Mittwoch, 20. Juni 2012

Fußball für Nerds

Wir schließen die Gruppe C mit einem 1:0 von Spanien über Kroatien und einem italienischen 2:0 Sieg über Irland. Die Rechnereien sind erstmal vorbei, die Favoriten wieder weiter.

Als ich vorgestern geschrieben habe, dass mich die Endspiele der Gruppe B mit dem seltsamen Aufstiegsmodus der Euro-Gruppenphase versöhnt haben, wusste ich noch gar nichts von den möglichen Aufstiegskonstellationen in Gruppe C. Dort ging es nämlich ähnlich bunt zu und wir waren über weite Strecken des Kroatien-Spanien-Spiels nicht sicher, ob die Italiener oder die Kroaten weiterkommen würden. Auch der ORF-Kommentator Thomas König kannte sich zuweilen gar nicht mehr aus. So kapierte er erst Minuten nach dem spanischen Tor, dass dieses für Kroatien eigentlich gar nichts zu bedeuten hatte, dass mit einem 1:1 Italien auch draußen wäre – oder so ähnlich. Ganz genau wusste es an diesem Abend nie jemand. Das erklärte auch die Erleichterung der italienischen Spieler nach dem Abpfiff ihrer Partie gegen Irland. Es muss ein komisches Gefühl sein, eine Partie 2:0 zu führen und sich, was den Aufstieg betrifft, nie in Sicherheit wiegen zu können.

Wie ging das also bei Punktegleichstand nochmal? Aufgestiegen ist der, der 1. mehr Punkte im direkten Vergleich holte, der 2. eine bessere Tordifferenz im direkten Vergleich hatte, der 3. mehr Tore im direkten Vergleich erzielte. Wenn dann immer noch alles gleich wäre, dann würden diese Kriterien noch einmal angewendet, und zwar diesmal nur auf die direkten Duelle zwischen den gleichplatzierten Mannschaften. Danach hätten wir noch die bessere Tordifferenz aus allen Gruppenspielen und die Anzahl der erzielten Tore aus allen Gruppenspielen zur Entscheidungsfindung heranzuziehen. Reichte das immer noch nicht, würde es sehr absurd weitergehen: Dann wird nämlich auf den UEFA-Koeffizienten geschaut und schließlich auf das Fairplay-Verhalten während der Endrunde (!?). Am Ende steht der Losentscheid, aber dass es soweit kommen kann, ist allein aufgrund der Absurdität der beiden vorhergehenden Kriterien so gut wie unmöglich. Also, alles klar? Jetzt rechnen wir das alles mit drei oder vier Mannschaften während eines Spiels durch und immer, wenn ein Tor fällt, starten wir unsere Berechnungen neu, damit wir dann am Ende sagen können „Juchee, es ist noch nicht vorbei!“ oder eben „Team X bräuchte nur noch ein Tor, wenn Team Z im Spiel gegen Y mindesten noch drei Fouls begeht, damit Team W beim Heimfahren den Diesel von der UEFA bezahlt bekommt.“ Wie ein des Rechnens kundiger Freund von mir bemerkte, hat die UEFA mit diesem Vorrunden-Modus nun endlich auch die Nerds fußballnarrisch gemacht.

Nun gut, die Gruppe C ist jetzt auch abgeschlossen und es fahren Irland (erwartungsgemäß) und Kroatien (leider) heim. Für das kroatische Team ist die Niederlage deshalb bitter, weil man gegen die Spanier auf hohem taktischen Niveau agierte und damit den Italienern ebenbürtig war, ohne Italien sein zu müssen. Dass man aber vor lauter Hosenscheißen auf das Offensivspiel vergisst (oder verzichtet), wenn man doch ein Tor bräuchte, das ist eigentlich unverzeihlich. So war es eine interessante aber unbelohnte Vorstellung von Team Hrvatska, das neben Dänemark nun als ein weiterer schmerzlicher Verlierer nach Hause fährt, den wir vermissen werden.

