor allem jenes gegen Portugal.


Bemerkenswerte Namen:

Kasper Schmeichel (DAN): Der Sohn des großen Peter, mit dem die Dänen 1992 den Titel holten. Wird wahrscheinlich nicht zum Einsatz kommen, aber vielleicht hat das Schmeichel'sche Blut ja magische Wirkung.

Mario Götze (DEU): Der aktuelle Kader der Deutschen beinhaltet wieder einige sehr deutsch klingende Namen. Der Name des Borussia-Talents steht dafür Pate. Vielleicht wird man in Zukunft einmal ins Schwärmen geraten, wenn man die Namen des Europameisters 2012 herunterbeten wird: Götze, Höwedes, Schweinsteiger, Müller, Schürrle, Badstuber...

Mark van Bommel (NED): Nachdem mein namenstechnischer Allzeit-Favorit Jan Vennegoor of Hesselink schon lange nicht mehr im Kader ist, bleibt van Bommel der drolligste niederländische Name im Team.

Custódio (POR): Team Portugal ist voller schöner Namen und dieser hier gehört zum Mittelfeldspieler vom SC Braga. Klingt zunächst wie die Bezeichnung für jemanden, der in einem Kustodiat tätig ist, aber selbst nicht Kustos genannt werden will. Dann aber appliziere man das portugiesische „sch“ und schon klingt es nicht nur besserwisserisch, sondern auch herrlich exotisch.

1 Kommentar:

  1. Man wird ein Fan des Blogs, man wird ein Fan des Fußballspiels. Beeindruckend: Ich freue mich tatsächlich auf die EM.

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