Dienstag, 23. Oktober 2012

Am Flughafen


Auch Flughäfen lehren uns: Der Großteil der Menschen ist hässlich. Eine sehr beruhigende Tatsache, vor allem, wenn man mit ihr um sieben Uhr früh konfrontiert wird. Die Realität jenseits des Reality-TVs sieht halt doch ganz anders aus: viel schmeichelhafter, aber weniger aufregend. So wenig aufregend wie der Geschmack des Flughafen-Kaffees, der zwar brav seinen Aufweck-Dienst versieht, dabei daber aber dem ungeschrieben Gesetz folgt, immer grässlich sein zu müssen.

Die Verschlafenheit eines Flughafens am Morgen ist, angesichts des Trubels, der sich in den frühen Vormittagsstunden einzustellen anschickt, eine bewundernswerte, und sie betrifft Personal wie Passagiere gleichermaßen. Ja, in Zeiten wie diesen, in denen sich jeder überlegen muss, ob er zu den 98%, den 2%, den 47% oder zu einem ganz anderen Prozentsatz gehört, hat eine solche Verschlafenheit geradezu etwas Demokratisches. Man fühlt sich wohl am Flughafen, unter all diesen hässlichen verschlafenen Menschen.

Auch, dass selbst sonst so geschäftige Orte wie Flughäfen Gezeiten kennen, stimmt einen milde. Die systolischen und diastolischen Bewegungen der Menschenströme lassen sie in einem moralischen Sinne lebendig erscheinen - nicht nur lebendig, weil sich da irgendwas rührt. Ein Flughafen, das ist schützenswertes Terrain. So viele sonderbare Wesen, die ihrem Treiben nachgehen, oder sich einfach vom Treiben der anderen ziehen lassen. Und er selbst, der Flughafen, atmet. Metalldetektoren zwitschern aufgeregt auf ihrer Suche nach eisernen Hosenknöpfen und Münzen, die sich in nachlässig ausgeräumten Taschen festgekrallt zu haben scheinen, aus Angst, entdeckt und einem Sicherheitsbeamten vorgelegt zu werden, für den sie keinen Wert besitzen. Jene Menschen, die noch keinen Platz auf einer der vielen Wartebänke gefunden haben, mäandern durch die fast leeren Hallen. Das gibt den frühen Morgenstunden einen zarten Rhythmus, wie mit einem Jazzbesen gespielt, der über eine gleichgültige Snaredrum schleicht. Überhaupt die Gleichgültigkeit, die hier herrscht! Sie geht vom Gebäude selbst aus, das so selbstverständlich die Hoffnungen und Traurigkeiten seiner Insaßen duldet. Kein Ort dieser modernen Welt kann die Wurschtigkeit eines Flughafens nachstellen, ohne dabei Gefahr zu laufen, in vollkommener Unwichtigkeit aufzugehen. Dass die Dreh- und Angelpunkte unserer Welt so beruhigend sein können, lässt jeden Reisenden zuversichtlich in den Flieger steigen; ganz ungeachtet seiner und seiner Mitreisenden Hässlichkeit. Noch ein letzter Vertrauensbeweis, bevor man den Metallvogel besteigt und sich dem Wunder des Fliegens ausliefert.