Montag, 31. Dezember 2012

Pfeifenberger ist nicht eitel

Es war Pfeifenbergers größte Furcht, mit dem jungen Peter Handke verwechselt zu werden. Gegen Verwechslungen mit dem alten Peter Handke hatte Pfeifenberger wenig einzuwenden und konnte sich derer auch nicht erwehren, glich sein Haarschnitt und sein misstrauischer Blick doch sehr dem gealterten Literaten. "Der junge Handke, der war entsetzlich!", soll Pfeifenberger einmal gesagt haben. Und das meinte er nicht nur im literarischen, sondern vor allem auch im optischen Sinne. "Handke ist eigentlich überhaupt entsetzlich. Ganz entsetzlich!", sagte Pfeifenberger ein anderes Mal und bezog das vor allem auf das literarische Schaffen des Kärntner Schriftstellers. Trotzdem fühlte er sich von den Vergleichen mit dem alten Handke immer ein wenig geschmeichelt. "Frisur hat er ja eine gute! Aber seine Prosa, die ist entsetzlich. Zumindest sehr mau!" Ein Lieblingswort Pfeifenbergers war nämlich das Wort "entsetzlich". Ein anderes war "mau". Selten verwendete er beide in Verbindung: entsetzlich mau. Das geht eigentlich nicht, und das wusste auch Pfeifenberger.

Von September bis Anfang Dezember jeden Jahres schnitt sich Pfeifenberger nie die Haare. Er meinte immer, er müsse seinen "Winterpelz" gedeihen lassen. Tatsächlich sprach Pfeifenberger von "gedeihen", denn seine Haarpracht war für ihn so etwas wie eine Naturgewalt, über deren Wachstum er keine Kontrolle hatte. Freilich aber freute er sich über seine Mähne, die er gern stundenlang vor dem Spiegel begutachtete, bewunderte und pflegte. Manchmal probierte Pfeifenberger verschiedene Frisuren aus, blieb aber dann doch meistens bei einer Scheitelvariante, die einen Mittelscheitel vorgaukelte, sich aber bei genauerem Hinsehen als leichter Rechtsscheitel entpuppte. Ein Mann voller Subtilitäten - das war Pfeifenberger!

Die Idee mit dem Winterpelz hatte Pfeifenberger von seinen Vorfahren abgeschaut, die allesamt aus dem Lungau, der kältesten Region des Innergebirgs, stammten. In Tamsweg, der Bezirkshaupt- und einzigen Stadt der Region, erzählt man sich, die Pfeifenbergers hätten einst den Lungau gegründet. Dabei handelt es sich natürlich nur um einen Gründungsmythos, der aber bezeugt, welch hohes Ansehen die Familie Pfeifenberger im Lungau schon immer genossen hat. "Als Pfeifenberger trägst du einiges mit dir herum!", soll der Pfeifenberger einmal gesagt haben und damit hat er nicht seine Haare gemeint. Obwohl der Satz natürlich besonders für die winterliche Haarvariante des Pfeifenbergers gegolten hätte, denn was sich da jedes Jahr bis Anfang Dezember auf dem Pfeifenbergerkopf angesammelt hat, musste mehrere Kilo schwer gewesen sein. Die richtige Länge hatten Pfeifenbergers Haare dann, wenn er sie hinten zu einem kleinen Zopf zusammenbinden konnte. Das Volumen, das mit dieser Haarlänge einherging, füllte dann auch die Winterhaube vom Pfeifenberger vollständig aus. Das bedeutet aber: Hätte sich der Pfeifenberger die Haar schon ab August wachsen lassen, dann wären sie im Dezember so voluminös geworden, dass sie nicht mehr unter die Haube gepasst hätten. Und weil der Pfeifenberger ein recht verfrorenes Männlein war (trotz seiner Lungauer Herkunft), konnte er das nicht riskieren.

Der Friseurbesuch im Dezember fand dann meistens in Salzburg statt. Denn Pfeifenberger ging niemals zu einem anderen Friseur als zum Sturmayr in Salzburg. Dort nämlich hatte er seine Friseurin, die einzige, die seine Mähne entsprechend zu schneiden wusste. Die Ingrid - so hieß sie - hätte der Pfeifenberger auch geheiratet, hat er einmal gemeint. Denn Friseurinnen - nicht alle! - seien ordentliche Frauen, so Pfeifenberger. Man darf jetzt nicht glauben, dass der Pfeifenberger ein Mann von großer Einfalt war - im Gegenteil! Pfeifenberger war ein studierter Mann, ein belesener zumal, was ja heutzutage nicht mehr selbstverständlich ist. Aber er hatte ein gutes Gespür für die einfachen Dinge im Leben. Wäre er Politiker gewesen, hätte man gesagt, der Pfeifenberger sei ein "Mann für die kleinen Leut'" und hätte damit nicht die geringe Körpergröße gemeint, die den Pfeifenberger zu einer höchst sympathischen Erscheinung machte.
Die Ingrid hat der Pfeifenberger jedenfalls nicht geheiratet. Wohl auch deshalb nicht, weil er einmal gesagt haben soll, dass Haare und Liebe nicht zusammengehen. Das eine sei eine Sache der Vernunft, das andere eine Sache des Herzens. Mit solchen Sätzen frappierte Pfeifenberger regelmäßig die Menschen.

Wer jetzt glaubt, der Pfeifenberger hätte sich den ganzen Winterpelz im Herbst wachsen lassen, um ihn dann zu Winterbeginn wieder abzuschneiden, der denkt nicht mit und hat den Pfeifenberger mit Sicherheit nicht verstanden - oder ihn gar unterschätzt (was der Kardinalfehler in Bezug auf diesen Mann ist). Mit der langen Wachstumsperiode stellte Pfeifenberger nur sicher, dass sich genügend Haare für den kalten Winter auf seinem Kopf befanden - dem Wildwuchs aber gab er seine Haare deswegen nicht hin. So wurden sie jeden Dezember in Salzburg von der Ingrid formschön geschnitten, also in Fasson gebracht, ohne dabei zu viel Material verloren gehen zu lassen. Wenn dann der Pfeifenberger aus der Sturmayr-Filiale trat und der Salzburger Innenstadtwind zum ersten Mal seine frisch geschnittenen Haare streichelte, fühlte sich Pfeifenberger erhaben. Und er sah dann auch erhaben aus! Wie der alte Peter Handke eben. Nur, dass Pfeifenberger ein viel humorvollerer und wahrscheinlich auch angenehmerer Mensch war als Handke; das gilt sowohl für den alten wie auch für den jungen.

Samstag, 8. Dezember 2012

Advent

Advent ist eine komische Zeit. Advent ist auch ein komisches Wort. Jeder neunmalkluge Mittelschüler kann einem erklären, dass es so viel wie "Ankunft" bedeutet. Alles klar, aber warum gibt es dann den ersten, zweiten, dritten und vierten Advent? Vier Ankünfte für eine Person, das ist schon ein bisschen übertrieben. Da merkt man bereits, was der Advent im Schilde führt: Er blendet uns nämlich. Mit Kränzen und Lichtern und Türchen auf Adventkalendern etc.

Advent ist die Zeit, in der man sich nichts erwartet und dann doch enttäuscht ist, wenn nichts passiert. Die meisten tun so, als wäre ihnen der Advent wurscht. Andere wiederum machen ein riesen Brimborium aus dem Advent und zelebrieren das Keksebacken, das Dekorieren, das Singen und Glühwein trinken usf. Dabei ist der Advent eigentlich nur ein Countdown. Der Adventkranz und der entsprechende Kalender sind Taktapparate. Tag um Tag rücken wir der Weihnacht näher - vier Wochen, 24 Tage und dann ist endlich alles vorbei und wir können uns wieder der lähmendsten Woche im Jahr widmen, nämlich jener zwischen Weihnachten und Neujahr, in der so gut wie gar nichts passiert.

Der Advent ist also das Warten auf das große Nichtstun, auf die Entspannung zwischen den Jahren. Hier wird gefressen und getrunken, und wer es gar nicht aushält, der sucht sich exotische Reiseziele, wo es heller und wärmer ist als in unseren Gefilden. Aber noch ist es nicht so weit, noch müssen wir uns mit Kerzerln und Lichterln über Wasser halten! Als Nervennahrung gibt es die unvermeidlichen Kekse sowie Punsch zur Beruhigung. Außerdem dürfen wir einkaufen gehen - auch das beruhigt die meisten und es steht sinnbildlich und ganz unironisch für das Warten auf das Nichts.

"Advent, Advent" - schon die Wiederholung des Wortes drückt die Ungeduld der Wartenden aus. Und nachher will es wieder keiner gewesen sein! Der nachweihnachtliche Kater ist das Eingeständnis einer Schuld, das Bekenntnis, dass man tatsächlich auf nichts gewartet hat. Obwohl man immer irgendwie gehofft hat, dass doch was passiert. Das ist, was vom Advent übrig bleibt: Hoffnung. Das wäre auch die verständlichere (wenn auch nicht die richtige) Übersetzung. Als Kind hofft man ganz profan auf das richtige Weihnachtsgeschenk. Als geübter Erwachsener darauf, dass diesmal alles anders wird und doch noch Weihnachtsstimmung aufkommt. Als älterer Mensch hofft man vielleicht schon spirituell auf das, was danach kommt. Eigentlich eine schlimme Zeit, dieser Advent...

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Der Poet

In der U-Bahn-Station steht ein frisurloser Student. Es handelt sich um einen von jenen Studenten, die unbedingt zeigen müssen, dass sie Studenten sind. Er ist fast zwei Meter groß, zumindest würde er diese Höhe erreichen, stünde er gerade. Aber sein Nacken ist geknickt wie der eines Aasgeiers - vermutlich ob der Schwere der Gedanken, die in seinem Kopfe kreisen. Außerdem hat er einen dieser übergroßen Kopfhörer auf, um damit Indiemusik zu hören und sich gegen den traurigen Alltag einer Wiener U-Bahn-Station abzuschirmen, mit dem er so gar nichts anfangen kann, seitdem er sich das Gesamtwerk Sartres besorgt hat, das er nie lesen wird, und er einen Blick in die Vorrede von Kants Kritik der reinen Vernunft geworfen hat, wovon er naturgemäß nichts verstanden hat.

Seine Mode ist modisch im weitesten Sinne: Das, was Studenten halt so tragen, wenn sie Geschmack vorschützen wollen. Die Hose ist gelb, die Jacke irgendwas Braunes und die Schuhe sind eben cool. Die unvermeidliche Umhängtasche strahlt dieselbe Lustlosigkeit aus wie sein Gesicht. Er ist gerade erst aufgestanden. Nicht, weil der Schlaf sich seiner erschöpften Forschernatur bemächtigte und Morpheus ihn nicht mehr hergeben wollte, sondern einfach deswegen, weil Studenten das halt so tun: Sie schlafen lange. Eine Brille hat er auch auf, so eine mit dickem schwarzen Rahmen. Nicht, weil es modern ist, sondern weil es einfach stimmt. Man braucht dickrandige Brillen, denn der Student studiert bestimmt die Geisteswissenschaften. Und zwar alle. Er hat mindestens sieben Studienrichtungen inskribiert und unterliegt noch den zwei großen Täuschungen der Universität: nämlich der Idee, dass man alles schaffen könne, was man sich vornimmt, auch wenn das bedeutet, dass man im Semester ca. 15 Klausuren und 5 Seminararbeiten zu schreiben hätte; und zweitens, dass alle Studienrichtungen interessant wären und man überall etwas Anderes und völlig Neuartiges lernen könnte.

Seine schlechte Haltung lässt mir das Kipferl im Magen rotieren. Gekrümmt steht er an der Wand, mit einem Fuß wippt er leicht zum Takt seiner Musik, traurig schaut er auf die Gleise. Endlich kommt die U-Bahn. Ich sitze ihm schräg gegenüber und bin gespannt, welches intelligente Buch der junge Herr gleich aus seiner Tasche ziehen wird. Zu meinem allergrößten Vergnügen holt er ein Notizbuch hervor! Es ist von Moleskine und freilich noch völlig unbenützt. Der Student schlägt es auf der zweiten Seite auf, die erste scheint leer zu sein. Jetzt zückt er einen Stift und schaut sehr ernst durch das Fenster in den dunklen U-Bahn-Schacht hinaus. Inspirierende Schwärze, singe mir! Er senkt den Blick bedächtig auf das Papier und lässt die Spitze des Stiftes eifrig über dem Papier nicken - als würde er anvisieren, den richtigen Schwung abwarten. Gleich, gleich müsste es kommen, das erste Wort, der wichtige Gedanke zu einer neuen Großstadtliteratur, das philosophische Stichwort, der Auftakt zu einer Sonate der jugendlichen Wehleidigkeit, der Anfang von etwas ganz Großem, von etwas noch nie Dagewesenem, das noch aufgeschrieben werden muss, bevor die Welt vergeht! ... Nichts. Der Blick sucht wieder den Schacht, der Stift hört auf zu nicken.

Ich muss schmunzeln. Da glaubt noch einer an die inspirierende Kraft des weißen Papiers! Er hatte genau gar keinen Gedanken in seinem Kopf, als er zum Notizbuch griff. Nicht einmal ein Wort hätte er hinschreiben können, nichts wäre ihm eingefallen, das ein paar Quadratzentimeter seines feinen Büchleins wert gewesen wäre. Stumm sitzt er jetzt da. Er schweigt, der Stift schweigt, ja sogar der Kopf schweigt jetzt wahrscheinlich. Da, wieder! Der Blick senkt sich erneut, diesmal weniger optimistisch, ein bisschen traurig gar. Auch der Stift fängt wieder an, seine abwarteten Bewegungen zu machen. Es ist alles angerichtet, mein Freund! Schreib nieder! Notier! Dichte! Das alles will ich ihm zurufen und weiß genau, es wäre nur der neiderträchtigste Hohn, der aus mir sprechen würde.

Der Student wird erlöst. Es ist seine Station, die Universität. Hurtig packt er das leere Notizbuch und seinen Stift wieder in die Umhängetasche. Wieder ist er davon gekommen. Jeden Tag zwei Stationen Inspirationslosigkeit wünsche ich ihm und folge ihm. Im Gewimmel der anderen Studenten verliere ich seinen Lockenkopf. Ich werde abgelenkt von anderen, noch fragwürdigeren Frisuren und Barttrachen. Ockhams Rasiermesser fällt mir ein. Mit so einem müsste man durch die Universität gehen und die Inspiration in die Köpfe lassen, indem man sie vom fragwürdigen Wulst zerzauster und verfilzter Haare befreit. Gar garstige Gedanken sind das, ich weiß! Aber Ockham, oh, er würde mir beipflichten!

