Donnerstag, 26. April 2012

Alaba trifft. Ronaldo verschießt.

Ein Abend im späten April, der die Schwere eines Sommerabends hat, aber leider nicht die Temperaturen: Ich hetze durch die Innenstadt, denn ich will nicht zu spät kommen. Heute steigt das zweite Halbfinalrückspiel der Champions League und nach dem gestrigen Krimi zwischen Chelsea und Barcelona und dem viel versprechenden Hinspiel letzte Woche, kann es zwischen Real Madrid und dem FC Bayern München nur zu einem Höhepunkt kommen. Programmierten Höhepunkten mag man misstrauisch gegenüberstehen, heute scheint die Vorfreude aber gerechtfertigt.

Ich sehe jugendliche Männer in Zweier- und Dreiergruppen, die schnellen Schrittes, ebenso gehetzt wie ich, die Straßen entlang gehen, um dann in den offenen Türen jener Lokale zu verschwinden, die das Spiel übertragen. Sie sehen aus wie kleine Buben an ihrem Geburtstag. An meinem schnellen Gang erkennen auch sie, auf welchem Weg ich mich gerade befinde, und wir nicken uns wissend zu. Die bereits geöffneten Gastgärten verschiedener Cafes sind spärlich mit diversen Damenrunden besetzt. Hie und da ein junges Pärchen, vermutlich beim ersten Date. Ich meine an der Körpersprache der Burschen erkennen zu können, dass es sich dabei um klare Fälle von „Am Samstag Abend ausgemacht, dabei aber vergessen, dass am Mittwoch Champions League ist“ handelt. Absagen will man so kurzfristig dann auch wieder nicht, mal sehen wie es läuft, vielleicht dauert es ja nicht so lang... Ich kann schon sehen, wie die jungen Männer nervös ihre Smartphones kontrollieren werden, sollten die jeweiligen Damen einmal kurz die Toilette aufsuchen.

Keuchend komme ich im Gösser-Bräu an. Alle sind schon da, es wurde auch schon gegessen, das Bier steht bereit. Es ist erst viertel nach acht, das Spiel beginnt in einer halben Stunde, und doch habe ich das Gefühl, schon etwas versäumt zu haben. Man merkt dem Lokal an, wie groß die Erwartungen sind, die Leute sind unruhig. Dann die ersten Bilder aus dem Bernabeu-Stadion: getreten voll, die Lichter, die Menschen – Mann, wird das ein Spiel!

Am Tisch nebenan sitzt kurioserweise Konstantin Wecker, auch er mit ganz kindlichen Augen. Irgendwie sind hier drin alle nervös. Nicht, weil da irgendeine Mannschaft spielt, zu der man besonderen Bezug hätte (Konstantin Wecker bildet hierbei die Ausnahme), sondern es ist einfach die schiere Größe der Begegnung, die uns zappelig werden lässt. Große Spiele, große Emotionen.

Das Spiel beginnt und wieder einmal bin ich überrascht, wie attraktiv Fußball auf hohem Niveau aussehen kann. Links, rechts, links, rechts, hier eine Chance, da eine Chance. Bis man sich orientiert hat, bis man herausgefunden hat, welcher Spieler wo welche Aufgaben übernimmt, hat jede Mannschaft schon drei Chancen vergeben. Dementsprechend schnell steht es dann auch schon 2:0 für Real Madrid. Zwei Mal der unerträgliche Cristiano Ronaldo. „Große Spiele werden von großen Spielern entschieden“, höre ich den Kommentator sagen. Wie recht er doch damit haben sollte!

Das 2:1 vom Hinspiel aber mahnt den Real-Madrid-Fan: Nur ein Tor von Bayern, und die Sache geht von vorne los! Das ist das eigentlich Lustige an dieser Geschichte mit dem Hin- und Rückspiel: Dass eine vermeintliche Vorentscheidung (z.B. ein 2:0) durch das vorhergegangene Spiel wieder entschärft werden kann. Als Zuseher muss man sich ständig daran erinnern. Der Rausch, in den sich eine Mannschaft mit zwei schnell hintereinander erzielten Toren spielen kann, kann furchtbar schnell wieder vorbei sein. Und so bekommt Bayern einen Elfmeter zugesprochen, der ihnen in der ersten ganz großen Aktion des Abends den Anschlusstreffer beschert: Arjen Robben, der Mann, dessen verschossener Elfmeter im Spiel gegen Dortmund den Bayern die Meisterschaft gekostet hat, tritt an. Wenn das nur gut geht! Robben atmet tief durch, reibt sich die Augen, es sieht aus, als könnte er selbst gar nicht fassen, dass er sich gerade dafür gemeldet hat, diesen wichtigen Elfmeter zu schießen. Aber er trifft. Casillas ist zwar noch dran, aber der Ball landet im Netz, es steht 2:1. Jetzt geht das Spiel erst richtig los! Die Ouvertüre ist vorbei, es steht praktisch wieder null zu null. Aufgeregt verfolgt man weiter das hochklassige Hin und Her in Madrid.

