Montag, 11. Juni 2012

Überraschend erfüllte Erwartungen

Irland ist ein seltsames Fußball-Völkchen. In der Nationalmannschaft kann jeder spielen, der zumindest einen irischen Opa oder eine irische Oma vorweisen kann, man muss also nicht einmal Ire sein. So clever dieses Rekrutierungssystem sein mag, so bitter ist allerdings auch die Erkenntnis, dass es dem Inselvolk anscheinend an wirklich guten Fußballern mangelt. Das ist aber okay und letztlich wurscht, denn man hat sich für diese EM qualifiziert und das ist schon Beweis genug, dass es auch mit Vaterlands-Stief-Enkelsöhnen möglich ist, erfolgreich zu kicken – und mit einem gescheiten Trainer.

Giovanni Trapattoni ist vielleicht der Trainer, der am wenigsten zu seiner Mannschaft passt. Die graue Eminenz aus Italien und die wilden Burschen von der verregneten Insel, die optisch gesehen eigentlich lieber Rugby spielen sollten – das ist ein seltsamer Verband. Aber irgendwie kommen sie sympathisch daher, wie so viele Außenseiter. Ich vergleiche sie gerne mit Australien oder Neuseeland bei Weltmeisterschaften: Jeder weiß, dass man von denen nicht viel erwarten kann, aber diese Mannschaften wirken immer, als wollten sie wirklich Fußball spielen und allen zeigen, dass sie das auch ganz gut zustande bringen. Außerdem sind die Fans immer extrem begeistert ohne deswegen übermütig zu werden: harmlose Betrunkene im besten Fall. So sind die Iren auch, und deswegen sind sie irgendwie lieb.

Dass sie guten Fußball spielen wollen ohne besonders gute Fußballer zu sein, zeigten sie auch gestern gegen Kroatien. Das Spiel war so erfrischend, weil es so unkompliziert war. Den Iren fehlt zwar das technische Können, um ein komplexes Spiel aufzuziehen, aber sie lassen sich deswegen auch nicht hinten reinstellen und zu Bollwerks-Defensivarbeit verdonnern. Das ist ein weiterer Grund, warum Trapattoni nicht zu den Iren passt. Deswegen (und natürlich, weil es seine Natur ist) hauste Trap auch wieder wie kein zweiter an der Seitenlinie. Es wirkte, als würde er bei Angriffen seiner Mannschaft verzagt zusehen, wie ein Vater, der es schon aufgegeben hat, seinen Söhnen gute Ratschläge zu geben, die diese sowieso nicht beachteten. Bei Angriffen der Kroaten dann wurde er wieder wild, fuchtelte, schrie und deutete, als könne er allein durch Zurufen die Spieler am Feld bewegen, so wie er es sich vorstellt.

Die Iren aber sind widerspenstig; und sie sind auch ein bisschen tollpatschig. Deswegen sind sie ja auch so lieb. Iren spielen den Ball, wenn sie ihn nicht mit dem Fuß treten, am liebsten mit dem Gesicht, oder er springt ihnen irgendwie anders auf den Kopf, so, dass es halt einfach nicht gut aussieht, sondern komisch. Das macht aber alles nichts, denn wenn sie den Ball haben, dann laufen und rackern sie wie Irre – so motiviert (nicht übermotiviert!) ist bisher noch keine Mannschaft aufgetreten. Man sollte sie einfach spielen lassen, es ist aufregend anzusehen. Freilich, ohne Trapattoni wären sie vermutlich nicht da, wo sie jetzt sind. Hier haben sie aber überhaupt nichts zu verlieren, warum also nicht einfach drauf pfeifen und dem Motto gemäß spielen, das auf dem Teambus der Iren prangt: „Talk with your feet. Play with your heart.“

Ähnliches haben sich wohl auch die Kroaten gedacht und deshalb mit einer bisschen intelligenteren Scheißdrauf-Mentalität mehr aus dem Match holen können. Natürlich finden sich in den Reihen der Kroaten auch die besseren Spieler; wer aber einen Coach wie Slaven Bilic hat, der spielt einfach auch unbekümmerter. Bilic ist bei dieser EM außer Joachim Löw der einzige Trainer, der auch schon 2008 auf der Bank saß (oder vor selbiger stand). Damals als Zigaretten rauchender Prolet mit Flinserl aufgefallen, gab er sich gestern 'stilsicher' mit Sakko, brauner Krawatte und Haube. Ich weiß nicht, ob die kroatischen Spieler sich manchmal seiner schämen, aber irgendwie scheinen sie ihm doch zu vertrauen und der Erfolg gibt ihm erstmal recht. Jedenfalls liegt hier der eklatanteste Unterschied zu Irland: Bilic passt zu seiner Mannschaft, seine Mentalität passt zum kroatischen Spiel – nein, sie ist das kroatische Spiel: Wild und laut, ein bisschen proletoid, gleichzeitig aber sehr intelligent und sich seiner eigenen Möglichkeiten bewusst. Weiter so, Kroatien!

