Donnerstag, 29. September 2011

Der Streber

Seine Familie kann man sich genauso wenig aussuchen wie seine Sitznachbarn im Flugzeug. Mit ersterem habe ich, so ist mir spätestens nach diesem Amerika-Aufenthalt gewiss, großes Glück gehabt. Mit den Sitznachbarn schaut es weniger gut aus. Dabei bleibt freilich offen, ob es sich bei diesen Menschen wirklich um Ungustln bzw. unangenehme Personen per se handelt, oder ob sie für mich nur durch den Umstand, neben mir zu sitzen, dazu werden.

Gut, ich habe wenigstens einen Sitz am Gang erwischt, habe also quasi nur einen Sitznachbar, als ich mich in die Delta-Maschine zurück nach München setze. Das Flugzeug ist halbvoll mit Amerikanern, einige davon auf dem Weg zum unvermeidbaren Oktoberfest. Die andere Hälfte sind Deutsche auf dem Weg in die Heimat, wo sie sicherlich besser hinpassen, als nach Amerika. Behaupte noch einer, Amerikaner würden sich oft unästhetisch kleiden und schnuddelig daherkommen, dem seien diese deutschen Touristen gezeigt mit ihren allzu deutschen, vom Urlaub gepeinigten Gesichtern und ihrer Sprache, die niemals jener der ARD-Nachrichtensprecher ähnelt, sondern immer sächsischer, niederbayerischer, schwäbischer oder irgendein anderer, nur schwer zu ertragender Dialekt ist. Sie schlurfen ungekämmt und ungewaschen in Trainingsanzügen durch die Flughafenhallen und jammern über alles, als hätten sie selbst – und nicht etwa die Österreicher – das Jammern erfunden.

Ich sitze neben einem Amerikaner. Sollte er sich auf dem Weg zum Oktoberfest befinden, wird es sicherlich kein allzu lustiges. Es handelt sich um eine vollkommen humorlose Person. Eigentlich handelt es sich um einen Streber. Er gibt sich Mühe, besonders aufrecht zu sitzen, hat eine Brille, die ihm zwar nicht passt, aber wahrscheinlich unheimlich „praktisch“ ist, seine Frisur ist, wenn schon nicht schön, dann jedenfalls „pflegeleicht“. Er hat Finger mit sehr kurzen Nägeln, sie sehen irgendwie aus wie Ingenieursfinger. Mit solchen Fingern tippt man auf Taschenrechnern herum oder hält Lineale, keinesfalls verwendet man sie zum Gitarre Spielen oder für obszöne Gesten.

Der Streber hält einen Kindle in der Hand. Ja, auch irgendwie vernünftig, denke ich mir, der hat sich den sicherlich aus Gründen der Umweltfreundlichkeit gekauft. iPad ist ihm unvernünftig zu teuer und andere Tablets sind ihm suspekt; daher Kindle: die vielen Bäume, die nicht gefällt werden! Gänzlich unsympathisch ist mir die Kunstlederhülle seines Kindles. Er klappt sie auf und hält sie so, als würde er ein tatsächliches Buch in der Hand halten. An der Seite seiner Kindle-Hülle ist eine Leselampe befestigt, die er eifrig über den Bildschirm biegt und einschaltet, als das Licht in der Kabine gedimmt wird. Die Leselampe sieht aus wie ein Fühler eines Glühwürmchens und irgendwie finde ich es drollig, wie stolz der Streber auf dieses Lämpchen offensichtlich ist.

Bei der Stewardess bestellt er überraschenderweise Wein. Was mich zuerst ein wenig stutzig macht, offenbart sich bald als eine Geste des eingebildeten Geschmacks. Tatsächlich trinkt er den Wein so, als handelte es sich dabei um etwas ganz Besonderes. Als hätte er keinen viel zu vollen Plastikbecher in der Hand, sondern ein Kristallglas. Als wäre es kein Tetra-Pak-Wein, sondern ein ganz besonders feinen Tropfen. Wieder finde ich das irgendwie lieb und überlege mir, was ich bestellen könnte, um ihn sich noch feiner fühlen lassen zu können. Bier möchte ich keines, sonst fällt mir nichts ein, also bestelle ich nichts. Das scheint den Streber ein wenig zu verunsichern. Asketismus, so kommt mir vor, dass er mich spüren lassen will, ist doch eigentlich seine Domäne!

So setzt sich der Streber noch ein wenig aufrechter hin und beschließt insgeheim, die ganze Flugzeit von 9 Stunden nicht aufzustehen. Das sollte ihm tatsächlich gelingen, denn sein nun praktizierter Asketismus lässt anscheinend sogar seinen Harndrang verstummen. Ich muss zugeben, dass ich am Ende des Fluges ein klein wenig beeindruckt war.

Die meiste Zeit liest der Streber, nur selten unterhält er sich mit seinem Begleiter, der links neben ihm sitzt. Mit mir unterhält er sich gar nicht und ich bin eigentlich sehr froh darüber. Ein gelegentliches Schielen auf seinen Kindle verrät mir, dass er einen Krimi liest. Ja vielleicht sogar eher einen Agenten-Roman, jedenfalls etwas furchtbar Geschmackloses. Meine neugierigen Ausflüge auf sein Display zeigen mir einen Dialog, in dem jemand aufgefordert wird, irgendwelche „Dokumente“ zu beschaffen. Ich erfahre außerdem, dass jemand für den KGB arbeitet, dass es einen Romanov gibt und dass jemand von Solothurn (gute Agentengeschichten müssen irgendwann immer auch in der Schweiz spielen) nach Frankfurt fahren muss und das in einem schwarzen Jaguar tut.