Ich folge meinem schlechten Gewissen und nähere mich einem Stand der Grünen. Volksbegehren gegen Korruption! Ja, das klingt gut. Ich bin gegen Korruption, ich begehre! Ich begehre und unterschreibe. Am liebsten möchte ich gleich erlöst werden - nur eine Unterschrift genügt und mir sind meine garstigen Gedanken verziehen. Gegen Korruption! Wer kann da nicht ja sagen? Ein großes JA ankreuzen? Volksbegehren gegen Korruption, gegen Sittenverfall und Amoral! Ich möchte ein generelles Volksbegehren gegen "unfair". Gegen alles, was unfair ist, möchte ich begehren. Oder besser noch: Eine Volksabstimmung zum Thema: "Fair oder nicht fair?" Das wäre die ultima ratio der Politik. Wenn nichts mehr geht, fragen wir die Leute einfach mal, ob sie eigentlich wollen, dass es fair zugeht im Staate Österreich, oder ob eh alles blunzn ist.

Alles ist gut. Wir haben Wasser, steirische Äpfel, Mozartkugeln und die Donau. Wir fahren Geländewagen in Großstädten, trinken in der Adventszeit Glühwein bis zum Erbrechen und singen und frohlocken unterm Plastik-Christbaum. Vor allem aber haben wir den ORF und den freien Hochschulzugang, fesche Politiker und alte Schillingscheine in Matratzen versteckt. Wir brauchen also keine besonders inspirierten Studenten in U-Bahnen. Das macht alles nichts. Der Mensch in der Krise, wenn er das Designer-Notizbuch gezückt hat und ihm nichts einfällt: Den können wir uns gerade noch leisten! Es geht uns gut.

Dienstag, 4. Dezember 2012

Die potemkinsche Hündin

Im Konzert-Café Schmid Hansl (das allein schon ein vielversprechender Name!) steht eine blaue ukrainische Grableuchte auf einem Tischlein. Daneben sind Cello und Gitarre platziert, am Boden drängt sich ein Sammelsurium von Effektgeräten und Kabeln. Cordula Simon soll hier aus ihrem Debutroman lesen, der "Der potemkinsche Hund" heißt. Deswegen auch die Grableuchten, derer mehr in verschiedenen Farben am unauffälligen Piano des Cafés stehen: "In Odessa sind die Friedhöfe bunt", erklärt sie mir mit ihrer kindlich gebliebenen Begeisterung. Trotzdem solle man da nachts lieber nicht hingehen. Habe ich auch nicht vor, mir reicht vorerst eine Lesung mit Grablaternchen und "Friedhofsmusik", wie die junge Autorin die stimmungsvollen Klangkaskaden von Sainmus nennt - das sind zwei studierte Jazzmusiker, die hier für Gulasch, Bier und Hutgeld mit ihrer bemerkenswerten Musik Simons Lesung untermalen.

Das Café Schmid Hansl ist eines jener Wiener Cafés, bei denen es selbst einen bekennenden, aber nicht immer ganz konsequenten Nichtraucher wie mich reut, dass hier nicht mehr gepafft wird. Dicke Rauchschwaden würden dem Raum gut stehen. Geraucht wird hier aber nur im Hinterzimmer. Deshalb hält sich dort auch Cordula Simon viel lieber auf als vorne am Lesetisch, umrahmt von Friedhofslaternchen und Friedhofsmusik. Trotzdem steht ihr das, als sie dann Platz nimmt, verblüffend gut.

Im hinteren Teil des Cafés hat sich eine Schulklasse eingefunden - oder auch einfinden müssen. 15 heiße Schokoladen wurden hier schon lange nicht mehr verkauft. Sie alle lauschen dem exaltierten Sprachduktus der in Odessa lebenden, aber in der Steiermark so seltsam gewordenen Autorin. Wieder einmal überlistet sie uns alle, als sie vom scheinbaren Erzählen direkt in das erste Kapitel ihres Romans gleitet. Sie tut immer so, als müsste sie uns zuerst erklären, was es mit ihrer Hauptfigur, dem Anatol Grigorjevic Ivanov, auf sich hat, und auf einmal bemerkt man, dass sie jetzt in das Buch schaut und also liest. Funktioniert immer. Das ist ihr ganz persönlicher Häschen-aus-dem-Hut-Schmäh. Irgendwie charmant, auch wenn man ihr das nicht zutrauen würde.

Sainmus bieten zwischen den Kapiteln ganz famose, verjazzte Stimmungsmusik. Zwar will sich keine Friedhofsstimmung einstellen (Gott sei Dank!), aber das  dramatische Dröhnen des Cellos und die aufgeregte, zuweilen quietschvergnügte Gitarre lassen sogar die Schulkinder in den hinteren Reihen die Justin-Bieber-Scheitel wippen. Die zwei Musiker schauen sich nach dem musikalischen Intermezzo gegenseitig verwundert an. Ja, das war tatsächlich großartig!

Simon wehrt sich gegen den Applaus mit dem Kapitel, das aus der Sicht des Hundes geschrieben ist. Sie erklärt, dass man ihr anfangs davon abgeraten habe. Doch Cordula Simon lässt sich von gar nichts abraten. Immerhin hat sie ja jetzt auch einen Vermögensverwalter. Das Kapitel ist aber sehr gelungen und eigentlich auch nur konsequent. Sätze wie der folgende lassen uns glauben, dass Simon selbst die allergrößte Hündin ist: "Wenn die wüssten, wie Wurst gemacht wird, man konnte es ja riechen (!), dann würden sie sie selbst bestimmt nicht anrühren."

Ja, die potemkinsche Hündin liest aus ihrem seltsamen Roman und bittet uns nach der Lesung noch in das Hinterzimmer, wo ukrainischer Vodka gereicht wird. Ich erlaube mir zu sagen, dass der letzte, den sie von dort mitgebracht hatte, besser war, was sie gewohnt abgeklärt mit dem Satz quittiert: "Das dürfte daran gelegen sein, dass du ihn aus der Flasche trankst." So, oder so ähnlich hat sie es gesagt. Jedenfalls erinnere ich es so. Mit ihrer tiefen Damenstimme, die sie sich über die Jahre antrainiert hat, und die man so mag; zumindest als Alternative zu ihrer Furienstimme oder ihrer Quietschstimme. Ein "Stimmchen" hatte sie noch nie, die Hündin. Aber eine Sprache, die hat sie schon immer gehabt...

Sollten Sie einmal in die Verlegenheit kommen, ein Buch von Simon kaufen und signieren lassen zu können: tun sie es! Sie schreibt da gerne ganz fiese Sachen rein, die aber nur halb so schlimm sind, weil man diese odessitische Sauklaue ohnehin kaum lesen kann! Wir sind froh, dass Cordula Simon nicht Ärztin geworden ist.

Donnerstag, 15. November 2012

Gibs auf

Der Dohlinger Franz erzählt:

"Gonz in da Fria is gwenn, auf da Stroßn koa Söi, und i bin zan Bonnhof gonga. Wiari mei Uh mit da Uh vom Kiachtiamei vaglichn ho, ho i gseng, dass dou scho a weng spada woa ois wia i ma docht hou; offt ho i recht an Gnett ghobb und vor lauta Hudln hou i offt neama gwisst wo i hi muas, wei in dem Deafei do ho i mi a no nid so guad auskennt. Wos moast wia froh i gwenn bi, dass i glei an Schantinga dawuschn hou! I zu eam zuachidoggit und gfrogg wo i hi muas. Owa der Nox houd nua deppat grinst und gmoat: 'Vo mia wüst du wissn, wo'st hi muast?' 'Jo', ho i gsogg, 'i siech mi söm neama aus!' 'Gibs auf, gibs auf', houda noand gsogg und si a so kommisch wegdraht, wia oana, der mit seim Lochn aloa sei wü."

Dienstag, 13. November 2012

Zeller Weisheit

"Wonnst an Kaffäh gengan Duscht trinkst, offt moggst glei an Schnopps gengas Kreizweh trinkn!"

Montag, 12. November 2012

Appell an die Brüllenden

Freundlichkeit ist ein dehnbarer Begriff und ein sehr strapazierfähiges Konzept. Man merkt dies zum Beispiel im Innergebirg, vor allem in den touristischen Regionen: dort, wo also die Freundlichkeit zu Hause ist, wie gerne behauptet wird. In Wahrheit ist das Innergebirg der Freundlichkeit ein so fremdes Umfeld wie die Sahara einem Pinguin. Trotzdem gibt es sie hier – irgendwie halt. Schließlich könnte man ja einen Pinguin auch in der Wüste aussetzen. Die Frage ist halt nur, wie er sich dort verhält und wie lange er überlebt!

Es gibt im Innergebirg zwei Arten der Freundlichkeit. Die erste ist jene den Gästen gegenüber. Es ist dies eine servile Freundlichkeit, die der Österreicher im allgemeinen besonders gut beherrscht. Mit Ehrlichkeit hat sie nichts zu tun. Manchmal erahnt man an ihr einen Hauch von Höflichkeit; das ist aber auch schon alles. Sie ist keineswegs von einem empathischen Miteinander gespeist und hat nichts mit Interesse an anderen Menschen zu tun. Eher mit allgemein akzeptierten Umgangsformen – mit eingeübten kulturellen Praktiken also, die man nicht verstehen muss, um sie zu beherrschen.

Die andere Art der Freundlichkeit ist von noch seltsamerer Natur. Sie hat ähnlich wenig mit tatsächlicher Anteilnahme zu tun wie die servile Freundlichkeit, aber sie hat existenzielleren Charakter. Sie ist quasi eine Überlebensübung und gerät als solche immer ein bisschen bemüht, ja wirkt mitunter verzweifelt. Deswegen äußert sie sich vor allem auch in überlautem Rufen bzw. 'Begrüßungsgebrüll'. Wenn also zum Beispiel ein Pinzgauer freundlich sein will, schreit er richtig laut „Servas!“ oder „Hawidere!“ und begleitet diesen Ruf mit übertriebenem Winken oder Deuten – als wolle er einen auf einem entfernten Gipfel stehenden Wanderer grüßen, auch wenn sich die gemeinte Person nur wenige Meter von ihm entfernt befindet. Die einfache soziale Gleichung, die hinter solch seltsamen Verhalten steckt, ist die folgende: „Je lauter ich mich verhalte, desto auffälliger widme ich mich der anderen Person, desto freundlicher muss ich also wirken.“ Dass dieses Gebaren nicht regelmäßig auf offene Ablehnung stößt, ist bloß dem Gewöhnungseffekt geschuldet, der sich einstellt, wenn man lange genug in der betreffenden Region freundlich gegrüßt wird – und auch selber grüßt.

Unter Freunden äußert sich besonders freundliches Verhalten gerne in übertriebenem Schulterklopfen oder gemütlichem In-den-Schwitzkasten-Nehmen. Was gleich bleibt ist aber der laute und mitunter raue Tonfall der Begrüßung, welcher oft ein noch lauteres „OH!“ voran- und ein tiefkehliges Lachen hintangestellt ist. „OH! Servas Kaiser! Hohohoho!“ oder „OH! Grias eich, Schweinsbeich! Huahaha!“ Auch die Verwendung von multiplen Grußformeln ist im Innergebirg nicht unbekannt: „Hallo, servas, grias di!“ oder „Grüß Gott, guten Morgen, hallo!“ hört man nur allzu oft. Besonders freundlich gemeint, werden multiple Grußformeln dann so gebrüllt, dass der Grüßende bereits vor dem Beginn eines möglichen Gesprächs heiser ist.

Zugegeben werden eben genannte Tugenden zumeist von Männern gepflegt, doch haben sie auch ihre weiblichen Entsprechungen. Ein falsetto-artiges „Grüß Gott!“, bei dem sich beim „Gott!“ die Stimme schon mal überschlagen kann, und dazu ein lippenstiftrotes, fratzenhaftes Lächeln – das sind die deutlichsten Anzeichen der existenziellen Freundlichkeit der Pinzgauerinnen. „Ja wie GEHT's dir denn?“ (hier hüpft der Kehlkopf beim „geht's“ fast aus dem faltigen Hals heraus). Auch die an die Begrüßung anschließenden Sätze werden übertrieben intoniert und von entsetzlichen Grimassen und Kopf-Schieflegen begleitet, das nach Meinung der Gesprächsteilnehmerin Empathie anzeigen soll, bei einem Außenstehenden allerdings nur Verstörung auslösen kann. Ein Tourist etwa, welcher der österreichischen Sprache und unserer Umgangsformen nicht kundig ist, kann solche Szenen nur als spontane Inszenierungen eines absurden Theaters wahrnehmen – niemals aber als jene völlig normalen Alltagssituationen, die sie in Wahrheit sind.

Aber auch als Bewohner besagter Region muss man diesen Emanationen Pinzgauer Geistes gegenüber kritisch sein. Daher sei hier in aller Deutlichkeit (aber in angemessener Lautstärke) gesagt: Lauter ist nicht gleich freundlicher – lauter ist grob! Lauter ist in den allermeisten Fällen unhöflich. Vor allem aber ist überlautes Begrüßen vollkommen unnotwendig, weil sich keine weiten Täler und keine tiefen Gräben mehr zwischen uns befinden. Wir sind zusammengewachsen im Innergebirg. Die Welt ist ein Dorf und das Dorf ist genauso kleiner geworden wie die Welt. Kein Grund zum Schreien! Der Fortschritt hat es uns sogar möglich gemacht, mit Menschen, die sich tausende Kilometer von uns entfernt befinden, in normaler Gesprächslautstärke zu kommunizieren, ja man könnte ihnen sogar ins Ohr flüstern! Warum also einen Bekannten auf der Straße derartig anbrüllen als habe er etwas angestellt? Mäßigt euch in der Lautstärke, liebe Innergebirgler! Die Freundlichkeit kauft man uns ja so oder so nicht ab...

Dienstag, 23. Oktober 2012

Am Flughafen


Auch Flughäfen lehren uns: Der Großteil der Menschen ist hässlich. Eine sehr beruhigende Tatsache, vor allem, wenn man mit ihr um sieben Uhr früh konfrontiert wird. Die Realität jenseits des Reality-TVs sieht halt doch ganz anders aus: viel schmeichelhafter, aber weniger aufregend. So wenig aufregend wie der Geschmack des Flughafen-Kaffees, der zwar brav seinen Aufweck-Dienst versieht, dabei daber aber dem ungeschrieben Gesetz folgt, immer grässlich sein zu müssen.