Spanien gegen Italien war das zweite (eigentlich das erste) Spiel dieser Gruppe und es kam eigentlich alles so, wie man es sich gedacht hat: Die Spanier mit Problemen beim Abschluss (merke: Mit dem Ball in's Tor rennen, das geht bei italienischen Verteidigern nicht!), Italien hinten gewohnt gut. Was aber doch überraschend war: Die Offensivfreudigkeit der Italiener. Nicht, dass Italiener keinen Offensivfußball spielen könnten, aber bisher schien es immer so, als verstünden sie diesen als notwendiges Übel. Gestern aber wirkte das ganz anders. Schon die Aufstellung hat das verraten: Die Italiener starteten mit einem 3-5-2, einem Dreier-Abwehrkern um DeRossi, der im Verteidigungsfall aber zu einer Fünfer-Abwehr werden konnte. Das machte es für die Spanier schwierig, ihr Kurzpassspiel in Strafraumnähe zu bringen. Über die Flanken ging nicht nur deswegen nichts, weil es das Spiel der Spanier einfach nicht ist, sondern vor allem auch, weil Spanien ohne echten Stürmer auftrat. Negredo, Llorente und Torres blieben zunächst auf der Bank, während sich Fabregas und Silva jeweils als vorderster Mann abwechselnden. Überhaupt schien del Bosques Mittelfeld alle Freiheiten zu besitzen, es wirkte, als wolle man sich wirbelnder Weise durch die italienische Abwehr bohren.

Das führte zu teilweise absurden Szenen, in denen Spanier sich gegenseitig Pässe zuspielten und dafür so viel Platz hatten wie in einer Besenkammer. Gegen Irland und Kroatien wird das bestimmt anders aussehen, gegen Italien aber war es eine interessante und kluge Variante. Was die Italiener anbelangt, wird es auch spannend zu sehen sein, wie diese gegen die schwächeren Gruppengegner auftreten. Was sie allerdings gegen Spanien gezeigt haben, muss jede technisch gute, offensiv ausgerichtete Mannschaft das Fürchten lehren. Sollten Spanien und Italien sich im Finale wiedersehen, ist es nicht ausgeschlossen, dass es dann auf die beiden Torhüter ankommt – im Elfmeterschießen.

Ein Tag mit zwei sehr ansehnlichen Partien war das also, jeweils auf unterschiedlichem Niveau zwar, aber so kann man doch von jenem Popcorn-Fußball sprechen, von dem ich gestern noch behauptet habe, dass man es nur in der österreichischen Regionalliga zu sehen bekomme (was natürlich nicht ganz ernst gemeint war). Man musste mit Spanien vs. Italien vielleicht geduldiger sein, aber das war ein sehr dichtes, komplexes und durchdachtes Match. Der einzige, der da nicht ganz dazu passte, war Balotelli – charakterlich wie fußballerisch nicht. Deswegen wurde er dann konsequenterweise auch ausgetauscht. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen, ich glaube, dass der noch für so manch fragwürdige Szene sorgen wird.

Ich tu mir schwer mit diesem Italien, weil es gar nicht so unsympathisch ist, wie ich es erwartet hatte. Zeitweise habe ich mich sogar dabei ertappt, die Italiener gut zu finden; also jetzt nicht nur rein fußballerisch, sondern auch so, wie sie auf dem Platz auftraten und offensivwillensmäßig, ein bisschen – jetzt kann man es ja sagen – irisch-kroatisch fast. Außerdem ödet mich das spanische Spiel schön langsam an. Nicht, weil es nicht schön wäre, sondern weil es ein bisschen vorhersehbar geworden ist und damit schwieriger auszuführen und eben nicht mehr so leicht und einfach aussieht, wie damals vor vier Jahren noch. Aber spätestens, wenn ich wieder Italiener jammern und umfallen sehe, vergeht es mir wieder, weil ich weiß, dass sie die Urheber dieses unsittlichen Betragens sind, das man mittlerweile auch schon in Mannschaften findet, die für so etwas ganz und gar nicht bekannt waren (Ja, Arjen Robben, du bist gemeint!).

Danke, Gruppe C, für diesen tollen, sehr vielfältigen Fußballtag, der unsere Erwartungen nicht enttäuscht und uns trotzdem ein bisschen überrascht hat! Wenn es heute in der Gruppe D auch wieder so wird, können wir von einem gelungenen ersten Durchgang sprechen.


Typ des Tages: Bilic, der Hauben-Prolet. Der ist einfach super!

Buhmann des Tages: Mario Balotelli, der sinnlos-Prolet. Als er allein auf's spanische Tor gelaufen ist und sich den Ball dann so einfach abnehmen ließ, sah das auch ein bisschen nach Wett-Skandal aus.

Team dieser Gruppe: Irland, auch wenn sie nicht aufsteigen werden. Aber sie sind einfach lieb und spielen so sympathisch!

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