Das von Slaven Bilic wieder ausgezeichnet eingestellte Team neutralisierte das spanische Tikitaka (das auch schon mal wirkungsvoller ausgesehen hat) fast nach Belieben: einmal früh, noch vor der Mittellinie, dann wieder tief vor dem eigenen Strafraum. Freilich änderte das an der spanischen Ballbesitz-Übermacht nur wenig – und es kostete viel Kraft, welche die Kroaten am Ende nicht mehr aufbringen konnten, als es darum ging, die Frucht noch irgendwie im Korb unterzubringen. Dass das spanische Tor eigentlich Abseits war, ist wieder so eine Geschichte, die uns zwei Tage danach schon nicht mehr interessiert, genauso wie der vermeintlich eindeutige Elfmeter, der den Kroaten nicht zugesprochen wurde. Sich auf solche Dinge zu verlassen, stinkt nicht nur nach fauler Ausrede, sondern geht auch irgendwie am Geist des Sports vorbei. Letztlich vergaß Kroatien auf die zweite große Fußball-Maxime, die einst Sepp Herberger formulierte: „Das Runde muss ins Eckige!“ Ja, so einfach klingt das, so schwer ist das manchmal zu bewerkstelligen...

Die Italiener, von denen man aufgrund des (diesmal richtig gewählten) ORF-Fokus auf das Spanien-Spiel nur wenig sah, ließen die Rechner natürlich auch hoffen: Darauf, dass es auf einmal heißen würde „Tor in Posen!“ und man plötzlich jubelnde Trapattoni-Iren sehen würde. Diese Hoffnung zerstörte Cassano in der 35. Minute, denn da hieß es „Tor in Posen!“ und man sah statt der jubelnden Iren einen jubelnden Cassano. Man hofft ja als Fußballfan gerade bei solchen Spielen, gerade in solchen Momenten, wo alles passieren kann, wo ein Tor tatsächlich den Unterschied (nicht nur in einem, sondern womöglich in zwei Spielen) macht, auf die große kleine Sensation: Ein irisches Tor wäre so etwas gewesen und wen hätte man so eine Sensation eher gewünscht als den lieben Iren? Wieder beeindruckten deren Fans, als man diese zu hunderten Arm in Arm mit dem Rücken zum Spielfeld auf den Rängen hüpfen sah. Das evozierte sogar spontanen Applaus von der in Graz beim Public Viewing versammelten Meute. Viel schöner als die irischen Fußballer sind die irischen Fans anzusehen – leider wird das die Erkenntnis sein, mit der uns die irische Mannschaft nach dieser Euro zurücklässt. Wer die Iren auch mal einen Sieg feiern sehen will, der sollte sich ein Spiel der kommenden WM-Qualifikation ansehen – vielleicht jenes gegen Österreich?

Erwähnung finden muss auch noch das zweite Tor der Italiener: Endlich trafen nämlich beide Stürmer in einem Spiel und so durfte auch noch Mario Balotelli jubeln, dem sein Teamkollege Leonardo Bonucci nach seinem Treffer den Mund zuhielt – aus Angst, das Enfant terrible könnte wieder irgendetwas Dummes von sich geben. War vielleicht gar keine so schlechte Idee, denn nach so einem schönen Treffer (Seitfallzieher am Fünfer nach Eckball) neigen solche Charaktere gerne zum Übermut. Bonucci meinte, er hörte Balotelli irgendetwas auf Englisch sagen, das er nicht gleich verstand, also hielt er ihm lieber gleich den Mund zu. Kurios, aber so eine intelligente Konsequenz kann man nur von einem italienischen Verteidiger erwarten.

Spanien und Italien haben also die Gruppe C überstanden und so haben sich hier erwartungsgemäß die Favoriten durchgesetzt. Allerdings würde ich hier nun den zweiten Joker einfordern und die Kroaten gerne gegen die Griechen eintauschen – oder gegen irgendeinen der beiden Sieger aus der Gruppe D. Fußballerisch hätten sie sich das verdient, auch wenn ich auf die saublöden Feuerwerkskörper verzichten kann, welche die kroatischen Fans immer meinen zünden zu müssen. Das also nehmen wir aus dieser Gruppe mit: Wir hätten gerne ein kroatisches Team mit irischen Fans; das wäre für Fans, Spieler und Zuseher eine echte Bereicherung!




Mann des Tages: Slaven Bilic zum Abschied. Er ist und bleibt der charismatischste und gleichzeitig ausgefuchsteste Trainer des Turniers. Leider fand er im entscheidenden Spiel nicht den letzten Mut zur Offensive.


Buhmann des Tages: Schiedsrichter Wolfgang Stark im Spiel Spanien gegen Kroatien. Das war wieder mal ein Beispiel dafür, wie man eine Partie nicht pfeifen sollte. So zerpflückt und zerzaust war das zeitweise, dass einem das Zusehen fast verging bzw. zumindest vermiest wurde. Eigentlich beeindruckend, wie sehr im Fußball ein guter Schiedsrichter zur Attraktivität einer Partie beitragen kann.

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