Mittwoch, 31. August 2011

Reise in einen unbekannten Bundesstaat

Auf einer wilden Rundfahrt durch den amerikanischen Südosten habe ich wieder zwei neue Staaten kennengelernt: Die Carolinas. North Carolina besticht durch seine für Südstaatenverhältnisse ausgesprochen vielfältige Vegetation, während South Carolina den Küstenreisenden schön langsam auf Florida vorbereitet. Diesmal erreichte ich aber den südlichsten Punkt in Savannah, der geschichtsreichen ältesten Stadt Georgias und sicher einer der schönsten Städte in den USA. Von dieser Reise versuche ich in einem ersten Teil über North Carolina zu berichten.

Wir bahnten uns unseren Weg durch das hintere Tennessee, wo am Fuße der Smokey Mountains der Ocoee-River einmal fließt, dann wieder gestaut wird. Hier fanden während der olympischen Sommerspiele 1996 die Wildwasser-Kajak-Bewerbe statt. Zu diesem Zwecke wurde das Flußbett erweitert und mit zusätzlichen Felsen ausgelegt; heute lässt sich kaum mehr unterscheiden, welche Steine schon da waren und welche erst später hinzukamen. Bei unserem Besuch zeigte sich die Szene ziemlich trocken, was darin liegt, dass dieser Teil des Flusses nur an Wochenenden geflutet wird. Unter der Woche wird das Wasser zur Stromerzeugung genutzt und über Kraftwerke geleitet. Daraus ergibt sich einmal mehr diese eigenartige Verbindung von schönster Natur und zweckmäßiger Technisierung derselben. Anscheinend lässt sich in den USA alles ein- und ausschalten, auch die Flüsse.


Weiter flussaufwärts gelangt man, vorbei Ortschaften mit klingenden Namen wie Ducktown, über die Hügel der Südappalachen nach North Carolina und damit in den Nantahala Nationalpark. Der Highway 74 bringt einen nordostwärts schließlich nach Asheville, wo man die Smokey Mountains langsam hinter sich lässt. Dort befindet sich auch das beeindruckende Biltmore-Haus, vermutlich das prächtigste historische Gebäude in den USA (mit Superlativen lässt sich nur schwer sparen!). Dafür hatten wir aber keine Zeit, weil North Carolina einer dieser Staaten ist, die sich ärger in die Länge ziehen, als es die Straßenkarte vermuten lässt. Und wir mussten nach Raleigh, der 4 Stunden entfernten Hauptstadt.


Was in North Carolina im Unterschied zu Ost-Tennessee und vor allem Nord-Georgia sofort auffällt, ist die abwechslungsreichere Vegetation. Besonders im hügeligen Westen des Staates finden sich kaum Nadelbäume, was im Herbst eine farbenprächtige Landschaft entstehen lässt. Erst hier lässt sich dann begreifen, was mit dem Begriff Indian Summer gemeint ist. Auch die Landschaftsarchitekten sind sich des floralen Reichtums der Gegend bewusst und deshalb werden sogar neben Autobahnabfahrten die schönsten Blumen, Sträucher und Bäume gepflanzt. Das alles aber mit angenehmer, fast ungewohnter Zurückhaltung.

Diese Zurückhaltung findet sich schließlich auch in den ländlichen Gegenden rund um Raleigh und Chapel Hill. Das Gras ist hier tatsächlich grüner als anderswo, die Häuser sind ein bisschen großzügiger und sauberer. Hier verschmelzt eine ländliche Idylle mit dem modernen, suburbanen Leben einer Gegend, die vor allem als Technologie- und Forschungsstandort bekannt ist. Die Universitäten (UNC, NC State, Duke University) gehören nicht nur zu den besten des Südens, sondern genießen auch internationales Ansehen.


Was Zentral-North-Carolina so reizvoll macht, ist genau diese Verbindung aus gemütlichen, ländlich geprägten Lebensstil und der Zukunftsgewandtheit in den Köpfen der Leute. Es fühlt sich hier alles richtig an, maßvoll, ja vielleicht sogar ein bisschen europäisch, obwohl viele Regionen Europas sich ein Beispiel an NC nehmen sollten. Und das alles geschieht ganz ohne großen Glanz - wer weiß hier schon über North Carolina bescheid? Insofern löst dieser Bundesstaat, der mir nun mein liebster geworden ist, sein hoch sympathisches Motto tatsächlich ein: Esse quam videri - mehr sein als scheinen.

Dienstag, 30. August 2011

Panik

Eineinhalb Monate bin ich nun schon hier, und wäre ich nicht so ein besonnener Bergmensch, den so schnell nichts aus der Ruhe zu bringen vermag, ich hätte schon ein paar Kübel voll Angstschweiß geschwitzt und müsste eines dieser Herzmedikamente nehmen, vor denen in der Fernsehwerbung gewarnt wird. Ja, tatsächlich werden Medikamente hier nicht nur beworben, es wird auch vor ihnen gewarnt, weil prinzipiell gilt, dass alles was existiert, auch gefährlich sein kann, ja vermutlich sogar mit ziemlicher Sicherheit gefährlich ist.

Die Pilgerväter sahen sich schon zu Beginn der US-amerikanischen Geschichte mit allerlei Gefahren konfrontiert. Das begann auf der Überfahrt von Europa nach Amerika und setzte sich im neuen Land fort. Denn dort sah man sich allerlei Widrigkeiten ausgesetzt, und hätte man nicht die netten Indianer gehabt, die den lustigen Briten und anderen Gesellen mit Rat und Tat zur Seite standen, wer weiß, ob das spätere Land der unbegrenzten Möglichkeiten sich nicht schon bald nach seiner Entdeckung als das Land der sehr beschränkten Möglichkeiten entpuppt hätte.



Auch heute noch lauert die Gefahr überall. Sei es in Form von Terroristen, bösen Bakterien, Haien oder Erdbeben: das Leben ist höchst ungewiss! Gerade erst beunruhigte Hurrikan Irene die Gemüter der Ostküste. Ich befand mich zufällig auf einem Trip nach North Carolina, wo Irene – aller Voraussicht nach – die Outer Banks verwüsten sollte. Von Raleigh aus, also in sicherem Abstand zum Ozean, beobachteten mein Onkel, dessen Freund und ich das Geschehen im Fernsehen. Unser Plan, das Wochenende am Strand zu verbringen, schien durchkreuzt und also begnügten wir uns mit einer kleinen Besichtigung der Gegend und der Aussicht auf schönes Wetter weiter südlich.

Einstweilen machte sich auf den Straßen Raleighs Panik breit. Die Tankstellen waren dauerbesetzt und in den Supermärkten waren die Milch- und Brotregale nahezu leer. Also kauften wir Bier, Chips, Eiscreme sowie Cracker und Käse, denn davon gab es nach wie vor genug. Tatsächlich wurde es dann auch recht stürmisch und regnerisch. Die Fernsehberichte von der Küste gaben sich zunehmend dramatischer, aber irgendwie wollte kein genügend großes Unbehagen aufkommen. Es schien, als suchten die Fernsehstationen verzweifelt nach ersten Opfern des Hurrikans. Stattdessen zeigten sich bloß ein paar Surfer, die sich über die hohen Wellen, die ihnen Irene bescherte, freuten.


Dann erfrechte sich Irene auch noch, sich zu einem Hurrikan der Kategorie 1 zu verharmlosen! Die Panik vor dem Sturm wich langsam der Panik davor, dass der Sturm nicht stark genug sein werde. „Wäre ich an Ihrer Stelle, würde ich mich nicht darum sorgen, ob es sich um einen Hurrikan der Kategorie 1, 2 oder 3 handelt. Ich kann Ihnen nur versichern: Sie wollen da nicht mittendrin sein!“, verkündete eine Sprecherin der Gouverneurin mit beschwörender Stimme. Das nächste Bild zeigte eine Strandbar, in der ein paar Leute eine „Hurrikanparty“ veranstalteten.

Auch New York, so hieß es, sei noch in Gefahr. Endlich schien sich eines der vielen Horrorszenarien aus den so beliebten Katastrophenfilmen zu erfüllen: eine Millionenstadt von der Natur bedroht! Unglücklicherweise musste man schon am nächsten Tag feststellen, dass Irene nun kein Hurrikan mehr war, sondern nur mehr ein Tropensturm. „Still pretty bad, still very dangerous!“, versuchte ein Nachrichtensprecher in lehrerhafter Manier die Panik verzweifelt aufrecht zu erhalten. Doch spätestens jetzt lachten nicht nur mehr die Einwohner Louisianas, sondern auch der Großteil der nördlichen Ostküste.