Dann irgendwann der erste Freistoß für Cristiano Ronaldo. Oho! Der Drei-Wetter-Taft-John-Wayne stellt sich in bekannter Pose auf, das Stadion tobt. Viel Lärm um nichts, denn der Ball fliegt enttäuschend ungefährlich geradewegs in die Arme Manuel Neuers. „Schülerliga!“, rufe ich. Konstantin Wecker lacht, mehr aus Erleichterung denn aus Vergnügen. Die Halbzeitpause, eine lästige Angelegenheit, und doch weiß ich schon gar nicht mehr, ob sie überhaupt stattgefunden hat. Die zweite Halbzeit startet im selben Tempo wie die erste. „Ein Schlagabtausch der Spitzenklasse“, müsste der Kommentator sagen, oder sonst irgendwelche Sportjournalismus-Floskeln bemühen, aber das Spiel heute findet jenseits solcher Begriffe statt.

„Bloß kein Elfmeterschießen!“, höre ich die ersten schon in der 70. Minute sagen. Unvorstellbar, dass hier kein Tor mehr fallen soll! Beide Mannschaften üben hohen Druck aus, sobald sie in Ballbesitz sind. Bayern auf absolutem Spitzenniveau, einzig Bastian Schweinsteiger ist ein Schatten seiner selbst. Seine Pässe kommen zwar regelmäßig an, wenn er aber zu Dribblings ansetzt, mache ich lieber die Augen zu. Trotzdem merkt man, wie er alles versucht; Spieler wie er sind empfänglich für die Bedeutung des Moments, Spieler wie er machen in solchen Spielen keine entscheidenden Fehler - möchte man meinen. Große Spiele werden von großen Spielern entschieden...

Man weiß gar nicht mehr, wie viele Uh's und Ah's in den Räumen der Gösser erklungen sind an diesem Abend, die Stimmung jedoch ist am Siedepunkt, wie man so schön sagt. Wieder Freistoß Ronaldo, wieder die Cowboy-Pose, wieder ein harmloser Ball. „Schülerliga!“, ruft Konstantin Wecker – diesmal vergnügt. Plötzlich sind 90 Minuten vorbei. Wo ist das späte Bayern Tor? Wo der Skandalelfmeter in letzter Minute? Beides sollte heute ausbleiben. 2:1, insgesamt 3:3 – Verlängerung! „Bloß kein Elferschießen!“, sagen wieder einige. Irgendwer redet was von Herzinfarkt.

Man sieht, wie Jose Mourinho inmitten seiner Spieler kniet. Mit eindringlicher Miene versucht er, sie taktisch und mental auf die Verlängerung vorzubereiten. Selbst der Drei-Wetter-Taft-Cowboy hört ihm aufmerksam zu. Eine faszinierende, fast unwirkliche Szene. Mourinho, so hat man immer den Eindruck, lenkt eine Mannschaft mit unsichtbarer Hand, allein seine Anwesenheit genügt, um von den Spielern jene taktische Disziplin einzufordern, mit der man letztlich alles, und zwar wirklich alles, gewinnt. Plötzlich sieht man „The Special One“ arbeiten und es beschleicht einen eine Ahnung: Nämlich, dass selbst Wundertrainer wie Mourinho letztlich vielleicht auch nur mit Wasser kochen. Kann es sein, dass er verbissen wirkt? Vielleicht sogar ein wenig beleidigt? Welche wundersamen Worte gibt er seinen Spielern jetzt noch mit? Hat er noch einen „Game-Changer“ in petto?

Juup Heynckes auf der anderen Seite, marschiert zwischen seinen Spielern umher, klopft mal hier mal da auf die Schultern. Kurz vor Beginn der Verlängerung noch einmal zusammen stellen, sich erzählen, dass man das schaffen werde, und das war's dann schon. Irgendwie fatalistisch, irgendwie banal. Kann das gut gehen? Es geht wieder weiter.

Der großartige David Alaba rennt auf und ab, ist auch wieder vorne zu finden, nachdem er sich gegen Ende der zweiten Halbzeit auf Defensivaufgaben konzentriert hatte. Es scheint, als kenne er keine Müdigkeit. In Wahrheit kennt er kein Erbarmen – weder mit sich selbst noch mit seinen Gegnern. Beeindruckend, wie souverän ein so junger Spieler inmitten dieser Weltstars agiert. In so einem Spiel. Vor dieser Kulisse. Eigentlich Unvorstellbar!

