Dienstag, 12. Juli 2016

Der Schmittenwind

Nach einem heißen Sommertag, wenn sich die Sonne hinter der Schmittenhöhe versteckt und bloß noch das gesegnete Land der Thumersbacher von ihren warmen Strahlen behütet wird, kommen die Hunde wieder aus ihren Hütten gekrochen. (Ich meine tatsächlich die Tiere, nicht die illustren Bewohner des Schmittentals!) Einen ganzen Tag lang hat die Sonne in die Talsenke gebrannt, die großen Leiber der Kühe gewärmt und ihre Fladenauf den Wiesen trocknen lassen. Die letzte Seilbahn hat sich vor über einer Stunde über die Wälder und Gräben berghinan ziehen lassen. Auch das Schlagen der Autotüren und das Kratzen von deutschen Wanderstöcken auf dem Asphalt der Seilbahnparkplätze ist verklungen.

Kaum hat man sich von der drückenden Hitze erholt, einmal kurz aufgeatmet und die Sonnenschirme abgespannt, fangen auch schon die ersten Wiesenhalme an zu zittern. Er ist wieder da: Der Grund für so viele verkühlte Rücken, die Ursache für hunderte von Windschutzvorrichtungen auf allen Terrassen entland der Schmittenstraße, der Garant für unsere kühlen Nächte: Der Schmittenwind.
Dieser stellt sich verlässlich nach Sonnenuntergang ein und fegt über die steilen Hänge der Schmittenhöhe hinab und durch das Tal hindurch. Er pfeift um jede Hausecke, durch sämtliche Ritzen unserer Kleidung; ja nicht einmal ein richtiger Pinzgauer "Jancker" vermag der schroffen Kühle des Schmittenwindes standzuhalten.

Am Ende der Schmittenstraße angekommen zeichnet er sich verantwortlich für die Terrassengestaltung der Lokale entlang der Dreifaltigkeitsgasse. Keines kommt ohne Windschutz aus, denn in der DFG kanalisiert sich seine dämonische Kühle und sorgte wohl für allerlei entzündete Nierenbecken und steife Genicke, würde man ihm nicht durch massive Glaswände Herr. Am Stadtplatz zerstreut er sich dann, pfeift weiter um die Ecken und in die Ohren der Zeller hinein. Das Säuseln der Götter, die ihnen zuraunen, dass es jetzt Zeit wird, sich die Pullover über die Rücken zu werfen. Ehrfurchtsvoll murmeln die Bewehten "Oje, da Schmittenwind!", denn sie wissen, es droht der rheumatische Infekt! Schnell leeren sie ihre Gläser und flüchten in die Lokale hinein oder gleich ganz nach Hause.

Andere wiederum, die schon seit dem späteren Nachmittag dem Spritzwein frönen, bemerken die Kälte zwar, nehmen sie aber nur zum Anlass, um humorig festzustellen, dass jetzt wohl "der Daxer das Fenster aufg'mocht" habe - bezugnehmend auf jene Familie im hinteren Schmittental, denen im Jux nachgesagt wird, sie hätten durch das Öffnen und Schließen ihrer Türen und Fenster die Gewalt über das Wesen und Wirken des Schmittenwindes. Ich kann Ihnen glaubhaft versichern, dass dem nicht so ist, und wir selbst über die unglaublichsten Windschutzanlagen verfügen bzw. die bergseitig gelegenen Aufenthaltsbereiche außerhalb unserer Häuser nach 18 Uhr ganz einfach nicht mehr nutzen; zu unwirtlich ist das Klima, das der hundsgemeine katabatische Fallwind dort verursacht. Unsere Pflanzen sterben im Sommer jeden Abend den Kältetod, nur um am nächsten Morgen lazarusgleich wieder aus der Schmittenwindstarre zu erwachen!

Als Kind kam mir dieser Wind immer sehr gelegen. Denn einer der Vorteile der Schmitten ist es, dass man als Einzelkind dort relativ gut Fußball spielen konnte. Schließlich gab es nirgendwo gerade Flächen (mit Ausnahme der Seilbahnparkplätze), und so konnte man recht gut seinen Schuss trainieren, denn der Ball rollte geduldig über den Bichl wieder zurück. Mit dem Schmittenwind eröffnete sich zudem die Möglichkeit, das Flankenschlagen zu üben. Man konnte sich, freilich in Windjacke und Haube gehüllt, hervorragend selbst den Ball zuflanken, wenn man ihn nur gegen den angreifenden Schmittenwind schoss, der ihn zuverlässig zurückblies. So musste man nicht warten, bis die Schwerkraft den Ball müde über den geneigten Hang zurückrollen ließ, und konnte das Schlagen und Annehmen von Flankenbällen gleichzeitig üben. Dass trotzdem kein großer Fußballer aus mir geworden ist, schiebe ich heute nur auf die begrenzte Trainingszeit zwischen dem Aufkommen des Schmittenwindes und der damit fast zeitgleich einsetzenden Dämmerung.

Wenn unsere Sommer wirklich immer heißer werden, ist dieser Wind ein klimatisches Juwel. Denn trotz seiner Bissigkeit, wird er doch von Einheimischen und Touristen irgendwie geschätzt. "Es ist unglaublich!", sagte mir letztens ein Gast erstaunt, "Obwohl es heute so heiß war, ist es jetzt am Abend herrlich kühl geworden. Da brauchen Sie ja gar keine Klimaanlage in den Zimmern!" Ich nicke wissend und erzähle ihm dann von der besten aber auch gefährlichsten Klimaanlage der nördlichen Alpen - dem Schmittenwind!

2 Kommentare:

  1. Mir wurde kalt beim Lesen. Im Vulkanland ist das Klima etwas freundlicher..meine Mutter würde sagen: Wenn dir kalt is, trink einen Schnapstee. Jaja, damals hat ma das halt so gemacht bei uns daheim...

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    1. Bei uns auch! Nur ließ man den Tee weg. So lange, bis der Schnaps leer war. Und dann kaute man die Teesackerl. Herzerwärmend!

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