Es ist nicht so, dass Irene keinen Schaden angerichtet hätte, und leider mussten auch einige Menschen im Sturm ihr Leben lassen. Aber irgendwie beschleicht einen das Gefühl, dass die Medien den Menschen den Hurrikan schlimmer verkaufen wollten, als er tatsächlich war. Die Frustration darüber, dass Irene da nicht mitspielte, spiegelte sich in dem Fakt wieder, dass die Berichterstattung über den Hurrikan, sobald sich dieser zum Tropensturm wandelte, schlagartig weniger wurde – ja im Vergleich zu vorher geradezu aufhörte. Das tut nicht nur dem Sturm Unrecht, sondern auch den tatsächlichen Opfern Irenes.

Freilich ist man seit dem Katrina-Desaster vorsichtig geworden was Hurrikans betrifft. Leider scheint es aber auch eine gewisse Sensations-Erwartungshaltung zu geben, die Schäden und Tragödien fordert, während sie das Glimpfliche verachtet. Panik ist eine Grundbefindlichkeit des Amerikaners und sie will genährt werden. Wenn man dafür nicht ins Kino zu gehen braucht, ist es umso besser. Umso unbefriedigender ist es dann aber auch, wenn die Panik sich als scheinbar unbegründet herausstellt. Dann fühlt sich der Amerikaner von der Natur, der sowieso nicht zu trauen ist (wie schon die Pilgerväter erfahren mussten), zum Besten gehalten. Und die Medien sorgen sich um die Einschaltquoten. Das ist dann die wahre Katastrophe.

Dienstag, 23. August 2011

Viva die Unterhaltung! Viva Las Vegas!

Wir fahren in einem Mietwagen den Strip entlang. In der Vormittagshitze, die gerade im Begriff ist, zur Mittagsglut zu werden, tummeln sich drei Elvisse am Gehsteig. Sie lassen sich zwar bereitwillig von ob dieser munteren Maskerade vergnügten Touristen fotografieren, sind jedoch eigentlich gerade dabei, zu rauchen. Aber als King hat man keine Freizeit und schon gar nicht in Las Vegas, wo Leute voller Erwartung den ganzen Tag herumrennen, um genau dich zu sehen. Dich wollen sie, den King, zwar nicht den echten, aber einen, der sich so anzieht, seine Haare so trägt und ein wenig mit den Hüften wackelt, während er mit verstellter Stimme „Heartbreak Hotel“ in den viel zu hohen Kragen murmelt. Da hilft alles nichts; wenn du der King sein willst, musst du spuren!

Die drei Elvisse aber sind durchaus zu Faxen aufgelegt. Duldsamkeit ist die oberste Tugend im Umgang mit schon vormittags betrunkenen Touristen. Schließlich kann man es sich als Elvis auch nicht leisten, verprügelt zu werden. Und das soll was heißen, denn als Elvis kann man sich gerade in Vegas so einiges leisten! Tatsächlich genießt man als Elvis mehr Privilegien als etwa der stumme Michael Myers, seines Zeichens grausiger Protagonist der „Freitag, der 13.“-Horrorfilme, der traurig und unbewegt auf einem Sockel steht. In der prallen Sonne und so exponiert erschreckt er hier wohl niemanden, auch das blutverschmierte Messer in seiner Hand vermag das nicht zu ändern. Da er, wie so viele Figuren in Horrorfilmen, für gewöhnlich stumm zu Werke geht, ist es ihm auch nicht erlaubt, mit den Passanten zu sprechen, was aber nichts ausmacht, denn wer will sich schon mit einem Michael Myers unterhalten?

Mickey Mouse hingegen ist zum Freundlich-Sein verdammt, was ihren Handlungsspielraum ebenso erheblich einschränkt. Auch ein Iron Man klopft sich höchstens stolz auf die Brust und reckt die Faust martialisch in die Höhe; seine geringe Körpergröße aber lässt diese Gesten lächerlich erscheinen. Müsste ich es mir aussuchen, wen ich auf dem Las Vegas Strip verkörpern wolle, ich würde mich also für Elvis entscheiden. Der kann auch einmal eine Zigarette rauchen, ohne dabei unanständig zu wirken oder aus der Rolle zu fallen und damit seine Fans zu enttäuschen.

Werden einem die Straßenfiguren zu langweilig, begibt man sich eben zu Madame Tussauds ins Wachsmuseum. Ich muss zugeben, dass ich vorher noch nie in einem solchen war, weder in London, noch sonst irgendwo. Der Attraktionsgehalt von Wachsfiguren, zumal Nachbildungen von teilweise noch lebenden Menschen, erschien mir immer zu gering. Diesmal machte ich eine Ausnahme, ich wollte doch sehen, worum denn da so ein Bahoi gemacht wird, und auch interessierte mich der amerikanische Wachsfigurenkanon.

Tatsächlich kommt einem ein solches Kabinett, das im Grunde eine sonderbare Ansammlung von Absurditäten ist, in Las Vegas seltsam natürlich vor. Das stumme, einfache Dasein dieser Figuren beruhigte mich sogar ein wenig und erschien mir als angenehmer Kontrast zum sonstigen Treiben in den Hotels und Casinos. So machte ich brav ein paar Fotos von mir mit wahren und zweifelhafteren Berühmtheiten und war etwas enttäuscht, als ich das Museum wieder verlassen musste und draußen sich bewegende, lärmende und überhaupt nicht berühmte Menschen zu sehen.

Das Wachsmuseum aber bringt ein Wesensmerkmal von Las Vegas auf den Punkt: Das scheinbar zusammenhangslose Zusammenstellen seltsamer Artefakte zum Zweck des Bestaunt-Werdens. Die Beziehung der Figuren im Museum entspricht der Beziehung der Hotels zueinander außerhalb des Museums: Jedes ist anders, aber im Grunde sind sie doch alle ziemlich gleich. Und sie beeindrucken durch ihre bloße Anwesenheit. Dieses angenehm beliebige Konglomerat hat – wenn man so will – etwas Postmodernes. Trotzdem bleibt einem alles erstaunlich zugänglich, weil es doch auch den Gesetzen des Pragmatischen dienen muss. Jedes Hotel, jede Wachsfigur, jeder Spielautomat, jedes Restaurant, jedes Geschäft ist für sich vollkommen leicht verständlich und benutzerfreundlich (wie es der Tourist bzw. der „Amerikaner an sich“ will). Erst der Blick auf das Ganze (mit dem man sich in Las Vegas zugegebenermaßen nicht sehr lange aufhält) enthüllt die Ungereimtheiten, das Sinnlose im System, die absolute Beliebigkeit des ganzen Unternehmens, der ganzen Stadt.

So ist Las Vegas vielleicht eine Metapher für den allzu modernen Hang zum Universalentertainment. Es ist eine Stadt der kurzfristigen, vollkommenen Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit des Besuchers mit dem Preis, dass die übergeordnete Sinneinheit verborgen bleibt, d.h. man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Und das macht überhaupt nichts, weil man an dem Wald gar nicht interessiert zu sein braucht. Es ist Unterhaltung um der Unterhaltung willen – ein allgegenwärtiges Unterhaltet-Werden-von-etwas anstatt eines Unterhaltet-Sein-bei-etwas. So verlässt man die Stadt wieder und fragt sich etwas später: „Was war denn das nun eigentlich?“ Und dann hört man ein bisschen Elvis Presley, weil man vor lauter Elvissen total vergessen hat, wie sich der echte Elvis eigentlich anhört.

Ich würde Sin City weiterempfehlen, wenn ich mich dabei nicht schuldig machte...

Samstag, 20. August 2011

Viva das Künstliche! (Las Vegas I)


Der innereuropäische Urlauber sieht sich nach seiner Rückkehr aus dem Ausland mit vielerlei Fragen konfrontiert, deren erste und wichtigste immer jene nach dem Wetter ist. Wie das Wetter war, interessiert die Daheimgebliebenen anscheinend am brennendsten. Sei es, weil man dem Verreisten insgeheim Sturm und Hagel gewünscht hat aus Eifersucht, weil man selbst im Regen sitzen musste, oder sei es, weil man einfach nur an den klimatischen Verschiedenheiten zwischen der Heimat und der Urlaubsdestination interessiert ist. „Dort unten ist es schon Sommer!“, hört man etwa von einem zu Pfingsten in Italien Gewesenen. „Man glaubt es kaum, aber es hatte dort auch nur 18 Grad und das Wasser war kalt“, sagt zum Beispiel einer, der während eines gesamteuropäischen Kälteeinbruchs Ende Mai ein paar Tage in Kroatien verbracht hat. Wie auch immer das Wetter im Urlaub war, es ist – wie auch sonst im Alltag – ein beliebtes Gesprächsthema für Heimkömmlinge und interessierte Daheimbleiber.