Ich glaube gar nicht, dass der Streber seinen Roman sonderlich gut findet. Vielmehr hat er ihn sich auf seinen Kindle geladen, weil er erstens so enthusiastisch seines vermutlich neuen E-Readers wegen war, und weil er zweitens der Meinung ist, dass man sich für einen langen Flug ein Buch kaufen sollte. Weil er sonst nichts liest, und sich von einem Spionage-Thriller (?) garantierte Unterhaltung erwartet hat, hat er sich dieses Buch gekauft. Und was er sich gekauft hat, das liest er auch. Denn das gehört sich so.

Was sich allerdings nicht gehört, ist, dass der Streber etwa alle 40 Minuten einen Puh lässt. Ich möchte mich gerne bei ihm beschweren, aber was ist leichter, als die Urheberschaft eines Flatus abzustreiten, noch dazu eines leisen? So begnüge ich mich damit, jedes mal, wenn mir eine seiner Entweichungen zur Nase steigt, wiederholt den Kopf zu schütteln. Mir ist bewusst, dass es sich hierbei um ein lächerliches Verhalten handelt, und ich weiß auch gar nicht, ob der Streber meinen Ausdruck verständnislosen Widerwillens zur Kenntnis nimmt. Aber wie soll ich mir sonst behelfen? Aha, denke ich mir, vorgeben, ein Asket zu sein und dann die ganze Zeit einen Puh lassen müssen! Eine solche Hybris lässt mich dann einfach ganz automatisch den Kopf schütteln...

Der falsche Asket verzichtet auch auf sein Frühstück. Vermutlich möchte er durch diesen Stop der Nahrungsaufnahme seinen Flatulenzen Einhalt gebieten. Oder er möchte wirklich beweisen, dass er einen 9 Stunden langen Flug ohne Frühstück und ohne aufs Klo zu gehen aushält. Ich merke, er will es mir beweisen. Und ich wünschte, er würde doch endlich aufstehen und auf die Toilette gehen, damit wenigstens mit dem unsäglichen Puh-Lassen Schluss ist. Doch er verweigert und liest sichtlich gelangweilt weiter seinen Agenten-Roman auf seinem Kindle mit dem lieben Leselicht, das er mit seinen Ingenieursfingern so ausrichtet, dass es möglichst effizient das Display ausleuchtet. In mir steigt eine kleine Wut hoch. Ich versuche, mir die Zeit mit Mahjongg-Spielen zu vertreiben, spiele hektisch ungefähr 50 Partien – irgendwie muss die Zeit doch totgeschlagen werden.

Als sich am Ende des Fluges der Streber erhebt und das Flugzeug verlässt, bin ich erleichtert. Ich bleibe sogar noch ein wenig sitzen, um sein Verschwunden-Sein noch etwas genießen zu können. Während sich bei mir ein paar Oktoberfest-Bayern vorbeischieben und mir wieder die anderen widerlichen Fluggäste einfallen, wird mir plötzlich klar, warum mir der Streber als Sitznachbar sozusagen gesandt wurde: Er sollte mir den Abschied von Amerika besonders leicht machen! Mission erfüllt, Ingenieur Puh!

Dienstag, 20. September 2011

Drehtüren

Wie abstrus schon allein der Grundgedanke der Drehtür an sich ist: Es handelt sich um eine Tür, die immer geschlossen ist. Die Drehtür sollte eine Tür ohne Luftzug sein und ist zu einer Tür ohne Charakter geworden. Drehtüren sind Undinge, Kommoditäten, die einem das Leben schwer machen und obendrein gefährlich sind (man denke nur daran, was alles in Drehtüren stecken bleiben kann!). Man sollte sie alle abschaffen, ausbauen, aus allen Bankfilialen, Mittelklassehotels und Museen dieser Welt entfernen und sie auf dem Friedhof jener Dinge, die sich zwar schick und praktisch anhören, aber eigentlich und im Grunde ihres Wesens nichts als ein großes Ärgernis sind, begraben. Gleich neben Plastikbesteck und solchen Sachen.

Zunächst irritiert an Drehtüren ihre Größe; besonders die Größe der „Zellen“ (jener Drehtürabteile, in die sich Menschen quetschen müssen, wollen sie die Drehtüre erfolgreich passieren) ist oft problematisch: Man nähert sich einer Drehtüre und die erste Aufgabe besteht darin, abzuschätzen, wie viele Leute denn in so ein Kompartment passen. Oft findet nur eine Person darin Platz, manchmal sind die Drehtüren aber auch groß genug, um mehrere Personen gleichzeitig passieren lassen zu können. Das Fassungsvermögen zu schätzen, ist aber in vielen Fällen gar nicht so einfach und nicht selten habe ich es erlebt, dass jemand dachte, er (meistens handelte es sich dabei um einen Mann) habe noch Platz, und sich geschwind in die sich gerade schließende Falte der Drehtür zwang, nur um dann feststellen zu müssen, dass er einer galanten Dame gerade viel zu nahe gekommen ist. Denn – auch dies beachte man! - die Drehtüre ist wie eine Kammer, die die Zeit verlangsamt: Leute springen hurtig in und aus Drehtüren heraus, befinden sie sich aber gerade mitten in der Tür, sind sie in Raum und Zeit gefangen - sie werden gebremst.

Das Studieren der Drehgeschwindigkeit ist nämlich das nächste Problem. Wie oft sieht man hoffnungsvolle Drehtürbenutzer vor der Türe lauern! Sie warten auf den richtigen Zeitpunkt – soll man noch warten, oder sich noch schnell in die sich gerade schließende Zelle zwängen? Zögernd und konzentriert wird auf die sich ständig öffnende und gleichzeitig schließende Türe gestarrt. Wie verwirrte Hunde stehen sie da und warten angestrengt – ja bemerkt denn keiner den Umstand, dass Drehtüren nur zu Verzweiflung führen? (Rolltreppen haben übrigens einen ähnlichen Effekt auf ihre Benutzer – besonders älteren Menschen fällt es oft schwer, sich für die richtige Stufe zu entscheiden, schießt doch ständig eine neue wie aus dem Nichts aus dem Boden hervor!)

