Freitag, 15. Juni 2012

Irischer Abgang mit Stil

Public Viewings sind toll, wenn man Bierbänke und brüllende Fangruppen mag. Ich mag Bierbänke und bei den Fangruppen kommt es immer darauf an, ob es sich um SchwedInnen, singende Iren, lustige Holländer oder halt im Kroaten handelt, die ein Gebrüll anstimmen, als wollten sie in den Krieg ziehen anstatt der EU beitreten. Public Viewings sind nicht toll, wenn man sich ein Spiel genau anschauen will, d.h. sie sind vollkommen wertlos, wenn es ein sehr von Taktik geprägtes Match zu sehen gibt mit wenig Torszenen, die mit gutturalen „Uh!“s oder „Oah!“s kommentiert werden könnten. Das Match zwischen Kroatien und Italien eignete sich zwar gut für ein Public Viewing, im Nachhinein hätte ich es aber auch gern in Ruhe gesehen, denn ich bin mir nach Lektüre der gewohnten Berichterstattung sicher, dass es da mehr zu beobachten gab als gute Torchancen auf beiden Seiten. Aber auch beim Fußball-Schauen gilt dasselbe wie sonst auch: nämlich, dass man eben nicht alles haben kann. (Das wieder mal als der Weisheit letzter Schluss zu verkaufen... na servas!)

Sieht man Italien zu, hat man, trotz der nach vorne spielfreudigeren Ausrichtung dieser 2012er Mannschaft, das Gefühl, dass ein Sieg immer ein 1:0, eine Niederlage immer ein 0:1 und ein Unentschieden immer ein 1:1 sein muss. Vielleicht ist das der Grund, warum sich der italienische Fußball so gut für Wettbetrug eignet; derlei Ergebnisse sind leicht … sagen wir 'herzustellen'. Dabei war es gestern gar nicht so, als hätten die Italiener nicht das Zeug dazu gehabt, aus dem Spiel heraus ein zweites Tor zu erzielen. Vor allem am Ende der ersten Halbzeit war Italien spielerisch überlegen und konnte einige gute Chancen generieren. In der zweiten Halbzeit wurde Modrić direkt auf Pirlo angesetzt, was den Aufbau von Angriffen auf italienischer Seite viel besser unterband. Cassano und Balotelli, das stumpfeste Stürmerduo der Welt, waren nicht unauffällig, jedoch leider zu uneffektiv. Diesmal konnte auch Ersatzmann di Natale nicht die Wende herbeiführen.

Es war aber nicht nur die italienische Chancenauswertung, die dieses Spiel bei einem Unentschieden beließ; vor allem waren es die unbändigen Kroaten, die ihre Leistung vom Spiel gegen Irland noch steigern und die Italiener auch über weite Strecken unter Druck setzen konnten. Das funktioniert nur dann, wenn die Topstars (Srna, Modrić, Mandžukić) Topleistung bringen, die anderen keine Scheu vor großen Gegnern zeigen und das Team taktisch perfekt eingestellt ist (wofür Coach Slaven Bilić gesorgt hat). Dann, wenn so ein Spiel funktioniert, generiert sich erst jenes Selbstvertrauen, das man braucht, um mutig und frech gegen Teams wie Italien zu Werke zu gehen – und das hat Team Kroatien hervorragend gemacht. Sie hätten sich damit auch den Sieg verdient. Aber gegen Italien zwei Tore zu machen, das fällt selbst Europameister Spanien schwer.

Die Spanier haben das gemacht, was man von ihnen erwartet hatte. Ich habe es gestern schon gesagt, dass sie die Iren abschießen werden (was keine besonders mutige Vorhersage war) und dass es den Iren egal sein wird (was sich auf eine doch etwas überraschende Weise bewahrheitet hat). Spanien steht jetzt gut da: Sie haben im ersten Match gegen den schwersten Gruppengegner eine taktische Ausnahmevariante probiert, die gut funktioniert hat. Im zweiten Match, gegen den Gruppenschwächsten, haben sie sich mit der Standardeinstellung Selbstvertrauen geholt und allen anderen Teams dieser Euro gezeigt, dass es mit dem spanischen Zauber noch lange nicht vorbei ist. Tiki-Taka in Zahlen: 788 angekommene Pässe von insgesamt 860 (nur zum Vergleich: Team Eire passte insgesamt 254 mal, wovon 178 auch wirklich ankamen). Der Vergleich der Pass-Statistik ist freilich nicht nur ein Vergleich zweier Spielklassen, sondern eben auch der unterschiedlichen Spielweise; aber wer 600 erfolgreiche Pässe mehr spielt als der Gegner, hat auch gute Aussichten auf eine erfolgreichere Chancengenerierung und -auswertung.