In Amerika ist das ein bisschen anders. Hier scheint man immer schon zu wissen, wie das Wetter war. Das gilt vor allem für Reiseziele, die nur wenigen meteorologischen Schwankungen unterliegen – wie zum Beispiel Las Vegas. Niemand fragt nach dem Wetter in Las Vegas, weil es dort immer gleich ist: heiß und trocken. Aber auch, weil das Wetter in Vegas sowieso keine Rolle spielt, interessiert es niemanden so wirklich. Denn Las Vegas existiert im Prinzip nur im Drinnen. Das Draußen sind lauter Lichter, die auf das, was drinnen ist, aufmerksam machen wollen. Und dem Drinnen ist es egal, ob es draußen kalt ist oder nass, heiß und feucht oder staubig, oder was auch immer. Denn das Drinnen ist klimatisiert, manchmal auch odorisiert, in jedem Fall aber hermetisiert – was drinnen ist, bleibt drinnen, oder sagen wir es so: What happens in Vegas stays in Vegas.

Meine Vermutungen (nennen wir sie Vorurteile, das klingt weniger informiert) haben sich tatsächlich bestätigt – bis auf einen Punkt: das Künstliche. Als Österreicher sehe ich das Künstliche als das Gegenteil des Authentischen. Das Authentische, so verrät schon das Wort, hat etwas mit einem Tisch zu tun. Zum Beispiel mit einem Biertisch, auf den man anständig hauen kann, wenn man etwas Ehrliches zu sagen hat. Oder denken wir an einen Esstisch, auf dem man die Gaben beim Erntedankfest ausbreiten kann, die so authentisch und natürlich aus der Erde gewachsen sind, dass es einen beim Reinbeißen zwischen den Zähnen geradezu erdelt. In Las Vegas habe ich aber gelernt, dass authentisch auch anders geht, nämlich indem man das eigentlich Lächerliche derart ernst nimmt und es so gut macht, dass man als Rezipient, als Konsument oder einfach als Besucher oder Betrachter gar nicht mehr um den Unterschied zwischen künstlich und authentisch besorgt ist. Es ist einfach, wie es ist. (Schwachfugige Einfügung dazu: Hierbei handelt es sich um eine Abwandlung des parmenidischen Grundgedankens, welche sich auf die Essenz mehr denn auf die Existenz bezieht.)

Alles, was in Las Vegas an Attraktionen zu finden ist, ist in sich perfekt. Der große Vorteil, den Vegas dabei hat, ist, dass es sich selbst die Latte legen konnte. Viele Unternehmungen mögen genau an diesem Punkt scheitern, für Vegas scheint es geklappt zu haben. Die Hotels bieten alles, was das Herz begehrt, und zwar deswegen, weil sie genau all das bieten, was der Las-Vegas-Besucher erwartet: Unterhaltung. Sie beeindrucken von außen und innen mit aufwändiger Architektur, jeder Menge Möglichkeiten, sein Geld zu verlieren und jeder nur erdenklichen Form der Verköstigung aller Sinne. Als Österreicher, der sich schon gerne mal mit dem Bier-Wurscht-Spritzer-Angebot eines mittleren Volksfestes zufrieden gibt, ist man zunächst vielleicht überfordert. Dann aber realisiert man, dass man in Las Vegas eigentlich nichts zu tun braucht, außer von einem Hotel zum anderen zu gehen (oft muss man sich nicht einmal bewegen), somit also genügend Zeit hat, sich dem Geschehen eingehend zu widmen. Nichts läuft einem hier davon. Nicht nur, weil hier alles 24 Stunden verfügbar ist, sondern auch weil alles darauf ausgelegt ist, wiederholbar und reproduzierbar zu sein.

Nehmen wir als Beispiel das Venetian-Hotel, welches sich zur Aufgabe gemacht hat, Venedig zu simulieren. Freilich meint jeder, der schon einmal in Venedig war, dass ein solches Unterfangen nicht nur unmöglich, sondern geradezu blasphemisch sein muss. Die Amerikaner wären aber noch blöder, als wofür viele sie ohnehin schon halten, wenn sie nicht wüssten, dass man Venedig nicht als Hotel nachbauen kann. Also machen sie folgendes: Sie bauen ein besseres Venedig. Eines ohne (oder nur mit dem essentiellen) Schnickschnack, eines ohne Dreck und Gestank, ohne Tauben, ohne lächerlich hohe Preise für Getränke und ohne unverständliche Einheimische – ein Venedig, wie es sich ein durchschnittlicher Tourist wünscht. (Wir sprechen hier klarerweise nicht von einem italophilen Kunsthistoriker, der an jeder Stadt gerade „das Touristische“ so abstoßend findet, sondern von einem einfachen, unschuldigen Amerikaner in Europa!) Ein solches Venedig hat schöne Häuser, tolle Geschäfte zum Einkaufen, einen Kanal mit Gondeln und singenden Gondolieren, gutes Essen, hervorragendes Eis und ist sauber. Bekommt man das alles noch in ein Hotel hinein und simuliert beleuchtungstechnisch Tag und Nacht, hat man genau das, was das Venetian-Hotel bietet: Venice in a nutshell, die italienische Stadt quasi als Smartphone-App – leicht zu bedienen, übersichtlich, praktisch, unterhaltsam. Freilich nicht das echte Venedig, aber eine Einkaufsmeile mit Stil und Geschmack, nettem Ambiente und einem Charme, der einen kurz vergessen lässt, dass man sich eigentlich im bösen, unauthentischen Las Vegas befindet und gerade fürchterlich zum Narren gehalten wird.

So habe ich mich tatsächlich infizieren lassen, nannte das Venetian großartig und eines der am besten gelungenen Hotels der Stadt, bis ich auf die Straße trat und sah, wie Touristen auf einem Rollsteig über eine, das Venetian mit einem anderen Hotel verbindende, Rialtobrücke gezogen wurden. Da meldete sich der europäische Kulturelitarismus zurück und ich weigerte mich, die Rialtobrücke quasi fahrend zu überqueren. Eigensinnig und mit von den Rollsteig fahrenden Touristen abgewandten Gesicht schritt ich eilig über die Brücke, während ich meiner duldsamen Cousine erklärte, dass dies nun doch zu weit ginge und dass man ein bisschen Respekt auch noch haben müsse, wenn man schon versucht, eine Stadt wie Venedig nachzubauen und so weiter. Ich sagte ihr, sie würde das verstehen, wenn sie erst einmal Venedig sehe, welches ich ihr, so sei mir gerade klar geworden, bei ihrem nächsten Besuch mit Sicherheit zeigen werde. Zwar grinste sie verständnisvoll, was sie sich aber dachte, wusste ich nicht und will ich auch im Nachhinein nicht vermuten.

Warum man allerdings, wenn man in Las Vegas die Rialtobrücke überquert, vor Madame Tussauds' Wachsmuseum landet, versuche ich beim nächsten Mal zu erklären.

Samstag, 13. August 2011

Viva Las Vegas?

Was einen in Las Vegas erwarten wird? Ich stelle es mir wie ein großes Minimundus mit viel mehr Lichtern und zweifelhafteren Besuchern vor. Vegas ist wohl in vielerlei Hinsicht "typisch amerikanisch": Alles ist groß, beleuchtet, laut, oberflächlich und vergnügungsfunktional ausgerichtet. Vor allem aber ist es künstlich. Nachdem die Stadt durch die Legalisierung des Glücksspiels einen Aufschwung erfahren hat, an dem auch die Cosa Nostra nicht unbeteiligt war, musste man sich irgendwann vom Image der Stadt der Sünde lösen, weil das in den USA nie gut kommt. Also nannte man sich Stadt der Unterhaltung, nahm sich Disney zum Vorbild und wurde so zum Vergnügungspark für Erwachsene.