Die Verschlafenheit eines Flughafens am Morgen ist, angesichts des Trubels, der sich in den frühen Vormittagsstunden einzustellen anschickt, eine bewundernswerte, und sie betrifft Personal wie Passagiere gleichermaßen. Ja, in Zeiten wie diesen, in denen sich jeder überlegen muss, ob er zu den 98%, den 2%, den 47% oder zu einem ganz anderen Prozentsatz gehört, hat eine solche Verschlafenheit geradezu etwas Demokratisches. Man fühlt sich wohl am Flughafen, unter all diesen hässlichen verschlafenen Menschen.

Auch, dass selbst sonst so geschäftige Orte wie Flughäfen Gezeiten kennen, stimmt einen milde. Die systolischen und diastolischen Bewegungen der Menschenströme lassen sie in einem moralischen Sinne lebendig erscheinen - nicht nur lebendig, weil sich da irgendwas rührt. Ein Flughafen, das ist schützenswertes Terrain. So viele sonderbare Wesen, die ihrem Treiben nachgehen, oder sich einfach vom Treiben der anderen ziehen lassen. Und er selbst, der Flughafen, atmet. Metalldetektoren zwitschern aufgeregt auf ihrer Suche nach eisernen Hosenknöpfen und Münzen, die sich in nachlässig ausgeräumten Taschen festgekrallt zu haben scheinen, aus Angst, entdeckt und einem Sicherheitsbeamten vorgelegt zu werden, für den sie keinen Wert besitzen. Jene Menschen, die noch keinen Platz auf einer der vielen Wartebänke gefunden haben, mäandern durch die fast leeren Hallen. Das gibt den frühen Morgenstunden einen zarten Rhythmus, wie mit einem Jazzbesen gespielt, der über eine gleichgültige Snaredrum schleicht. Überhaupt die Gleichgültigkeit, die hier herrscht! Sie geht vom Gebäude selbst aus, das so selbstverständlich die Hoffnungen und Traurigkeiten seiner Insaßen duldet. Kein Ort dieser modernen Welt kann die Wurschtigkeit eines Flughafens nachstellen, ohne dabei Gefahr zu laufen, in vollkommener Unwichtigkeit aufzugehen. Dass die Dreh- und Angelpunkte unserer Welt so beruhigend sein können, lässt jeden Reisenden zuversichtlich in den Flieger steigen; ganz ungeachtet seiner und seiner Mitreisenden Hässlichkeit. Noch ein letzter Vertrauensbeweis, bevor man den Metallvogel besteigt und sich dem Wunder des Fliegens ausliefert.

Donnerstag, 27. September 2012

Unser Outlaw

Einer ist von uns gegangen, den man getrost als "Unikum" bezeichnen konnte; auch wenn Worte wie dieses gerne dazu verwendet werden, gutmütige Verschrobenheit zu diagnostizieren. Der Puffer Willi, wie er genannt wurde, war aber ein Unikum im allerbesten Sinne des Wortes - ein Original, der dem Zeller Bergvolk den Rock'n'Roll nicht nur näherbrachte, sondern vor allem vorgelebt hat - konsequent, authentisch und manchmal auch rücksichtslos. Ein Outlaw war er, aber einer mit großem Herz (nicht nur für die Damen)!

Während die einen darüber nur die Köpfe schütteln konnten, war er für die anderen ein Held. Was sich die Leute über ihn gedacht haben, war ihm aber schon seit jeher egal - Rock'n'Roll-Attitüde eben. Er spielte für die einen nicht den Narren und für die anderen nicht den Helden. Was ihm am Herzen lag, war meistens so banal wie (im Kontrast zur Borniertheit der Zeller "Intelligenzia") erhellend: Weißbier und gute Musik. Auch wenn er im Zeller Nachtleben genügend Anlass dazu fand, seinen nie ganz ernst gemeinten Zorn zu pflegen, war er aus selbigem nicht wegzudenken. Schon meine Eltern erlebten die glorreichen Zeiten bei ihm im Wurzelkeller. Ich selbst habe ihn dazumals erst als DJ im Bierkeller kennengelernt.

Dass einer amerikanische Rock- und Bluesmusik der 60er und 70er auflegte, hielt ich damals für eine Selbstverständlichkeit; zufälligerweise (?) machte ich selbst etwa um die gleiche Zeit, als ich mit dem Fortgehen begann, Bekanntschaft mit der Geschichte der früheren Popularmusik (Beatles, Hendrix etc.). Erst als seine Auftritte als DJ immer weniger wurden, erkannte ich das große musikalische Loch, das dieser Mann hinterlassen hat. "Wo spüns'n heid no a gscheide Musi!?", fragte er später oft anklagend und ich konnte ihm darauf nie eine befriedigende Antwort geben.

Aber auch als er schon nicht mehr regelmäßig Platten auflegte (oder irrtümlicherweise Schmalzbrote statt CDs in den CD-Player legte, was nur eine der vielen wahnwitzigen Anekdoten ist, die es über ihn gibt) blieb Willi den Zeller Nachteulen erhalten. Egal, ob als grantelnder Weckerlverkäufer im Viva oder als schimpfender "Wiaschtlsiada" vom Insider: Willi Puffer war gleichsam Mahnmal wie Vorbild, Sheriff wie Outlaw. Vor allem aber war er ein lustiger und lieber Kerl, der um keinen "hantigen" Spruch verlegen, sich für keinen Spaß zu schade war. Ich hoffe, dass es ihm da, wo er jetzt ist, gefällt. Zell am See wird ihn sehr vermissen und er uns wohl irgendwann auch. Auch wenn er das wahrscheinlich nie zugeben würde!



Just around the corner there's heartache
Down the street that losers use.
If you can wade in through the teardrops,
You'll find me at the Home of the Blues.
(Johnny Cash)


Donnerstag, 20. September 2012

Krawuzikapuzi

In der deutschen Sprache pfeift und zischt es allerorts. Wie eine alte Maschine muss so ein deutscher Satz für jemanden klingen, der nicht versteht, welche Bedeutung diese Zischlaute haben. Und wo gerade nicht Luft durch Zähne und Zunge braust, rattern Konsonanten oder es sprotzen und sprutzeln Affrikaten, dass man meint, es flögen Funken von einer Metallsäge davon. Schön muss das nicht immer sein, aber es ist doch ein interessantes Mittelding zwischen Hawaiianisch (wikiwiki, malumalu, huaka mahika) und Tschechisch (Vlk zmrzl, zhltl hrst zrn).

Manchmal, vor allem in den Mundarten des Deutschen, kommt es zu interessanten und recht ansehnlichen Gebilden der Sprache. Ein solches kam mir letztens wieder einmal unter: Der Fluch "Haschofft noamoi", dessen Anfang pure fauchende Aggressivität ist, während der letzte Teil etwas japanisch Versöhnliches bietet. Eine bedeutungsgleiche Variante fällt da wesentlich silberpapieriger aus: "Herrschaftszeiten!" - Das raschelt, und wenn man draufbeißt, tut es weh. Die Zeiten welcher Herrschaft hier heraufbeschworen werden, ist eigentlich nebensächlich. In natura begegnet uns letztere Variante nämlich sowieso meist als "Herrschaftseiten", weil wir das "ts-z" nicht mögen und beim Fluchen schon überhaupt nicht gerne von solchen Lautgebilden aufgehalten werden wollen. (So wie uns auch der Unterschied zwischen "Waldzwerg" und "Walzwerk" lautlich gesehen ganz egal ist.)

Das etwas verspieltere "Krawuzikapuzi" geizt auch nicht mit bösen Lauten, dafür wird der bedrohliche Anlaut "Kr" durch ein lustig-alternierendes a-u-a-u entschärft. Nicht nur der Petzi-Bär hatte damit seine helle Freude, das Wort ging auch in die Alltagssprache ein, wo es zu einer liebevollen Schimpffloskel wurde. Wer sich über etwas ärgert, und dabei mit dem Wort "Krawuzikapuzi" seinem Unmut Ausdruck verleiht, der signalisiert gleichzeitig, dass es eigentlich wichtigeres im Leben gibt. Nicht umsonst sind es auch solche Leute, die schulterzuckend Perfiditäten zur Kenntnis nehmen, dies damit erklärend, dass es sich sowieso um ein "einziges großes Kasperltheater" handle. Krawuzikapuzi ist also nicht nur lautlich ein schönes Wort, es erinnert uns auch an die Kunst des harmlosen Schimpfens.

Montag, 17. September 2012

:-P ...

Aus einer Fülle der seltsamsten Emoticons werde ich gezwungen jenes zu wählen, das meinen momentanen Gemütszustand am ehesten zu beschreiben vermag. Dazu muss ich mir erst einmal darüber klar werden, wie ich mich eigentlich gerade fühle. Ein Smiley, der die Zunge rausstreckt - was für ein Gefühl vermittelt er? Ich finde ihn nicht schlecht, aber momentan befinde ich mich in keiner Laune, in der man für gewöhnlich die Zunge rausstreckt. Überhaupt kann so eine herausgetreckte Zunge die verschiedensten Zustände beschreiben. Ich kann die Zunge frech herausstrecken, ja neckisch, obwohl sich so etwas für einen Mann ab einem gewissen Alter gar nicht mehr gehört.
Ich kann hechelnd wie ein Hund die Zunge zum Lüften aus dem Mund hängen lassen; das wäre ein angestrengtes Zunge-Zeigen, das bei Hunden oft lässig, bei Menschen aber immer ein bisschen debil aussieht. Ich kann wie Einstein auf dem Foto, das er, lebte er noch, wahrscheinlich am meisten hassen würde, die Zunge mit weit aufgerissenen Augen ganz "crazy" rausstrecken, so wie man es noch ab und an auf verschiedenen Fotos sieht, die auf Partys aufgenommen wurden, auf denen Menschen, in Ermangelung kontrollierter Mimik, zu extremen Grimassen neigen und also, wenn es an geeigneter Kreativität fehlt, einfach die Zunge so weit wie möglich Richtung Kinn strecken.
Doch so verschiedenartig diese Zunge-Zeig-Varianten auch sind, ein einheitlicher, diesen allen zugrunde liegender Gemütszustand lässt sich ihnen genausowenig zuordnen wie es völlig unklar ist, was diese Gesichter in jedem einzelnen Fall genau zu bedeuten haben. Deswegen gibt es auch einen Smiley mit herausgestreckter Zunge und Augen, die aussehen wie ein X. Dabei handelt es sich, denke ich mir, vielleicht um einen Gewichtheber-Smiley, denn so eine angestrengte Visage, eine Mischung aus Konzentration und gewaltiger Anstrengung, sieht man eigentlich nur bei Gewichthebern und vielleicht auch noch bei Diskurs- und/oder Hammerwerfern. Letztere aber drehen sich so schnell, dass ein prüfender Blick in das Athletengesicht meist nicht möglich ist. Ich selbst mache so anstrengende Sachen für gewöhnlich nicht, und sollte ich mich doch einmal so plagen müssen, dass meine Augen sich zu einem X verzwicken, würde ich mich davor hüten, meine Zunge zwischen die Zähne zu schieben, müsste ich doch die Befürchtung haben, mir bei einer derartigen Anstrengungen versehentlich die Zunge abzubeißen.

Enttäuscht lasse ich von den Smileys ab. Die Vorstellung, für jede menschliche Emotion auch ein passendes Emoticon zur Verfügung zu haben, kommt mir immer irrwitziger vor. Am ehesten sind es drei Punkte, welche die meisten meiner Emotionen recht treffsicher beschreiben, und die sich dabei noch schön schlicht und bescheiden ausnehmen. Nichtssagend, ja; ... aber nichtssagend sind doch auch solche Gewichtheber-Smileys ob ihres übersemantisierten Vorbeischrammens an humanmimischen Tatsächlichkeiten.
"Hier gibt es nichts zu sehen", sagen drei Punkte und bedeuten somit ungleich mehr als die fragwürdigen Emoticons, die in ihrer Absicht, das menschliche Gefühlsspektrum auf drei Zeichen zu verkürzen, stetsfort auf die bedenklichste Weise versagen. Genug gesagt...


Nachtrag:

Vor 30 Jahren wurde das Smiley-Emoticon von Scott Fahlmann erfunden. Der Erfinder selbst steht der Entwicklung, die seine Idee genommen hat, skeptisch gegenüber:
"Ich hatte doch keine Ahnung, dass ich etwas auslöste, das bald alle Kommunikationskanäle der Welt verschmutzen würde." Und dem Independent sagte er kürzlich, er finde die grafischen Smileys hässlich. Sie ruinierten "die Herausforderung, auf schlaue Art und Weise Gefühle mit einigen Tastatursymbolen auszudrücken."
Viele Schreiber setzen ihre Emoticons ohnehin nicht als Stimmungssignal ein, sondern als eine Art Verlegenheitsgeste, ein Anzeiger für sprachliche Unsicherheit. Das :-) soll anzeigen, dass ein Satz irgendwie vielleicht nicht ganz wörtlich gemeint ist und um Gottes willen nicht missverstanden werden soll – ersetzt also das Bemühen, so präzise zu formulieren, dass die Worte das wirklich Gemeinte übermitteln.

Hier zum Artikel in der 'Zeit'.

Samstag, 25. August 2012

Arge Vermutungen

Am Wegesrand liegt Müll. Niemand will ihn da hingeworfen haben. Er ist wohl von selbst dorthin getragen worden, oder vom Wind, dem Wind, dem himmlischen Kind. Beim Müll handelt es sich um eine schnöde Chips-Packung, aus der wohl gierige Münder genascht haben. Sie glänzt in der Sonne, was nicht allein dem Material geschuldet ist, aus dem solche Sackerl gemeinhin gemacht werden. Auch die fettigen Finger der fleißigen Esser haben ihre Spuren auf der Packung hinterlassen. So liegt das Sackerl am Wegesrand und glänzt edel vor sich hin.

