Montag, 7. März 2016

Der Blick aus dem Fenster

Warum ich immer wieder gerne über das Wetter schreibe - ich weiß es nicht. Wahrscheinlich weil ich auch jeden Tag danach gefragt werde, und deswegen jeden Tag vor lauter Angst, keine Auskunft geben zu können, eine Wetter-App checke, um dann brav sagen zu können: "Heute wird es schön!" oder eben "heute bleibt es schlecht!". Jetzt ist die Sache die, dass es nur ein Wetter gibt, aber zahlreiche Wetter-Apps, die allesamt ein anderes Wetter versprechen. Darum gibt es auch Urlauber, die während Ihres Aufenthalts mehrere Wetter-Apps konsultieren, denn die Erfahrung zeigt, dass immer mindestens eine dabei ist, die jenes Wetter anzeigt, das sich der User erhofft.

So kann es natürlich vorkommen, dass meinem "morgen wird es schlecht" ein "auf meiner App steht aber Sonne!" entgegnet wird, wogegen ich wiederum nichts anderes sagen kann als: "Ja, naja, der Wetterbericht irrt sich ja ständig. Vielleicht ist es Ihrer, vielleicht ist es meiner, aber einer irrt sich bestimmt, weil es gibt ja immer nur ein Wetter!" Meistens empfehle ich den Gästen, die Tagesplanung nicht von jenem Wetter abhängig zu machen, das die App anzeigt (oder vielmehr vorschlägt), sondern lieber auf den nächsten Tag zu verschieben. "Es empfiehlt sich", sage ich dann immer, "in der Früh aus dem Fenster zu schauen", und komme mir dabei wahnsinnig blöd und besserwisserisch zugleich vor, "und dann zu entscheiden, was man mit dem Tag anfängt." Natürlich ist mir klar, dass das belehrend klingt, quasi wie ein Vater, der sich darüber mokiert, dass die Kinder lieber auf den Smartphone-Bildschirm schauen als in das wirkliche Leben hinaus. Deswegen schicke ich meinem Tipp hinterher, dass jedoch selbst der Blick aus dem Fenster mit Vorsicht zu genießen sei, weil es oft vorkomme, dass vor dem Fenster der Nebel hänge, dieser aber schon 100 Höhenmeter weiter oben sich vollkommen aufgelöst habe, und deswegen der einzig wahre Blick weder der auf das Smartphone noch der aus dem Fenster sei, sondern einzig und allein jener in den Fernseher: Dort läuft nämlich der Panoramakanal, und der zeigt, wie das Wetter wirklich ist!

"Ist denn das live?", werde ich dann ungläubig gefragt, wenn der Blick aus dem Fenster mit dem Blick in den Fernseher so gar nicht kongruent sein will, weil es oben sonnig, vor dem Fenster aber neblig ist. Schwierig wird es, wenn der Gast zu protestieren beginnt: "Auf meinem Handy steht aber, dass es heute bewölkt ist!" Da heißt es diplomatisch sein, und deshalb antworte ich in so einem Fall gerne, dass es dann sicherlich am Nachmittag schrecklich bewölkt sein werde, es nun aber, wie der Blick in den Fernseher bestätige, das "schönste Wetter" habe. Manchmal sage ich auch "Kaiserwetter" dazu, der Habsburger-Nostalgie halber, was die Wirkung verstärkt, denn niemand möchte bei "schönstem Wetter" oder eben bei "Kaiserwetter" im Haus sitzen bleiben und auf ein Smartphone starren, bis sich dort endlich die Sonne zeigt.

Jetzt kann man viel darüber philosophieren, dass die Welt unübersichtlich geworden ist und die Wetter-Apps dafür Pate stehen. Dass sich der Mensch von der Natur entfremdet und sich der Technik unterworfen hat und deswegen hilf- und orientierungslos im Strudel der Moderne (der nachmodernen Postmoderne!) wild rudernd unterzugehen droht. Mir liegt aber mehr daran, jene Menschen älteren Semesters in Schutz zu nehmen, die gerne bloß dasitzen, aus dem Fenster schauen und das Wetter beobachten und dieses dann knurrend oder seufzend kommentieren. Jene Menschen, die immer nur sagen "sche is" oder "schiach is", und für die es kein dazwischen gibt und die sich nicht auf waghalsige Prognosen einlassen. Die dem Irrsinn widerstehen, alles genau wissen zu müssen und möglichst auch noch den nächsten Tag und die nächste Woche und den nächsten Monat vorhersagen zu wollen. Menschen, die sagen, was der Fall ist. Die sind dann doch besser als jede App.