Berühmte Leute aus Las Vegas fallen mir nicht viele ein. Da wäre einmal Andre Agassi, der in der fürchterlichen Hitze von Nevada Tennis spielen lernen musste. Und dann fallen mir noch die Killers ein, eine Band, von der ich nicht weiß, ob es sie noch gibt. Aber berühmte Leute in Las Vegas: Ja, da sieht die Sache schon anders aus! Gerne würde ich ja eines dieser versoffenen Elvis-Doubles sehen, oder einen gescheiterten Musical-Schauspieler, der jetzt in Vegas den Franz Sinatra gibt. Vermutlich sehe ich mir aber dann doch lieber ein Gladys Knight Konzert an, denn zu Celine Dion bringt mich nichts und niemand und was ich von der Blue Man Group halten soll, ist mir nach wie vor nicht klar.

Und dann die Casinos! Vor allem möchte ich wissen, ob die Casinobesucher auch so aussehen wie im Film. Das wäre eine riesen Enttäuschung, wenn dem nicht so wäre; aber warum sollte ausgerechnet Las Vegas eine Ausnahme sein und sich nicht in Wirklichkeit genauso zeigen wie im TV? Da wäre ich regelrecht beleidigt und würde enttäuscht an der glitzernden Krempe meines beleuchteten Cowboyhuts kauen, während ich sinnlos die Einarmigen Banditen füttere, solange bis drei Kirschen oder Zitronen oder was weiß ich was erscheinen und es mir dann die Münzen entgegenschwemmt. Dann rüber zum Roulettetisch und alles auf Schwarz - denn entweder zahlt es sich richtig aus, oder es war eh alles umsonst. All or nothing, rien ne va plus, All in, double down: weiß der sprichwörtliche Kuckuck, was Vegas alles in petto hat. Ich versuche mich überraschen zu lassen.

Man liest sich nächste Woche wieder

Zeller Weisheit

"Bei dem Essn, wos de Amerighana mea aufwaama als kochn, miassatst de gonze Zeit an Schnopps trinkn, dass d'es dabloust. Owa weis Schnopps a koan gscheidn homm, duast es oft doo nid!"

Donnerstag, 11. August 2011

Ruhige Tage und ein Friseurbesuch


Die Hitze, in der ich in diesen Tagen liege, ist keine sengende mehr, wird aber ihrem Wesen trotzdem noch gerecht. Es hat abgekühlt, das heißt die Temperatur liegt in den niedrigen 30ern, vor allem aber hat die Luftfeuchtigkeit abgenommen, was das faule Herumliegen am Pool erträglicher macht. Sogar das Wasser hat seine Kinderbeckenwärme verloren und konnte heute erstmals „kühl“ genannt werden. Im Radio laufen die ewig gleichen Countrylieder, die einem mittlerweile schon egal sind – das eine oder andere findet man sogar schon ganz gut. Die in der Einfahrt liegenden Blätter brechen unter den Reifen der Autos; das Geräusch erinnert mich bezeichnenderweise an Kartoffelchips: die Amerikanisierung der Sinneseindrücke. Tatsächlich sind die Blätter schon welk. Die Hitze und der wenige Regen tragen Schuld daran, dass, vergäße man auf die Hitze, fast schon Herbststimmung aufkommen mag.


Momentan verbringe ich ruhige Tage in meinem Sommerdomizil. Das zwingt mich immer öfter vor den Fernseher, der hier den ganzen Tag läuft. Abends schaue ich Baseball, denn die Footballsaison hat noch nicht angefangen, und irgendwie habe ich ein bisschen Gefallen an diesem relativ langweiligen Sport gefunden. Morgens laufen meist Nachrichtensendungen, in denen aufgeregte Herren in diesen seltsamen, an den Schultern und Armen aufgebauschten amerikanischen Hemden auf die Regierung schimpfen, während im Hintergrund, wie zum Beweis für ihre Ausführungen, Aktienkurven eingeblendet werden. Am späteren Vormittag geben dann Ärzte Gesundheitstipps. Warum diese TV-Doktoren in Operationsklamotten oder weißen Kitteln im Studio sitzen müssen, bleibt schleierhaft. Heute jedenfalls war ein plastischer Chirurg aus Florida (woher sonst?) zu Gast, der den verblüfften Zuschauern erklärte, was ein Miami Thong Lift ist. Dabei handelt es sich um eine operative Korrektur des Fettgewebes am Gesäß, welche den perfekten Sitz des String Tangas sicherstellen soll. Seine zufriedene Patientin präsentierte dem Publikum stolz ihren neuen Podex, was heftig bejohlt und beklatscht wurde. Es ist leider großteils Bildung dieser Art, die mir den Horizont erweitert.


Gestern allerdings durfte ich einen Friseurbesuch über mich ergehen lassen. In der Daltoner Altstadt befindet sich ein Herrensalon, der von zwei Männern vom alten Schlag geführt wird. Das Geschäft besteht seit den 60er Jahren und hat sich seitdem wohl nur wenig verändert. Aber auch die Haarschnitte haben sich kaum verändert, deswegen warnt mich mein Cousin Chuck im Vorhinein: Da die beiden großteils Senioren als Kunden hätten, ginge es zwar relativ schnell, leider aber würden sie kaum Erfahrung mit dichtem Haar und jugendlichen Schnitten haben; besonders der Ältere, so mein Cousin, habe ihm schon den einen oder anderen Idioten-Schnitt verpasst. Ich werde ein wenig nervös, der Gedanke an meine ständig größer werdende Baseballkappensammlung beruhigt mich aber gleich wieder. Ich nehme mir eine Sports Illustrated und blättere darin. Henry, so der Name des jüngeren und talentierteren der beiden Friseure, entlässt gerade seinen letzten Kunden. Vor meinem Cousin und mir ist noch ein anderer Herr an der Reihe. Dieser aber sagt, er würde warten, bis der andere Friseur Zeit für ihn habe. Chuck springt sogleich auf und läuft Henry entgegen – es wirkt irgendwie erleichtert. Ich überlege kurz und komme zu dem Schluss, dass, da der Herr vor mir ohnehin mit dem „schlechten“ Haarschneider vorlieb nehmen will, ich wohl auch von Henry geschnitten werden würde.


Als der ältere Friseur mit seinem letzten Kunden fertig ist, will der freundliche Herr, der jetzt an der Reihe wäre, mir aber seinen Platz überlassen. Er sagt, er habe ohnehin den ganzen Tag nichts zu tun und sei eigentlich nur zum Quatschen hier. Sein weniges Haar bedarf nur einer kurzen Behandlung, und da ich, wie ihm aufgefallen sei, zusammen mit Chuck gekommen bin, wäre es ihm ein Vergnügen, mir den Vortritt zu lassen, damit mein Cousin nicht auf mich warten müsse, sobald dieser fertig sei. Nie war mir ein freundlicher Mensch so unangenehm! Ich erkläre ihm, dass ich, vielmehr dass mein Cousin und ich, wohl noch viel weniger zu tun hätten als er und dass es mir höchst unangenehm wäre, mich hier in irgendeiner Art und Weise vorzudrängen, wo ich doch nicht einmal von hier sei und so weiter.
Aber gerade als Gast hätte ich doch das Vortrittsrecht, sagt mir der zu freundliche Herr, während der schlechte Friseur mich schon grinsend zu sich winkt, bedrohlich mit seiner Schere die Luft zerschnippselnd. Ich fuchtle mit meiner Sports Illustrated und stammle irgendetwas davon, dass ich gern noch die Wartezeit nützen würde, um diesen Artikel fertig zu lesen, während ich auf das Bild eines mir vollkommen unbekannten Baseballspielers zeige.
Aber ich könne doch die Zeitschrift mit auf den Frisierstuhl nehmen, meint der schlechte Friseur. Nein, das könne ich nicht, sage ich, denn dann müsste ich entweder dauernd den Kopf senken, was dem Gelingen des coiffeurschen Handwerks unzuträglich wäre, oder aber mir die Zeitschrift hoch vor das Gesicht halten, was meine Arme schon nach wenigen Minuten schwer werden lassen würde. Während ich das sage, zeige ich mit übertriebenen Gesten umständlich vor, was ich meine. Der Friseur und der freundliche Herr lachen und geben schließlich nach. Ich bin gerettet.


