Samstag, 23. Juni 2012

Heitere Glückseligkeit

Deutschland ist beruhigt. Gestern zwischen neun und elf hörte man auf den Straßen kaum mehr Autos fahren, aus allen Gärten roch es nach Gegrilltem und man ärgerte sich höchstens über den Nachbarn, der, weil er das Spiel über Satellit empfangen konnte, die deutschen Tore immer 4-5 Sekunden früher bejubelte. Heute sah man auf den Straßen zufriedene Gesichter, die große Blamage ist ausgeblieben, man hat sich mit einem klaren 4:2 gegen Griechenland erstmal als Favorit in Stellung gebracht. In der ersten Hälfte mühten sich die Deutschen noch etwas ab, zu viele Chancen, zu wenig Ausbeute – man spielte spanisch gegen wieder einmal sehr griechisch spielende Griechen. Irgendwann sprach es sich dann doch einmal durch, dass der griechische Torhüter nicht zu den Granden seiner Zunft gehört, und man probierte es dann doch einmal mit Schüssen aus der Halbdistanz (Lahm 1:0) und Flanken (Khedira 2:1).

Das Tor für die Griechen erfolgte logischerweise aus einem Konter nach deutschem Fehler im Spielaufbau (davon gab es auch ein paar – Schweinsteiger). Dass das zweite aus einem Hand-Elfmeter resultierte, wunderte auch nicht und war höchstens ein kleiner Schönheitsfehler im deutschen Ergebnis. An der Überlegenheit der Deutschen konnte jedoch keiner zweifeln. Dabei brachte erst der Ausgleich der Griechen die Wende; erst als die Griechen das schafften, was ihnen eh niemand zugetraut hätte (nämlich einen Rückstand aufzuholen), wachten die Deutschen auf und spielten konsequenter ihre Übermacht aus. Das führte zu drei weiteren Toren und zu der Erkenntnis, dass die Truppe von Jogi Löw auch in der scheinbaren „B-Besetzung“ (Schürrle und Reus für Poldi und Müller; Klose für Gomez) eine hocheffiziente Mannschaft sind.

Bundeskanzlerin Merkel versprach einen weiteren Besuch – allerdings nur unter der Bedingung, dass es die Elf auch ins Finale schafft. Wenn die Deutschen Glück haben (und das haben sie nicht selten), dann schlägt heute England irgendwie die Italiener. Aber auch wenn die Italiener sich durchsetzen sollten – was das Erwartungsgemäße wäre – darf man sich auf die Chance freuen, sich für das Halbfinal-Aus bei der Heim-WM revanchieren zu können. England seinerseits würde sich für die bittere Niederlage von vor zwei Jahren in Südafrika rächen wollen; aber auch für so viele andere Niederlagen (bei der Heim-EM 1996 zum Beispiel), die jeweils tiefe Wunden in der englischen Fußballseele hinterlassen haben. Im jeden Fall wird Deutschland im Halbfinale eine emotionale Partie zu bestreiten haben. Bis dahin darf man sich aber noch ein bisschen in der Überlegenheit sonnen, die man momentan ausstrahlt.

England gegen Italien: Das klingt vielleicht besser als es wird. Freilich garantieren diese Namen unter normalen Umständen einen Fußballklassiker, aber dafür agiert Italien momentan zu abgeklärt und die Engländer zu ungefährlich. Außer Wayne Rooney erlebt einen Ronaldo- bzw. einen Ibrahimovic-Effekt und spielt endlich so, wie der große Star in einem eigentlich mittelmäßigen Team aufzuspielen hat. Wenn es ein spannendes Match wird, ist ein knapper Sieg der Italiener (vielleicht auch in der Nachspielzeit) zu erwarten. Sollte es ein katastrophales Match werden, sehen wir das erste 0:0 gefolgt von einem Elferschießen, das die Engländer normalerweise verlieren müssten. Außer...

Eitle Wonne, diese Phase des Turniers, denn ab nun reiht sich Schlager an Schlager, KO an KO. Das Erbarmungslose wird zum Erstrebenswerten, das Glück zur Glückseligkeit, das Hässliche zum Unerträglichen. KO-Phasen steigern fußballerische Grundemotionen, sie verdichten das Spielgeschehen, poetisieren jedes Tor zur Heldentat, jede Schwalbe zur Niedertracht und jede Standardsituation zur Klimax. KO-Phasen lassen eigentlich erst erahnen, warum überhaupt Fußball gespielt wird und warum Europa- und Weltmeisterschaften zu den (medialen wie emotionalen) Großereignissen werden können, die sie zu Recht sind.





Mann des Tages: Sami Khedira. Wohl einer der besten Spieler am Platz und sorgte mit dem 2:1 für den deutschen Aufschwung.

Buhmann des Tages:
Der Nachbar mit dem Satelliten-Signal.

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