Freitag, 11. Dezember 2015

Vorweihnachtliches Potpourri

Als Kind kam mir das Märchen von der Frau Holle immer extrem plausibel vor. Was konnten diese dicken, zur Erde niedertanzenden Flocken anderes sein als quasi die Federn von der Frau Holle ihrer Tuchent? Leider hat die Geschichte von der Frau Holle schon lang das Zeitliche gesegnet. Nicht nur, weil die Vorstellung einer die Betten ausschüttelnden und im Himmel wohnenden Übermutter nicht mehr zeitgemäß ist und gendermäßig geradezu frivol erscheint. Vor allem, weil man im Dezember immer öfter aus dem Fenster schaut und meint, den Frühling hereingrinsen zu sehen, dessen Fratze zwischen regnerisch kühl und wohlig warm changiert und so ihre unzeitgemäße Bedrohlichkeit dem auf den Winter wartenden Erdenbürger Flüche gen Himmel schicken lässt.

Wie gut aber, dass heutzutage der Schibetrieb sichergestellt ist und die Gäste schon vor Weihnachten österliches Wetter genießen können. Frau Holle hat ausgedient - der Diplomingenieur Holle hat jetzt das Sagen! Dem Herrn Dipl.Ing. ist der Klimawandel nämlich wurscht, weil er kann auch bei Plusgraden Schnee produzieren! Vielleicht lässt er sich bald etwas einfallen, damit der bei Plusgraden erzeugte Schnee dann auch liegen bleibt, und überhaupt: Winter findet in den Köpfen der Menschen (vor allem der Skiliftbetreiber) statt!

Der der Winterschwindsucht verfallene Erdenbürger sucht indes Trost in Punsch und Glühwein, die man bei mildem Wetter auch lauwarm akzeptiert. Kuschelig steht man kurzärmelig am Weihnachtsmarkt und macht sich gegenseitig die Herzen auf, indem man Gruselgeschichten von Flüchtlingen und "Wintermärkten", die nicht mehr Weinachtsmärkte heißen dürfen, erzählt. Hat man auf Facebook gesehen! Früher, als es im Winter noch kalt war, und man schon Anfang Jänner im See einbrechen konnte, stand sowas wenigstens noch in der Kronen Zeitung! Ja, früher war alles anders: Da gab es winters noch einen Schnee und die Nachrichten hat man gelesen und nicht nur im Drüberscrollen gesehen.

Dann gibt es noch die, welche die stillste Zeit im Jahr nicht mit Weihnachtsstress verwechselt haben wollen, und ihre Freunde und Bekannten mahnen, nur ja in lokalen Geschäften zu kaufen, denn das Internet ist böse und das Christkind kauft auch nur im schlecht sortierten Einzelhandel. Am besten ist überhaupt, man bastelt selber was, auch wenn man dann die enttäuschten Gesichter der Familienmitglieder am Weinachtsabend aushalten muss. Wo man das Bastelzeug kauft, ist aber weiterhin Gewissensfrage und im Zweifelsfall kann man ja immer noch am Samstag Nachmittag nach Salzburg in den Europark fahren (not!).

Also: Lieber zu Hause bleiben, durch das Fenster aus dem überheizten Haus auf die grüne Wiese starren und ab und zu jemanden anrufen und sich mit ihm darüber streiten, was denn nun das einzig wahre Weihnachtsessen sei. Wir Pinzgauer, die mit Bachlkoch und Würstelsuppe antreten, werden da meist belächelt. Aber das Geringe als das eigentlich Überlegene ansehen: Das war schon immer unsere Stärke!

Frohe Weihnachten

Mittwoch, 3. Juni 2015

An der Hausmauer sitzend

Der Plamberger Loisl sitzt gerne vor seinem Haus, genauer auf der Terrasse vor seinem Haus, an die Hausmauer gelehnt, die sich an warmen Sonnentagen dermaßen aufheizt, dass es den Loisl daran erinnert, wie er sich früher immer an den abkühlenden Backofen der Mutter gelehnt hat, weil es ihm zwar an menschlicher, nie aber an elektrischer Wärme gefehlt hat. Eine schöne Kindheit war das. An der Mauer also sitzend und die wohlige Wärme genießend, schaut er auf die rumpelige Straße, auf der sich, weil sie so steil ist, im Winter die Holländer und im Sommer die Araber abmühen. Die Holländer im Winter, weil es so glatt ist, und sie aber zum Apartmenthaus am Ende der Straße müssen; Die Araber im Sommer, weil das Navigationsgerät sie auf so unwegsames Gelände geführt hat und sie jetzt nur noch Allah oder der Prophet höchstpersönlich im Gewande eines österreichischen Feuerwehrautos aus ihrer misslichen Lage befreien kann.