Hat man sich nun für ein noch leeres Kompartment entschieden und es erfolgreich betreten, entsteht die nächste Verwirrung: Funktioniert diese Drehtüre automatisch oder manuell? Muss man selber schieben und drücken, oder dreht sich die Türe von allein? Bis man das herausgefunden hat, ist die Türe schon drei mal stehen geblieben. Entweder, weil sich alle der sich gerade in ihr befindlichen Personen darauf verlassen haben, dass sie automatisch funktioniert, sie aber in Wahrheit auf die Kraft der Passanten angewiesen ist. Oder aber es handelt sich um eine automatische Drehtüre, die ihre Funktion aus Sicherheitsgründen immer dann einstellt, wenn sie sich gedrängt fühlt; weil also alle Drehtürpassanten schneller durch sie hindurch wollen und deshalb allesamt drücken, was der Automatik der Türe gar nicht behagt und sie trotzig stillstehen lässt. Was dann passiert ist ein interessantes Beispiel dafür, wie die Gehirne mehrerer Menschen sich bei einer gemeinsamen Problemlösung gegenseitig kurzschließen können.

Kleine Versuchsanordnung: Automatische Drehtüre mit drei Personen (A, B und C)
  • Während C sich gerade in der Türe befindet, wollen sie A und B betreten. Beide drücken. Die Türautomatik wittert Gefahr und bleibt stehen. A und B schauen verdutzt, während sie beide unschuldig ihre Hände erheben, als ob sie sich vor der Türe ergeben wollten.
  • C indessen hat schon einen halb offenen Spalt vor sich, wittert also Freiheit, und will sich durch die Türe drücken, gerade als die Automatik der Drehtüre sich wieder dazu entschließt, das Karussell weiterfahren zu lassen. Aufgrund Cs unwirschen Vorgehens bleibt die Türe wieder stehen. Der Spalt ist aber gerade groß genug geworden und C kann, indem er sich noch unwirscher durch die Türe drückt, entweichen. C verliert dabei einen Sakko-Knopf.
  • A und B sind derweil gefangen und schauen einander fragend an. Da sich die Türe nicht bewegen will, versucht B es wieder mit ein wenig Druck. In diesem Moment setzt sich die Drehtüre ganz langsam in Bewegung. Bs Handeln hat mit der Funktion der Türe gar nichts zu tun, jedoch meint A in B den Verursacher der Bewegung zu erkennen und glaubt nun fälschlicherweise, dass die Drehtüre vermutlich doch auf mechanische Kräfte reagiert. Also drückt A, um die Bewegung der Türfalten zu beschleunigen, was wiederum die Türautomatik beleidigt. Sie bleibt erneut stehen.
  • Plötzlich ertönt ein Alarmgeläut – das sichere Zeichen dafür, dass hier irgendwas nicht in Ordnung ist. Man sieht wie A und B, gefangen in ihren jeweiligen Kompartments, die Köpfe hängen lassen, während dutzende Menschen auf beiden Seiten der Tür auf sie einschimpfen.

Um in Zukunft solche Situationen zu vermeiden, sei hier gesagt: Meistens haben nicht-automatische Drehtüren irgendwo Griffe oder für das Schieben und Drücken vorgesehene Flächen, damit man nicht mit den Händen am Glas herumtappen muss. Das ist aber auch nur eine Daumenregel. Und: In Ländern mit Linksverkehr passiert man Drehtüren im Uhrzeigersinn!

Habe ich vorhin darauf hingewiesen, dass Drehtüren Zeitkammern sind, in denen sich alles verlangsamt, so ist dies vor allem für die Fortbewegung innerhalb der Türe von Bedeutung. In Drehtüren wird nicht gegangen und schon gar nicht geschritten. Hier wird getrippelt und auf der Stelle getreten – möglichst kleine Schritte sind angesagt. Vor allem, wenn es sich um eine große Türe handelt und man sich hinter jemandem befindet, wünschte man sich oft, man könnte rückwärts gehen. Von hinten aber schiebt sich einem bedrohlich der nächste Flügel der Türe gegen die Fersen. Hier heißt es Ruhe bewahren und sich langsam und geduldig – tapp tapp tapp – nach vorne bewegen. Beobachten Sie Leute in solchen Drehtüren! Sie haben den Blick meist auf den Boden gerichtet.

Auch vor oder nach der Drehtüre ist Umsicht gefragt. Bei Hochbetrieb bilden sich nämlich schnell kleine Schlangen hektischer Menschen. Hier gilt gleiches wie beim Schilift: Dem Vordermann so nahe wie nötig, aber so entfernt wie möglich zu sein. Nicht auf die Schuhe treten und sich nicht auf die Schuhe treten lassen! In besseren Etablissements finden sich gleich nach den Drehtüren Schuhputzmaschinen – man weiß hier warum!

Das alles ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Ich möchte gar nicht genauer über die Gefahren und Ärgerlichkeiten von Drehtüren nachdenken – es würde mein Vertrauen in den menschlichen Erfindergeist erschüttern. Gott sei Dank hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles zum Besseren gewandelt. Drehtüren sind seltener geworden, und dort, wo man sie noch findet, gibt es meistens rollstuhlfreundliche Seiteneingänge, die daueroffen sind, weil Ungeduldige keine Drehtüren benützen wollen und sich also durch diese, gar nicht für sie bestimmten Eingänge zwängen. So hat auch die „Tür ohne Luftzug“ ihren Sinn eingebüßt. Man kann nur hoffen, dass dieses Ärgernis keine weiteren Früchte trägt als jene der großen, zweizelligen Drehtüren, die man an den Eingängen von Möbelhäusern oder Baumärkten findet und die gar nicht so schlecht funktionieren, wenn man sich ein wenig geduldig zeigt.

Eine Tür, die immer geschlossen ist: Dass das ein Blödsinn sein muss, hätte man sich auch gleich denken können.