Nun mag man allerhand Spekulationen anstellen über den Ursprung dieses Chips-Sackerls. Wer hat es gekauft, wer gegessen und wie kam es am Wegesrand zu liegen? Niemand wird behaupten, es absichtlich dort hingelegt zu haben. Überhaupt „legt“ niemand irgendeinen Müll irgendwohin. Müll wird immer weggeworfen. Zwar wirft man ihn selten in hohem Bogen davon (etwa aus dem fahrenden Auto, obwohl auch das vorkommen soll), aber zumindest lässt man ihn achtlos fallen. Achtlos ist dieses Chips-Sackerl wohl also einer fettigen Hand entglitten. Und, da es einmal unten lag, bemühte sich niemand mehr darum, es vom Boden aufzuheben. Vielleicht ertönte noch ein keckes Kinderlachen ob dieser Dreistigkeit, dieser fälschlicherweise (in Kinderaugen) als rebellisch verstandenen Achtlosigkeit. „Hehe!“, machte das Kind wohl und schlich verstohlen von dannen.

Aber nun bin ich schon in die erste Interpretationsfalle gegangen, da ich annehme, es müssen unbedingt Kinder gewesen sein, die dieses Umweltverbrechen begangen haben. Kein Erwachsener, sagt mir mein blauäugiger Verstand, wird es fertig bringen, eine leere Chips-Packung einfach so wegzuwerfen! Ich nehme das Corpus Delicti als Indiz für unreifes Verhalten bzw. kindliche Dummheit, anstatt es als jene unbedachte Rotzigkeit eines erwachsenen Menschen zu verstehen, die es vielleicht war. Womöglich hat sich sogar ein feiner Herr oder eine feine Dame diesen Aplomb geleistet? Ich werde es nie mit Sicherheit wissen können.


Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass es genau so war:
Eine Gruppe Araber schlurft durch die Stadt: Drei Männer, fünf Frauen, acht Kinder. Kinder und Männer schreien durcheinander, Frauen murmeln unter ihren Schleiern Unverständliches. Die Kinder werden mit ungesundem Essen ruhig gestellt, in diesem Fall mit Chips, welche sie binnen kürzester Zeit aufgegessen haben. Die Chipstüte wird weggeworfen, und zwar auf dem Boden, nur wenige Meter von einem Mistkübel entfernt. Frauen und Männer sehen zu und sagen nichts, weil ihnen das Konzept Mülleimer unbekannt ist und sie das zu Hause genauso machen.

Grauenhaft, diese vorurteilsbelastete Vermutung, nicht? Wie gesagt, nie werde ich wissen können, ob ich damit Recht behalte. Aber dass auf dem Chips-Sackerl arabische Schriftzeichen zu finden sind, stützt meine Spekulationen schon wesentlich...

Freilich kann es aber auch besagter feiner Herr gewesen sein, der sich bisweilen (weil seines Zeichens Kartoffelchips-Connaisseur) an fremdländischen Spezialitäten versuchte. Von den arabischen Chips unbeeindruckt, ließ er die Packung angewidert fallen. Den Rest erledigten die nun sehr durstigen Spatzen. Ja, auch so könnte es gewesen sein! Welcher Annahme man nun folgen will, bleibt jedem selbst überlassen...

Dienstag, 14. August 2012

Bergauf Bremsen

Ich wohne, so glaube ich, auf einer Anhöhe. Manche behaupten auch, ich würde „am Berg“ wohnen. Beides ist eigentlich nicht richtig. Denn im Grunde wohne ich in einem Tal, am Fuße eines Berges. Aber Tal klingt nach „niedrig“ und Berg klingt nach „hoch oben“. Die Wahrheit liegt, wie immer, irgendwo dazwischen – das gilt besonders im Gebirge.

Irgendwer hat einmal gesagt, die Straße, die zu meinem Haus führt, habe eine 34-prozentige Steigung. Das heißt, dass auf einer Strecke von 100 Metern 34 Höhenmeter zurück gelegt werden. Ich bin kein Zahlen-Mensch, mir sagt das überhaupt nichts. Obwohl 34%ige Steigungen schon recht anständige Steigungen sind, klingt die Zahl 34 alleine nach nicht viel. Sagen wir: Es geht anständig bergauf. Oder sagen wir so: Wenn Sie einmal betrunken meine Straße hinauf gegangen sind, machen Sie es freiwillig kein zweites Mal – außer aus perverser Selbstüberschätzung.

Ich würde meine Straße nicht als Bergstraße bezeichnen, obwohl sie zu einem solchen hinführt und die eben genannte Steigung besitzt. Große Teile dieser Straße sind in ihrer Neigung ohnehin unspektakulär; dort aber, wo mein Haus liegt, wird es happig! Da fangen die Mountainbiker erst richtig zu schwitzen an, da gehen die deutschen Wanderer immer schon rückwärts den Berg runter und wenn ein Belgier oder Holländer mit dem Auto vorbei fährt, riecht es entweder nach Bremsen oder Kupplung – je nachdem, ob er gerade von unten oder oben kommt. Womit wir auch schon beim Thema wären: Dem Autofahren auf Straßen mit großer Neigung bzw. Steigung.

Holländer und Belgier müssen hier nicht ganz umsonst als Beispiele der niedrigsten Form des Gebirgfahrers herhalten, stammen doch beide Völker aus Gegenden, die uns nicht ob ihrer spektakulären Gebirgszüge bekannt sind. „Halt, halt!“, will da der Opapa sprechen, “In Belgien gibt es doch die Ardennen!“ (Das war da, wo man im Dezember 1944 die Alliierten im Zuge der Ardennenoffensive noch mal so richtig erschreckte.) Ich halte dagegen: Was die Belgier aus der Ardennen-Region den Holländern in punkto Bergfahren eventuell voraus haben mögen, büßen sie aufgrund ihres (völlig gerechtfertigten) Rufes als schlechteste Autofahrer Europas wieder ein. Also: Holländer und Belgier können auf Bergstraßen ziemlich gleich schlecht Autofahren. Damit aber die Benelux-Brüder auf diesem Gebiet nicht so ganz alleine die Buhmänner abgeben müssen, schließe man vorsichtshalber ganz Deutschland auch noch mit ein (und nehme, wie man es in Österreich immer macht, die Bayern davon aus). Selbstverständlich lassen sich auch manche Slowaken, Polen oder Wiener dazu zählen – ein eindeutiges Bild lässt sich hier sowieso nicht zeichnen, aber mit Holländern, Belgiern und Deutschen als Beispielen fährt man schon recht gut...

Man kennt die Tragödie des Bergabfahrens vor allem, wenn man das Pech hat, einem solchen Talent hinterher fahren zu müssen. Das erste, was man als Hintermann am vorderen Fahrzeug bemerkt, sind die nie erlöschenden Bremslichter: Der naive Glaube an die Allmacht der Bremse beseelt den Fahrzeuglenker aus dem flachen Land und verlässt ihn nicht mehr, bis er wieder geraden Boden unter den Rädern hat. Das dauerrrote Bremslicht steht auch für das blanke Entsetzen, das den ungeübten Bergfahrer ergreift, sobald sich sein Fahrzeug in Bewegung setzt, ohne dass er dazu das Gaspedal drücken muss. Er sieht sich der fremden Zaubermacht der Schwerkraft ausgeliefert, die sein Auto erbarmungslos den Hang hinunterzieht – und gegen die nur das besagte Kraut der Fußbremse gewachsen zu sein scheint. Dabei macht der Fahrzeuglenker eine seltsam paradoxe Entdeckung: Zum ersten Mal bewegt sich sein Vehikel schneller, wenn er den rechten Fuß vom Pedal wegnimmt, anstatt es fester zu drücken. Er muss feststellen, dass er mit dem Bremspedal das Fahrzeug beschleunigen kann – nämlich, indem er es loslässt (Perdauz!).

Die Angst vor der Schwerkraft und die Verwirrung, die durch das Bremspedal-Paradoxon entsteht, hinterlassen ihre Spuren in den Gesichtern der Fahrer. Wenn man das Vergnügen hat, einem herunterkommenden Flachland-Bergfahrer in das Gesicht sehen zu können, erblickt man meistens weit aufgerissene Augen, und dort, wo sonst der Mund sitzt, klafft ein schwarzes Loch des Schreckens. Hinter einem dergestalt Paralysierten fahren zu müssen, ist jedoch ein Geduldspiel der grausamsten Art. Man hat auch viel Zeit zu überlegen, und so stellt man sich vor, wie der Vordermann in seinem Fahrersitz sitzt, beide Hände fest an das Lenkrad geklammert. Hat er vielleicht den ersten Gang eingelegt und die Kupplung durchgedrückt? Oder hat er vielleicht den dritten Gang drinnen und fährt schön untertourig, indem er den Motor mit der Bremse nah an den Kollaps bringt? Hat er vielleicht überhaupt keinen Gang drinnen und lässt das Auto fröhlich im Leerlauf den Berg hinunter rollen, sich vor dem sicheren Unfall nur mit der Bremse bewahrend? Ich weiß es nicht, ja eigentlich will ich es gar nicht wissen, denn ich warte nur auf die nächste Kurve, nach der ich ihn dann endlich überholen kann!

Dass dieses meist ein Wunschtraum bleibt, ist ebenfalls der übertriebenen, von purer Angst gefütterten Vorsicht geschuldet, die den Fahrer vor mir fest im Griff hat: Zur Angst, ungebremst den Berg hinunterfahren zu müssen, gesellt sich offenbar die noch diffusere Furcht vor dem Randstein oder der Leitplanke. Als würde es ehernes Gesetz sein, dass einem in der Mitte der Straße am wenigsten passieren kann, orientiert sich der verängstigte Urlauber am (imaginären) Mittelstreifen der Fahrbahn. Als würde ihn ausreichender, übergroßzügiger Seitenabstand zum Gehsteig noch zusätzliche Sicherheit garantieren, schleicht er nun mitten auf der Straße – scheinbar immer langsamer werdend – den Abhang hinunter, während ich im Auto hinter ihm laut schreie, ihn Körperteile schimpfe und (vielleicht völlig ungerechtfertigt) der Imbezilität bezichtige. Solcher Rage Herr zu werden ist unmöglich und daher schuf Gott die Autohupe...

Doch nicht nur das Bergabfahren von Benelux-Bürgern ist Grund für die zahlreichen Sorgenfalten, die meine Stirn schon zeichnen – auch der umgekehrte Fall bringt Schwierigkeiten mit sich. Nicht wissend, wohin sie fahren müssen, bleiben besagte Gäste beim Bergauffahren auch sehr vorsichtig und schleichen entsprechend die Bergstraße empor. Hinter diesen Kandidaten befinde ich mich dauernd auf der Suche nach dem richtigen Gang, der zu der Geschwindigkeit des vor mir Fahrenden passen will. Denn mein zweiter Gang ist zu hoch-, der dritte aber zu niedertourig, was mich zu der Frage führt, welchen Gang denn der Volltrottel vor mir eingelegt haben könnte. Ich lasse in solchen Fällen gern das Fenster runter, um zu lauschen, ob der Motor vor mir eher heult (2. oder gar 1. Gang) oder vor sich hin gurgelt (3. Gang). Die Erkenntnis ist in beiden Fällen erschreckend und dient eigentlich nur dazu, meine Neugier zu befriedigen. Ich gebe zu, ich bin an Dummheiten allgemein interessiert und klassifiziere diese gerne nach Schwachsinnigkeiten, Unsinnigkeiten, Stumpfsinnigkeiten, allgemeinen und speziellen Blödheiten sowie Unerhörtheiten. Der Katalog ist beliebig ausbaubar, aber nicht zu streng ausgelegt, weil es sich bei den allermeisten Arten von Dummheit um grenzüberschreitende Phänomene handelt – denn wie wir wissen, kennt die Dummheit ja keine Grenzen!

Bergauf fahrende Urlauber sollte man vor allem in der Nähe von Parkplatz-Einfahrten im Auge behalten. Abruptes Abbremsen droht hierbei nicht nur direkt vor einer Einfahrt, sondern vor allem auch kurz danach und – der Teufel schläft nie – dort, wo weit und breit keine Einfahrt zu finden ist. Beliebte Haltegelegenheiten sind zudem unübersichtliche und steile Kurven; vor allem im Winter wird hier gerne angehalten, um zum Beispiel Schneeketten auf den Sommerreifen zu montieren, oder vielleicht nur, um zu sehen, ob der Mercedes mit Heckantrieb auch bei Glatteis im Steilen aus dem Stand so galant anfährt wie sonst. (Tut er übrigens meistens nicht!)

Dies und vieles andere lässt sich beim täglichen Aus- und Einfahren in meiner Straße beobachten und beschimpfen. Was mir allerdings bis vor kurzem auch neu war: Das Bremsen beim Bergauf-Fahren. Um es genauer zu sagen: Das Bremsen während des Bergauf-Fahrens. Ich spreche nicht davon, wie ein übermütiger Führerschein-Neuling vor der 90-Grad-Kurve von 80 auf 30 km/h herunterbremst, weil ihm die Steigung des Berges in diesem Fall zu wenig Hindernis ist. Ich meine ein Auto, das sich, zwar langsam, aber stetig, den Berg hinauf quält, dessen Bremslicht aber immerzu leuchtet! So gesehen jüngst bei einem Holländer, der mir bewies, dass praktische Dialektik auch mit Dummheiten zu praktizieren ist. (Und nein, das Bremslicht war nicht defekt!)

Bergauf Bremsen möchte ich eine oxymorische Kunst nennen: Es ist ein Sinngebungsprozess, der in sich widersprüchlich ist, gleichzeitig natürlich über sich selbst hinaus-, letztlich aber auf nichts Bedeutendes hinweist, sondern einfach den Gipfel der Dummheiten als Synthese aller Lächerlichkeiten darstellt. Ich habe Demut vor diesem Unterfangen, denn ich wüsste nicht, wie ich es praktisch anstellen sollte. Diesen Holländer aber, der mich mit seiner Leistung so verblüffte, dass ich wohl das ungläubig-panische Gesicht eines touristischen Bergab-Fahrers angenommen haben muss, nenne ich den größten praktischen Philosophen und Zyniker seit Diogenes im Fass, und, um auch seinem Land die Treue zu halten, den größten Ethiker seit dem Niederländer Spinoza. Denn wenn Sparsamkeit eine Tugend ist, dann ist bergauf Bremsen die tugendhafteste Handlung überhaupt. Vorausgesetzt – und hier liegt die Krux dieses dialektischen Unterfangens – hinter dem Bergauf-Bremser befindet sich kein Einheimischer. Aber natürlich, mein leidendes Hinterherfahren als Zeuge dieses Weltgeistes an Dummheit ist von größter epistemologischer Relevanz, habe ich doch schließlich dieses Wunder mit meinen eigenen Augen wahrgenommen. Anders könnte ich auch nicht davon berichten, es sei denn, ich lüge – aber wer würde mir das schon glauben?

