Montag, 18. Juni 2012

Versöhnliches Ende

Die Niederlande verabschieden wir leise, den Dänen trauern wir ein wenig nach. Deutschland und Portugal haben es geschafft und sind mit jeweils einem 2:1 Sieg der Mördergruppe entkommen.


Na, war das ein Fußballabend? Die Gruppe B hat nie zu viel versprochen und gestern kam es dann zum endgültigen Showdown. Man fragt sich, wofür man drei Gruppenspiele spielen muss, wenn sich dann letztlich eh alles im dritten entscheidet. Was hätte nicht alles passieren können! Deutschland hätte nach Hause fahren können, Holland noch aufsteigen, letzten Endes ist aber alles so passiert, wie es vor dem Spiel am wahrscheinlichsten schien: Deutschland und Portugal steigen auf, die Dänen und Niederländer fahren nach Hause. Dabei hätte ich, ich habe es schon vor ein paar Tagen bekundet, überhaupt nichts dagegen gehabt, wären Dänemark und Portugal aufgestiegen... Egal, jedenfalls hat mich der gestrige Abend absolut mit dem Parallelspiel-Modus versöhnt. Und das kam so:

Die Niederländer mussten weg. Dabei sah zunächst alles so anders aus als in den Partien zuvor. Endlich löste van Marwijk seine defensiven Doppel-6er van Bommel/de Jong auf und ließ van der Vaart statt des Kapitäns und Schwiegersohns van Bommel starten. Zusätzlich nahm Marwijk auch Huntelaar mit in die Startelf und so begann Holland mit so etwas wie einem 4-1-3-2 mit einem offensiv aufspielenden Kapitän van der Vaart, was sich auch bald bezahlt machte, denn in der elften Minute erzielte jener das 1:0 für die Niederlande. Acht Minuten später schoss Podolski in Lemberg die Deutschen in Führung und so waren wir nur noch ein Tor vom gemeinsamen Aufstieg Hollands und Deutschlands entfernt. (Die Niederländer mussten ja ihr Spiel mit zwei Toren Unterschied gewinnen.)

Dann aber bekam Team Holland das polnische Syndrom und das aufregende Offensivspiel der ersten Minuten sackte zusammen (van der Vaart zog sich ebenfalls wieder etwas zurück, und so war es dann doch wieder das gute alte 4-2-3-1, nur halt mit einem Holzfuß statt zweien auf der 6er-Position) – Portugal begann mitzuspielen und rannte gegen die wie immer schwache niederländische Defensive an (diesmal mit Vlaar statt Heitinga). Wer die kennt und Portugals Angriffsspiel schon mal gesehen hat, der wusste, dass das nicht lange gut gehen würde. Holland hätte ein zweites Tor gebraucht, nicht nur des Ergebnisses wegen, sondern um den Portugiesen das Momentum zu nehmen und sich selbst Sicherheit zu geben. Doch es kam, wie es kommen musste: Der Drei-Wetter-Taft-Cowboy hatte seinen ersten großen Auftritt und netzte zum 1:1. Cristiano Ronaldo eierte zwei Spiele lang herum, vergab zig Hundertprozentige und es sah bald so aus, als wäre ein mögliches portugiesisches Debakel allein ihm zuzuschreiben. Und dann, im entscheidenden Spiel, tritt er auf und macht das erste wichtige Tor. Das hat schon Klasse, keine Frage!

Nun hatte aber 4 Minuten zuvor Krohn-Deli die Dänen wieder rehabilitiert und so stand es jetzt in beiden Partien 1:1. Den Deutschen hätte das gereicht – den Niederländern freilich nicht. Aber C. Ronaldo hatte ihnen das letzte kleine Flämmchen ausgeblasen, das sie vor dem Spiel noch entfachen hatten können. Als dann selbiger Ronaldo in der 74. Minute zum 2:1 traf, stellte das die Niederländer vor die unmögliche Aufgabe, noch drei Tore schießen zu müssen. In Charkiw war damit alles gelaufen – in Lemberg aber noch lange nicht. Denn nun waren wir nur noch ein Tor davon entfernt, auch Deutschland verabschieden zu müssen. Hätten die Dänen in dieser Phase noch das 2:1 gemacht – und an Chancen dazu mangelte es ihnen überhaupt nicht – wären Portugal und Dänemark weiter gewesen.

Dann kam Lars Bender, der Boateng in der Abwehrkette ersetzte und damit sein erstes Spiel dieser EM von Beginn an spielte, und erlöste die Deutschen von ihrem Bangen und die Dänen von ihrem Hoffen, indem er den Ball zum 2:1 in das Tor schob. Es war vielleicht das unkomplizierteste Tor dieses Turniers, aber für Fußballdeutschland das wichtigste, denn nun konnte man sagen: 9 Punkte aus drei Spielen und damit jetzt schon als die beste Vorrundenmannschaft im Viertelfinale: Das sollte Auftrieb geben. Außerdem erkannte man hier erneut, welche Luxusprobleme die Deutschen bejammern, wenn sie von Besetzungsschwierigkeiten auf manchen Positionen sprechen... Zuerst macht der fragwürdige Boateng zwei sehr gute Spiele, dann kommt sein Ersatzmann Bender und sichert mit einem Tor das Weiterkommen der Nationalelf: Deutschland, Deutschland, deine Sorgen! ...