Sonntag, 18. September 2011

9 Gründe, warum ich noch kein Amerikaner bin

Kulturelle Assimilation - eine interessante Sache. Das ist, wenn man sich anpasst. Passiert umso häufiger und heftiger, je größer die Unterschiede zur eigenen Kultur sind. Und natürlich je abhängiger man von diesem Umfeld ist. Lebt man über zwei Monate mit einer amerikanischen Familie zusammen, wird man notgedrungenerweise einiges von deren Lebensstil übernehmen. Nicht wegen übermäßiger Begeisterung über den amerikanischen Lebenswandel, sondern einfach nur, weil es vieles im Alltag einfacher macht. "When in Rome do as the Romans do", sagen die Amerikaner gern, halten sich aber selber kaum daran. Ich versuche, diesem Motto getreu zu handeln und habe es bisher großteils genossen. Ein paar Sachen gibt es aber schon, an die ich mich nicht gewöhnen kann - und die mich daran erinnern, dass ich noch kein richtiger Amerikaner bin.

  1. Meine Konfektionsgröße ist noch nicht groß genug. So musste ich gestern entsetzt feststellen, dass mein übliches Large nicht immer jenes Large ist, das ich von daheim gewohnt bin. Ich bin hier nicht large, zumindest nicht immer. Manchmal bin ich nur medium. Auch gut, denn als ich mich im amerikanischen large-Hemd verschwinden sah, erkannte ich die Eleganz amerikanischer Mittelmäßigkeit. Schockiert musste ich feststellen, dass es hier auch XXL-Pullover gibt. Das sind dann mittlere Pferdedecken für Menschen, dessen Dimensionen mich schon in der bloßen Vorstellung gleichermaßen einschüchtern wie erschrecken.
  2. Ich dachte, ich hätte mich an die ubiquitäre Vollklimatisierung gewöhnt. Doch gerade in den letzten Tagen, da der September seine herbstlichen Züge in Form von tieferen Temperaturen offenbarte, fand ich immer wieder Orte vor, an denen vergleichsweise arktische Gegebenheiten herrschten. Es mag vielleicht herrlich sein, sich in ein Auto setzen zu können, in dem es 18 Grad hat, während es draußen 40 Grad hat. An einem Septembermorgen bei erfrischenden 21 Grad aber in eine Kirche zu spazieren (die übrigens ein ausgemustertes altes Kino ist), wo man dann bei gefühlten 14 Grad einer Predigt lauschen darf - das erinnert dann zu sehr an die katholischen Verhältnisse daheim. Zumindest klimatisch gesehen. Ich mag also nach wie vor keine Klimaanlagen.
  3. Weil wir gerade beim Thema sind: An die Allgegenwart Gottes kann ich mich auch nur schwer gewöhnen. Es ist gut zu wissen, dass man nicht allein ist auf der Welt, aber hier findet man Gott auf Münzen, auf Nummerntafeln, im Fernsehen, in den Facebook-Statusmeldungen neu gewonnener Bekannter und vor allem in den alltäglichsten Gesprächen - zum Beispiel im Supermarkt zwischen Tür und Angel oder an der Verkaufstheke. "Garst du mir die Shrimps, während ich noch Brot und Gemüse kaufe?" - "Ja, gerne!" - "God bless you!" Was ich aber zugeben muss: Die Gottesdienste hier sind ziemlich lässig und gar nicht so blöd. Wer weiß, was mit mir passiert wäre, wäre ich hier noch länger geblieben und jeden Sonntag in die Kirche gegangen...
  4. Ich esse immer noch zu gerne mit Messer und Gabel. Amerikaner haben das nicht so gern und daran ist gar nicht die Fastfood-Kultur (was immer das auch auch sein soll) schuld. Denn auch extrem slow Gekochtes nimmt der Amerikaner gern in die Hand. Man schneidet mit dem Messer, aber sobald sich eine Möglichkeit bietet, das Besteck zur Seite zu legen, wird das auch getan. So ergibt sich auch die Eigenartigkeit, manche Speisen mit Messer und Gabel in kleine Stücke zu schneiden, sodann das Messer zur Seite zu legen, bevor die Gabel von der linken in die rechte Hand wandert, welche dann das Essen zum Mund führt. Weil das so kompliziert ist, lässt man das Besteck so oft es geht lieber gleich ganz weg.
  5. Mülltrennung halte ich für eine gute Sache. Deswegen graut es mir immer noch davor, Bananenschalen in einen Mülleimer zu werfen, wo schon Plastikverpackungen, Aludosen, Papier und Glas zusammen mit verschiedensten Essensresten sich ein munteres Stelldichein geben. Oft mache ich daher die Augen zu, wenn ich etwas wegwerfe. Ja, ich gestehe: Ich verschließe die Augen vor dem Grauen der Welt, vor der gesellschaftlichen Unverantwortlichkeit usw. Aber es geht nicht anders. Zudem wird mir immer wieder versichert, es gebe "Mexikaner", die für das Sortieren unseres Hausmülls bezahlt würden. Na dann...
  6. Gewehre und Pistolen sind für Soldaten, Polizisten und Jäger. Es sind keine Sammel- und Fetischobjekte, mit denen man mal eben schnell hinters Haus geht und die Nachbarn erschreckt. Selbstverteidigung? Von mir aus, aber dafür reicht doch auch eine Pistole - dafür braucht man keinen Schrank voll.
  7. Nicht jedes Getränk muss so gekühlt sein, dass es beim Trinken weh tut. Amerikaner sind Eiswürfelfanatiker. Ohne Eis ist ein Getränk kein Getränk. Egal, ob es sich bis unmittelbar vor dem Konsum im Kühlschrank befunden hat oder nicht. Du trinkst Wasser (das aus dem Kühlschrank kommt) ohne Eis? Gibt's nicht. Tu doch Eiswürfel rein! Warum? Weil es dann kälter ist! Wie, du willst es nicht kälter? Schön kalt muss es sein, sonst kann man das ja überhaupt nicht trinken. - Was, du meinst, das viele Eis nimmt deinem Getränk den Geschmack? Das Getränk muss doch nicht schmecken, es muss kalt sein! Tut mir leid, ich verstehe das bis heute nicht. Ich verwende Eiswürfel nur dann, wenn ich ein Getränk gekühlt haben will, das vorher ungekühlt war. Kälte ist keine Geschmacksrichtung, der ich etwas abgewinnen könnte. So zweifle ich bis jetzt auch an der Geschäftsidee meines Onkels, in Österreich Eiswürfel zu verkaufen. "Believe me, they would love it!", sagt er. Dass wir Eiswürfel haben, sie nur nicht überall hineingeben, versteht er gar nicht.
  8. Ich glaube nicht, dass Zu-Fuß-Gehen eine niedere Form der Fortbewegung ist. In den USA - zumindest in den ländlicheren Gegenden, werden Leute, die zu Fuß gehen, belächelt. Wer zu Fuß geht, muss wohl irgendwas falsch gemacht haben - er kann es sich wohl nicht leisten, zu fahren. Jeder Meter zu Fuß ist einer zu viel, denn Gehen ist anstrengend. Warum sollte man also gehen wollen? Das Konzept des Spazierens würde ich hier gerne mal vor einem größeren Publikum erläutern und dann in der Empörung, die mir förmlich entgegenströmen würde, baden.
  9. Kartoffelchips sind keine Beilagen für Sandwiches, Hotdogs oder andere "Hauptspeisen". Es sind ungemein ungesunde Knabbereien, von denen man möglichst wenig essen sollte. Hier wird man ernsthaft gefragt, ob man Kartoffeln oder Chips als Beilage für sein Abendessen haben möchte. Chips sind hier Grundnahrungsmittel. Müsste man das Notwendigste einkaufen, das eine amerikanische Familie an einem typischen Tag braucht - Kartoffelchips dürften auf keinen Fall fehlen. Milch, Brot (haha), Fleisch, Käse (haha) Chips, Kekse/Cracker. Speck und Eier vielleicht noch, dann hat man alles. Das Gute daran: Amerika ist ein Paradies für Kartoffelchips-Connaisseure - keine Sorte, die es hier nicht gibt. Das Schlechte daran: Man sieht es den Menschen an.
Man sieht: am schwierigsten gestaltet sich die kulturelle Assimilation beim Essen. Das Essen ist auch das, was ich am wenigsten vermissen werde. Nicht, dass es schlecht wäre. Es gibt hier natürlich auch viele interessante kulinarische Sachen zu entdecken. Aber irgendwie lässt dann die Bandbreite an tatsächlich gegessenen Nahrungsmitteln (Steak, Hühnchen, Speck, Bohnen, Kartoffeln) und deren Zubereitungsarten (frittiert, gekocht, gegrillt) doch zu wünschen übrig.