Auch die Verlängerung bringt trotz vieler guter Aktionen keine Entscheidung und so kommt es, wie es kommen musste: Elfmeterschießen. Einige rennen noch einmal auf die Toilette. Konstantin Wecker sagt mir, Elfmeterschießen, das wolle keiner. Tatsächlich scheint auch im Gösser-Bräu keiner mehr die Kraft zu haben, sich auch das noch anzusehen. Man sieht Manuel Neuer, man sieht Iker Casillas. Beides Weltklassetorhüter. Lauter Weltklasseschützen. Reine Nervensache, wie immer. Wer sind die Wackelkandidaten? Arjen Robben vielleicht?

Gerade als ich mir überlege, wessen Nerven da vielleicht nicht mehr mitmachen könnten, spaziert ein völlig unbekümmerter David Alaba in Richtung Strafraum, wo Casillas schon im Tor wartet. Das darf doch nicht wahr sein! „Alaba!“, „Der Alaba schießt!“ hört man die Leute mit einer Mischung aus Aufregung und Entsetzen sagen. Der kann doch nicht..., der wird doch nicht..., als erster? Doch, kann er, wird er: David Alaba eröffnet das Elfmeterschießen im Champions League Halbfinale gegen Real Madrid. Gegen Iker Casillas. Im bummvollen Bernabeu-Stadion. Der 19-Jährige Österreicher verwandelt souverän. Scharf ins rechte Eck, fast schon riskant. Casillas fliegt ins linke. Das Lokal tobt, als wäre es das schon gewesen. Ich schlage vor lauter Begeisterung mehrmals mit der Faust auf den Tisch. Dabei spritzt mein Bier auf den Rücken von Konstantin Wecker. Er dreht sich um und strahlt mich an, als wäre er begeistert darüber. „Tschuldige!“ - „Passt schon, des g'hört sich so!“, sagt er.

Jetzt aber Cristiano Ronaldo. „Verschieß!“, rufen alle. „Der verschießt eh!“, sagt Konstantin Wecker bestimmt. Ronaldo schießt, Neuer hält. Unglaublich: Alaba trifft, Ronaldo verschießt.

Bayern trifft wieder. Neuer hält erneut. 2:0, das Ding ist fertig. Toni Kroos verschießt, macht nichts. Xabi Alonso trifft. Jetzt aber pariert Casillas den Schuss von Philip Lahm! Alles wieder ausgeglichen, das darf doch nicht wahr sein! Sergio Ramos haut daraufhin den Ball geschätzte acht Meter über das Tor. Ja ist denn das die Möglichkeit?

Dann kommt Bastian Schweinsteiger. Wenn er trifft, ist es vorbei. Oje, der Schweinsteiger! Oje, der Schatten seiner selbst! Wo ist Robben? Kneift der? Schweinsteiger tritt den möglicherweise entscheidenden Elfmeter. Das kann doch nicht gut gehen! Aber Casillas errät die Ecke nicht, Schweinsteiger trifft, Bayern siegt, das Haus tobt, das Spiel ist vorbei, Bayern im Finale. Das war's. Bumms, aus, Nikolaus. Was für eine Partie!

Noch am Heimweg überlege ich mir, dass nach einem so hochklassigen Spiel mir letzten Endes doch Alabas und Robbens Elfmeter als die größten Leistungen im Gedächtnis bleiben: Einzelleistungen, die fußballerisch nichts Außergewöhnliches darstellen, die aber vom mentalen Standpunkt her betrachtet fast übermenschlich sind. So stimmt es also doch, dass große Spiele von großen Spielern entschieden werden. David Alaba war an diesem Abend ein ganz großer Spieler. Alaba traf. Ronaldo verschoss. Wer hätte das gedacht?

Dienstag, 17. April 2012

Nicht nur zur Frühstückszeit

Im Frühstücksfernsehen wird eine App beworben, die das TV-Serien-Schauen noch besser machen soll. Wenn am Bildschirm ein Schauspieler auftaucht, werden automatisch alle verfügbaren Informationen über selbigen eingeholt und angezeigt. Aha, das ist ja wunderbar, denke ich mir. Jetzt soll ich auch noch parallel zum Fernsehen über das Fernsehen lesen, damit ich erfahren kann, in welchen unbekannten und völlig bedeutungslosen Filmen der mir ebenfalls unbekannte Serienschauspieler schon mitgespielt hat. Auch, dass mir so eine App im Frühstücksfernsehen vorgestellt wird, ist eigentlich erschreckend. Während ich also schon beim Frühstück gleichzeitig Zeitung lese und fernsehe, wird mir dort erklärt, wie ich am besten gleichzeitig fernsehen und lesen kann. Ich bin verwirrt.