Schade ist es um die Dänen schon. Kein Team spielt so cool wie die; kein Team ließ sich von Gegentreffern so wenig beeindrucken wie die Dänen. Man hatte das Gefühl, dass sie vollkommen auf das vertrauten, was ihnen zur Verfügung stand: ein mittelmäßiges Spielermaterial mit zwei, drei wirklichen Klasseleuten, ein ausgeklügeltes taktisches Konzept mit einem Coach, dem man blind vertrauen kann und unbedingter Kampfeswille – egal bei welcher Ausgangssituation, egal in welcher Phase des Matches. Vor allem letztere ist eine Qualität, die andere Mannschaften vermissen ließen (Polen, Russland, Holland), obwohl sie vielleicht sonst nominell besser dastanden als die Dänen. Ich würde die Dänen gerne gegen ein Team aus Gruppe A tauschen, am liebsten gegen die Tschechen, denn das Duell Griechenland-Deutschland wollen wir uns sicher nicht entgehen lassen.

Was wohl los wäre, verlöre Deutschland gegen die Griechen? Gerne würde ich die Bild-Schlagzeilen dazu lesen, gerne würde ich die Genugtuung in den Gesichtern der Griechen sehen, wenn sie den Fußball-Riesen zu Fall gebracht hätten. Europäischer könnte diese Euro gar nicht werden! Zwar habe ich mich darauf festgelegt, nur die fußballerische Seite der teilnehmenden Länder betrachten zu wollen, bei Griechenland gegen Deutschland aber wird freilich mehr im Spiel sein: Das wird eine ganz emotionale Partie, vor allem für die Griechen. Natürlich bleibt Deutschland haushoher Favorit – aber gegen Favoriten zu spielen sind die Griechen gewohnt. Das wird für die Teutonen kein Strandspaziergang auf Kos in Adiletten!

Portugal ist auch zurecht weiter. Sie spielen ansehnlichen, sehr engagierten Fußball, ohne eine besonders sympathische Mannschaft zu sein. Sie sind, obwohl ewiger Geheimfavorit, ein bisschen Überraschungsaufsteiger in dieser Gruppe. Zuvor hieß es: Wenn die Portugiesen diese Mördergruppe überstehen, dann können sie auch ins Finale kommen. Dazu müssten wir aber erstmal wissen, wer im Halbfinale auf sie warten könnte. Derzeit deutet nämlich alles auf Spanien hin. Aber bis dahin ist es bekanntlich noch eine Weile hin und ein langer Weg... Zuerst geht es für die Portugiesen nämlich gegen Tschechien. Alles andere als ein Sieg wäre nach dieser sehr soliden Vorrunde eine Enttäuschung.



Heute ermittelt die Gruppe C ihre beiden Viertelfinalisten. Spanien und Kroatien dürfen sich dabei nicht 2:2 trennen, sonst machen sie sich des Betrugs verdächtig. Italien hätte dann nämlich keine Chance mehr auf den Aufstieg, egal wie hoch sie gegen Irland gewinnen. Für Kroatien wird es gegen Spanien natürlich schwer werden; die Spanier gelten seit dem Irland-Spiel wieder als hohe Favoriten auf den Titel. Mit der „mittleren Mannschaft“ Kroatien als Gegner könnte man sich für das Viertelfinale warm machen, um dann gut vorbereitet gegen England oder Frankreich (oder die Ukraine?) „ins Feld zu ziehen“. Man muss davon ausgehen, dass die Italiener gewinnen und die Iren wieder schön singen werden. Was am Ende mehr wert ist, wird im Parallelspiel entschieden. Die Italiener täten dem Turnier in der KO-Phase besser als die Kroaten, die vielleicht Stolperstein sein könnten, aber letztlich irgendeinem der beiden großen Teams (Spanien, Deutschland) zum Fraß vorgeworfen werden. Italien hingegen hat immer (!) absolutes Finalpotenzial und ist Deutschlands Angstgegner.

Wir dürfen uns, so glaube ich, wieder auf einen hochklassigen und spannenden Fußballabend freuen. Mal sehen, ob uns heute jemand überrascht...




Mann des Tages: C. Ronaldo, da kommt man nicht drum herum. Er ist erwacht, unsympathischerweise. Es ist nur gut, dass er weniger Freistöße als früher trifft. Jedes Mal, wenn er sich so saublöd breitbeinig aufstellt und dann nicht trifft, wird dieser Firlefanz ein bisschen lächerlicher. Das ist gut so.


Buhmann des Tages: Der ORF, der, so wurde mir berichtet, das eigentlich uninteressantere Spiel (Deutschland vs. Dänemark) übertragen hat. Aber das ist die Hörigkeit der ORF-Leute gegenüber dem deutschen Fußball. Ist ja bei der Championsleague auch immer das gleiche: Wenn da z.B. Arsenal gegen Real Madrid spielt und gleichzeitig Bayern gegen Dynamo Kiew, kann man sich sicher sein, dass der ORF das Bayern-Spiel überträgt, auch wenn es da um nichts mehr geht und beim anderen um alles. Das wird dann immer damit gerechtfertigt, dass es bei uns halt doch viele Bayern-Fans gibt usf. An die Fußball-Fans denkt dabei aber nie wer. Stumpfes Denken ist das, ganz stumpfes Denken!

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