Samstag, 9. August 2014

Die Lederhose

Leider taugt die Lederhose nicht mehr als Signum des stolzen Alpenbürgertums. Auch hat sie ihre Bedeutung als traditionalistisches Element im innergebirglerischen Selbstverständnis verloren. Denn entweder dient sie als folkloristisches Requisit (zum Beispiel an den Beinen eines Wirts) oder aber als Verkleidung für diverse "Brauchstumsveranstaltungen". Das sind - ins heutige Deutsch übersetzt - Retro-Events, bei denen eine alte Zeit so inszeniert wird, dass die einen sie beweinen können, und die anderen sich gerne vorstellen, dass es genau so einmal war; obwohl alle Beteiligten (Darstellende wie auch das Publikum) genau wissen, dass es genau so niemals war. So ist die Lederhose ein Utensil zur Täuschung geworden: Man täuscht als Träger anderen etwas vor und wird als jemand, der sie wahrnimmt, von ihr getäuscht, bisweilen sogar enttäuscht.

Dafür kann natürlich weder die Lederhose etwas, noch der Kulturraum, in dem sie zu dem geworden ist, was sie einmal war. Dass heute Lederhosen in sämtlichen geschmacklosen Variationen von der Münchner und Wiener Möchtegern-Schickeria zur Instant-Wiesn ausgetragen werden, beweist nur, wie wertlos die Lederhose an sich, die richtige, echte, ursprüngliche, traditionelle geworden ist. Denn es wird immer wichtiger, als Lederhosenträger darauf hinzuweisen, dass man selbst über eine "echte" Lederhose verfügt, in der am besten noch der Großpapa auf Bierbänken gesessen hat. Beflissen nennt der moderne Lederhosen-Traditionalist die jeweils regionalen Erkennungsmerkmale seiner "echten Lederhose" und versucht so, darüber hinwegzutäuschen, dass er selbst sie auch nur deshalb trägt, weil er irgendetwas darstellen will oder muss. Ein gesundes Verhältnis zur Lederhose gibt es nicht mehr. Für die einen hat das Kleidungsstück einen volkstümlich reaktionär-dümmlichen Nazi-Mief, für die anderen ist es eine zum Kitsch verkommene Schale ohne Kern (was natürlich beides Mumpitz ist). Sie steht damit aber sinnbildlich für die ganze alpenländische Kultur, die sich in den letzten Jahren schwer damit getan hat, ihren Platz in einer globalisierten Moderne zu finden. Sie pendelt in ihrer Bedeutung stets zwischen den beiden Polen, deren erster sie als eine Art Refugium als Paradiesersatz inszeniert, und deren zweiter sie als eine zu touristischen Marketingszwecken entseelte Kulisse einer scheinbar ursprünglichen Welt errichtet, in der quickfidele Menschen in bunten Kostümen musizieren und schuhplatteln.

Sepp Forcher und Harry Prünster haben schon längst ausgedient. Andreas Gabalier benutzt die Chiffre nur noch zur Ausleuchtung seiner sinnentleerten Darbietung bescheidenster Kunst, die höchstens dort Zuspruch findet, wo auch Apres-Ski-Halligalli mit österreichischer Gemütlichkeit verwechselt wird. Indessen hat sich just ein Konzern der Bewahrung und der modernen Aufbereitung des alpenländischen Volkskultur verschrieben, der damit eigentlich gar nichts am Hut hätte: Red Bull nämlich. In diversen Fernseh-Formaten auf dem hauseigenen Servus-TV-Sender und im zeitgemäßen und sehr beliebten Servus-Magazin wird die alpenländische Ursprünglichkeit im neuen Gewand präsentiert. Und dabei macht das Red Bull Media House einiges richtig, weil es am richtigen Ende ansetzt - nämlich bei der Natur und nicht bei der Kultur: Nicht die Lederhose ist schick, sondern die Blumenwiese; nicht die Ziehharmonika, sondern der Gebirgsbach, der sich trällernd und pritschelnd durch die Wälder ins Tal hinab schlängelt. Da spielt die Musik!



Wo also Andreas Gabalier das "schöne Rehlein" besingt und eigentlich eine junge Frau meint, die dumm genug ist, auf seine primitive Balz hereinzufallen, zeigt Servus-TV uns nur das Rehlein im Wald. Da bedarf es keiner Erinnerung im Stile von "uh lalala so a schena Toug!", damit der Rezipient erkennt, dass es da etwas zu beobachten gibt, das schön ist. Sowieso arbeitet Servus, sowohl im Magazin als auch in den TV-Sendungen mehr mit showing als mit telling. Im Heft wird das an den vielen stimmungsvollen Fotos erkennbar, im TV an den unkommentierten und ohne Hintergrundmusik auskommenden stillen Naturszenen. Freilich bleibt es nicht dabei. Denn erst wenn der Rezipient sich auf die Stimmung eingelassen hat, wird langsam verdeutlicht, was der Mensch eigentlich in dieser Umgebung verloren hat; wie er sich in ihr zurecht findet und wie er sich selbst in ihr sieht. Das ist dann der Schritt von der Natur in Richtung Kultur, und der findet bei Servus eben behutsam und überlegt statt - ganz im Sinne der Thematik.

Die Lederhose wird in diesem Kontext nur verstehbar, wer sich mit dem Handwerk und der Kleidungsgeschichte auseinandersetzen mag. In diesem Moment aber kommt es gar nicht mehr darauf an, wie eine Lederhose aussieht und wer sie anhat, sondern es geht darum, was ihre ursprüngliche Funktion war - und in weiterer Folge darum, wie es dazu kommen konnte, dass sie nun leider zum Requisit einer Festivalgesellschaft geworden ist.
Insofern stellt sich dem modernen Alpenländler, der nicht die Lederne vom Großvater im Kasten hängen hat, die Frage, wofür er sich überhaupt eine Lederhose zulegen soll, wenn er denn noch keine hat. Das alte Zugehörigkeits-Thema ist ja gut und schön. Was aber, wenn man nicht unbedingt dazugehören will? Und was, wenn man nicht genau weiß, wo genau man da dazugehört, wenn man sich eine Lederhose anzieht?

Dann lieber doch die bequemere Position einnehmen und sich die Lederhose einfach als Verkleidung vorstellen, die man zu diversen Festivitäten anziehen kann, aber nicht muss.So, wie man sich am St. Patrick's Day einen Guiness-Hut aufsetzen kann; oder zu Fasching unsanktioniert als Pirat durch die Straßen rennen darf. Das entspannt die Sache ungemein, denn so lässt sich ein Verhältnis zu Lederhose begründen, das selbige als das sieht, was ihr Name bezeichnet: Eine Hose aus Leder. Obwohl sie genau das natürlich nie sein wird...