Dann taucht der neue Weltbank-Chef am Bildschirm auf. Ein amerikanischer Mediziner mit einem Namen, der an nordkoreanische Diktatoren erinnert, und der zudem Youtube-Star ist, wird also Chef der Weltbank. „Und das in Zeiten wie diesen!“, könnte ein Wutbürger wüten. Mir ist es egal, der Herr wirkt seriös und sympathisch (eine seltene Kombination, bei Asiaten aber möglich), und außerdem vertraue ich sowieso immer darauf, dass Leute in solchen Positionen nicht wirklich was anstellen können, weil ihnen dauernd von anderen Wichtigtuern auf die Finger geschaut und gehauen wird. Vielleicht irre ich mich aber und der Herr wird eines Tages seinem diktatorischen Namen gerecht. Noch aber hat die Weltbank keine Armee, obwohl sie sich vielleicht eine leisten könnte. Interessiert mich aber auch kein bisschen, die Weltbank. Mich interessiert schon meine eigene Bank sehr wenig.

Dann der Attentäter von Oslo, der selbstgefällig im Gerichtssaal sitzt und so seriös wirken will, wie es eigentlich nur ein Weltbank-Chef sein kann. Der mit kühler, norwegischer Stimme erklärt, dass er alles gesteht und gleichzeitig auf Freispruch plädiert. Dann die weinenden Angehörigen, bei denen ich nicht verstehe, wieso sie sich das überhaupt antun, wenn sie doch vorher schon wissen, was das für ein Theater werden wird. Gestern habe ich gesehen, dass der Attentäter auch weinen kann. Geweint hat er nämlich, als sie im Gerichtssaal sein Propaganda-Video gezeigt haben. Hat er da aus Rührung geweint oder aus Verzweiflung? Interessiert mich eigentlich auch nicht.

Dann die ewig gleichen Vorberichte über große Fußballspiele. Heute wegen des Halbfinalspiels der Championsleague. Man sieht immer bemützte Fußballer beim Traben über das Feld, daneben der Trainer im Mantel. Dann ein paar Highlights aus den vorhergegangenen Spielen, zwischendrin Ausschnitte aus der Pressekonferenz, wo die Fußballer erklären, dass sie natürlich Respekt vor dem Gegner hätten, aber zu viel Respekt solle man auch nicht haben, denn schließlich sei ja im Fußball alles möglich und man werde alles versuchen und konzentriert ans Werk gehen, denn man wolle ja die Fans nicht... etc. Cristiano Ronaldo am Weg vom Mannschaftsbus zum Hotel. Witzigerweise sieht man in der Vorberichterstattung für Championsleaguespiele fast nie Fußballer auf Flughäfen. Das sieht man nur bei Länderspielen, denn da muss unterstrichen werden, dass da in ein anderes Land gefahren wird. Obwohl die Madrilenen auch mit dem Flugzeug nach München gekommen sind – vermute ich zumindest. Keine Fußballer auf Flughäfen. Dafür Fußballer auf dem Weg ins Hotel, vorbei an Fans und Fotografen. Sie werden alle ihr Bestes geben und alles versuchen. Bayern will versuchen, kein Tor zu bekommen. Madrid wird versuchen, ein Tor zu schießen, ein Auswärtstor wäre wichtig. Die Null muss stehen, so Bayern. Wir haben gute Chancen. Training, Pressekonferenz, ein Witz vom Trainer, ein Lachen des Verteidigers... Der Beitrag dauert nun schon fast 5 Minuten, obwohl ja noch gar nicht gespielt wurde. Heute Abend heißt es einschalten!

Jetzt das Wetter. Wetter kommt im Frühstücksfernsehen ungefähr alle 10 Minuten, damit die Leute wissen, was sie sich heute anziehen sollen, und welche Pläne sie schon jetzt fürs Wochenende machen können. Im Norden schön, im Süden regnet es, der Wind kommt von Ost und zeitweise sonnig ist es auch im Westen, gegen Nachmittag einzelne Schauer, die mir den Rücken runterlaufen, wenn ich das Sakko des Wettermanns genau ansehe.

Frühstücksfernsehen macht auch viel mit Social Media. Jedes Frühstücksprogramm hat einen Twitter-Account, dem man folgen kann. Den ganzen Tag, nicht nur zur Frühstückszeit. Oder man kann denen schreiben. Also während des Fernsehens kann man nicht nur lesen, sondern auch schreiben. Verrückte Welt: alles gleichzeitig, aber nichts richtig. 140 Zeichen über das Sakko des Wettermanns schreibe ich denen jetzt.

Montag, 16. April 2012

Zeller Weisheit

"Wonns schütt und schneibb und d'Sunn scheit z'gleich, nochand is entweda Aprüh, oda da Heagoud houd hoid amoi an Vogl!"