Donnerstag, 15. September 2011

Newer Leans?

Das englische Adjektiv „lean“ erscheint mir als eine nette, elegante Art, kümmerliche Dinge zu beschreiben. Wo immer ein bisschen zu wenig vorhanden ist, sage man „lean“ und schon klingt es wie eine edle Eigenschaft. Manche mögen behaupten, dass in New Orleans vieles „lean“, manches sogar zu „lean“ ist, dass die Beschreibung einiger Dinge stärkere Wörter wie „shabby“ oder gar „desolate“ verlangen würde. Das sind aber genau solche Leute, die einen ungläubig anstarren, wenn man ihnen erzählt, dass man vorhabe nach New Orleans zu fahren. Leute, die einen den blödsinnigen Tipp geben, ein Schlauchboot mitzunehmen. Blödsinnige Leute eben.

Gegen die gemeine Verunglimpfung durch euphemistische, substantivierte Adjektive, vor allem in Verbindung mit einem ironisch-antagonistischen „newer“, wehren sich die New Orleanians schon mit der Aussprache des Namens ihrer Stadt. So betonen sie stolz die erste Silbe von Orleans und nicht das New. Anstatt eines „Newer Leans“ erhält man so ein staunendes „New Oah!leans“. Damit sollen sich vor allem die Anfänger beschäftigen, denn gerade diese sollen gefälligst das Staunen lernen. Fortgeschrittene dürfen dann „N'awlins“ sagen - lässig, informiert und Kaugummi kauend.

Warum soll man also das Staunen lernen in New Orleans? Ein alter Grieche hat einmal behauptet, im Staunen liege der Beginn der Philosophie. In New Orleans braucht man aber keine Philosophie, sondern nur Augen und vor allem Ohren. Das Staunen in New Orleans gleicht vielmehr jenem Staunen, mit dem man zum ersten Mal einen Song seiner zukünftigen Lieblingsband hört. Ein aufgeregtes „Was ist das?“ schleicht einem langsam ins Bewusstsein, wird immer dringlicher und nimmt einen schließlich ganz ein. Man will um jeden Preis wissen, worum es sich bei dem, was man da gerade hört, handelt. Doch das ist zunächst ein rein informatives Verlangen. Denn bald will man wissen, warum das einen Staunen macht, was hier genau passiert und warum es einen nicht mehr loslassen will. So ist das auch mit New Orleans.

Wenn Savannah die hübsche Perle der Ostküste ist, dann ist New Orleans ihre wildere Cousine am ölverdreckten Golf von Mexiko, die sich die Haare färbt, sich tätowieren lässt und Drogen nimmt: gefährlicher, aber auch interessanter. New Orleans ist wild. Das sieht man nicht nur an den vielen Ambivalenzen, die sich einem sehr bald zeigen, sondern vor allem an der Vielfalt der kulturellen Entitäten dieser Stadt. Das Essen zum Beispiel, das hier einen noch höheren Stellenwert genießt als im restlichen Amerika (hier aber zu Recht!), ist ein fröhliches Potpourri aus karibischer, afrikanischer, amerikanischer, mediterraner und französischer Küche, welches mit den gängigen Begriffen (Cajun, kreolisch, Soul food) nur unzulänglich beschrieben werden kann. Aber auch hier ist man weniger philosophisch, begriffsanalytisch unterwegs, sondern verlässt sich auf die Sinne. Und deswegen gibt es in New Orleans kein schlechtes Essen.