Tatsächlich schneidet Henry ganz ordentlich. Die Tatsache, dass ich zum ersten Mal von einem glatzköpfigen Friseur geschnitten werde, finde ich bemerkenswert. Henry lobt die Farbe meines Haares und auch die Dichte. Es finde sich aber das eine oder andere graue Haar, so er. Ich sage ihm, dass mir das keine Neuigkeit sei, verzichte aber – aus Rücksicht auf Henrys blanken Schädel und seinen weißen, fast mönchsartigen, Haarring, der sich von Ohr zu Ohr zieht – auf die Bemerkung, die ich in solchen Situationen sonst zu machen pflege, nämlich, dass ich froh sei, noch viele Haare zu haben und ich deswegen die paar grauen verschmerzen könne. Henry scheitelt mir das Haar streng und tatsächlich sehe ich jetzt aus wie ein amerikanischer GI aus den 50er Jahren. Zufrieden stehe ich auf und gebe Henry 10 Dollar, die er in einer Lade seines großen Friseurtisches verschwinden lässt. Er wünscht mir noch einen schönen Aufenthalt, ich verspreche ihm, ihn weiterzuempfehlen und Henry lacht vergnügt. Vor dem Laden wartet Chuck. Wir sehen uns gegenseitig prüfend auf den Kopf und nicken uns zu. Für jemanden, der uns in diesem Moment beobachten würde, sähe es wahrscheinlich so aus, als würden wir mit dem Nicken einander Mut machen wollen.

Dienstag, 9. August 2011

Gespräch über Schopenhauer

[...]

und der schopenhauer soll ja mit einem pudel durch frankfurt stolziert sein, seinerzeit also schon eine karikatur wider willen und wissen. da darf man auch ohne gewissenbisse reinzitieren!

ach wirklich?
das ist interessant, weil der grazer philosoph götschl eine schopenhauer-mattn hat.
und zufällig hat auch dieser götschl einen pudel.
das ist geradezu verdächtig

das ist extrem verdächtig!

da müsste man ihn darauf ansprechen.
ob er ein schopenhauer sein wolle, müsste man den fragen
"Herr Professor, wollen sie etwa ein Schopenhauer sein? Oder wollen sie diesen nur darstellen? Oder gar karikieren, Herr Professor?"

*g*

Sind sie die Mimesis eines Schopenhauers, Herr Professor?

oder SIND sie schopenhauer?

das könnte sein, dass der hund der schopenhauer ist.
also nicht der hund, der pudel.
der hund als professor.

*gg*

bzw der professor ist ein hund, gleichzeitig aber ist er der schopenhauer höchst selbst.
und er HAT einen hund

schade, dass es keine fotos von dem hund mit seinem pudel gibt *g*

ich hab ihn einmal beim baumarkt gesehen, den hund mit dem pudel. also den professor götschl mit dem hund

Der Philosoph, der gerne Schopenhauer wäre und eigentlich ein Hund ist, hatte einen Pudel.

absurderweise beim baumarkt. am parkplatz vorm baumarkt eigentlich.
den hund mit pudel, hab ich gesehen.


http://www.uni-graz.at/newswww_detail?reference=106414
der hund hat echt eine schopenhauer frisettn

einen schopenhauer mitsamt den pudel

vl wollte er sich eine hündehütte bauen ;-)

ich sag ja, der ist der schopenhauer höchst selbst.
hat sich der schopenhauer je eine hundehütte gebaut?
oder zumindest eine für den pudel
pudel wohnen aber nicht in hundehütten, wie mir scheint.
in hundehütten wohnen eigentlich nur gefährliche hunde. die sind an hundehütten festgekettet und dürfen nicht ins haus, weil sie dort die kinder beißen, sag ich dir.

nein ich glaub auch nicht

pudel sind harmlos, die schauen so flauschig aus und dürfen im haus sein.

sogar am kanapee dürfen die hunde, also die pudel, liegen

deswegen hatte der schopenhauer auch einen pudel, weil der im haus sein darf. weil der schopenhauer mochte ja keine menschen, sagt man.

es gibt ja eine geschichte, die besagt, dass der schopenhauer seinem ersten pudel - der sich Butz nannte - aus "Die Welt als Wille und Vorstellung" solange vorgelesen hat, bis dieser nichts mehr fressen wollte.

jetzt ist aber der schopenhauer ein hund, also die hütte, in der der schopenhauer haust, eine hundehütte. nun ist aber der pudel doch wieder in der hundshütte drinnen, wenn er im haus haust.
siehst, der schopenhauer mochte nicht einmal die pudel. und die menschen schon gar nicht.
und butz... das ist ja wie im pinzgau.

*g* schaut so aus. der größenwahnsinnige philosuff hat einen pudel, der butz heißt.
das ist ja eigentlich ein witz

nur dass im pinzgau keiner seinen hund butz nennen würde, weil sich dann die kinder automatisch davor fürchten würden.
ich glaub, der schopenhauer hat das absichtlich gemacht. der wollte immer nur witzig sein.

das hab ich mir auch schon gedacht
dass er das aus welt- und menschenverachtung gemacht hat

deswegen nannte er sein buch "die welt als wille und vorstellung" (was ja eigentlich schon der erste witz ist) und schreib dann geckhaftes zeug rein.
der wollte die leute ärgern

*g*
ist ihm ja auch gelungen!

der lehrer lempel würde sagen, das kommt, weil die leute dumm sind.

Daß mir der Hund das Liebste ist,
sagst Du oh Mensch sei Sünde,
doch der Hund bleibt mir im Sturme treu,
der Mensch nicht mal im Winde.

sein butz hat ihn sogar zum dichten veranlasst ;-)

Montag, 8. August 2011

Peripatos

Denke einer einmal im Liegen nach! Das Auf-dem-Rücken-Liegen scheint mir die ungünstigste Position zu sein, die Gedanken in den freiesten, aber dennoch sicheren Bahnen schweifen zu lassen. Als sammle sich alles Blut im hinteren Teil des Hirns, welcher, soviel Verständnis sei auch dem Laien zugemutet, für vernunftgeleitetes Reflektierten ganz und gar nicht sich geeignet zeigt, macht sich in dem vorderen Kopfe eine Leere breit, die mit den besten Gedanken mühsam zu vertreiben niemand die Kraft aufbrächte, sei ihm daran gelegen, den Kopf mit erbaulichen Inhalten zu füllen. Es ließ sich der gegenteilige Effekt, dass also das Blut sich in der vorderen Stirne sammle, durchaus dadurch erzielen, dass man es sich auf dem Bauche liegend bequem machte; doch bedenke man für diesen Fall die Schwierigkeit des Atmens, welche sich durch allzu große Reibung zwischen dem Gesichte und der jeweiligen Unterlage ergäbe und welche Unannehmlichkeit ein solchermaßen bedrängtes Gesicht, wie es sich durch eine plattgedrückte Nase am ehesten verbildlichen ließe, bei dem Liegenden verursachen müsse! Auch das Drehen allein des Kopfes nach der Seite führt das Problem der ungünstigen Blutverteilung im Gehirne keiner zufriedenstellenden Lösung zu. Mutlos schwappt das Blut im Hirn umher, wohin man den Kopf auch dreht, nur dort, wo der geistig angestrengte Mensch es haben will, ja haben muss, dort will es nicht hin.

Nun soll es Zeitgenossen geben, die sitzender Weise nachzudenken pflegen. Doch ei, auch diese Haltung des Körpers führt nicht dazu, das vordere Hirn genügend mit jenem sauren Stoffe, der Oxygenium genannt wird, zu beliefern. Das Blut sackt in die geknickten Beine und verharrt dort, nur wenig vom Kreislauf in die Schwünge gebracht und nur zaghaft in den Kopf vordringend, der, man bedenke dies!, in sitzender Position den höchsten Punkt des Körpers markiert, und dadurch von der Schwerkraft auf die dringlichste Weise angezogen wird. So senkt sich langsam das Haupt vieler, in solch sitzender Position verweilender, Berufsdenker über einen längeren Zeitraum hinweg, der Kopf strebt also dem Studiertisch entgegen, die Muskeln im Nacken fallen einer sich über den ganzen Körper ausbreitenden Müdigkeit anheim. Dies zum mindesten hat die Wirkung, dass jenes wenige Blut, welches noch in den feinen Äderchen des Kopfes kreist, nach vorne, also gegen die Stirne gedrückt wird und es also zu jenem gewünschten Effekte kommt, welcher uns von vorneherein oberster Zweck gewesen war. Jedoch, dieses Blut ist selbst müde und verbraucht und seine Wirkung in der Stirne beschränkt sich alsdann auf eine kurzweilige Anhebung der Konzentration, welche zu dem Zeitpunkte, da der Studierende bereits halb vornüber gekippt war, in demselben ein Erlebnis auslöst, das am gelungensten mit dem Worte 'Wachschock' zu beschreiben wäre. So reißt jenes Absinken des Kopfes den Müden aus seinem Dämmern, dem Wunsch nach ausreichender Durchblutung der vorderen Hirnregionen zum Zwecke des Denkens ist aber nicht genüge getan.