Sonntag, 15. April 2012

42: Zwei außergewöhnliche Geschichten


Um Baseball verstehen zu können, reicht es leider nicht, nur die Regeln zu kennen. Es erlaubt einem zwar, ein Baseballspiel verständig zu verfolgen, aber selbst bei ausgezeichnetem Regelverständnis kann es sich dabei um eine relativ langweilige Angelegenheit handeln. Denn, wie so oft im Sport, ist das Aufregende nicht an der Oberfläche zu finden, sondern in den Tiefen der Historie und den scheinbaren Untiefen der Statistiken versteckt. Am Beispiel des heutigen Tages sollen wir erfahren, warum dies für Baseball im besonderen gilt.

Den 15. April hat die amerikanische Major League zum „Jackie Robinson Day“ erkoren. Besagter Jackie Robinson lief an eben jenem Tag im Jahre 1947 als erster schwarzer Baseballspieler in der amerikanischen Profiliga für die Brooklyn Dodgers ein. Bis dahin war Schwarzen das Baseballspielen bloß in der Negro-League erlaubt, die sich in der Folge innerhalb nur eines Jahres auflöste – also knapp 20 Jahre bevor die Bürgerrechtsbewegung in den Staaten ihren Höhepunkt erreichte. Aber nicht allein seiner Hautfarbe schuldete der 1972 verstorbene Jackie Robinson die vielen Ehrungen und posthumen Auszeichnungen. Er gehörte während seiner aktiven Zeit zu den besten, vielseitigsten und talentiertesten Spielern der MLB. Rekorde und Statistiken mögen an dieser Stelle schweigen; sagen wir einfach, dass er zu den Größten des Sports gehörte und aller Ehren würdig war.

Jackie Robinson

Die amerikanische Sitte, große Sportler eines Vereins damit zu ehren, dass deren Trikotnummern nach ihrem Karriereende für immer gesperrt werden, ist auch hierzulande bekannt. Im Eishockey sind der Name Wayne Gretzky und die 99 untrennbar miteinander verbunden, genauso wie Michael Jordan und die 23 im Basketball. Auch die mittlerweile nach Los Angeles verzogenen Dodgers sperrten 1972 Robinsons Trikotnummer – die 42. Zehn Jahre zuvor wurde er außerdem als erster Schwarzer in die Baseball Hall of Fame aufgenommen. So schien es keine Ehre zu geben, die Jackie Robinson nicht zuteil wurde.

Bis es 1997, zum 50. Jubiläum seines Debüts in der MLB, dazu kam, dass Robinsons Rückennummer ihm zu Ehren auf ewige Zeiten für Spieler sämtlicher Teams gesperrt wurde. Freilich durften jene Spieler, die zu diesem Zeitpunkt die 42 trugen, diese bis zu ihrer Pensionierung weiter behalten. Von diesen ist im Jahr 2012 nur noch einer übrig – Mariano „Mo“ Rivera von den New York Yankees. Er wird der letzte Profi-Baseballer in den USA sein, der mit der 42 auf das Feld laufen darf. Rivera selbst ist ebenfalls ein Kandidat für die Hall of Fame. Als Closing Pitcher der Yankees ist er dafür verantwortlich, den Punktevorsprung seines Teams im letzten Durchgang jedes Spiels zu halten und also keine Runs der gegnerischen Mannschaft mehr zuzulassen. In der gesamten Geschichte der Major League ist das keinem so oft gelungen wie Mariano Rivera: Im letzten September sicherte er die 6-4 Führung der Yankees gegen die Minnesota Twins und verbuchte damit den 602. Save seiner Karriere. Damit steht er nun alleine ganz oben auf der ewigen Bestenliste der MLB.

Mariano Rivera
 
Mariano Rivera erweist sich also als ein würdiger letzter Träger der Nummer 42. Dabei glänzt er als Pitcher nicht unbedingt durch seine Vielseitigkeit. Sein Erfolg rührt vielmehr daher, dass er über einen einzigartigen Wurf verfügt, den viele Experten mittlerweile als Revolution des Baseball-Pitchings ansehen. Sein Cut Fastball (oder Cutter) ist ein äußerst schnell geworfener Ball, der knapp bevor er den Batter erreicht, nach links abdreht. Ungewöhnlich daran ist nicht der Effet, der bei sogenannten Breaking Balls wie Slider oder Curveball oft viel stärker ausgeprägt ist, sondern die gleichzeitig sehr hohe Geschwindigkeit des Balls und Riveras Wurftechnik, die es dem Schlagmann erschwert, einzuschätzen, mit welchem Pitch er es zu tun bekommt. Prinzipiell gibt es für den Pitcher die Möglichkeit, den Ball mit hoher Geschwindigkeit zu werfen (Fastball) oder mit viel Schnitt, um dem Schlagmann den Ballkontakt zu erschweren (Breaking Ball). Mo Rivera hat seinen Cut Fastball, also die perfekte Mischung aus beidem, per Zufall beim Aufwärmen entdeckt und wusste einige Zeit lang nicht genau, welche Wurftechnik ihm zu dieser Wunderwaffe verhalf. Er nannte es – ganz amerikanisch – ein Geschenk Gottes bzw. hielt es zunächst für einen Fehler in seiner Wurfmechanik, bis er lernte, den Pitch zu kontrollieren und gezielt einzusetzen. Mittlerweile verfügen natürlich viele der besten MLB-Pitcher über gute Cutter, aber Rivera ist immer noch der Meister des Cut Fastballs, den Experten gerne „mysterious“ oder „magical“ nennen und dessen Unberechenbarkeit allzu oft zu abgebrochenen Baseballschlägern führt.

