Mittwoch, 6. Juni 2012

Die Unberechenbarkeit des Erwartbaren

Die Gruppe C beschert uns den ersten richtigen Knaller/Kracher/Schlager, also alles, was laut ist und weh tut, dieser EM. Schon am Sonntag treffen die Favoriten Spanien und Italien aufeinander. Moment, höre ich jetzt den ersten Schlaumeier fragen, wieso Italien Favorit sein soll? Darauf habe ich eine ganz einfache Antwort: Weil Italien immer Favorit ist. Weil mit Italien immer zu rechnen ist, ganz besonders dann, wenn alle meinen, es wäre nicht mit ihnen zu rechnen. Der europäische Fußball besteht seit jeher im Wesentlichen aus Italien, Deutschland und England. Alles andere sind bessere oder schlechtere Derivate dieser drei Mannschaften. Im Unterschied zu England konnten allerdings nur Deutschland und Italien regelmäßig beweisen, dass sie ihrer ewigen Favoritenrolle gerecht werden können. Darum wird Italien auch diesmal wieder als Favorit zu handhaben sein.

Bei den Buchmachern ist freilich Spanien der große Favorit und es spricht viel dafür, dass sie auch diesmal dieser Rolle gerecht werden. Aber haben wir uns an Spanien nicht schon ein bisschen satt gesehen? Waren wir allzu traurig, dass der FC Barcelona heuer nicht im Championsleague-Finale stand? Ist Tikitaka nicht irgendwann fad, besonders wenn es gegen doppelt verstärkte Abwehrbollwerke wirbelt? Wie lange können wir Xavi, Iniesta und Co. noch dabei zusehen, wie sie nicht nur ihre Gegner, sondern immer öfter auch sich selbst verblüffen? Und glauben wir wirklich, dass Spanien den dritten internationalen Titel in Folge gewinnt bzw. wollen wir das überhaupt? Natürlich ist es dem Fußballgott herzlich egal, was wir wollen oder nicht wollen, denn er kennt nur das Gesetz des Fußballs, das er selber erfunden hat, und das wir, wie die alten Griechen es schon sagten, nicht erschauen können. Deswegen lässt uns Fußball so oft ratlos zurück.

Möglich ist in dieser Gruppe wieder mal (fast) alles. Italien ist unberechenbar, Wettskandale hin oder her. Wer die Italiener kennt, weiß, dass es sich um ein Volk handelt, das gewohnt ist, mit Krisen umzugehen. Die Italiener halten sich selber genauso für korrupt wie alle anderen Länder die Italiener für korrupt halten; soll heißen: Der Wettskandal überrascht niemanden wirklich und geht in Wahrheit allen am Allerwertesten vorbei. Italiener lieben Fußball und sie wollen Fußball spielen – auch wenn dieser Fußball dann nicht immer schön anzusehen ist. Die Abwehr war im italienischen Team auch nie ein Problemfall und selbst wenn die großen Akteure der jüngeren Vergangenheit nicht mehr dabei sind, gibt es hier immer noch eine Juventus-Innenverteidigung mit Chiellini und Bonucci – und Juventus hat heuer in der Serie A kein Spiel verloren. Vorne gab's dann auch immer irgendwen, der ein Tor erstolpert hat. Und wer ein Tor mehr schießt als der Gegner, gewinnt im Normalfall. Wirklich weh tun können den Italienern in dieser Gruppe eigentlich nur die Spanier - und das dürfte selbst für den amtierenden Europameister schwer genug werden.

Mit Kroatien haben wir in dieser Gruppe auch einen ewigen Geheimfavoriten am Start, den man, auch in Bezug auf die Übermacht der beiden Gruppenfavoriten, gerne mit Portugal vergleichen darf. Auch hier gilt, dass das kroatische Team leider nicht nur auf die eigene Leistung vertrauen kann, sondern auch davon abhängig ist, was Italien und Spanien zulassen; und das dürfte sehr wenig sein. Die Kroaten haben aber den Vorteil, dass zwischen ihnen und Irland genügend Luft sein sollte, sodass sie sich ganz darauf konzentrieren können, gegen die Großen anständig Ärger zu machen. Spielen Spanien und Italien im ersten Spiel unentschieden, und gewinnt Kroatien erwartungsgemäß sein Spiel gegen Irland, hätten sie sich eine gute Ausgangsposition geschaffen, aus der dann alles mögliche entwachsen kann. Verlieren sie gegen Irland, dann ist das letzte Cevapcici allerdings gegessen und sie können im Grunde schon einpacken.