Wie also Nachdenken, wenn nicht im Liegen und auch nicht im Sitzen? Es bleibt als einzige Möglichkeit noch der beherzte Gang, der flotte Schritt ohne bestimmtes geographisches Ziel, wohl aber mit der intentio, dass sich im Kopfe einiges rühre. Das Gehen nämlich treibt den Kreislauf, und obschon hier für die Position des Schädels das gleiche gelte wie beim Sitzen, nämlich dass er in der Höhe sich befinde und also der Kreislauf gegen die Schwerkraft anzukämpfen habe, ist es uns augenscheinlich, dass die ungleich größere Kraft des durch Bewegung erhitzten Blutkreislaufs diese Schwierigkeit allzu leicht zu umgehen weiß. Zudem befände man sich, ginge man nachdenkend spazieren, in der frischen Luft, welche besonders in Wald- und Wiesengegenden mit dem frischesten Sauerstoffe die Lungen zu versorgen sich im allerhöchsten Maße anschickt. So wandle man also, ganz nach Lehre des Peripatos, denkend durch die Welt, anstatt sich im Hause sitzend zu quälen oder gar liegend jene kostbare Zeit, die jeder Erdenmensch, der ja nur ein Wurm ist, zur Verfügung hat, vergehen zu lassen!

Ein Schuss Lebensgefühl


Chester sitzt auf der Veranda und beobachtet die Futterstation, die er für die Kolibris aufgestellt hat. In den letzten Tagen haben größere Vögel das Kolibrifutter für sich entdeckt und laben sich seitdem frech daran, was die kleinen Kolibris natürlich abschreckt. Chester aber hat sich zum Ziel gesetzt, die großen Vögel zu vertreiben und so den Kolibris zu ihrem Futter zu verhelfen. Deswegen sitzt er auch mit einem Revolver in seinem Schaukelstuhl, um im „Ernstfall“ auf die Vögel schießen zu können. Die Vögel aber wissen, womit sie es zu tun haben und halten sich fern. Also geht Chester wieder ins Haus zurück und legt den Revolver hinter die Couch, als ob er ihn vor den Vögeln verstecken wollte. Kaum im Wohnzimmer, sieht er sie vor dem Fenster schon wieder herumflattern. Er schleicht zur Couch, holt den Revolver wieder hervor, stellt sich an die Tür und öffnet sie einen Spalt breit. Die Vögel fliegen davon.

Chester, ein Ex-Green-Beret und Vietnam-Veteran, scheint mir keineswegs einer dieser Eichhörnchen schießenden Rednecks zu sein, die es hier im Süden tatsächlich gibt. Deswegen frage ich ihn, womit die Waffe geladen sei. Es handelt sich um Gummigeschosse – die Streuung, so Chester, mache es einfacher, die Vögel zu treffen. Die Gummimunition habe er sich besorgt, nachdem er vor ein paar Wochen einen Hasen habe ziehen lassen müssen. Das Vieh sei schwer zu treffen gewesen, und er wollte nicht das Haus oder Auto eines Nachbarn treffen. „Oder gar den Nachbarn selbst“, ergänze ich. Chester lacht, ja, das wäre natürlich ganz schlecht gewesen.

Die selbstverständliche Allgegenwärtigkeit der Schusswaffen ist gewöhnungsbedürftig. So erschrak ich letztens regelrecht, als ich in den Keller ging, um das Modem neu zu starten, und ich, als ich das Licht eingeschaltete, direkt vor dem verglasten Waffenschrank stand. Schrank und Waffen erinnerten mich an eine Columbofolge – ich weiß nicht mehr welche. Jedenfalls ist der Schrank mit allerlei Kostbarkeiten der Gewehrskunst bestückt, Pistolen enthält er allerdings keine. Dabei hätte mich die unregistrierte Pistole interessiert, die mein Onkel vor ein paar Wochen gekauft hat. Das Wort „unregistriert“, das ich in Zusammenhang mit Waffen bisher nur aus diversen Fernsehserien kannte, hat mein Onkel dabei besonders betont. Mit unregistrierten Pistolen begeht man Morde, nach welchen man die Tatwaffe in einem See, einem Fluss oder in einer Bucht (je nach geographischer Gegebenheit) versenkt. Das hat mein Onkel freilich nicht vor, aber natürlich weiß er das und so bereitet ihm die unregistrierte Pistole ein besonderes Vergnügen, dessen Reiz für mich nur bedingt nachvollziehbar ist.

Als wir an einem der letzten Wochenenden in Alabama – ich war dort bei meinem Cousin und meiner Cousine auf College-Besuch – zu einem Liquor Store fahren wollten, begab ich mich auf den Rücksitz eines verantwortungsvoll scheinenden jungen Herren. Zwischen Fahrersitz und Mittelkonsole sah ich eine Pistole stecken. Ich fragte ihn, ob er vorhabe, damit den Laden auszurauben. Er lachte und schüttelte den Kopf. Er sei gerade vom Schießen gekommen, erklärte er mir, außerdem habe er eine Lizenz. Hätte er keine Lizenz, dachte ich mir, würde die Pistole auch nicht in einem Holster neben der Mittelkonsole stecken, sondern ohne Holster im Handschuhfach liegen. Sie würde wahrscheinlich auch unregistriert sein, und er würde keine Lizenz dafür haben. „Oh, es ist übrigens eine Glock“, sagte der verantwortungsvolle junge Herr, „aus Österreich, richtig?“ „Ja“, nickte ich, „die sind aus Österreich.“ Wenn sie auch oft nicht wissen, dass es in Österreich keine Kängurus gibt, dachte ich mir, wissen doch die meisten, dass Glock eine österreichische Firma ist. „Hervorragendes Erzeugnis“, lobte der junge Herr die Glock. Ich stimmte ihm zu, ohne dass ich einen Vergleich gehabt hätte – meine Schießerfahrung beschränkt sich schließlich auf die Waffen des österreichischen Bundesheeres. Wir raubten den Liquor Store schließlich nicht aus. Im Gegenteil: Wir mussten warten, bis alle von uns, die den Laden betreten hatten, ihren Ausweis gezeigt haben, und da eines der Mädchen ihren daheim vergessen hatte und also erst wieder nach Hause fahren musste, um den Ausweis zu holen, verbrachten wir ca. 15 Minuten wartend an der Kassa des Schnapsladens. Ich betrachtete zum Zeitvertreib die Überwachungskamerafotos jener „Kunden“, die sich als Diebe entpuppten und deshalb jetzt einen prominenten Platz in der Galerie über der Eingangstüre haben.


Irgendwie freue ich mich schon auf die nächsten Erlebnisse mit Schusswaffen, obwohl das etwas seltsam klingt. Interessant ist die Sache aber allemal. Die angebliche Waffenvernarrtheit der Amerikaner hielt ich nämlich immer für eine unsaubere Übertragung von Wildwest-Romantik in die heutige Zeit und also für eine Übertreibung. Im Süden allerdings scheint mir das Bild des allzeit bewaffneten Amerikaners ein adäquates zu sein. Die zahlreichen Waffengeschäfte entlang der Highways bestätigen mir diesen Eindruck. (Witzigerweise scheinen diese Läden auch nicht von der „schlechten Wirtschaftslage“ betroffen zu sein, von der hier dauernd die Rede ist.) „You gotta have a gun down here“, ist ein Satz, den ich schon ein paar Mal gehört habe. Haus, Autos, Boot, Gewehr, Klimaanlage, Kreditkarte: Das sind die Grundingredienzen des Südstaaten-Lebensstils, an die man sich gewöhnen muss, wenn man hier leben will. Und an die Sprache, die bisweilen durchaus kein Englisch ist. Aber davon ein andermal...