Bergauf Bremsen (ich kann meine Gedanken nicht davon lassen): das ist die hohe Kunst der Selbstzurücknahme, beinahe die Grenze zur Selbstaufgabe und -auslöschung überschreitend. Es ist autofahrerische Demut im Gewand der motoristischen Unmöglichkeit. Vor allem ist es ein ewiges Geheimnis für den ortskundigen Bergfahrer – ein widernatürliches Wunder, Zeuge einer modernen Magie der Berge und Pate für eine Psychologie der Unmöglichkeit. Es ent-setzt einen, weil es das Gegenteil einer Setzung ist, die ultimative Aufhebung ebenjenes Dogmas, dass man bergauf nicht bremsen muss oder soll. Bergauf Bremsen ist ein Lebensgefühl, das ich nie kennenlernen werde. Bergauf Bremsen ist außerdem ein praktisches Konzept unbeschwerter Dummheit. Davor kann man nur tiefsten Respekt haben – und daher muss die Hupe schweigen!

Donnerstag, 26. Juli 2012

Kitzbüheler Tennis-Rundschau

Impressionen vom Kitzbüheler Bet-at-home-Cup (ATP 250) am Montag und Dienstag


Der Klescher und der Bauer

Es klescht, wenn Dominic Thiem aufschlägt, und zwar gleich drei mal: Zuerst, wenn sein Schläger den Ball trifft; dann, wenn der Ball im Aufschlagfeld aufspringt (da staubt es auch gleich ordentlich) und das dritte Mal, wenn der Gegner versucht, den Ball zu retournieren. Beeindruckend, der junge Österreicher, der in Kitzbühel gegen den Slowaken Martin Klizan ein sehr ordentliches Match abliefert! Leider muss er sich im dritten Satz 5:7 geschlagen geben: Nach einem unglaublichen Ballwechsel, den er noch gewinnen kann, wird Thiem von Krämpfen geplagt und plötzlich klescht der Aufschlag nicht mehr. Mit Mühe wurstelt Thiem noch drei Aufschläge ins Feld, diese aber gleichen eher den Tomatenbällen des Italieners Filippo Volandri, der aufschlägt wie ein Schuljunge. Ein gefundenes Fressen für den auf Nummer 5 gesetzten Klizan, dem es schon unbequem geworden war in diesem Match. Klizan gewinnt das Spiel, den Satz und das Match. Wie er das gemacht hat, weiß keiner so recht. Nur Günter Bresnik, der obergescheite Trainer von Thiem, weiß es ganz genau!

Dieser erklärt nach dem Match beim Interview, dass er so etwas von seinem Schützling nicht erwartet hätte. Anscheinend habe Thiem konditionelle Probleme, so Bresnik. Er sei enttäuscht von der Leistung Thiems und ihm sei gänzlich unklar, wie man so eine Partie noch aus der Hand geben könne. Ein Trainer also, der über das Leistungspotenzial seines Schützlings entweder zu wenig informiert ist, oder dieses maßlos überschätzt hat? Oder einfach nur ein Wichtigtuer, der in bäuerlichster Manier seinem Protegé vor Publikum die Leviten liest? Professionalität sieht jedenfalls anders aus. Das Publikum quittiert Günter Bresniks emotionalen Stammtisch-Kauderwelsch mit Buh-Rufen, bevor Bresnik seinerseits sarkastisch den erhobenen Daumen zeigt. „Suppa sats!“, wird er sich gedacht haben. „Ein Bauer bist!“, hat sich wohl das Publikum gedacht.


Die Gulbis-Show

Ernests Gulbis geht die Grundlinie auf und ab, immer wieder in das Publikum stierend. Seit dem ersten Spiel scheint er sich nicht wohl zu fühlen. Kein Wunder, muss er doch gegen Lokalmatador Andreas Haider-Maurer ran, der von den eher spärlich besetzten Rängen in bester Stammtisch-Manier angefeuert wird. „Geht scho, Andi!“ - „Gemma, Andi!“ - „Supa, Andi, supa!“ und mein persönliches Highlight der Grenzdebilität: „Vamos, Ändy!“ (Wirklich? Ändy? Vamos? Come on...)

Haider-Maurer schlägt immens stark auf. Aber Gulbis, der bisher einzige tatsächliche Vertreter eines ATP-Niveaus, kann sich auf den Aufschlag einstellen. Er retourniert Haider-Maurers erste Aufschläge souverän und attackiert die zweiten geradezu unwirsch. Den ersten Satz verliert er noch, den zweiten kann er knapp für sich entscheiden, im dritten geht Haider-Maurer 1:6 unter.

Was dazwischen passiert, sorgt bei den meisten im Stadion für Unverständnis. Gulbis legt sich mit dem Publikum an, Gulbis macht Mätzchen, Gulbis schimpft mit sich selbst, Gulbis raunzt Ballkinder an. „Buh!“, sagt das Kitzbüheler Publikum. Mir gefällt es insgeheim, weil es hier endlich Theater zu sehen gibt. Und gutes Tennis obendrein! Im Fernsehen sieht man es oft nicht so genau, aber der Niveauunterschied zwischen einem potenziellen Top-20-Mann und einem, der ewig zwischen Platz 80 und 120 der Weltrangliste rauf- und runter paternostert, ist, gelinde gesagt, schlagend! Gulbis ist ein Vertreter ersterer Spezies, und davon der erste, den ich beim Turnier in Kitzbühel verfolgen kann; insofern stört es mich überhaupt nicht, dass er sich hier keine Freunde macht. Noch dazu scheint er nicht hundertprozentig fit zu sein – er lässt ich am Ende des zweiten Satzes immer wieder an der Schulter behandeln.

Nach dem Match bemüht sich Gulbis um Schadensbegrenzung. Wie ein Schuljunge (ein anderer Typ Schuljunge als Volandri!) steht er beim On-Court-Interview und entschuldigt sich, dass er den „local guy“ nach Hause schicken musste. Er hoffe aber, dass die Unterhaltung gut war. Kein Wunder: Dieser Mann kommt aus einer Schauspielerfamilie!


Der Kornspitzbub

Eines muss man Alexander Antonitsch zu gute halten: Seine latente Unbekümmertheit (die oft pathologisch wirkt) trägt manchmal auch unerwartete Früchte. Seine Idee des „Spiel deines Lebens“ ist zum Beispiel so eine Frucht. Über 4.000 Leute bewarben sich um einen Platz an der Seite von Philipp Kohlschreiber im Kitzbüheler Doppelbewerb. Acht davon wurden zu einem Tie-Break-Shootout geladen, in welchem sich der junge Oberösterreicher Stephan Tumphart durchsetzte. Dieser Hobby-Spieler, der zuletzt im „Kornspitz-Cup“ erfolgreich war, durfte nun zusammen mit der Nummer 21 der Welt am Platz stehen. In der ersten Runde ging es gegen Nadal-Bezwinger Lukas Rosol aus Tschechien und den Argentinier Horacio Zeballos.

Philipp Kohlschreiber tat sich unter diesen Bedingungen schon vor dem Match als guter Sportsmann hervor. Freilich, ihm war der Doppelbewerb wahrscheinlich nicht wirklich wichtig, aber immerhin ließ er sich zu diesem „Crowd-grooming“ überreden und so war das ganze eine witzige und eigentlich auch überaus interessante Aktion. Wie würde ein Amateur auf ATP-Level mithalten können?

Um dies zu beobachten, musste man sich auf dem Grandstand einfinden, wo zu Beginn dieses Matches schon ungewöhnlich viele Leute Platz genommen hatten. Würde der 20-jährige Tumphart überhaupt ein Aufschlagspiel durchbringen können? Wie würde er die Aufschläge der Profis retournieren? - alles Fragen, die Tumphart schon nach drei Games beinahe mit Gleichmut beantwortet hatte. Zwar hörte man noch beim einen oder anderen Service-Return ein überraschtes „Boah!“ aus dem Mund des TU-Studenten, sein erstes Aufschlagspiel aber brachte er souverän durch. (Den ersten Doppelfehler im Match machte übrigens Kohlschreiber.) Kohli unterstützte seinen Partner mit Tipps und kleinen Aufmunterungen, wenn Tumphart bei einem Ballwechsel das Nachsehen hatte – was weniger oft der Fall war, als man geglaubt hätte. Der erste Satz ging für die beiden knapp mit 5:7 verloren. Das war's dann wohl – dachte man und verließ den Grandstand.

Wenig später, zurück auf dem Centercourt, hörte man die Durchsage, dass das Unglaubliche wahr geworden war und Kohlschreiber/Tumphart tatsächlich den Sieg davon getragen haben. Im Champions-Tiebreak besiegten sie Rosol/Zeballos 10:5 und zogen damit in die zweite Runde ein! Die ATP zeigte sich ratlos, denn niemand kannte den Mann, der da an der Seite von Philipp Kohlschreiber spielte. Ebenso ratlos muss Tumphart selbst gewesen sein – denn er selbst hätte wohl am wenigsten geglaubt, dass er eine Chance auf den Sieg hat.

Alex Antonitsch muss eine Freude haben, denn seine Aktion war ein voller Erfolg. Fraglich ist nur, ob diese Freude auch Philipp Kohlschreiber teilt. Denn dieser muss am Donnerstag unter Umständen drei Mal auf den Platz: Einmal, um sein am Mittwoch angefangenes Spiel fertig zu spielen, danach stünde schon die nächste Runde an. Und nun muss er ja – entgegen aller Erwartungen – Doppel auch noch spielen! Kohli wird’s mit Fassung und dem gewohnten Sportsgeist tragen. Und der Kornspitzbub Stephan Tumphart hat noch ein weiteres Spiel seines Lebens – denn nun geht es gegen die als Nummer eins gesetzte Paarung Knowle/Cermak.

Donnerstag, 19. Juli 2012

Sepp Rasser

„Sepp Rasser? I don't know a Sepp Rasser! I am Moslechner!“ Der Mann, der das sagt, fuchtelt abwehrend mit den Händen als wolle er mit dieser ganzen Sache am liebsten gar nichts zu tun haben. Der arabische Kunde beugt sich etwas über den Ladentisch, als habe er das Fuchteln als Einladung zum Näherkommen verstanden: „But man next door tell me you are Sepp Rasser!“

Der vermeintliche Sepp Rasser steht jetzt ganz an der Wand seines kleinen Trachtengeschäfts. Dort, an der Wand hinter der Kassa, hängen einige Kinderlederhosen und -dirndln. Würde man ihn fotografieren, mit seinem lichten Schnauzbart und den kleinen schwarzen Augen, sähe der Mann jetzt aus wie ein belgischer Pädophiler auf Alpenurlaub. Dem Araber fällt so etwas natürlich nicht auf. „You have dress for girrl?“ fragt er, noch eindringlicher als er vorher nach Sepp Rasser gefragt hat. Nun dringt aus dem hinteren des Raums ein hektisches Abrakadabra. Eine der fünf Frauen hält ein Dirndl hoch und es sieht aus, als würde sie damit anzeigen, dass sie es war, die geredet hat. Für den Sepp Rasser hinter dem Ladentisch wäre das nämlich nicht zu erkennen gewesen, tragen doch alle Frauen einen Schleier vor dem Gesicht.

Wütend dreht sich der Araber um und schreit irgendetwas in Richtung seiner Frau. Er scheint beleidigt zu sein, dass die Frau zuerst gefunden hat, wonach sie gesucht haben. „You show!“ sagt er zum Sepp Rasser, der eigentlich Moslechner Alois heißt, und zeigt dabei auf ihn. Ängstlich kommt der Alois aus seiner Ecke hervor und wuselt hinter dem Araber her. Drei Kleinkinder haben begonnen, die kleinen Stoffmurmeltiere, die pfeifen, wenn man sie drückt, zu betätigen. Indessen sind die arabischen Frauen in aufgeregtes Geplapper verfallen. Nacheinander werden alle Dirndln herausgezogen, die der Alois in seinem nicht allzu großen Geschäft hängen hat. Das Pfeifen der Plüschmanggerl sticht dem Alois schon in den Ohren als einer der drei Buben – oder ein vierter? - auch noch die Kuhglocken findet, die der Moslechner Alois schon seit den frühen 80ern im Geschäft hängen hat, und die sich damals noch gut verkauft haben; bis der Markt eben irgendwann gesättigt war, oder die Leute begriffen haben, dass sie mit einer Kuhglocke daheim im Grunde gar nichts anfangen können und dass auch das ästhetische Wohlempfinden beim Anblick einer solchen nur eine kurze Halbwertszeit hat.

Das Gebimmle, Gepfeife und Geplapper muss der Alois jetzt dulden, denn er ist schon längst nicht mehr Herr über seinen Laden. „What price for this?“ fragt der Araber streng, und der Alois greift schnell nach dem Preisschild. Es hat ihm vor ein paar Tagen jemand gesagt, dass Araber gut Ziffern lesen können, weil wir die von ihnen gelernt haben. Seitdem zeigt der Loisl den arabischen Gästen immer nur Preisschilder, um Missverständnissen vorzubeugen. Ein anderer Araber, der an einer kleineren Kuhglocke interessiert gewesen war, hat ihn zum Beispiel einmal nach dem Preis gefragt. Da hat der Loisl die Kuhglocken noch nicht beschriftet gehabt und dem Araber gesagt „Thirty two!“, worauf der Araber entgegnete: „Aha! But I only want one! So one fifteen?“ Der Rest des Gesprächs verlief nur weniger umständlich und nötigte den Alois dann ohnehin dazu, den Preis auf einen Zettel zu schreiben.

Der Araber inspiziert das Preisschild des Dirndls; auch die Frauen schauen neugierig darauf, während im Hintergrund weiter die Murmeltiere pfeifen und die Kuhglocken bimmeln. Als das Bimmeln aufhört, wird der Loisl misstrauisch und schaut kurz über seine Schulter. Eines der Kinder hat sich einen Filzhut aufgesetzt und rennt damit bei der Tür hinaus. Auch der arabische Vater merkt, was passiert ist und lässt einen lauten Fluch los. Sofort erscheint der Bub wieder in der Türe. „What price for hat?“ Der Loisl stürmt zum Hutregal, kommt mit einem Filzhut zurück und hält ihn dem Araber vor die Nase. „I buy“, sagt der Araber kurz und deutet dabei auf seinen Sohn. Auch die anderen beiden haben nun von den Murmeltieren gelassen und drehen jetzt an den Postkartenständern. Wieder sagt eine der Frauen etwas, wieder kann der Loisl nicht ausmachen, welche es gewesen ist.