So ist die Nummer 42 nicht nur die Antwort auf die Frage nach eh allem (wie man bei Douglas Adams nachlesen kann), sondern steht im Baseball für die Geschichte zweier außergewöhnlicher Spieler, die eigentlich nur die Rückennummer verbindet, die aber durch die Geschichte des Sports doch irgendwie zusammen gehalten werden. Denn wenn Mariano Rivera in die Sportlerpension verschwindet und irgendwann einmal in die Hall of Fame aufgenommen wird, er sich also mit Jackie Robinson im Baseball-Walhalla trifft, wird die 42 um den Namen eines ihrer großen Träger reicher sein, und Rivera wird so auch der letzte Yankee gewesen sein, der sie getragen hat.

Robinson und Rivera sind nur zwei Beispiele dafür, dass dieser Sport viel von seiner Faszination einbüßt, wenn man bloß das Geschehen auf dem Feld verfolgt. Für unsereins, die wir zu Baseball so gut wie keinen Bezug haben, ist es schwierig sich dafür begeistern zu können, denn es gilt, viel über den Sport und seine Geschichte zu lernen, was mitunter mühsam sein kann, weiß man doch nie, wo man damit anfangen soll. Storys wie jene von Robinson und Rivera können zumindest neugierig machen. Gleiches gilt auch für den (übrigens sehr sehenswerten) Film „Moneyball“ mit Brad Pitt und Philip Seymour Hoffman, der die unglaubliche Geschichte des Baseball-Mangagers Billy Beane während seiner Zeit bei den Oakland Athletics erzählt.

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 Video zu Jackie Robinson


Über River's Cutter:
 Moneyball:

Freitag, 13. April 2012

30 seconds closer to Bedeutungslosigkeit

Auch auf die Gefahr hin, mich jetzt unheimlich unbeliebt zu machen, halte ich es dennoch für notwenig, ein paar Worte über 30 Seconds to Mars zu verlieren. Gestern saß ich im Auto und da wünschte sich ein Kärntner Forstarbeiter "Closer to the Edge" von besagter Band. Ich wollte schon den Sender wechseln, da dachte ich mir, nein, diesmal hörst du dir das von vorne bis hinten an und passt auf, was da passiert. Vielleicht, so dachte ich mir, erschließt sich dir die Faszination, die diese Band für so viele Leute jungen oder mittleren Alters hat.

Bekannt war mir "Closer to the Edge" von geschätzten 500 facebook-Posts und mindestens ebensovielen likes und Kommentaren mit vielen Herzen drin. Dabei fiel mir auf, dass sich die Herzen nicht immer nur auf den Song bezogen, sondern in den meisten Fällen auf Jared Leto, dem Schauspieler und Sänger dieser Band, deren Mitglieder sich allesamt gerne äußerst "badassig" inszenieren. Sei es mit langen Rockerhaaren und Bart, sei es mit Italotürken-Haarschnitt und Sonnenbrille oder mit einer Irokesenfrisur. Wie auch immer sie sich anziehen und rüberkommen wollen: Es ist alles ein bisschen neo-retro, gerade so 10 bis 15 Jahre zu spät, eine Mischung aus Shaggy, Nek und Lenny Kravitz oder so. Irgendwie peinlich - genau wie ihre Musik.

Die Live-Bilder im Video zu "Closer to the Edge" zeigen eine Band, die vorgeblich schon Jahrzehnte auf Welttournee ist und eine gigantische Liveshow zu bieten hat. Sie siedeln sich also irgendwo zwischen U2 und den Rolling Stones an, und dass es sich dabei um eine Lüge handelt, musste ich von einem Fan erfahren, der enttäuscht von einem ihrer Konzerte zurück kam. Gut, wenn die Erwartungen so hoch geschraubt werden, kann man eigentlich nur enttäuschen.

