Donnerstag, 27. September 2012

Unser Outlaw

Einer ist von uns gegangen, den man getrost als "Unikum" bezeichnen konnte; auch wenn Worte wie dieses gerne dazu verwendet werden, gutmütige Verschrobenheit zu diagnostizieren. Der Puffer Willi, wie er genannt wurde, war aber ein Unikum im allerbesten Sinne des Wortes - ein Original, der dem Zeller Bergvolk den Rock'n'Roll nicht nur näherbrachte, sondern vor allem vorgelebt hat - konsequent, authentisch und manchmal auch rücksichtslos. Ein Outlaw war er, aber einer mit großem Herz (nicht nur für die Damen)!

Während die einen darüber nur die Köpfe schütteln konnten, war er für die anderen ein Held. Was sich die Leute über ihn gedacht haben, war ihm aber schon seit jeher egal - Rock'n'Roll-Attitüde eben. Er spielte für die einen nicht den Narren und für die anderen nicht den Helden. Was ihm am Herzen lag, war meistens so banal wie (im Kontrast zur Borniertheit der Zeller "Intelligenzia") erhellend: Weißbier und gute Musik. Auch wenn er im Zeller Nachtleben genügend Anlass dazu fand, seinen nie ganz ernst gemeinten Zorn zu pflegen, war er aus selbigem nicht wegzudenken. Schon meine Eltern erlebten die glorreichen Zeiten bei ihm im Wurzelkeller. Ich selbst habe ihn dazumals erst als DJ im Bierkeller kennengelernt.

Dass einer amerikanische Rock- und Bluesmusik der 60er und 70er auflegte, hielt ich damals für eine Selbstverständlichkeit; zufälligerweise (?) machte ich selbst etwa um die gleiche Zeit, als ich mit dem Fortgehen begann, Bekanntschaft mit der Geschichte der früheren Popularmusik (Beatles, Hendrix etc.). Erst als seine Auftritte als DJ immer weniger wurden, erkannte ich das große musikalische Loch, das dieser Mann hinterlassen hat. "Wo spüns'n heid no a gscheide Musi!?", fragte er später oft anklagend und ich konnte ihm darauf nie eine befriedigende Antwort geben.

Aber auch als er schon nicht mehr regelmäßig Platten auflegte (oder irrtümlicherweise Schmalzbrote statt CDs in den CD-Player legte, was nur eine der vielen wahnwitzigen Anekdoten ist, die es über ihn gibt) blieb Willi den Zeller Nachteulen erhalten. Egal, ob als grantelnder Weckerlverkäufer im Viva oder als schimpfender "Wiaschtlsiada" vom Insider: Willi Puffer war gleichsam Mahnmal wie Vorbild, Sheriff wie Outlaw. Vor allem aber war er ein lustiger und lieber Kerl, der um keinen "hantigen" Spruch verlegen, sich für keinen Spaß zu schade war. Ich hoffe, dass es ihm da, wo er jetzt ist, gefällt. Zell am See wird ihn sehr vermissen und er uns wohl irgendwann auch. Auch wenn er das wahrscheinlich nie zugeben würde!



Just around the corner there's heartache
Down the street that losers use.
If you can wade in through the teardrops,
You'll find me at the Home of the Blues.
(Johnny Cash)


Donnerstag, 20. September 2012

Krawuzikapuzi

In der deutschen Sprache pfeift und zischt es allerorts. Wie eine alte Maschine muss so ein deutscher Satz für jemanden klingen, der nicht versteht, welche Bedeutung diese Zischlaute haben. Und wo gerade nicht Luft durch Zähne und Zunge braust, rattern Konsonanten oder es sprotzen und sprutzeln Affrikaten, dass man meint, es flögen Funken von einer Metallsäge davon. Schön muss das nicht immer sein, aber es ist doch ein interessantes Mittelding zwischen Hawaiianisch (wikiwiki, malumalu, huaka mahika) und Tschechisch (Vlk zmrzl, zhltl hrst zrn).

Manchmal, vor allem in den Mundarten des Deutschen, kommt es zu interessanten und recht ansehnlichen Gebilden der Sprache. Ein solches kam mir letztens wieder einmal unter: Der Fluch "Haschofft noamoi", dessen Anfang pure fauchende Aggressivität ist, während der letzte Teil etwas japanisch Versöhnliches bietet. Eine bedeutungsgleiche Variante fällt da wesentlich silberpapieriger aus: "Herrschaftszeiten!" - Das raschelt, und wenn man draufbeißt, tut es weh. Die Zeiten welcher Herrschaft hier heraufbeschworen werden, ist eigentlich nebensächlich. In natura begegnet uns letztere Variante nämlich sowieso meist als "Herrschaftseiten", weil wir das "ts-z" nicht mögen und beim Fluchen schon überhaupt nicht gerne von solchen Lautgebilden aufgehalten werden wollen. (So wie uns auch der Unterschied zwischen "Waldzwerg" und "Walzwerk" lautlich gesehen ganz egal ist.)