Der Araber deutet auf das Dirndl, zieht die Augenbrauen hoch und sagt: „Discount!“ - Es ist keine Frage. Der Moslechner Alois antwortet: „No discount“, und klingt dabei fragend. „But I buy hat!“ sagt der Araber aufgebracht. - „Yes, but no, but...“ Wieder flucht der Araber etwas und die Frauen brechen in erneutes Gegacker aus. „You don't give discount?“, die Stimme klingt jetzt sanfter. „I don't have discount!“ entgegnet der Moslechner entschuldigend. „But you can give discount, no?“ - diese Frage verwirrt den Alois jetzt.

„No discount!“, sagt er mit Nachdruck. Der Araber brummt. „I take this and hat“, sagt er und hält ihm eines von den Dirndln hin. Der Moslechner Alois nimmt das Dirndl, wundert sich darüber, wie jemand ein Dirndl kaufen kann, ohne es vorher anzuprobieren, entschließt sich aber dazu, lieber keine weiteren Fragen zu stellen.

Wieder pfeift ein Murmeltier. Einer der Buben hat das Interesse an dem Postkartenständer verloren und ist zurück zu den Plagegeistern. „What's this?“ fragt der Araber und deutet Richtung Murmeltiere. „Äh... a Manggei!“ sagt der Loisl in Ermangelung der passenden englischen Vokabel. „Is animal, ha? Live here?“ - Der Araber scheint auf dem richtigen Weg zu sein, deswegen nickt der Loisl heftig. „I take!“ sagt der Kunde und schreit etwas Grimmiges, worauf der kleine arabische Junge mit dem Murmeltier zur Kassa gelaufen kommt. „So I take this, this and hat. No discount, ha?“, auf dem Gesicht des Arabers zeigt sich ein fast ironisches Lächeln. Da muss der Loisl blöd grinsen und lacht: „No discount!“, worauf sich das Gesicht des Arabers gleich wieder verfinstert. Der Postkartenständer quietscht und taumelt unter den immer wilder werdenden Drehungen, die er, angetrieben von den Händen des kleinen Arabers, zu vollführen hat.

Als der Loisl das Geld des Arabers nimmt, klatscht ein Päckchen Ansichtskarten auf den Boden. Der Vater stürmt zum Postkartenständer, hält diesen abrupt an, worauf sich weitere zwei Päckchen auf dem Boden verteilen. Laut fluchend scheucht er das Kind aus dem Laden. „I am sorry!“, sagt der Araber, „no, passt scho!“ der Loisl.

Nach Erledigung des Zahlungsgeschäftes fragt der Kunde noch ein letztes Mal „You are not Sepp Rasser, no?“ und lacht ein bisschen. Gut aufgelegt, weil er ein gutes Geschäft gemacht hat und die scheinbare Bedrohung dabei ist, sich zu verziehen, sagt der Loisl erleichtert: „No, I am not Sepp Rasser.“ - „But man next door say you Sepp Rasser!“ Der Araber wirkt verwirrt und auch der Loisl schaut sein Gegenüber verblüfft an. „I was talking to man next door. I ask who sell Austrian dress for women. He tell me: Sepp Rasser!“ (Tatsächlich ist es nämlich so, dass der Bruder vom Moslechner Alois, der Moslechner Rupert, gleich nebenan ein Spezialitätengeschäft führt.)

Der Araber fährt in seiner umständlichen Erklärung fort: „I tell him I want to go to Moslecker! He say that he is Moslecker, but for dress I have to go to Sepp Rasser! And he show me to go in here!“ Nun ging dem Moslechner Alois ein Licht auf. Der Araber wurde wohl wegen eines Dirndls zum „Moslechner“ geschickt und landete – durchaus folgerichtig – im Geschäft seines Bruders. Da es in einem Spezialitätengeschäft aber keine Dirndln gab, sondern nur Schweinsbäuche und ähnliches, für Araber ganz und gar unbrauchbares, musste der Bruder den Araber wohl zu ihm herein geschickt haben!

In diesem Moment erscheint der Moslechner Rupert grinsend in der Tür. Der Araber deutet auf ihn und scheint vergnügt: „Look, this man send me here!“, sagt er aufgeregt. Der Rupert kommt in den Laden herein, deutet auf den Loisl und sagt: „Ah, ei sie ju faund mei Brasser!“

Der Araber fragt: „This is Sepp Rasser?“ - „Yes!“, sagt der Rupert und legt stolz den Arm um seinen Bruder: „dis is mei Brasser!“
„See!“, ruft der Araber stolz und schaut den Alois in der überzeugendsten Weise an: „You are Sepp Rasser! But why you call yourself Moslecker?“

Auch der Rest dieses Gesprächs verlief wieder einmal nicht unkompliziert...

Donnerstag, 12. Juli 2012

Völkerverständigung

Ibrahim hat große Hände, und er kann damit Musik machen. Dauernd klatscht, trommelt und schnippt er. Uns Eingeborenen versucht er, eine uns vollkommen unbekannte Art des Fingerschnippens beizubringen und lacht sich dabei halb tot, während wir wie die ersten Affen dastehen und mit kompliziertesten Verrenkungen unserer Handknochen genau gar keinen Ton erzeugen. Ibrahim schnippt vergnügt und macht das so laut, dass es fast in den Ohren weh tut, während uns bereits die Sehnen heiß werden und immer noch kein Ton zu vernehmen ist.

Schließlich hat er Nachsehen mit uns und zeigt uns etwas anderes: Er macht ein galoppierendes Pferd nach. Auch das geht in Kuwait anders als in Österreich, wo man sich mit Händeklatschen und Oberschenkelpatschen zufrieden gibt. Ibrahim benützt den Hohlraum zwischen seinen gefalteten, großen Händen, seine Stirn, seine Brust und schließlich erst den Oberschenkel. Wie die Töne entstehen, die das Geräusch eines galoppierenden Gauls viel überzeugender nachahmen als unser Klatsch-Patsch, bleibt uns verborgen. Niemand der Anwesenden versucht sich an dem 'kuwaitischen Gaul'; alle blicken nur bewundernd den fremden Mann an, der mit uns mindestens genauso viel Freude zu haben scheint, wie wir mit ihm haben. Daheim wird er wohl erzählen, wie er die Barkultur in Österreich befruchtet hat und die dort Ansässigen mit billigen Tricks zum Staunen brachte.

Der große Bernd, ein 2 Meter 10 hoher Hüne mit langem, fettigem Haar und Indiandergesicht, meint, er müsse Ibrahims Darbietungen etwas entgegensetzen und macht den 'abgeschnittenen Daumen', jenen Volksschultrick also, der dem Zuseher vorgaukeln soll, dass man die Spitze seines Daumens beliebig verschieben könne, während es sich in Wahrheit um den Daumen der zweiten Hand handelt. Ibrahim kichert belustigt und macht ein Gesicht, als ob er den großen Bernd fragen wollte, ob er ihn verarschen wolle. „This is trick that make little kid!“, sagt Ibrahim und deutet die ungefähre Körpergröße an, die solche Kinder haben, welche derartige Kunststücke aufführen.

Der große Bernd zeigt noch einen Trick – diesmal mit dem Feuerzeug: Er hält es mit ausgestrecktem Arm vor seinen Körper, lässt eine Flamme erscheinen und führt dann das Feuerzeug langsam über seinen Kopf. Dann bläst der große Bernd einmal kurz, und wie von Zauberhand erlischt die Flamme über seinem Haupt! Ein bezeichnendes und passendes Bild, Ibrahim aber fühlt sich schön langsam nicht mehr ganz ernst genommen vom großen Bernd. Es ist auch eine traurige Angelegenheit: Da packt der Kuwaiti einen guten Schmäh nach dem anderen aus, und der Zeller kann nur mit Gags aufwarten, die ein kritisches Kleinkindpublikum bei jedem Kindergeburtstag mit erbostem Schwedenbomben-Werfen quittieren würde.

Ibrahim aber ist barmherzig und führt weiter Kunststücke vor, erzählt Witze und macht mit seinem Körper Musik. Irgendwer muss ihm jetzt Einhalt gebieten, sonst hält er uns für einen unkreativen Haufen leicht zu beeindruckender Wilder (was wir vermutlich auch sind)!

Also fasst sich der große Bernd erneut ein Herz und greift tief in die Trickkiste: „Look!“, sagt er und hält Ibrahim Zeige- und Mittelfinger vor das Gesicht. „Hoffentlich kommt jetzt nicht wieder so etwas wie der abgesägte Finger!“, denke ich mir. Ibrahim schaut mehr freundlich als gespannt auf die beiden dicken Bernd-Finger. Auch er erwartet jetzt nichts Besonderes, seine Höflichkeit aber gebietet ihm, dem Bernd seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Da taucht der Bernd die Finger in sein Bier, drückt sie von innen gegen das Glas und hebt so das Bier in die Höhe. Ibrahim lacht und klatscht – damit hat er zumindest nicht gerechnet! Mit einem Ruck lässt der große Bernd jetzt das Bierglas nach oben sausen, zieht die beiden Finger raus, fängt das Glas mit der selben Hand wieder auf und leert es in einem Zug. Ibrahim tobt, alle klatschen, der große Bernd streckt die Faust gen Himmel, wie ein Boxer nach einem KO-Sieg. Sein Indianergesicht ziert ein breites Grinsen, halb von Freude, halb vom abendlichen Alkoholkonsum gezeichnet. „Give him another beer!“ ruft Ibrahim aufgeregt und legt auch gleich lachend das Geld hin. Jetzt hat ihn der große Bernd überzeugt!

Die Freude währt jedoch nicht lange, denn nachdem Ibrahim wieder ein paar Tricks vorgeführt hat, nimmt der große Bernd einen weiteren ersten und letzten Schluck von seinem Bier und wankt sodann rückwärts zur Türe hinaus. „I give up“, lässt er Ibrahim wissen und fällt beinahe in die Staude vor dem Lokal. Besorgt sieht Ibrahim ihm nach, dreht sich zu mir und sagt: „Is big man, hurt much when fall! - But good trick with beer! I will practice!“ Dann schnippt er wieder vergnügt und trommelt auf der Bar 1001 mir gänzlich fremde Rhythmen. Ein Abend der Völkerverständigung, des Kulturaustauschs und der Ehrenrettung durch einen Pinzgauer Kampftrinker geht zu Ende...

Samstag, 7. Juli 2012

Hinter einer alten Dame

Ich schleiche hinter einer alten Dame her.
Nicht, dass Sie jetzt glauben, alten Damen nachzuschleichen wäre eine geheime Passion von mir – vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Neuer Versuch: Ich trotte einer alten Dame nach. Schon besser.

Aber trotten? Trotten tun nur die, die den Kopf dazu hängen lassen, die sich selbst und die gesunde, gerade Körperhaltung bereits aufgegeben haben. Auf Trottenden lastet der Weltschmerz und es hängt ihnen nicht nur deshalb immer auch ein wenig Rotz aus der Nase. Nein, ich trotte ihr nicht hinterher, dazu bin ich zu gut aufgelegt und auch zu stolz.
Ich schreite im Grunde. Aber alten Damen kann man nicht nachschreiten, das ist unmöglich. Schreiten verlangt große, elegante Schritte; schwungvoll biegt sich da das Knie, möglichst spitz weist der nach vorne gestreckte Fuß die Richtung, im preußischen Rechtwinkel stehen Zehen und Spann des Standbeins zueinander. Der Oberkörper gleitet dahin, nur leicht unter den zügigen Schritten wippend; die Arme schwingen wie von einem unsichtbaren Federspiel angetrieben. Ach, das Schreiten: die geschwindeste und weltläufigste Art, sich fortzubewegen. Nein, geschritten bin ich auch nicht... obwohl ich es gern gewollt hätte!

Also tappte ich wohl einer alten Dame hinterher. Das Tappen erfasst das Zaghafte und Unsichere meiner Bewegungen gut und steht damit im krassen Kontrast zum Schreiten. Es nimmt dem sich Fortbewegenden aber auch etwas von seiner Würde. Tappende sind leicht auszulachen, nicht umsonst freut sich diebisch der Räuber, wenn Polizisten im Dunkeln tappen. Auch klingt es ein wenig nach kleinem Hundsvieh auf rutschigen Parkettböden, oder nach Jungkatzen auf Autodächern, sofern die da schon rauf kommen. Tappsig nennt man Welpen gern und meint das niedlich Unbeholfene ihrer Gehversuche. Nein, ein Welpe bin ich nicht, der da einer alten Dame nachhechelt, was denken Sie?

Es muss etwas sein zwischen tappen und schreiten – quasi der Gang als Oxymoron, die Fortbewegung, die Gegensätze in sich vereint und trotzdem vollkommen unauffällig daherkommt. Mein Gehen hat etwas Ungeduldiges – das hat seine Ursache in dem, was dem Schreitenden bei erzwungener Langsamkeit weg genommen wird. Mein Gang hat aber auch etwas Vorsichtiges, Unsicheres, mit dem ich mich so gar nicht anfreunden will. Der Grund nämlich, warum ich hinter einer alten Dame hergehe, ist dieser: Ich befinde mich im Getümmel und an ein Fortkommen war bis vor kurzem noch nicht zu denken. Bis sich diese Dame vor mich schob, die aus irgendeiner Menschentraube heraustrat und sich nun ihren Weg Richtung Oberstadt bahnt.

Zunächst nahm ich die Alte mit Argwohn zur Kenntnis, denn Schreitende trotten nicht gerne alten Leuten hinterher (aus oben genannten Gründen). Gleich aber begriff ich, dass die Omi wundersame Kräfte zu besitzen scheint. Sie bahnt sich unbekümmert und wie selbstverständlich ihren Weg durch die ansonsten undurchdringbar scheinenden Menschenmassen. Es ist, als wichen die Leute unbewusst vor ihr zurück und ich erkenne, dass es nun zwar langsam vorangeht, aber immerhin: es geht voran! So hefte ich mich an ihre Fersen, wie man sagt, und trotte, tappe, schreite und schleiche ihr nach.