Donnerstag, 4. August 2011

Das Mehr und das Weniger - kleines Heimweh


Mehr ist besser: Das ist die einfache Formel für den amerikanischen Alltag. Es gibt kein „small is beautiful“, und sollte etwas ausnahmsweise wirklich einmal besser sein, wenn es weniger ist, werden einfach die Verhältnisse umgekehrt. Das ist ein Sprachspiel, das dem Amerikaner erlaubt, immer alles besser zu finden, was mehr ist. So lässt er sich aber auch von jedem, der dieses Sprachspiel beherrscht, vorgaukeln, dass etwas besser sei als etwas anderes, wenn dieser jemand es nur versteht, ihm die Verhältnisse so darzulegen, dass das, was der Amerikaner gut finden soll, immer mehr ist als das, was er schlecht finden soll. Klingt kompliziert, ist aber relativ simpel in der Praxis.

Erstmal sei ein Beispiel aus dem nicht manipulativem Sektor genannt. Es soll zeigen, dass die Gleichung mehr=besser dem Amerikaner natürlicher vorkommt als weniger=besser. Wir drücken die Sparsamkeit eines Autos so aus: Je weniger Treibstoff es auf 100 km verbraucht, desto besser ist es. Einem Amerikaner wäre das suspekt. Also geht das in den USA anders. Dort wird über die „gas mileage“ ausgedrückt, wie weit man mit einer Gallone Treibstoff kommt (miles per gallon). Je höher also die Zahl, desto besser die Effizienz des Fahrzeugs. Es handelt sich um eine einfache Umkehr der Verhältnisse. Wir könnten genauso gut angeben, wie viele Kilometer man mit einem Liter Kraftstoff zurücklegen kann. Dass für uns aber die kleinere Zahl die attraktivere ist, für die Amerikaner jedoch die größere, ist kein Zufall.

Im Lebensmittelsektor findet man ähnliches. Während bei uns Joghurtpackungen mit großen Nullen bepinselt werden, um jedem klarzumachen, dass im betreffenden Produkt kaum oder wenn möglich gar kein Fett enthalten ist, muss man in den USA schon genau schauen, ob es sich um ein „low fat“ Produkt handelt. Was auf diesen Produkten allerdings durchaus zu finden ist, sind große Schriftzüge, die das Erzeugnis als „healthier“ anpreisen. Ein Mehr an Gesundheit also – das versteht der Amerikaner. Weniger Fett – das versteht er nicht.

Einige Werbungen enthalten zwar das Wort „less“. Dieses hat aber meist nur subsidiäre Funktion und wird bald von einem viel größeren, dickeren und womöglich bunteren „more“ wiederholt überblendet und also aus dem Ultrakurzzeitgedächtnis geradezu herausgelöscht. less=small=bad, more=big=good: Diese Metaphernkonzepte sind dem amerikanischen Bewusstsein eingemeißelt und sind der Grund, warum sich ein Europäer mitunter überfordert fühlt. Überfordert von der Fülle der Angebote, von der Intensität der Darbietung, von der Lautstärke, den Lichteffekten, den marktschreierischen Anpreisungen der Werber – überfordert von der Art und Weise der Kommunikation überhaupt.

Ich nenne alles übertrieben und gewöhne mich doch langsam daran. Wie schal und langweilig wird mir Europa vorkommen müssen, wenn ich zurück komme! Wie unspektakulär werden die Leute, die Autos, die Supermärkte, die Werbungen, wie unspektakulär wird überhaupt alles sein. Und doch sehne ich mich manchmal nach dem Weniger, nach dem Bescheidenen, dem Unauffälligen, dem Subtilen, dem Leisen. Das kommt mir alles so europäisch vor, so edel und schlau – irgendwie gefinkelt und doch nicht hinterlistig: small but beautiful. Das klingt schön.

Der Preis der Freiheit


Im Land der Freiheit hat die Freiheit immer auch einen Preis. Ist das vielleicht der Grund für die Schuldenkrise der USA? Eine sündhaft teure Frage, die ich lieber stecken lasse. Was ich meine ist: Ist es nur der Zwentendorf-Österreicher, der sich von zwei Kühltürmen eines AKWs am Horizont die Idylle eines wunderbaren Sees trüben lässt? Für die Amerikaner scheint das kein besonders seltsames Bild zu sein; zumindest scheinen sie sich daran gewöhnt zu haben. So wie sie sich an Restaurants gewöhnt haben, die mexikanisches und italienisches Essen anbieten und dabei so tun, als sei es das Natürlichste der Welt, diese beiden Küchen nebeneinander, gleichzeitig und mit einem „und“ verbunden zu bewerben und auch tatsächlich anzubieten. Kulinarisch passt da jedenfalls nichts zusammen, aber betrachtet man es rein dekorativ, öffnen sich einem die Augen: Die mexikanische und die italienische Flagge sehen sich nämlich – vor allem für die ungeschulten und von Stars und Stripes rotweißblau entzündeten Augen eines Amerikaners – ziemlich ähnlich: grün, weiß und rot, längsgestreift. Bis auf das Wappen, das die Flagge Mexikos ziert, sind sie also identisch. Die Außen- und Innenbemalung des Lokals erlaubt also vieles. Aber ich schweife ab...

Der See und das Atomkraftwerk: Im zentralen Ost-Tennessee wurde der Tennessee River zu einem See aufgestaut. Damm und Schleuse heißen „Watts Bar“ und nebenan befindet sich gleich auch ein AKW, das man bei der Autofahrt von Cleveland nach Spring City schön beobachten kann, wenn man über die Watts-Bar-Brücke fährt. Der von der Watts Bar zurückgestaute Fluss nennt sich konsequenterweise Watts Bar Lake, ist ob seiner ursprünglichen Flussnatur wild verzweigt und hat etwa die Größe des Neusiedler Sees, was dem Seebesucher ein stundenlanges Herumfahren und Entdecken ermöglicht. Wie alles in östlichen Tennessee ist auch dieser See wunderschön. Von sattem Grün bewachsene Ufer, ein paar Klippen für Wagemutige und Leichtsinnige, geschmackvoll gebaute und platzierte Seehäuschen sowie ein veritabler Fischreichtum zeichnen den Watts Bar Lake aus.


Mit dem Boot lässt sich der See hervorragend erkunden, auch wenn man zunächst aufgrund der Verästelungen dauernd die Orientierung verliert. Umso schlimmer dann der Schreck, wenn man von einem malerischen Seitenarm Richtung Süden in einen anderen einbiegt und sich hinter den dichten, gesunden Wäldern auf einmal die schmauchenden Kühltürme des Kraftwerks zeigen. Einem in den 80er Jahren groß gewordenen Mitteleuropäer wird da ganz heiß im Kopf. Man denkt an Tschernobyl und die Schwammerl, man denkt an Janoschs „Lumpengesindel“ - die ökologische Erziehung, der man damals irgendwie zwangsweise ausgesetzt war, hat ihre Spuren hinterlassen. Jedenfalls passt das AKW hier gar nicht hin. Man erinnert sich an stundenlange Fahrten durch Deutschland, und wie man irgendwann mitten in der Ödnis, hinter einem Hügel gelegen, ein AKW erspähte und sich dachte, dass sich hier wohl kein Nachbar aufregen könne, weil es keinen Nachbarn gibt. Ähnliches gilt wohl auch für das Watts-Bar-Kraftwerk, nur: Dass sich daneben ein großes Erholungsresort befindet, befremdet schon ein wenig.


Mittwoch um 12 Uhr Mittags wird dann das Gebell eines Hundes durch einen lauten Sirenenton unterbrochen, der sehr nach Reaktorunfall klingt. Ich blicke meinen Onkel an. Der sagt mir, dass wenn ich dieses Geräusch zu einem anderen Zeitpunkt als Mittwoch um 12 Uhr hören sollte, ich die Flucht antreten müsse. Zur Beruhigung hält er mir die Armbanduhr vor die Nase – tatsächlich zwölf. Mir war irgendwie schon klar, dass es sich um eine Probe handeln müsse, aber der für mich ungewohnte Zeitpunkt und die grausige Fremdheit des Sirenentons vermögen einem durchaus kurz einen Schreck einzujagen. Die österreichische Feuerwehr-Sirene, die immer dann erklingt, wenn am Samstag Mittag das Lagerhaus zusperrt, klingt im Vergleich geradezu beruhigend. Und für alles andere haben wir einmal im Jahr (?) einen Strahlenalarm-Test oder so etwas ähnliches, wo man dann zählen muss, wie oft der Ton rauf und runter geht. Die schauerliche amerikanische AKW-Sirene hingegen lässt keinen Zweifel über den Ernst der Situation.