Irland ist der große Außenseiter in der Gruppe C. Von denen ist gar nichts zu erwarten, und sollten sie aus dieser Gruppenphase auch nur einen Punkt mit nach Hause nehmen, wäre das schon als Erfolg zu sehen. Mannschaften wie die irische haben im besten Fall Stolperstein-Charakter, füllen also zumindest eine wichtige dramatische Rolle aus. Es müsste bei den anderen schon viel schief gehen, damit Irland auch nur die Ahnung eines Viertelfinales erschnüffeln könnte.

Wir erwarten in der Gruppe C also ein Weiterkommen der Favoriten, hoffen aber darauf, dass Kroatien ein bisschen Wind in das zweite Spiel mitnehmen kann. Voraussetzung dafür ist, wie gesagt, ein Sieg gegen Irland. Es folgt dann das Spiel gegen Italien, in das man als Tabellenführer gehen könnte, keinesfalls aber als Favorit. Spiel Nummer eins zwischen Spanien und Italien ist auch nur bedingt aussagekräftig, wenn wir uns daran erinnern, dass Spanien bei der letzten Weltmeisterschaft sein erstes Spiel gegen die Schweiz verloren hat. Ein Sieg der Italiener wäre für diese ein Motivationsschub, für Spanien aber noch lange kein Grund zur Sorge. Obwohl, man sagt ja, dass es bei einer EM keine Jausengegner gibt...

Ich halte es für möglich, dass sich in der Gruppe C ein späterer Finalist befindet. Irland wird es aber nicht sein... Spanien übrigens auch nicht!


Worauf wir uns freuen können:


Auf das Auftaktspiel der Gruppe Italien gegen Spanien, auch wenn die Aussagekraft der Begegnung beschränkt sein wird. Die Kroatien-Spiele dürfen wir mit Spannung verfolgen, und Irland kann eigentlich nur überraschen.


Bemerkenswerte Namen:


Álvaro Arbeloa (SPA): Der Abwehrmann von Real Madrid darf seinen Eltern danken für diese Namenskombination. Sein voller Name ist sogar Álvaro Arbeloa Coca. Fügte man diesem Wonneklang noch ein Cola hinzu, und würde er dann nicht wie ein Brausegetränk heißen, wäre es fast schon kitschig.

Giorgio Chiellini (ITA): Die besten Namen haben doch immer die Italiener. Der Juve-Verteidiger klingt wie eine Nudelsorte oder eine süditalienische Süßspeise.

Alessandro Diamanti (ITA): Mittelfeld-Ersatzmann vom FC Bologna. Ob er so hochkarätig ist, wie sein Name vermuten lässt, wird sich erst weisen.

Darren O'Dea (IRL): Verteidiger von Celtic Glasgow, der sich mit dem Sunderland-Spieler John O'Shea O' so nicht rhymt. Warum das so ist, weiß keiner. John O'Shea kann übrigens auch Tormann.

Damien Duff (IRL): Fulham-Mittelfelder, dessen Name irgendwie erfunden und nach irischem Kinderbuchhelden klingt.

Gordon Schildenfeld (CRO): Der Abwehrspieler von Eintracht Frankfurt steht mit seinem Namen im kroatischen Nationalteam zwischen den ganzen a's und ic's so ganz alleine da. Der Name erklärt sich aus deutschen und österreichischen Vorfahren.

1 Kommentar:

  1. Eine hervorragende Einschätzung der Iren liefert übrigens auch die Zeit:

    Irland ist das Neuseeland Europas: einfach in, überall und schon seit Jahren. Ein Sehnsuchtsort, obgleich Wetter und Akzent eher an Schottland denken lassen als an einschlägige Pazifik-Paradiese. Trotzdem: Wer noch nicht auf der grünen Insel war, will es bei nächster Gelegenheit, Finanzkrise hin oder her. Der Landschaft wegen. Und dem schamlos zelebrierten Hedonismus des kleinen Mannes: Whiskey, Weib, Gesang, Fish and Chips. Irland schafft das Kunststück, konsensfähig zu sein, ohne seine Coolness zu verlieren. Selbst das traditionelle irische Liedgut ist Indie-Bestseller-tauglich: Was als "Celtic Rock" Fans von L.A. bis Erlangen findet, ist nämlich nichts anderes als Volksmusik, nur etwas schneller gefiedelt und geflötet.

    Fußballerisch ist Irland mäßig spannend. Seit Jahrzehnten wird vorbildlich gerannt, gegrätscht und gebolzt wie in einem Werbefilm für die Zweite Bundesliga. Spielerische Qualitäten hat allerdings nur ein Ire: Robbie Keane. Seit 1998 trägt er das grasgrüne Nationaltrikot, schon sechs Jahre später war er Rekordtorschütze.

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