Das allerwichtigste aber ist die Musik. Davon gibt es nämlich auch keine schlechte. Wandert man abends durch das French Quarter, tönen aus jeder noch so kleinen Bar Jazz, Blues, Funk und Soul in allen möglichen Varianten – und vor allem in einer von einem Mitteleuropäer noch selten gehörter Qualität. Hier hört man Künstler, die großteils im New Orleans Sound aufgewachsen sind, die von Kindesbeinen an mit ihrem Instrument beschäftigt waren. Künstler, die sich vor allem mit der Kultur ihrer Stadt, d.h. mit ihrer Musik identifizieren. Hat man in einer Bar zwei Acts an einem Abend gehört und will man nicht gleich in die nächste schleichen, obwohl es von dort so verlockend herausgroovt, setzt man sich in sein Auto und dreht das Radio an: schon wieder gute Musik! Musik ist hier allgegenwärtig, unausweichlich, ein Lebenselixier für die Menschen dieser Stadt und bald auch für jeden Besucher. Jeder hier lebt und atmet den Jazz. Und darum gibt es in New Orleans keine schlechte Musik.

Katrina – auch dieses Wort ist allgegenwärtig. Sechs Jahre nach dem verheerenden Hurrikan sind zwar noch Spuren davon sichtbar. Aber New Orleans ist nicht Haiti, und auch wenn damals in Sachen Katastrophenhilfe nicht alles besonders gut gelaufen ist, muss man sagen, dass sich die Stadt recht gut von Katrina (und Rita) erholt hat. Mit Unglücken dieser Art gehen Menschen nämlich erstaunlich produktiv um. Wenn eine Gemeinschaft ein Desaster dieser Art überlebt, wird sie stärker, selbstbewusster. Das sieht man an New Orleans nach Katrina genauso wie an New York nach 9/11. Waren die New Orleanians vorher schon etwas Besonderes, so muss ihnen das nach Katrina noch bewusster sein. Ich würde behaupten wollen, dass sich die Einwohner von New Orleans weniger amerikanisch fühlen als Amerikaner in anderen Teilen des Landes. Zum Beispiel übersteigt die Zahl der New Orleans Saints-Flaggen (hiesiges NFL-Team) und jene der fleurs-de-lis bei weitem die der Stars and Stripes. Man ist sich seines Sonderstatus gründlicher bewusst – und Katrina hat dazu wohl auch einiges beigetragen.




New Orleans muss man erlebt haben, und zwar nicht nur zur Mardi Gras Zeit. Kaum eine andere amerikanische Stadt bietet eine vergleichbare kulturelle Vielfalt, keine andere Stadt ist so schön und hässlich zugleich bzw. tritt in keiner anderen Stadt das Schöne im Hässlichen und das Hässliche im Schönen so greifbar hervor. New Orleans fehlt vielleicht jene Schicht des Euphemistischen, die die Amerikaner überall sonst vor der unmittelbaren Brutalität der Wirklichkeit schützt. Authentizität wie in Savannah, möchte ich fast sagen – aber noch ein bisschen exklusiver, ein bisschen rauer und unmittelbarer. Die vielen Amerikaner, die New Orleans besuchen, verwechseln das mit Unterhaltung – obwohl für diese natürlich auch gesorgt ist. Sie glauben, New Orleans ist eines dieser vielen Märchenländer, die es in den USA zum reinen Vergnügen ihrer Besucher gibt. Das ist freilich eine krasse Fehleinschätzung, aber die New Orleanians wären schön blöd, wenn sie das nicht ausnutzen würden. Deswegen gibt es die Bourbon Street – jene Partymeile, die einem ernsthaft Interessierten schon von weitem suspekt sein muss und die gefälligst zu meiden ist. Um New Orleans muss man sich schon ein bisschen bemühen. Die Entschädigung für das Bemühen aber ist das Staunen-Dürfen über die vielleicht interessanteste Stadt der USA: N'awlins, NOLA, 504, The Big Easy..., keinesfalls aber „Newer Leans“!

Mittwoch, 7. September 2011

(K)ein Regenschirm?

"Go see a museum!", ist die häufigste Antwort auf die Frage, was man an einem Regentag in New York City unternehmen soll. Davon gibt es ja hier mehr als genug. Museum of Modern Art zum Beispiel. Vorgestern gemacht. Das Guggenheim-Museum: gestern gemacht. Hätte es heute den ganzen Tag durchgehend geregnet und hätte es nicht diese kurzen, verlockenden Regenpausen gegeben, wahrscheinlich wäre heute das Met dran gewesen - und zwar den ganzen Tag.

Da Regenschirme über Köpfen balanciert werden, verdecken sie die wichtigste Blickrichtung in New York: nach oben. Also Regenschirm weglassen und sich anregnen lassen? Das ist nur eine unbefriedigende Lösung. Zähneknirschend hetzt man durch die Straßen, sucht Schutz vor dem Wasser in U-Bahn-Stationen und Kaufhäusern. Bei Hollister stehen die Beachboys auch bei einem solchen Wetter in Badehose vor der Türe und fragen frech "Hey, what's up?". Überhaupt sagt in diesem Geschäft jeder "What's up?" - und mehr darf man sich auch nicht erwarten. Um die Kommunikation zu verkürzen, deute man auf ein Kleidungsstück und sage "Large!", denn so dunkel, wie es in diesem Laden ist, lassen sich die Größen nur schwer selbst ablesen. Soll also der Beachboy suchen. Der wackelt kalifornisch mit den Hüften und beginnt zu kramen. Ich mag dieses Geschäft irgendwie nicht. Trotzdem kaufe ich was, werde in den obersten Stock des viel zu kleinen Geschäfts gescheucht, bezahle, bahne mir treppab den Weg zum Ausgang, wieder fragt man mich "What's up?", schön langsam werde ich zappelig.