Dann das Lied: vollkommen überladen. Da findet sich allerhand Rock-Schnick-Schnack aus den letzten 3 Jahrzehnten, der höchstens noch nostalgisch wirken kann, aber im Prinzip nur noch peinlich ist. Der omnipräsente Synthesizer glimmert und fiept unaufhörlich, bei den vollkommen uninspirierten Gitarren  wird fleißig auf das Distortion-Pedal gedrückt und spätestens, wenn Jared Letos Stimme verzerrt daher kommt, wird einem richtig schlecht. Darunter legt sich das übertriebene Schlagzeug-Gehämmere von Jareds Bruder, einem hyperaktiven Nervösling, bei dem man das Gefühl hat, er müsse in nur einem Song alles unterbringen, was er je an den Drums gelernt hat.

Auch im Video findet sich viel Hyperaktives: Da werden wilde Kamerafahrten schnell hintereinander geschnitten und eigentlich sieht man nur, wie Jared Leto mit übertriebenen Gesten seinen bedeutungslosen Gesang "untermalt". Außerdem wird viel gelaufen. Leto läuft über die Bühne, Menschen laufen in Arenen, man hopst und schüttelt sich, alles ist schnell und wirkt dahingeschludert. So wundert es auch nicht, dass zwischen den Refrains wenig Platz für irgendwelche Strophen bleibt. Es stellt sich immer nur die Frage, wann der nächste Refrain denn endlich wieder kommt, wann man wieder schreiend einen Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger in den Himmel recken kann, als würde man Gott anklagen wollen, dass er nicht sieht und verstehen mag, wie geil es hier unten ist.
Überhaupt besteht das Lied im Grunde nur aus dem Refrain, und der ist, wie ein Rock-Refrain zu sein hat: Laut. Man könnte sagen, dass da nur geplärrt wird, und läge damit wohl sehr richtig. Und was hat uns das Lied zu sagen?

No I'm not saying I'm sorry
One day, maybe we'll meet again
No I'm not saying I'm sorry
One day, maybe we'll meet again
No, no, no, no

Da ist sich einer ganz sicher, dass er sich nicht entschuldigt, und dass man sich irgendwann vielleicht (!) mal wieder treffen wird. Das wird schließlich durch ein vierfaches Nein wieder revidiert, oder die Kraft reicht nicht mehr, noch einmal zu negieren, dass man Entschuldigung sagt. Der Rest des Textes sind sinnlose Aneinanderreihungen existenzkritischer Bekundungen a la "This never ending story, Paid for in pride and fate / We all fall short of glory, lost in our faith". Ist ja auch wurscht, denn bald kommt wieder der zigmal wiederholte Refrain und dann kann man wieder in das Mikrophon brüllen und hopsen.

Was an dem Song geil ist, bleibt mir zwar immer noch verborgen, aber ich vermute, dass er einfach Ventilfunktion hat. Denn bei "Closer to the Edge" handelt es sich um ein Sammelsurium von bedeutungslosen Versatzstücken der Rockmusik der letzten 20 Jahre. Alles, was für den modernen Rock sinnlos geworden ist und er hinter sich gelassen hat, findet bei 30 Seconds to Mars eine Wiederauferstehung in einem schwülstigen Konglomerat zum Zwecke der Aggressions- oder Triebabfuhr. Das Übertriebene ist dabei Primat und somit erinnern 30STM wirkungsästhetisch irgendwie an Bands wie Rage against the Machine, H-Blockxx, Dog Eat Dog, NOFX etc. nur ohne deren Talent bzw. deren Identifikationsangebot und Gruppenbindungskraft. Laut aufdrehen, zappeln und cool sein - für mehr ist da leider kein Platz.

So saß ich im Auto und ließ das Lied über mich ergehen, kam mir aber unheimlich absurd vor, denn das ist kein Lied, das zum Navigieren im Ortsverkehr einer ländlichen Kleinstadt gemacht wurde. Ob es dem Kärntner Forstarbeiter bei der Arbeit geholfen hat, oder ob er sich vor lauter Aufregung ein Bein abgehackt hat, weiß ich natürlich nicht. Bleibt nur die Vermutung, dass für Kärntner selbst die Holzarbeit noch nicht Katharsis genug ist!

Donnerstag, 12. April 2012

Zeller Weisheit

"Z'Ostan moggst Easchtkasei brockn geh, wonnst a recht a waxa Hund bist und da nix scheißt! Owa loss di jo nid dawischn!"

Ö-Driver

Der Ö-Driver ist ein Bürger im besten Sinne des Wortes. Er ist kein Wutbürger, aber er ist wachsam. Er ist kein Pedant, aber er weiß, was sich gehört und wie die Sachen eigentlich sein sollten. Er erkennt den Unterschied zwischen Ist und Soll; insofern ist er ein Advokat des Werdens. Seine Vigilanz und sein Wille zum Aufzeigen, Anzeigen und Melden gleichen jenen eines pensionierten Gemeindebaubewohners, der in seinem früheren Leben einmal Beamter war – kein sehr hoher, aber ein wesentlicher und wichtiger, ein in seinem Amt unabdingbarer.