Meine Heilsbringerin scheint nichts von ihrer Gabe zu wissen. Ich hingegen blicke stolz umher, wie um in den Gesichtern der Umstehenden und Ausweichenden verwunderte Anerkennung entdecken zu wollen. Aber niemand nimmt wirklich wahr, was sich hier ereignet – sie sind wohl alle in ihrem Bann. Im Bann der Omma. Omma mit zwei M, denn sie ist deutsch. Das sieht man sofort an ihrem Ommakleid, ihren Ommaschuhen, dem Ommahalstuch und ihrer Ommafrisur. Wer glaubt, alte Leute sähen sowieso überall gleich aus, der irrt! So deutsch wie diese Omma ist keine österreichische Omama. Österreichische Omamas tragen Perlketten und riechen nach Emserpastillen und Entschlackungstee, manche mit einer zarten Lavendel- und Baldriannote. Deutsche Ommas haben silberne Brillenketten, trinken Blümchenkaffee und erzählen von Kaffeefahrten nach Polen. Sie riechen nach gar nichts oder nach Schurwolle.

In der Oberstadt angekommen lichtet sich das Treiben ein wenig und jetzt, da Platz genug wäre, bleibt die alte Dame plötzlich stehen. Für mich gibt es nun keinen Grund mehr, ihr zu folgen, ich kann endlich wieder schreiten. Als ich an ihr vorbeischreiten will, macht sie plötzlich einen Haken und stellt sich mir in den Weg. Fast wäre ich in sie hinein gerannt. Ich muss abrupt stehen bleiben und hebe abwehrend meine Hände, wie ein Fußballer, der seine Unschuld am Umfallen des Gegenspielers beteuern möchte. Die Omma sieht mich ängstlich an, ich will nach rechts ausweichen, sie geht gleichzeitig rückwärts und steht mir so wieder im Weg. Himmel, denke ich, jetzt verliere ich die ganze gut gemachte Zeit wieder, weil die Omma plötzlich wieder ganz nach Art der älteren Leute im Weg herum steht! Angestrengt lächle ich sie an, bemüht, sie durch mein Lächeln milde stimmen und sie die richtige Entscheidung fällen lassen zu können.

Da gibt sie auf, bleibt einfach stehen; mit einem langen Schritt bin ich an ihr vorbei, schreite hinfort, weg vom Getümmel, durch das mich heute die wundersame Kraft einer alten Dame getragen hat. Ein kleines, unbemerktes Wunder am Zeller Sommernachtsfest – und ich Heilsempfänger! Das kann nur ein guter Sommer werden...

Dienstag, 3. Juli 2012

Furia Oha!

Das war es dann wohl mit der Europameisterschaft. Die große Überraschung ist ausgeblieben und es sieht so aus, als wären wir nach der EM genauso schlau wie vor der EM. Ist aber nicht wahr, denn nur weil Spanien erneut Europameister geworden ist, heißt das noch lange nicht, dass seit vier Jahren fußballerisch auf der Stelle getreten wird… Zunächst aber noch ein Rückblick auf das Finale furioso, in dem die Spanier die Rangordnung wiederhergestellt bzw. bestätigt haben.

4:0 klingt nach einem hohen Ergebnis und das ist es auch. Es zeugt aber weniger von der vierfachen Überlegenheit der Spanier über die Italiener als davon, dass Italien irgendwann erkannt hat, dass es in einem Finale wenig Sinn macht, bei Rückstand noch vorsichtiger zu agieren als zuvor (hallo Kroatien, hallo Griechenland!). Es war auch nicht so, dass bei den Italienern am Sonntag nichts zusammengelaufen wäre – die wenigen guten Chancen (die man gegen Deutschland noch genutzt hatte) wurden aber vom großartigen Iker Casillas entschieden vereitelt. Mit „entschieden“ meine ich einerseits, dass es immer nur ein Finger war, der den Ball so abgelenkt hat, dass Balotelli und Co. nicht zum sauberen Abschluss kamen; andererseits heißt „entschieden“ auch, dass Casillas endlich wieder zeigen durfte, dass er wirklich einer der besten Torhüter der Welt ist. In den Partien davor musste er das nämlich gar nicht so oft beweisen. Das liegt unter anderem an der hervorragenden spanischen Verteidigung – allen voran das Duo Piqué und Sergio Ramos, der die für ihn eher ungewohnte Position in der Innenverteidigung das ganze Turnier hindurch mit Bravour meisterte.

Was ich in den restlichen spanischen Spielen noch mit Recht beklagte, nämlich, dass das Kurzpassspiel ermüdend und lästig geworden ist, zeigte sich in diesem Finale, das freilich das allerbeste Spiel der spanischen Mannschaft bei dieser Euro war, ganz anders: Da liefen die Pässe plötzlich nicht nur viel schneller und noch genauer als in den übrigen Spielen, da war auch viel mehr Bewegung drin. Es war, als hätten die Spanier sich ihr wahres Können für das Finale aufgehoben. Das macht irgendwie Angst. Alle vier Tore – besonders aber die ersten beiden – waren Traumkombinationen, messerscharfe Abläufe, bei denen Lauf- und Passwege zentimetergenau stimmten; es sah aus wie in einem Computerspiel. Schließlich war es auch dieses elaborierte Kurzpassspiel, das den Spaniern die Hoheit im Mittelfeld sicherte und die Italiener gerade in ihrer sonst stärksten Zone in Bedrängnis brachte. Wie man zudem Andrea Pirlo aus dem Spiel nimmt und welche Auswirkungen das auf das italienische Angriffsspiel hat, das zeigte Xavi mit großer Klasse.

So bleibt nach einer eher mäßigen spanischen EM die Erkenntnis, dass Spanien da ist, wenn es da zu sein hat, und dass ein, zwei gute Spiele reichen, um eine Europameisterschaft zu gewinnen – vorausgesetzt, das Niveau ist auch sonst hoch genug. Nur verlieren darf man halt nicht (hallo Deutschland!), dann klappt’s auch mit dem Titel! Spanien in der finalen Form und Deutschland in der Form vom Viertelfinale – das wäre ein tolles Endspiel geworden. Die Finalteilnahme Italiens aber lehrte uns auch zweierlei: Nämlich dass, erstens, Fußballgesetze dazu da sind, gebrochen zu werden (noch nie hatte Spanien gegen Italien gewinnen können, hallo Deutschland!), und zweitens, dass mit Italien wieder gerechnet werden darf; und zwar diesmal nicht nur, weil man mit ihnen immer rechnen muss (wie ich im Vorfeld dieser EM gemeint habe), sondern weil sich dieses Team Applaus verdient hat für den mutigen und attraktiven Fußball, den es gespielt hat und die Nervenstärke des Trainers Prandelli, der diesen Volltrottel-Haufen so gut dirigiert hat, wie es nur ein richtiger Italiener kann. Unvergessen die Bilder Prandellis, wie er an der Seitenout-Linie entlang hüpft, wild gestikulierend, wie jemand, der ein Fliegenorchester dirigieren will.

Unvergessen auch, wie Spanien einen auf Holland gemacht hat und nach dem Schlusspfiff die kleinen Kinder über das Spielfeld gerannt sind bzw. getragen wurden. Die Niederländer haben das vor vier Jahren auch gemacht und so dem manchmal so machismo-lastigen (Proleten-) Fußball ein menschliches Antlitz verpasst. Die Spanier scheinen überhaupt gut für so Aktionen zu sein, wo es dann richtig menschelt. Ich erinnere an Iker Casillas, der nach dem WM-Finale vor zwei Jahren seine Freundin vor laufender Kamera geküsst hat, als diese ihn für das spanische Fernsehen interviewen sollte. Ja, bei solchen Szenen da schlagen auch die Herzen der weiblichen Fußball-Fans wieder höher, die sowieso alle für Spanien sind, weil die die „feschesten“ Spieler haben. Solche Urteile anzuerkennen fällt immer nur so lange schwer, bis man Mannschaften aus der Ukraine, Aserbaidschan oder Rumänien vorgesetzt bekommt.

Wir dürfen hoffen, dass Italien, Deutschland und Portugal die Wege beibehalten, die sie vor dieser EM eingeschlagen haben. Wir dürfen gespannt sein, ob die spanische Vorherrschaft im Fußball auch bei der WM in Brasilien weiter geht und ob es den Teams von Frankreich, England und Holland gelingt, sich wieder als ernstzunehmende Akteure auf internationalem Niveau zu etablieren. Auch was den Mittelbau in Europa betrifft, hinterlässt diese Euro ein paar Fragezeichen: Was ist mit den Teams aus Kroatien, Schweden, Russland und Dänemark? Da lagen Hui und Pfui teilweise sehr eng beieinander; es war aber zu sehen, dass diese Mannschaften Potenzial haben und jedem gefährlich werden können (obwohl es auch unter diesen Teams durchaus Abstufungen gibt).

Haben die Europa- und Weltmeisterschaft von 2004 und 2006 noch einen recht fahlen Geschmack hinterlassen und hatten wir uns vor Catenaggio und Rehakles-Fußball gefürchtet, darf jetzt wieder aufgeatmet und festgestellt werden, dass der Fußball endgültig zurück ist. Lob und Ehre gebührt dabei nicht nur Spanien, sondern vor allem auch der Entwicklung des deutschen Teams. Dass nun auch Italien wieder Fußball spielt und damit erfolgreich ist, darf als hoffnungsvolles Leuchtfeuer verstanden werden. Damit bleibt zu hoffen, dass man in zwei Jahren nicht feststellen muss, dass man sich darin getäuscht und also zu früh gefreut hat.

Sonntag, 1. Juli 2012

Das namenlose Spiel

Schland ist weg. Das sollte einmal festgestellt werden, denn hier, im wilden Sachsen, bekommt man davon nichts mit. Seit Mario Balotellis Gnadenschuss (Tor Nummer 2) ist es in Deutschland seltsam still geworden. Plötzlich dominieren wieder Merkel und Co. die Schlagzeilen und nicht mehr „Jogis Jungs“; hin und wieder sieht man eine traurige Pressekonferenz, manchmal spricht man noch von der vermeintlich fehlerhaften Aufstellung, mit der Löw seine Truppe in die Schlacht gegen das gefürchtete Italien geschickt hat. Am Ende bleiben zwei Erkenntnisse: 1., dass Deutschland gegen Italien nicht gewinnen kann und 2., dass Italien nicht mehr das Italien ist, das es einmal war. Aber das wurde ja hier schon mehrmals festgestellt...

Zu Spanien ist mir nichts mehr eingefallen. Dass wir des Tikitaka müde sind – besonders, wenn es so lasch gespielt wird wie momentan -, das merkt man mittlerweile schon bei ehemals eingefleischten Spanien-Fans, denen das ziellose Gepasse auch schon auf den Senkel geht. Portugal ist unglücklich ausgeschieden und die Spanier stehen erneut im Finale, können wieder einmal Geschichte schreiben, werden es vielleicht sogar tun; aber wen soll das kümmern? Spätestens seit der überzeugenden Darbietung gegen Deutschland müssen wir uns hinter Italien stellen. Weil Italien guten Fußball, interessanteren Fußball als Spanien spielt. Weil das ewig gequälte Gesicht von Andres Iniesta und das dümmliche Geschau von Fernando Torres nicht so gut sind wie der entblößte Balotelli, der sich nach seinem zweiten Tor selber ein Denkmal in Form einer Statue gesetzt hat, die er selber war.

Balotelli bleibt ein seltsamer Zeitgenosse, aber inzwischen ist er mir sympathischer als Cassano. So richtig sympathisch sind sie ja doch nicht geworden, die Itaker. Selbst Pirlo bleibt seltsam unantastbar. Andrea Pirlos ausdrucksloses Gesicht steht Pate für ein Fußballspiel, das nur das ist, was es ist: ein Fußballspiel. Pirlo spielt Fußball – sonst nichts. Mir gefällt das, weil es einfach ist und gut aussieht. So wie das Spiel der italienischen Mannschaft, das keinen Namen hat. Es heißt nicht Catenaggio oder Tikitaka oder Voetbal totaal – es heißt Fußball bzw. „Calcio“. Es ist das Spiel, an das man sich erinnern kann, wenn man an früheste Fußball-Erfahrungen zurückdenkt. Als Kind hat man Fußballspiele im Fernsehen so erlebt: Laufen, schießen, Tor. Dass das ganze natürlich viel komplexer ist als diese Minimalformel, liegt auf der Hand (und das war auch „früher“ so). Aber die Italiener erinnern uns gerade daran, dass Fußball einfach, gut und erfolgreich sein kann. So wie Pizza oder Pasta.

Das erinnert mich daran, wie grausigste Schlander im tiefsten Sachsen (wo ich das Halbfinale gegen Italien miterleben musste) irgendwann zu folgendem Sprechchor angesetzt haben: „Ihr seid nur ein Pizzalieferant, Pizzalieferant, Pizzalieferant!“, und dabei haben sie das „P“ von „Pizza“ so aspiriert wie es nur die ganz deutschen Deutschen können - „P-hizzalieferant!“. Dann hat Balotelli das 2:0 gemacht und die Sachsen waren still. Man hörte noch hie und da ein stumpfes Kommentar zu Balotellis Hautfarbe, aber was will man auch anderes erwarten? Nun, die Pizza wurde geliefert, was die Deutschen sogar mit Anerkennung quittierten: „Naja, die waren schon gut, die I-thaliäna!“ So war dieses Italien so überzeugend, dass es sogar die Schlander einsehen müssen. Wer hätte das gedacht?

Wenn wir uns daran erinnern, wie hochklassig die Vorrunden-Begegnung zwischen Spanien und Italien war, dürften wir uns ein tolles Finale erwarten. Ein Schelm aber, wer denkt, dass dieses Match gleich ablaufen wird. Wahrscheinlich ist es das interessanteste Finale, das die EM zu bieten hatte. Portugal wäre gegen Italien Außenseiter gewesen, aber die Italiener sind jetzt gegen Spanien keineswegs Außenseiter. Ein Duell auf Augenhöhe also – das überholte Tikitaka gegen das namenlose Spiel, das ich – ganz ausgefallen – „Calcio“ taufen möchte.