Am Eingang wieder ein Beachboy, an ihm vorbei verlasse ich das Geschäft. Er schaut mich an, fragt "Hey, what's up, dude?", und wenn ich nicht wüsste, dass er das nur sagt, weil man ihn sonst hinausschmeißt, weil also ein "What's up?" zu wenig ihm den Job kosten könnte, dann würde ich ihm "Fuck you, dude!" sagen. Aber das tue ich nicht, weil er kann ja nichts dafür und überhaupt muss er in Badehosen bei einem Regentag auf der Fifth Avenue stehen und das ist Strafe genug, finde ich. Also sage ich nur "jaja" und gehe.

Im Zimmer föhne ich meine Kleidung. Regenschirm hab ich mir keinen gekauft. Denn immer, wenn ich im Begriff war, mir einen zuzulegen, wenn ich mir gedacht habe "beim nächsten Regenschirmverkäufer schlage ich zu", wenn mir also der Regen ins Gesicht peitschte und ich bereit war, mich dagegen mit einem Schirm zu schützen, immer dann war weit und breit kein Regenschirm zu finden. Kaum hörte aber der Regen auf, kaum fing meine Jacke an, trockener zu werden, kaum keimten die ersten Hoffnungsschimmer auf ein paar trockene Stunden: schwupps, da stolperte ich alle 30 Meter über einen schmierigen Regenschirmstraßenverkäufer. "Umbrella, umbrella!", schrien sie mir ins Ohr gleichsam als Stimme der Vernunft, weil sie ja eh Recht hatten. Aber ich dachte mir, dass es ja eh geht, dass es ja eh nicht mehr regnet, dass es vielleicht sogar ganz aufgehört hat. Vor allem dachte ich mir, dass, wenn ich mir jetzt einen Schirm kaufe, es sowieso nicht mehr regnen wird. Das ist wie mit der Zigarette und dem Autobus. Aber ein paar trockene Stunden waren mir anscheinend keinen Regenschirm wert; weil es gibt nichts Lästigeres als einen Regenschirm, den man nutzloserweise mit sich herumschleppt. Das brauch ich nicht, vor allem nicht in New York.

Also föhne ich lieber meine Kleidung und hoffe, dass morgen, wenn ich plane zu den US Open zu gehen, es zu Regnen aufgehört haben wird. Vielleicht kaufe ich mir am Vormittag doch noch einen Regenschirm - abergläubischerweise -, auch wenn ich ihn dann wie eine lächerliche Hasenpfote mit mir herumschleppe und er nicht zum Einsatz kommt. Wenn ich dann einen Beachboy treffen sollte, der mich frech "What's up?" fragt, dann kann ich den Schirm wenigstens für etwas Sinnvolles verwenden und den Beachboy damit ordentlich verhauen. Damit er nicht mehr fragen muss.

Montag, 5. September 2011

Savannah - Herz des Südens

In Savannah findet man das Herz des Südens: Es ist heiß, es ist schwül, die Häuser sind alt, die Pflanzen bedrohlich, es gibt jede Menge Fisch und Alkohol, beides wird in ansprechenden Kneipen serviert, und es gibt hier mehr Schwarze. Außerdem spukt es in den Häusern - das behaupten jedenfalls die Bewohner. Ob sie das selbst auch wirklich glauben, oder ob damit nur das Geschäft mit den Geister-Touristen angekurbelt werden soll, sei dahingestellt. Manche meinen, es seien die Seelen der vielen Sklaven, die diese Stadt einst beherbergt hat, welche keine Ruhe finden und die jetzigen Einwohner von Savannah immer noch plagen. "Selbst schuld!", ruft da der fälschlicherweise seine Hände in Unschuld waschen zu können glaubende Kontinentaleuropäer, "Hättet ihr sie nicht gequält, würden sie euch jetzt in Ruhe lassen!"

So beruhigen sich die noch in ihren lebendigen Körpern steckenden Seelen Savannahs mit Festen und einem Lebensstil, der an Romantik vielleicht von keiner anderen Stadt der USA zu überbieten ist. Ich spreche nicht von einer erotischen oder einer verträumten Nachtromantik, sondern von der Romantik des alten Südens. Diese Romantik hängt träge in der feuchtwarmen Sommerluft; fad neigen sich unter ihr die Bäume gen Boden, das spanische Moos in ihnen hängt wie das fransige Haar einer Greisin herab, als wolle es uns sagen, dass hier alles zu spät ist, dass sich hier nichts mehr rühren mag. Im gelbgrauen Licht eines späten Sonntag Nachmittags wandert man hier zwischen Parks und Alleen herum, ist unschlüssig, ob man dieses Städtchen ausgestorben oder quicklebendig nennen soll. Einerseits wirkt es wie ein Museum des amerikanischen Optimismus, andererseits verweist es augenzwinkernd auf seine schicke Anachronie und wird so zu einem hippen, postmodernen, subversiven Überbleibsel. Davon zeugen die vielen kleinen Galerien und Shops von lokalen KünstlerInnen, der Einfluss des Savannah College of Art and Design auf das soziale Gefüge und die Topografie der Stadt sowie das laissez-faire, das sonst in den USA so selten zu finden ist, weil so etwas den Amerikanern verdächtig ist und - vielleicht aufgrund seines französischen Ursprungs - sowieso nicht ernst genommen wird.