Beobachten und Melden sind zwei Tugenden, die nicht nur im Militärwesen von größtem Wert sind. Für den Ö-Driver sind es geradezu Identifikationstugenden oder – genauer – Identitätstugenden, denn ohne sie ist er kein Ö-Driver, ja vielleicht ist er ohne sie gar nichts mehr. Wer sind diese Ö-Driver? Hie und da hört man einen undeutlich durch den Äther plärren, dass auf der Südostautobahn ein ungarischer Gemüsetransporter seine Ladung verloren habe, dass der Zeitverlust mindestens eine halbe Stunde betrage und bei aller Heiterkeit über die Umstände des Unfalls es doch unerträglich sei, dass die Polizei noch nicht vor Ort und die Unfallstelle noch nicht abgesichert sei. Weiterkommen sei nur schwer möglich, er werde aber das Geschehen im Auge behalten und melden, sobald die Zwiebeln und Tomaten keine Gefahr für den fließenden Verkehr mehr darstellen würden.

Es sind Alltags-Helden, diese Ö-Driver. Ohne sie wäre ein zügiges Vorankommen auf Österreichs Straßen gar nicht mehr möglich. Ohne sie müsste Ö3 pro Stunde mindestens ein schlechtes Lied mehr spielen. Ö-Driver sind die, die langsamer werden, wenn es irgendwo was zu sehen gibt. Nicht die Neugier ist es, die den Ö-Driver langsamer werden lässt, nein, es ist seine Pflicht, genau zu erfassen, was da am Straßenrand oder auf der anderen Seite der Autobahn vor sich geht, um es dann ordnungsgemäß zu melden und uns anderen Autofahrern die Mühe zu ersparen, anhalten und nachsehen zu müssen. Erreicht uns die Meldung des Ö-Drivers rechtzeitig, schaffen wir es vielleicht sogar, Unfallstellen ganz zu umfahren. Sollten wir irgendwo im Stau stehen, tröstet uns die Meldung des Ö-Drivers, der von genau diesem Stau berichtet. Nun wissen wir, dass wir nicht allein sind, weil es Leute gibt, die nicht nur mit uns im selben Stau stehen, sondern es auch noch dem nationalen Radiosender berichten müssen, dass sie sich in der autofahrerischen Ausweglosigkeit schlechthin befinden. Wir blicken uns im Stau stehend um und fragen uns, wer von den sich in unserer Nähe befindlichen Autofahrern wohl ein Ö-Driver sein mag, denn wir möchten ihm danken.

Ö-Driver sind informierte Menschen und deshalb geben sie Informationen auch gerne weiter. Sie wissen immer, wie viel Grad es draußen hat. Sie wissen, unter welchen Bedingungen sie wie viel Benzin verbrauchen. Sie wissen Kilometeranzahl und Fahrtzeit jeder Strecke in ganz Österreich auswendig, und wenn nicht, dann schätzen sie es ziemlich genau. Sie kennen den Kilometerstand ihres Fahrzeuges zu jeder Zeit. Das Wasser in ihrer Scheibenwischanlage ist noch nie ausgegangen. Sie wechseln ihre Reifen immer selbst und haben auch noch nie zu viel für einen Satz neuer Sommer- oder Winterreifen bezahlt. Sie liebten den Ö3-Vignettenman und gewinnen immer die Jahresvignetten beim Preisausschreiben der Kronenzeitung. Sie sammeln Tankgutscheine und verwenden Online-Benzinpreiskalkulatoren, denn sie tanken nie zu teuer. Der Luftdruck in den Reifen ihres Fahrzeugs ist immer auf Außentemperatur, Fahrbahnverhältnisse und Beladung abgestimmt. Ö-Driver mögen den Kaffee, der an Autobahnraststätten serviert wird. Sie sind es auch, die dort Blumen, Kuscheltiere und Grundnahrungsmittel kaufen. Sie lieben den sechsbeinigen Hund von Agip. Was sie nicht mögen, ist, wenn an der Tankstelle der Wasserkübel zum Reinigen der Scheiben zu schmutziges Wasser beinhaltet.

Ö-Driver wird, wer fest davon überzeugt ist, dass es ohne Menschen wie ihn nur Chaos und Dummheit gäbe. Dabei entspringt dieses Weltbild keineswegs irgendeiner Form von Selbstüberschätzung, sondern ist einfache menschliche Bekümmertheit, Sorge im weitesten heideggerschen Sinne. Sie meinen es nur gut mit uns, und wir sind im Gegenzug froh, dass es sie gibt, unsere Ö-Driver.