Das etwas verspieltere "Krawuzikapuzi" geizt auch nicht mit bösen Lauten, dafür wird der bedrohliche Anlaut "Kr" durch ein lustig-alternierendes a-u-a-u entschärft. Nicht nur der Petzi-Bär hatte damit seine helle Freude, das Wort ging auch in die Alltagssprache ein, wo es zu einer liebevollen Schimpffloskel wurde. Wer sich über etwas ärgert, und dabei mit dem Wort "Krawuzikapuzi" seinem Unmut Ausdruck verleiht, der signalisiert gleichzeitig, dass es eigentlich wichtigeres im Leben gibt. Nicht umsonst sind es auch solche Leute, die schulterzuckend Perfiditäten zur Kenntnis nehmen, dies damit erklärend, dass es sich sowieso um ein "einziges großes Kasperltheater" handle. Krawuzikapuzi ist also nicht nur lautlich ein schönes Wort, es erinnert uns auch an die Kunst des harmlosen Schimpfens.

Montag, 17. September 2012

:-P ...

Aus einer Fülle der seltsamsten Emoticons werde ich gezwungen jenes zu wählen, das meinen momentanen Gemütszustand am ehesten zu beschreiben vermag. Dazu muss ich mir erst einmal darüber klar werden, wie ich mich eigentlich gerade fühle. Ein Smiley, der die Zunge rausstreckt - was für ein Gefühl vermittelt er? Ich finde ihn nicht schlecht, aber momentan befinde ich mich in keiner Laune, in der man für gewöhnlich die Zunge rausstreckt. Überhaupt kann so eine herausgetreckte Zunge die verschiedensten Zustände beschreiben. Ich kann die Zunge frech herausstrecken, ja neckisch, obwohl sich so etwas für einen Mann ab einem gewissen Alter gar nicht mehr gehört.
Ich kann hechelnd wie ein Hund die Zunge zum Lüften aus dem Mund hängen lassen; das wäre ein angestrengtes Zunge-Zeigen, das bei Hunden oft lässig, bei Menschen aber immer ein bisschen debil aussieht. Ich kann wie Einstein auf dem Foto, das er, lebte er noch, wahrscheinlich am meisten hassen würde, die Zunge mit weit aufgerissenen Augen ganz "crazy" rausstrecken, so wie man es noch ab und an auf verschiedenen Fotos sieht, die auf Partys aufgenommen wurden, auf denen Menschen, in Ermangelung kontrollierter Mimik, zu extremen Grimassen neigen und also, wenn es an geeigneter Kreativität fehlt, einfach die Zunge so weit wie möglich Richtung Kinn strecken.
Doch so verschiedenartig diese Zunge-Zeig-Varianten auch sind, ein einheitlicher, diesen allen zugrunde liegender Gemütszustand lässt sich ihnen genausowenig zuordnen wie es völlig unklar ist, was diese Gesichter in jedem einzelnen Fall genau zu bedeuten haben. Deswegen gibt es auch einen Smiley mit herausgestreckter Zunge und Augen, die aussehen wie ein X. Dabei handelt es sich, denke ich mir, vielleicht um einen Gewichtheber-Smiley, denn so eine angestrengte Visage, eine Mischung aus Konzentration und gewaltiger Anstrengung, sieht man eigentlich nur bei Gewichthebern und vielleicht auch noch bei Diskurs- und/oder Hammerwerfern. Letztere aber drehen sich so schnell, dass ein prüfender Blick in das Athletengesicht meist nicht möglich ist. Ich selbst mache so anstrengende Sachen für gewöhnlich nicht, und sollte ich mich doch einmal so plagen müssen, dass meine Augen sich zu einem X verzwicken, würde ich mich davor hüten, meine Zunge zwischen die Zähne zu schieben, müsste ich doch die Befürchtung haben, mir bei einer derartigen Anstrengungen versehentlich die Zunge abzubeißen.

Enttäuscht lasse ich von den Smileys ab. Die Vorstellung, für jede menschliche Emotion auch ein passendes Emoticon zur Verfügung zu haben, kommt mir immer irrwitziger vor. Am ehesten sind es drei Punkte, welche die meisten meiner Emotionen recht treffsicher beschreiben, und die sich dabei noch schön schlicht und bescheiden ausnehmen. Nichtssagend, ja; ... aber nichtssagend sind doch auch solche Gewichtheber-Smileys ob ihres übersemantisierten Vorbeischrammens an humanmimischen Tatsächlichkeiten.
"Hier gibt es nichts zu sehen", sagen drei Punkte und bedeuten somit ungleich mehr als die fragwürdigen Emoticons, die in ihrer Absicht, das menschliche Gefühlsspektrum auf drei Zeichen zu verkürzen, stetsfort auf die bedenklichste Weise versagen. Genug gesagt...


Nachtrag:

Vor 30 Jahren wurde das Smiley-Emoticon von Scott Fahlmann erfunden. Der Erfinder selbst steht der Entwicklung, die seine Idee genommen hat, skeptisch gegenüber:
"Ich hatte doch keine Ahnung, dass ich etwas auslöste, das bald alle Kommunikationskanäle der Welt verschmutzen würde." Und dem Independent sagte er kürzlich, er finde die grafischen Smileys hässlich. Sie ruinierten "die Herausforderung, auf schlaue Art und Weise Gefühle mit einigen Tastatursymbolen auszudrücken."
Viele Schreiber setzen ihre Emoticons ohnehin nicht als Stimmungssignal ein, sondern als eine Art Verlegenheitsgeste, ein Anzeiger für sprachliche Unsicherheit. Das :-) soll anzeigen, dass ein Satz irgendwie vielleicht nicht ganz wörtlich gemeint ist und um Gottes willen nicht missverstanden werden soll – ersetzt also das Bemühen, so präzise zu formulieren, dass die Worte das wirklich Gemeinte übermitteln.

Hier zum Artikel in der 'Zeit'.