Donnerstag, 24. Januar 2013

Jausengegner

Einmal wurde ich von einem Sportunkundigen gefragt, was denn ein Jausengegner sei. Ich habe meine Freude an solchen Fragen, weil es einem einerseits vor Augen führt, welche Absurditäten man für selbstverständlich hält, andererseits sieht man sich gezwungen, über solche seltsamen Wörter einmal genauer nachzudenken.

Jausengegner also... In der Tat, so ein Wort gibt Rätsel auf! Vor allem, wenn man es ohne Zusammenhang vernimmt, könnte man ja durchaus meinen, es handle sich um jemanden, der sich strikt gegen das Einnehmen von kleinen Zwischenmahlzeiten ausspricht. Man stelle sich die empörten Gesichter von solchen Jausengegnern vor, wenn diese während eines Waldspaziergangs auf rastende Wanderer treffen, die, auf einer Bank sitzend und Wurstbrote sowie Landjäger kauend ihrer Brotzeit frönen. Auch in die Diskussion über die gesunde Schuljause würden sich solche Jausengegner natürlich einmischen. "Jause - wozu?" wäre etwa der Titel eines entsprechenden Leserbriefs in einem Lokalblatt zu diesem Thema, oder auch "Weg mit der Schuljause!".

Solche Jausengegner könnten einer Diätbewegung enstpringen, die striktes Fasten zwischen den Hauptmahlzeiten propagiert. Dazu müssten aber zu den diätologischen Aspekten auch noch moralische oder zumindest weltanschauliche treten. Jausengegner könnten zum Beispiel sagen, dass das sorglose Verzehren von kleinen Häppchen (noch dazu in der Öffentlichkeit!) ein Ausdruck der Verachtung gegenüber dem hungerleidenden Teil der Weltbevölkerung wäre. Ja, es müsste der herablassende Charakter des Jausnens hervorgekehrt werden. Jausnen, so müsste der Jausengegner betonen, sei keine naturnotwendige Tätigkeit, sondern entspringe vielmehr der Gier nach Luxus, der kapitalistischen Nahrungsmittelüberproduktion etc. und sei somit kategorisch abzulehnen. "Jausnen, pfui!", müsste allerorts plakatiert werden. Darüberhinaus sollte ein Jausenverbot gefordert werden, die Verbannung abgepackter Weckerl und überhaupt der Verkauf diverser Semmerln an der Wursttheke usf.

Nun, über die tatsächliche Bedeutung des Wortes Jausengegner habe ich den Unkundigen aufklären können, jedoch nicht ohne zu bemerken, dass die Verwendung des Wortes "Jause" in ebendiesem Kompositum gleichzeitig etwas Geringschätziges gegenüber der Brotzeit ausdrückt. Man könnte demnach fast glauben, das Wort "Jausengegner" wäre von den Jausengegnern selbst erfunden worden. Aber da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz, und weil das weh tut, muss man solche Überlegungen rechtzeitig abbrechen.

Mittwoch, 9. Januar 2013

Pfeifenberger hält Maß

Eine von Pfeifenbergers ausgesuchten Vorlieben ist jene für Miniaturen. Pfeifenberger ist nämlich ein Mann, der sich seine Vorlieben, Hobbys und Passionen sehr genau aussucht. Er hegt und pflegt sie so wie andere Pflanzen oder Tiere hegen und pflegen. Dabei ist er ein Mann des Mittelmaßes, weswegen der Begriff „Passion“ schon beinahe zu viel ist und eigentlich zu keiner von Pfeifenbergers Vorlieben wirklich passt. Er behält gern die Übersicht und daher hält er sich nur wenige Interessen, und diejenigen, die er verfolgt, hält er sozusagen an der kurzen Leine. Nie hätte ihn eine seiner Vorlieben dazu getrieben, etwas Unüberlegtes oder gar Dummes zu machen. Auch Unvernünftigem sieht er sich nie ausgesetzt, so wie etwa ein passionierter Sammler für ein ihm besonders begehrenswert erscheinendes Objekt eine horrende Summe Geld zahlen würde. Nein, Pfeifenberger kennt seine Grenzen, denn er hat sie ja selbst gesetzt!

Die Vorliebe für Miniaturen allerdings, so unauffällig sie zunächst scheinen mag, ist eine tief gehende. Sie umfasst viele – wenn nicht sogar alle – Lebensbereiche; doch wenn man nicht um sie weiß, sie würde einem gar nicht auffallen. Manche, die davon wissen, haben sich schon an allerlei psychologischen Erklärungen versucht. „Der Pfeifenberger ist halt selbst ein kleines Mandl, der mag kleine Dinge, weil ihm die großen Angst machen!“, hört man etwa die Leute sagen. So naheliegend derlei Interpretationen auch sein mögen, so ungenügend ist doch auch ihre Erklärungsleistung. Wir wollen uns auch hier nicht lange mit den Gründen für Pfeifenbergers Vorliebe aufhalten; ich aber glaube, es hat etwas damit zu tun, dass Pfeifenberger eben gerne den Überblick hat. Als gebürtiger Innergebirgler ist er es gewohnt, von Anhöhen und Bergesgipfeln aus sich den Blick über die große Welt zu behalten. So hält er es auch mit der Lebenswelt. Dies zeigt sich nicht nur bei der sorgfältigen Auswahl seiner Vorlieben, sondern auch an seiner kargen Einrichtung, seiner Sparsamkeit beim Einkaufen und dem generellen Maßhalten bei Essen und Trinken.