Der Loisl, der im Winter nur selten vor der Türe sitzt, sondern lieber drinnen am Fenster, von wo aus er die gleiche Aussicht auf die rumpelige Bergstraße hat wie an der Hausmauer auf der Terrasse, nimmt das Theater, welches sich auf besagter Straße sommers wie winters abspielt, gelassen hin. Man vermag es gar nicht zu beurteilen, ob er es überhaupt wahrnimmt, denn meist sagt der Loisl nicht viel, sondern schaut nur verzwickt (das hat er von seinem Großvater gelernt, der, man glaube es den übrigen Zellern, der Weltmeister im Verzwickt-Schauen war). Wenn er etwas sagt, dann sagt er nur "mhm" oder "hmm", je nach Laune mehr aus der Nase heraus (gut gelaunt) bzw. mehr aus dem unteren Kehlbereich heraus (schlecht gelaunt). Dazu schüttelt er oft den Kopf - nicken hat man den Plamberger Loisl nur selten gesehen. Denn wenn er eine Frage wortlos bejaht, kippt sein Kopf nur zustimmend auf seine Brust, hebt sich aber nicht mehr. In diesem Falle von einem vollwertigen Nicken zu sprechen, wäre der Beobachtung nicht gerecht.

Früher hat er das Kopfschütteln geübt, als er mit dem Rücken gegen den Backofen gelehnt saß und dabei versuchte, seine Ohren abwechselnd zu wärmen. Kopf nach links - linkes Ohr warm; Kopf nach rechts - rechtes Ohr warm, linkes aber schon wieder kühl; schnell wechseln...
Seine Mutter hat ihr an den Backofen gelehnt sitzendes und den Kopf wild hin und her werfendes Kind nur verständnislos angesehen, dabei selbst den Kopf geschüttelt und ihm gesagt, wenn es so weiter tue, bliebe ihm das Kopfschütteln irgendwann. Einmal haben sie in der Stadt ein altes Männlein gesehen, das den Kopf beim Gehen ständig geschüttelt hat, damit, einer pessimistischen Taube gleich, aber aufhörte, als es still stand. Des Loisls Mutter zeigte mit dem Finger auf das Männlein und verkündete ihrem Sohn: "Schau, Loisl, so wirst du auch einmal!" Da schauderte es dem Knaben.

Der Loisl ist letztlich doch nicht so geworden, weil das Kopfschütteln bei ihm keine motorische, neurologische oder eine andere körperliche Störung ist. Es ist bloßer Ausdruck eines innergebirglerischen Weltekels, den zu lindern nur die warme, sommerliche Hausmauer im Stande ist. Daher schüttelt der Lois im Winter häufiger den Kopf und im Sommer dann besonders oft, wenn er - was selten genug vorkommt - sein Haus verlässt oder es "Araberwetter" hat: So nennt man kühles und regnerisches Sommerwetter in Zell am See gerne.

Dem Loisl sind die Araber wurscht, genauso wie die Holländer. Er schüttelt bei beiden den Kopf, und zwar genauso verächtlich, wie wenn der Apartment-Besitzer in dem übermotorisierten Sportwagen vorbeifährt, mit dem er im Winter nie den Berg rauf kommt, weil das Auto Heckantrieb hat und die computergesteuerten Fahrassistenz-Programme den Kasatschok tanzen, wenn der Fahrer den Wagen über die eisige Rumpelstraße lenkt. Keine Laborbedingungen für deutsche Sportwagen sind das! Wenn das der deutsche Ingenieur sehen könnte, er würde den Kopf genauso schütteln wie der Lois, der dazu noch "mhmm" macht. Ein "mhmm", das ganz tief unten in der Kehle gurgelt. Für den Apartment-Besitzer, der eh bloß zwei Mal im Jahr für ein paar Tage nach Zell kommt, ist das nur ein weiterer Grund, sich vielleicht doch so einen schicken englischen Geländewagen anzuschaffen. Der wird dem Loisl nur ein amüsiertes "hm!" wert sein.

Eigentlich ist dem Loisl alles wurscht. Man nennt das Resignation - der Loisl sagt aber Zufriedenheit dazu. "I bin z'friedn", sagt er, wenn er danach gefragt wird, wie es ihm ginge. Ob das jetzt Understatement oder eine krasse Fehleinschätzung ist, weiß niemand so genau. Tatsächlich aber kann man, wenn man am Haus vom Loisl vorbei die rumpelige Bergstraße hinauf fährt, fast ein seliges Lächeln auf seinem Gesicht erkennen. An einem warmen Sommertag, versteht sich; wenn der Loisl an der Hausmauer lehnt, den Kopf nach hinten gekippt, und ein bisschen schläft. Wenn er vom Backofen der Mutter träumt und wie fein alles war und eigentlich noch immer ist. Meist wacht er kurz auf, wenn die Reifen auf dem Schotter durchdrehen oder die Stoßdämpfer ob der gemeinen Schlaglöcher stöhnen. Dann blinzelt er, macht "hmm" und schüttelt den Kopf.