Donnerstag, 13. März 2014

Des Liftlers 13 Worte

Als Liftbediensteter hat man es, entgegen landläufiger Meinung, nicht leicht. Freilich mag diese Beschäftigung an sonnigen Märztagen einen sehr entspannten Eindruck machen: Ein bisschen bei lauen Temperaturen in der Sonne sitzen, dem Schnee beim Schmelzen zusehen und dann und wann auf einen Knopf drücken, wenn es irgendjemand nicht geschafft hat, sich beim Sessellift rechtzeitig niederzusetzen. Auch die Bediensteten an den altgedienten Schleppliften scheinen ein unbeschwertes Dasein zu fristen, welches gelegentlich Gefahr läuft, ins Eintönige abzugleiten. Wer das denkt, der vergisst, was wir skifahrende Geselligkeitsterroristen ihnen dabei abverlangen!

Seit jeher gehört es nämlich zum guten Ton, mit dem Liftler beim Einsteigen ein paar Worte zu wechseln. Und welche Worte das sind! Was beim ersten Zusteigen dem Liftler noch leicht von der Hand geht und sich als abgekürzter Smalltalk verbuchen lässt, wird beim dritten, vierten oder spätestens fünften Mal zu einem echten Mühsal. Die Zeit, die einem Liftler zur Verfügung steht, um mit dem Fahrgast launige Konversation zu führen, lässt in den allermeisten Fällen nicht mehr als 13 Worte zu. Weil die Welt in 13 Worten nicht erklärt werden kann, und man in selbiger Zeitspanne auch keinen Witz oder eine Anekdote erzählen kann, beschränkt sich das Gespräch am Lift auf simple Fragen und Antworten. Hinzu kommt, dass der phatische Anteil der Konversation (jene sozial akzeptierten Floskeln, die allein dazu dienen, den Gesprächskanal offen zu halten) Überhand nimmt, und so mehr Blabla- als Aha-Momente entstehen.

So begnügt sich kein Liftler mit einem einfachen "Guten Morgen", sondern behilft sich mit einer in die Länge gezogenen Begrüßungsformel, welche die Zeit vom Öffnen der Zugangstürchen zur Einstiegsstelle bis zum unvermeidlichen Abtransport des Skifahrers durch den Schlepplift zu überbrücken sucht. Er sagt dann etwas wie "Mooooorgen, seeeeervaaas, Griiiaaas diiii!", und hofft dabei inständig, der Lift möge jetzt nicht stehen bleiben. Denn sein Gruß ist wohl getaktet: "Mooooooorgen!" - die Tür zur Einstiegesstelle geht auf, der Skifahrer rutscht unbeholfen nach vor - "Seeeervaaaas" - der verwirrte Skifahrer sieht den Bügel schon um die Kurve fahren - "Griiaaaaas diiii!" - der Bügel klemmt dem Skifahrer schon unterm Hintern und bevor er noch "Hallo" erwidern kann, winkt ihm der Liftler schon grinsend zum Abschied.

Mancher versucht, dem Liftler zuvor zu kommen und brüllt diesem schon ein "Servas!" auf dem Weg zum Einstieg, vielleicht sogar noch kurz vor dem Drehkreuz, zu. Denn der Liftler lässt sich generell bitten und grüßt nie als erstes! Auf einen solchen Präventivschlag reagiert er meistens, indem er so tut als hätte er einen nicht gehört, auch wenn sonst niemand in der Nähe ist, der seine Aufmerksamkeit verlangte. Steht man dann vor ihm, tut er erschreckt und sagt "Oh, servas, hallo, Morgen, Griasdi. Hab ich dich ja gar nicht kommen sehen!" ... 13 Worte, und da ist der Skifahrer schon weg.

Schwierig wird die Konversation beim zweiten oder dritten Mal. Mit landläufigen Themen wie dem Wetter oder den Pistenverhältnissen lässt sich kein Liftler der Welt aus der Reserve locken. Denn wie oft hören diese Leute am Tag den Satz "Schön ist es heute wieder, gell?" oder "Gut geht es heute wieder, nicht?" oder "viele Leute sind heute aber wieder unterwegs, oder?". Nur selten überrascht ein Liftler mit einer Antwort auf solche Fragen. "Jo, mia homm heit scho 14 Grad do herunten. Und des im Schottn!", zählt da schon zu den ausführlicheren Entgegnungen, die man sich in 13 Worten erwarten kann. Man fragt sich, wie vielen Menschen der Liftler das erzählen muss. Und doch, als Gast am Lift fühlt man sich freundlich behandelt, angehört, ja fast erhört. Mit einer Antwort erteilt einem der Liftler Absolution - aber lieber sagt er nichts. Daher beschränken sich viele der Antworten auf eine zustimmende Wiederholung des Gefragten. "Gut geht es heute wieder!" - "Jo, guat is. Woa gestern eh a scho guat. Und morgen wahrscheinlich aa!" - "Heute ist es aber wieder voll!" - "Jo, wonns nid oi a so saubled foan dadatn, meakat mas eh nid!" - eine Systemkritik in 13 Worten, beeindruckend.

Leute wiederum, die den Liftlern gerne ihre Ruhe lassen möchten, werden an manchen Tagen, wenn der Liftler besonders gut aufgelegt ist und ihm schweigen nicht lieber ist, am falschen Fuß erwischt. Denn da sagt der einem plötzlich was, und noch bevor man sich überhaupt eine Antwort zurecht legen kann, wird man schon von einem der Liftbügel abtransportiert. "Joo", kann man da nur noch stammeln, wenn der Liftler sagt "Mei hiatz host owa long braucht, san deine Schi nid gscheit gwaxlt, ha?" Wenn man Glück hat, fällt einem noch eine pfiffige Antwort ein, die man ihm dann noch im Wegfahren zubrüllen kann, aber da tut er schon wieder, als wäre man nicht mehr in dieser Welt zugegen. Denn der Liftler hat eine Wahrnehmung, die kann man sich gar nicht vorstellen: Dauernd tauchen vor seinem Auge Menschen auf, die nur gekommen sind, um wieder zu verschwinden. Da kann man ihm auch nicht böse sein, wenn er einen nicht wiedererkennt. Den bösen Spaß, einen Liftler bei jeder Fahrt aufs Neue zu begrüßen als sähe man ihn zum ersten Mal, sollte man sich dennoch nicht erlauben, denn: Ein verärgerter Liftler kann ein unangenehmer Zeitgenosse sein.

Ich selbst hatte heute an einem Lift Mühe, rechtzeitig vor dem Schließen der Türchen den Einstiegsbereich zu erreichen. Kurz nach dem Drehkreuz hatte sich am Boden eine Schneewanne gebildet, nach der es ein wenig nach oben ging, was zusätzlichen Stockeinsatz verlangte. Belustigt schaute mir der Liftler zu und ich versuchte mich selbstironisch zu retten, indem ich sagte: "Jetzt wäre ich fast nicht heraufgekommen zu dir!" Er entgegnete: "Jo woat nua, wos glabbst, am Noumittog sauffns ma in dera Wonn oo!"
Überrascht, düpiert und schließlich doch zufrieden wurde ich schon vom Schlepplift von dannen gezogen, bevor mir dazu noch etwas einfiel.