Montag, 25. Juni 2012

Ein Kinderspiel

Die Grandezza des Elfmeterschießens besteht darin, den spielerischen Vorteil, den man vielleicht über 120 Minuten lang gehabt hat, mit in diese Zitterpartie zu nehmen und mit Mut und Anstand den Fußballgott milde zu stimmen. Italien hat das gestern in einem packenden Viertelfinale gegen England geschafft. So eine italienische Mannschaft habe ich überhaupt noch nie gesehen, denn sie war über weite Strecken offensivbegeistert, spielerisch einfallsreich und es gab kein ständiges Fallenlassen und Diskutieren. Irgendetwas stimmt da nicht – das sind nicht die Italiener, die ich in den letzten Jahren so verschmähen gelernt habe, jene Italiener, die dem unattraktiven Defensivfußball mit dem Weltmeistertitel 2006 die Krone aufgesetzt haben, und die letztlich dafür verantwortlich waren, dass Spaniens bzw. Barcelonas Offensivspiel von Fußballfans als Erlösung von allem Bösen gefeiert wurde. Griechenland 2004 und Italien 2006: Das waren ganz düstere Gespenster der jüngeren internationalen Fußballvergangenheit. Was machten wir Augen, als wir die Teams von Spanien, Holland und Russland 2008 bewundern durften, und wie sich das deutsche Team konsequent von einer Klotztruppe zu einer technisch wie taktisch höchst attraktiv aufspielenden Mannschaft entwickelt hat!

Und jetzt, sechs Jahre nach Italiens WM-Titel, sind wir des Tikitakas müde geworden, wurden von Holländern enttäuscht und warten noch immer auf den großen Titel für Deutschland; und plötzlich kommen da gänzlich erneute Italiener daher, die zwar immer noch über den einen oder anderen Unsympathler verfügen, die aber insgesamt gemäßigter, erträglicher, man möchte fast sagen: ein bisschen professioneller geworden sind. Italien bewegt sich zwischen der Ruhe eines Pirlos und dem Ungehorsam eines Balotelli – so waren auch beide gestern in der Partie gegen England vielleicht die besten Männer auf dem Platz. Der eine verteilte Zuckerpässe, der andere vergab spektakuläre Chancen – insgesamt wahrscheinlich alleine mehr als das ganze englische Team. Das war nicht nur spannend, sondern eben auch über weite Strecken schön anzusehen (trotz des ersten 0:0). Man möchte meinen, dass es sich dabei um eine selten gewordene Kombination handelt. Dass Italien daran den Hauptanteil hatte, das kann ich 24 Stunden danach noch immer nicht wirklich glauben!

Englands Team hat sich nach ca. einer halben Stunde aus dem Spiel zurückgezogen und spielte fortan so, wie Italien es immer getan hatte: extrem passiv, klug aber langweilig, destruktiv und eigentlich unsympathisch. Ironischerweise hatte man spätestens gegen Ende der zweiten Halbzeit das Gefühl, dass diese Engländer auf ein Elfmeterschießen aus waren – als hätte es all die Elfmeterschießen der jüngeren und älteren Vergangenheit nicht gegeben! Vielleicht war die englische Fußballseele von dem Vertrauen besetzt, dass man es diesmal schaffen, dass man irgendwann den Bann brechen würde und dass das ausgerechnet an diesem Tag passieren müsste. Darin haben sich die Engländer aber gründlich getäuscht.

Vielleicht täuschen sich auch die Deutschen, denn die argumentieren und rationalisieren momentan ganz ähnlich. Natürlich stehe man dem Angstgegner Italien gegenüber, aber diesmal werde man die Italiener besiegen, denn jede Negativserie müsse ein Ende haben und wann, wenn nicht jetzt, wenn nicht mit dieser Mannschaft, mit welcher dann? So klingt es aus bundesdeutschen Radiostationen voller Zuversicht. Und man freut sich auf dieses Spiel – ganz ehrlich! Ich glaube es den Deutschen auch. Es hätte im Halbfinale kein unangenehmerer, aber auch kein attraktiverer Gegner als Italien warten können. Dass aber Italien so unangenehm und so attraktiv gleichzeitig sein kann, das hat sich erst im gestrigen Spiel offenbart – auch, wenn man es vorher schon vermuten konnte. Das Spiel am Donnerstag hat bestes Potenzial, das spannendste und emotionalste internationale Bewerbsspiel seit langem zu werden. Oder aber es wird hässlich und eines von beiden Teams (im schlimmsten Fall alle beide) zeigt seine grausigste Fratze – dann wissen wir wenigstens, zu wem wir im Finale halten sollen!

Das schönste Gesicht hat aber momentan Italien und der Geist des italienischen Fußballs kulminiert in Andrea Pirlos Elfmeter: Der im Stil von Antonin Panenka in die Mitte geschupfte Ball steht für Wagemut, Lässigkeit, Intelligenz und das nötige Maß an Arroganz, das ein guter Fußballer einfach braucht. In gewisser Weise hat so ein Schuss natürlich auch viel mit Humor zu tun (weil hier einer, auf gut österreichisch gesagt, mit jemandem Schmäh führt) und ein Treffer wie dieser ist der beste Beweis dafür, dass Elfmeter immer nur im Kopf geschossen werden. Da passte es gut, dass Pirlos Lässigkeit auf Joe Harts gespielte Vergnügtheit traf. Dieser hatte noch vor dem Spiel verlautbart, dass er sich auf ein Elfmeterschießen freue. Dementsprechend blöd grinsend stand er dann auch im Tor, streckte den Schützen die Zunge entgegen. Montolivo ließ sich davon veräppeln, die anderen ignorierten es. Aber nur Pirlo antwortete ihm.

Den allerhaltbarsten Elfmeter so zu versenken, dass er praktisch unhaltbar ist: Da kann man sich sämtliche Statistiken und Berechnungen in die Haare schmieren – hier scheint der Geist des Fußballspiels voll durch; denn letztlich handelt es sich um ein Spiel, das Kinder irgendwann einmal spielen und lieben gelernt haben. Und genau so ein Spiel bleibt es im Kern seines Wesens auch dann, wenn es um Ruhm, Geld und Ehre geht. Die Italiener haben das schon während des Spiels immer wieder gezeigt (so wie Spanien und Holland vor vier Jahren), aber Andrea Pirlo gab uns mit seinem Elfmeter die kondensierte Variante: Es muss wie ein Kinderspiel aussehen und trotzdem für Normalsterbliche unmöglich scheinen.

Samstag, 23. Juni 2012

Heitere Glückseligkeit

Deutschland ist beruhigt. Gestern zwischen neun und elf hörte man auf den Straßen kaum mehr Autos fahren, aus allen Gärten roch es nach Gegrilltem und man ärgerte sich höchstens über den Nachbarn, der, weil er das Spiel über Satellit empfangen konnte, die deutschen Tore immer 4-5 Sekunden früher bejubelte. Heute sah man auf den Straßen zufriedene Gesichter, die große Blamage ist ausgeblieben, man hat sich mit einem klaren 4:2 gegen Griechenland erstmal als Favorit in Stellung gebracht. In der ersten Hälfte mühten sich die Deutschen noch etwas ab, zu viele Chancen, zu wenig Ausbeute – man spielte spanisch gegen wieder einmal sehr griechisch spielende Griechen. Irgendwann sprach es sich dann doch einmal durch, dass der griechische Torhüter nicht zu den Granden seiner Zunft gehört, und man probierte es dann doch einmal mit Schüssen aus der Halbdistanz (Lahm 1:0) und Flanken (Khedira 2:1).

Das Tor für die Griechen erfolgte logischerweise aus einem Konter nach deutschem Fehler im Spielaufbau (davon gab es auch ein paar – Schweinsteiger). Dass das zweite aus einem Hand-Elfmeter resultierte, wunderte auch nicht und war höchstens ein kleiner Schönheitsfehler im deutschen Ergebnis. An der Überlegenheit der Deutschen konnte jedoch keiner zweifeln. Dabei brachte erst der Ausgleich der Griechen die Wende; erst als die Griechen das schafften, was ihnen eh niemand zugetraut hätte (nämlich einen Rückstand aufzuholen), wachten die Deutschen auf und spielten konsequenter ihre Übermacht aus. Das führte zu drei weiteren Toren und zu der Erkenntnis, dass die Truppe von Jogi Löw auch in der scheinbaren „B-Besetzung“ (Schürrle und Reus für Poldi und Müller; Klose für Gomez) eine hocheffiziente Mannschaft sind.

Bundeskanzlerin Merkel versprach einen weiteren Besuch – allerdings nur unter der Bedingung, dass es die Elf auch ins Finale schafft. Wenn die Deutschen Glück haben (und das haben sie nicht selten), dann schlägt heute England irgendwie die Italiener. Aber auch wenn die Italiener sich durchsetzen sollten – was das Erwartungsgemäße wäre – darf man sich auf die Chance freuen, sich für das Halbfinal-Aus bei der Heim-WM revanchieren zu können. England seinerseits würde sich für die bittere Niederlage von vor zwei Jahren in Südafrika rächen wollen; aber auch für so viele andere Niederlagen (bei der Heim-EM 1996 zum Beispiel), die jeweils tiefe Wunden in der englischen Fußballseele hinterlassen haben. Im jeden Fall wird Deutschland im Halbfinale eine emotionale Partie zu bestreiten haben. Bis dahin darf man sich aber noch ein bisschen in der Überlegenheit sonnen, die man momentan ausstrahlt.

England gegen Italien: Das klingt vielleicht besser als es wird. Freilich garantieren diese Namen unter normalen Umständen einen Fußballklassiker, aber dafür agiert Italien momentan zu abgeklärt und die Engländer zu ungefährlich. Außer Wayne Rooney erlebt einen Ronaldo- bzw. einen Ibrahimovic-Effekt und spielt endlich so, wie der große Star in einem eigentlich mittelmäßigen Team aufzuspielen hat. Wenn es ein spannendes Match wird, ist ein knapper Sieg der Italiener (vielleicht auch in der Nachspielzeit) zu erwarten. Sollte es ein katastrophales Match werden, sehen wir das erste 0:0 gefolgt von einem Elferschießen, das die Engländer normalerweise verlieren müssten. Außer...

Eitle Wonne, diese Phase des Turniers, denn ab nun reiht sich Schlager an Schlager, KO an KO. Das Erbarmungslose wird zum Erstrebenswerten, das Glück zur Glückseligkeit, das Hässliche zum Unerträglichen. KO-Phasen steigern fußballerische Grundemotionen, sie verdichten das Spielgeschehen, poetisieren jedes Tor zur Heldentat, jede Schwalbe zur Niedertracht und jede Standardsituation zur Klimax. KO-Phasen lassen eigentlich erst erahnen, warum überhaupt Fußball gespielt wird und warum Europa- und Weltmeisterschaften zu den (medialen wie emotionalen) Großereignissen werden können, die sie zu Recht sind.





Mann des Tages: Sami Khedira. Wohl einer der besten Spieler am Platz und sorgte mit dem 2:1 für den deutschen Aufschwung.

Buhmann des Tages:
Der Nachbar mit dem Satelliten-Signal.

Freitag, 22. Juni 2012

Die Möglichkeit eines Untergangs

Portugal eliminiert Tschechien in der ersten Viertelfinalbegegnung mit 1:0: Ein Sieg, der klarer war, als das Ergebnis vermuten lässt. Heute spielt Griechenland gegen Deutschland um den Einzug ins Halbfinale - und um so viel mehr!


Warum aus dem von mir gestern getippten 3:1 dann nur ein 1:0 geworden ist, ist schnell erklärt: Ich hatte mit einem frühen Zufallstor der Tschechen gerechnet, das in der Phase fallen sollte, da sich Portugal noch warm laufen musste. Das war gestern die erste Viertelstunde, in der für Portugal wenig, für die Tschechen aber so gar nichts lief. Das Zufallstor aber fiel nicht und wollte auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht fallen. Insofern haben mich die Tschechen nur in diesem Belange enttäuscht, ansonsten spielten sie in etwa wie erwartet.

Portugal hat nur ein Tor geschossen, aber auch das war bloßer Zufall, wenn man bedenkt, dass allein C. Ronaldo schon drei Stangenschüsse hatte. Also eigentlich wäre es ein 5:1 geworden, aber daran hatte auch Petr Cech einen gewissen Anteil, der gestern wenig zugelassen und so die Chance, ein Zufallstor zu erzielen (andere Tore schießt Tschechien eh nie), bis zum Schluss aufrecht erhielt. Nur: Nach dem 1:0 für Portugal kam von den Tschechen gar nichts mehr; man war müde, kraft- und willenlos – ein würdiger Vertreter der Gruppe A also.

Der unwürdigere Gruppenkollege, Griechenland nämlich, kann zumindest das mit dem Willen besser. Und wenn der stimmt, kommt die Kraft ganz von alleine. Besonders, wenn es gegen die Deutschen geht, denn da will man sich und dem Rest Europa beweisen, dass Griechenland sich nicht an die Wand spielen lässt – auf dem Fußballplatz nicht, und auch sonst nicht. Ob das gelingt, ist eine andere Frage. Deutschland ist eine Turniermannschaft, sagt man immer. Was das genau heißt, weiß zwar niemand so genau, aber es soll wohl heißen, dass die deutsche Mannschaft das Potenzial zur Steigerung während des Fortschreiten des Turniers meistens ausschöpft – zumindest bis es gegen Italien geht.

Kein leichtes Spiel also für die Griechen; wer aber glaubt, dass Deutschland sich nicht ein kleines bisschen in die Hosen macht, der liegt falsch. Freilich ist ab der KO-Phase die Angst, zu verlieren, immer gegenwärtig. Das bedeutet auch, dass der psychologische Aspekt immer wichtiger wird. Und da sehe ich die Griechen im Vorteil, denn die haben nichts zu verlieren. Und doch sind natürlich immer die, von denen man sagt, dass sie nichts zu verlieren hätten, die krassen Außenseiter. Team Deutschland sollte die Klasse und Erfahrung haben, mit einer solchen Situation umzugehen und so sehe ich am Ende dieses Abends ein solides 2:0 für Deutschland stehen.

Wenn aber... ja dann! Dann hätten wir ein EM-Spiel gesehen, über das man in beiden Ländern noch sehr, sehr lange reden wird! Vor dem Spiel können wir jedoch höchsten von der Möglichkeit eines Untergangs sprechen.



Mann des Tages: Cristiano Ronaldo zum wiederholten Male. Wenn er so weiter macht, wird er zum Spieler der EM und da müsste man nicht einmal das Finale erreichen.


Vize-Mann des Tages:
Petr Cech, der eine schwierige EM zu spielen hatte. Trotz seines Patzers gegen Griechenland natürlich bester Tscheche auf dem Feld – für den Torhüter des Turniers wird es aufgrund des frühen Ausscheidens seiner Mannschaft aber nicht reichen.