Über das Match muss eigentlich nichts gesagt werden, außer, dass es ein Zeichen dafür war, dass Spanien als Favorit absolut in der Lage ist, zu überzeugen. Deutschland hat hier noch etwas nachzuholen, aber immerhin bleibt denen das letzte Gruppenspiel gegen den falschen Gruppenaußenseiter ('falsch' deshalb, weil Dänemark nur auf dem Papier das schwächste Team ist, in Wahrheit aber das einzige, das in dieser Gruppe irgendwelche Erwartungen übertroffen hat). Irland ist nun das erste Team dieser Euro, das schon fix ausgeschieden ist. Die Iren trugen das aber wie erwartet mit Fassung: Während der letzten Minuten des Spiels intonierten die irischen Fans Gesänge, wie man sie selten in Fußballstadien während einer Euro gehört hat. Man muss es selbst hören und sehen, wie Spanier und Iren in dieser Kulisse ihr Spiel fertig spielen – es klingt wie in einer Kirche. Gespenstisch irgendwie, aber für einen irischen Fußballspieler muss das wohl das absolute Gänsehaut-Feeling sein. Noch nie habe ich Fans eine Niederlage so würdig akzeptieren gesehen bzw. gehört. Fantechnisch ist das sicherlich das Highlight dieser EM und wird unmöglich zu toppen sein. Ganz große Gratulation und ein herzliches Dankeschön an die irischen Fans – würdevoller kann man nicht ausscheiden!




In der Gruppe D stehen heute die letzten Spiele der zweiten Runde an. Dabei werden England und Frankreich zeigen müssen, dass sie sich – von einander ungestört – frei spielen können. Frankreich hat es mit Andrij Schewtschenko zu tun, England spielt gegen Ibrahimovic. Eigentlich sollten sich hier die in ihrem ersten Aufeinandertreffen noch schaumgebremsten Favoriten durchsetzen, wobei man mit der Ukraine die leichtere Aufgabe für Frankreich vermutet. Aber Vorsicht, wir wissen aus dem ersten Spiel, dass beide Teams zu sehr schlechtem Fußball fähig sind! Wenn Andrij Schewtschenko nach dem furiosen ersten Spiel noch Kraft für ein zweites haben sollte, darf auch mit ihm, dem Jetzt-schon-Volkshelden, wieder gerechnet werden. Frankreich muss gewinnen, nicht nur, um die Gruppenführung zu übernehmen, sondern auch um den Geheimfavoriten-Status zu rechtfertigen.

Auch England darf an Schweden nicht scheitern; ein Unentschieden wäre nicht nur moralisch zu wenig. Schweden hingegen hat die Chance, gegen England zu beweisen, dass mit ihnen doch noch zu rechnen ist. Jedoch würde mich auch hier alles andere als eine schwedische Niederlage überraschen und auch ein bisschen enttäuschen, haben sich doch die Engländer (zumindest eine Halbzeit lang) viel besser verkauft als ihnen zugetraut wurde. Alle vier Teams sollten noch etwas in petto haben, schließlich haben sie in der letzten Runde jeweils nur eine Halbzeit lang wirklich gespielt!



Mann des Tages: Andrea Pirlo, der den ersten schönen direkten Freistoß dieser EM verwandelt hat und mit seinem etwas fortgeschrittenen Alter und seiner Spielintelligenz der italienischen Mannschaft noch einen Rest von Würde verleiht.


Buhmann des Tages: Gibt's keinen, das haben sich die beiden Spiele wirklich nicht verdient. Vielleicht der kroatische Fan, der unbedingt Feuerwerkskörper auf das Spielfeld werfen musste. Gerade an einem Tag, an dem im Anschluss die Iren so positiv aufgefallen sind, wirkt sowas im Nachhinein betrachtet noch bescheuerter, stumpfer und unsinniger als es vorher schon war.

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