Vor allem was das Trinken betrifft, ist Pfeifenberger nach Ansicht der ihm bekannten Leute ein recht kauziger Genosse. Obwohl es eigentlich die Art der Innergebirgler ist, große Mengen an Alkohol in sich hinein zu schütten, wird man Pfeifenberger nie auch nur mit einem großen Bier erwischen. Abgesehen davon, dass er sowieso wenig trinkt, trinkt er auch nur in kleinen Portionen. Ein Seitel Bier ist ihm da oft schon zu viel – lieber hat er einen Pfiff. Dem Wein kann er höchstens zum Essen etwas abgewinnen, und auch da trinkt er ihn nur, wenn er ihn bereits als Zutat verwendet hat. Schnaps trinkt Pfeifenberger nur in Ausnahmefällen bzw. aus „medizinischer Notwendigkeit“, wie er es nennt. Wenn ihn der Magen drückt, greift er gern zum Nussschnaps, den er immer bei einem Lungauer Bauern kauft. Im Lokal lässt er sich nur ungern einladen, aber wenn, dann weiß ein jeder, dass der Pfeifenberger nur Kalmus trinkt. Denn auch der wirkt beruhigend auf Geist und Körper. „Nur keine Aufregung!“, das ist die Pfeifenberger'sche Devise und also trinkt er niemals Vodka oder Rum. Nicht pur und schon gar nicht mit irgendwelchen Mixgetränken.

Manche Leute meinen, der Pfeifenberger würde den Kalmus und den Nussschnaps sowieso nur deswegen trinken, weil ihm das kleine Schnapsglas so gefiele. Da mag etwas dran sein, denn auch am Pfiffglas gefällt ihm nicht nur die kleinere Portion Bier, sondern eben auch die „Haptik und Optik“, so er, des kleineren Glases. Vulgär würde es aussehen, müsste der Pfeifenberger ein Halbeglas (oder gar ein Mass!) jedes Mal zum Mund stemmen, wollte er daraus trinken. Es würde aussehen, als hätte ihm jemand etwas zu Fleiß getan, und Pfeifenberger wäre darüber auch gewiss nicht glücklich! „Eine Halbe, das ist ja pervers“, soll er einmal gesagt haben als ihm jemand eine solche spendieren wollte. Niemals wird man Pfeifenberger am Oktoberfest Masskrüge heben sehen, und dieses Faktum allein beweist schon die grundrichtige Geordnetheit unserer Welt.

Nicht nur, was die Größe des Glases anbelangt, ist Pfeifenberger eher ein Mann des Maßhaltens statt des Masshaltens (ein derartig dümmlicher Wortwitz sei dem Berichtenden hier ausnahmsweise erlaubt): Auch was die Wahl der Getränke anbelangt, lobt Pfeifenberger sich die Miniatur. So ist sein eigentliches Lieblingsgetränk der Radlerpfiff. Man merkt schon: Der Pfeifenberger ist kein ungeselliger Mensch, aber übertreiben will er es deswegen auch nicht! An manchen Abenden verzichtet Pfeifenberger gänzlich auf Alkohol. Stattdessen trinkt er Limonade oder Apfelsaft. Sollte er dabei auf eine besonders gesellige Runde stoßen, die sein analkoholisches In-der-Bar-Stehen als Dreistheit empfinden, gibt er dem Wirt seines Vertrauens ein Zeichen, worauf ihm dieser quasi im Geheimen ein Schlossgold einschenkt. Je geselliger und fordernder die Runde, desto unwahrscheinlicher ist es, dass einem dieser Kniff (auf den Pfeifenberger besonders stolz ist, wie er einmal verraten hat) auffällt. Das aber ist freilich bloß eine Notlösung, denn das alkoholfreie Bier wird in der betreffenden Kneipe nur in Halbliterflaschen ausgeschenkt. Der Wirt füllt dem Pfeifenberger das Schlossgold zwar in ein Seitelglas, aber es bleibt doch immer noch ein Pfiff in der Flasche zurück, der nach einiger Zeit zum sogenannten „Hansl“ wird – einem letzten, abgestandenen und schier ungenießbaren Bierrest, den nur Alkoholiker oder ganz Verzweifelte zu trinken vermögen. Davon nimmt Pfeifenberger freilich Abstand.

Manchmal, wenn Pfeifenberger die ihm unzuträgliche Einrichtung der Welt beklagt, meint er: „Das ideale Getränk für mich, das wäre ein Schlossgold-Soda-Radler-Pfiff.“ Dabei ignoriert er das überraschte Gesicht seines Gegenübers und fügt seufzend hinzu: „Aber wer schenkt das schon aus?“ Und wenn er das sagt, dann schaut er, als ob es kein Morgen gäbe, und für einen kurzen Moment erwischt man sich selbst dabei, über eine solche Tatsache ein wenig Traurigkeit zu verlieren. „Komm, trink noch einen Apfelsaft, ich lade dich ein!“, sagt man dann und hofft, dass es ihn aufmuntert. „Nein danke. Mir ist eh schon schlecht“, wird er dann antworten und an schlechten Tagen heimgehen. An guten Tagen aber lässt er sich zu einem Kalmus überreden. Und wenn dann das kleine Schnapsglas vor ihm steht, sieht man seine Augen wieder ein wenig funkeln.