Und doch stehen da die vielen alten Häuser als Zeugen eines "imperialen Lebensstils" - Mahnmale der Sklaven- und Plantagenwirtschaft, des auserbeuteten Reichtums, des Traums vom alten Süden. So viele bekannte und wichtige Persönlichkeiten waren hier bzw. wurden gar hier geboren und/oder begraben. Damit gehen die Amerikaner aber fürchterlich locker um. Zur Geschichte ihrer Stadt haben sie eine Haltung, die irgendwo im weiten Feld zwischen österreichischer Wurschtigkeit und preußischer Wichtigtuerei lümmelt. Freilich ist man irgendwie stolz auf die Stadt - aber irgendwie ist das auch alles egal. Am deutlichsten merkt man dies auf Tybee Island, einer herzigen Insel nahe Savannah. Dort sind die Leute noch lässiger und lockerer als in Kalifornien, und dies mit einer angenehm unaufdringlichen Selbstverständlichkeit, die den sonst so ausgewiesen zwanglosen Westküstlern fehlt. Das hat nicht dieses Hoppsige, zappelig Surferhafte oder ultracool Relaxte. Es ist so unbetont selbstgenügsam, ohne arrogant zu wirken, was es sympathisch und authentisch macht.

Savannah, das ist Anti-Las-Vegas, das ist Authentizität ohne Aufpreis. Es ist klein und unaufgeregt, ohne dabei langweilig und vorhersehbar uninteressant zu sein. Savannah ist eine Perle, die man in den USA lange suchen muss und an der man mehr ihre Seltenheit als ihren Glanz schätzt. Da muss ich unbedingt wieder hin! Zuerst aber muss ich unbedingt wieder nach New York...

Donnerstag, 1. September 2011

Die Farbe macht den Unterschied

Kennen Sie Carolina-Blau? Das ist jene Farbe, die am Campus der University of North Carolina dominiert. Dieses zarte Blau ziert außerdem auch die Straßenschilder in Chapel Hill. Es ist eine freundliche Farbe und bietet einen schönen Gegensatz zum aggressiven Rot der Carolina State University - dem Lokalrivalen. Dass Amerikaner gerne T-Shirts und Kappen tragen, scheint bekannt zu sein. Dass dies aber ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses ist, scheint weniger bekannt. Mein Onkel sagt, hier trägt man Shirts und Kappen wie Reklamen für sich selbst. Die Kleidungsstücke signalisieren: "Hier war ich schon" oder "Das gefällt mir". Klingt irgendwie nach Facebook, nicht?

Es ist den amerikanischen Studierenden wichtig, die Zugehörigkeit zu ihrer Universität zur Schau zu tragen. Dies gilt besonders für angesehene Schulen oder Schulen, deren Sportteams sehr populär oder erfolgreich sind. Der Sport (meist Football) ist auch das Bindeglied zur außeruniversitären Gesellschaft. So ist in Tennessee die Farbe der Universität von Knoxville (University of Tennessee Orange) allgegenwärtig. Man findet sie nicht nur auf Nummernschildern deutscher Sportautos, sondern auch auf Fahnen, Wimpeln oder Schaukelstühlen vor den Wohnwägen der ärmeren Schichten. Natürlich identifiziert sich Joe the Plumber vorwiegend mit dem Footballteam der Tennessee Volunteers, und ist nicht wirklich "Fan" der Universität als Bildungseinrichtung. Aber man sieht, dass die Corporate Identities der amerikanischen Hochschulen so wirken, wie sie wirken: als Identifikationsangebote, die Patriotismus und Zugehörigkeitsgefühle gleichermaßen bedienen.

Wandert man also auf dem Campus der UNC herum, wird man bemerken, dass 2 von 3 Studenten irgendetwas Blaues tragen; egal, ob es sich dabei um Kappen, Hosen, Shirts oder Zehennägel handelt. Bemerkenswert ist, dass es sich dabei nicht um einen Uniformzwang handelt, sondern man hier ganz selbstverständlich und stolz die Farben seiner Alma Mater trägt. Einem Österreicher mag das komisch vorkommen, denn hierzulande ist das öffentliche und sichtbare Bekenntnis zu einer Gruppierung entweder höchst verdächtig, oder höchstens im Sport erlaubt - und selbst dort wird es sanktioniert, wenn man zu den "Falschen" gehört. Man verstehe mich nicht falsch: Ich muss nicht mit einem roten NC State T-Shirt über den UNC Campus laufen. Aber dass mir da was passieren würde, wage ich zu bezweifeln. Ich müsste höchstens mit ein paar scherzhaften Kommentaren rechnen oder würde verwunderte Blicke kassieren. Möchte ich mit einem Austria Wien Trikot durch Hütteldorf spazieren? Ich weiß nicht...

Vielleicht vergleiche ich hier Äpfel und Birnen. Aber wie in den USA Rivalität gelebt und interpretiert wird, finde ich sehr aufschlussreich. Man hat hier das sentimentale und unerträglich romantische Gefühl, dass das Gemeinsame (die Liebe zum Sport) das Trennende (die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Teams) übersteigt. Vielleicht ist das Zur-Schau-Tragen von Kappen und Shirts auch nur ein Schmäh. Der Amerikaner jedenfalls weiß, dass er von einem Typen, der die Kappe "seines" Teams trägt, erstmal nichts zu befürchten hat. So suchte mein Onkel auch am Strand von Daytona fast instinktiv die Nachbarschaft einer Familie, die im Sand ein Zelt aufgebaut hat, welches das Zeichen der Georgia Bulldogs trug. Und letztlich ist diese Selbstbewerbung immer auch ein netter Anlass zu einem Gespräch unter Fremden. Vielleicht ist es das, was den Amerikanern daran so gefällt: Man weiß, dass man vom Gegenüber nichts zu befürchten hat. Das mildert die latente Panik ein bisschen.

Bei uns gibt es auch so etwas. Da sagt man: "Am Berg triffst koane zwidan Leit!" Außer es handelt sich um Deutsche, gell?