Beim Verlassen des Campingresorts fallen dann die blauen Schilder am Straßenrand auf, welche im Falle des Falles die Fluchtroute anzeigen sollen. Gemütlich und unschuldig geleiten den erholten Seebesucher diese stummen Zeugen der potenziellen Gefahr aus dem Resort. Dieses Nebeneinander von Atomkraft und intakter Natur wirkt vielleicht nur für einen Österreicher verstörend – für die Amerikaner ist das AKW am Seerand der Preis der Freiheit; so wie die Herzkrankheit als Folge des Fast-Food-Konsums oder die Schulden als Folge der „Kreditkartenwirtschaft“, quasi ein gottgegebenes Faktum, mit dem zu leben sich einfacher darstellt als Grundlegendes zu ändern und auf Komfort zu verzichten. Das AKW ändert nichts an der Schönheit des Sees, wie auch der See nichts an der Hässlichkeit des AKWs ändert. Erschreckend ist nur, mit welcher Selbstverständlichkeit diese beiden Dinge zusammengehören: die Freiheit und ihr Preis.

Montag, 1. August 2011

Ein Priester in Daytona


Das Oyster Pub in Daytona Beach ist ein modern eingerichtetes Ess- und Trinklokal und dient vornehmlich dem Zweck des gesellschaftlichen Zusammenseins bei gleichzeitiger Beiwohnung sportlicher Groß- und Kleinereignisse. Diese werden auf ca. 30 Bildschirmen gezeigt, die sich über der Bar, an den Wänden und in kleinen Nischen neben den Tischen befinden. Schon beim Betreten der Bar fühlt man sich sehr sportlich.
Ich verfolge ein Baseballspiel der Atlanta Braves, die sich gegen Cincinnatti alle Mühe geben, nicht das zweite Spiel in Folge zu verlieren. Von Baseball hatte ich so gut wie keine Ahnung. Als aufgeschlossener Europäer, der zu sein ich gezwungen bin vorzugeben, interessiere ich mich aber freilich für allerhand Sachen, und so auch für Baseball. Also hat mir mein Onkel die grundlegenden Prinzipien des Spiels erklärt, was mir erlaubt, an diesem Abend im Oyster Pub das Spiel zu verfolgen, ohne mit einem Ausdruck der vollkommenen Unverständnis auf meinem Gesicht dasitzen zu müssen.



Während des dritten Innings betritt ein rundlicher Mittvierziger das Lokal. Es gibt in den USA vermutlich nicht viele Mittvierziger, die nicht zumindest rundlich sind – die meisten in diesem Alter sind ja bereits fett. Der freundliche Herr setzt sich zu mir an die Bar und wir beginnen ein Gespräch. Er weiß, wo Österreich ist. Er kennt auch den Unterschied zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er weiß sogar, dass man in allen drei Ländern Deutsch spricht. Und er kennt Bayern und weiß, dass es sich dabei um ein Bundesland im Süden von Deutschland handelt. Der Mann ist mir höchst suspekt. Er sagt, er sei erst vor ein paar Monaten nach Daytona gezogen und er finde es sehr langweilig. Der Strand, so er, verliere seine Attraktivität schnell, vor allem, wenn man kein ausgesprochener Strandmensch sei, und das sei er eben nicht. Ich finde seine Ausführungen einleuchtend und er sagt mir, dass man mit mir gut reden könne, weil ich ein Intellektueller sei. Jetzt fühle ich mich elend.



Ich frage ihn, was er mache. Er sei ein Priester, sagt er, und schüttelt dabei den Kopf, als ob er gerade in diesem Moment die Absurdität seiner Profession erkannt hätte. Er lächelt aber gleich wieder und sagt, dass er ursprünglich aus New Jersey stamme und dort auch seinen Beruf ausgeübt habe, dass er von seinem Vorgesetzten aber in den Süden versetzt wurde. Das hört sich alles sehr nach einer Strafversetzung an. Als höflicher Europäer frage ich aber nicht weiter nach. Ich erfahre, dass er ein griechisch-katholischer Priester ist und dass seine Gemeinde nur etwa 40 Mitglieder hat. Zudem seien fast alle seiner Kirchgänger relativ alt, was für ihn bedeutet, dass er neben den Gottesdiensten vornehmlich mit Begräbnissen und Hochzeitsjubiläen beschäftigt ist. Seine Kirche befindet sich irgendwo im Nirgendwo und weil er neben dem Priesteramt keine anderen Verpflichtungen hat, langweile er sich sehr. Ich denke mir, ob man diese Langeweile als gerechte Strafe Gottes interpretieren könnte, frage ihn aber nicht danach. Nun weiß ich aber auch, dass es quasi sein Job ist, Leute sich elend fühlen zu lassen.



Er bestellt ein geschmackloses Bier und ein Philly Cheese Sandwich. Dabei lobt er die Erzeugnisse deutscher Brauereien und er erklärt mir noch ein paar Feinheiten des Baseballspiels. Er habe keine Freunde, sagt er, und das sei so, weil er weit weg von der Stadt wohne. Seine Familie ist in New Jersey und als katholischer Priester darf er natürlich keine eigene gründen. Er tut sich selbst leid - und auch mir ein bisschen. So ist es tröstlich, dass alle 5 Minuten irgendwelche Leute, welche die Bar betreten, den Priester erspähen und ihn freundlich begrüßen. Ich sage ihm, dass er doch viele nette Leute kenne. Das gibt er zwar zu, an seinem Selbstmitleid ändert das aber wenig. Er schickt mir noch im Lokal eine Freundschaftsanfrage auf Facebook, was mich geradezu dazu zwingt, sie umgehend anzunehmen.



Mein Onkel ruft an und fragt, ob alles in Ordnung sei. Ich danke ihm für die Nachfrage und ja, es sei alles in Ordnung. Er schiebt die Schuld für diesen Anruf seiner Frau in die Schuhe: Sie sei besorgt gewesen. Ich sage ihm, dass er ihr ausrichten könne, ich befände mich in der Gesellschaft eines Priesters, es sei also alles in bester Ordnung. Mein Onkel lacht, weiß aber, dass diese Auskunft meine Tante sicher besänftigen wird. Auch der Priester lacht und bestellt noch ein Bier. Meinem Onkel verschweige ich, dass es sich um einen griechisch-katholischen Priester handelt. Zwar weiß ich nicht, ob der protestantisch-amerikanische Grundsatz, dass Katholiken fluchen und trinken, auch für griechisch-Katholische gilt, aber sicher ist sicher.



Weil mich der Priester bald langweilt und mir schon alle Fotos auf seinem iPhone gezeigt hat, verlasse ich das Oyster Pub und suche mir ein Taxi. Der Taxifahrer ist sehr freundlich, was später dazu führen soll, dass er „nur noch sehr wenig Wechselgeld“ hat. Ja, Österreich kenne er, da war er schon Skifahren, und zwar auf der Zugspitze. Er sei ein pensionierter Air Force Pilot, ein Desert Storm Veteran, und er sei mehrere Jahre in Würzburg stationiert gewesen. Was er dann sagt, verstehe ich nicht. Ich bitte ihn, das eben Gesagte zu wiederholen und verstehe wieder nichts. Er sagt mir, dass das Deutsch sei. Erst beim vierten Wiederholen verstehe ich ungefähr, was er sagen will. Irgendetwas mit „Mädchen“, „Bratwurst“ und „Hähnchen“. Jetzt wird mir klar, dass ich nicht besorgt sein muss, die Bedeutung des englischen Wortes „hention“ nicht gekannt zu haben. Auch in der Schweiz sei er gewesen, besonders gut habe ihm dort Innsbruck gefallen. Ja, sage ich launig, Innsbruck sei toll, besonders der See habe es mir angetan. Er nickt und sagt, dass er auf dem See Wasserski gefahren sei.



Die Zeit in Deutschlang sei sehr schön gewesen und habe ihm erlaubt, Deutsch so zu erlernen, dass er es jetzt mündlich und schriftlich fließend beherrsche. Ich zeige mich beeindruckt und gebe ihm mehr Trinkgeld als er sich eigentlich verdient hat. Der Grund für sein weniges Wechselgeld ist vermutlich, dass er als Veteran und ehemaliger Helikopterpilot meist mehr Trinkgeld bekommt als ein gewöhnlicher Taxifahrer. Von einem Österreicher sollte er sich das aber nicht erwarten, finde ich. Trotzdem bin ich gnädig, irgendwie war er ja auch sehr unterhaltsam. „Aff Wiersahn!“ sagt er, und dann noch „Schuss!“. Ich sage „Pfiati“ und steige aus.