Sonntag, 8. Mai 2011

Landmarken: Der Lendplatz


Aus dem Grazer Lendplatz wird kein Mensch schlau. Von allen Plätzen in Graz, zumindest von allen größeren, ist der Lendplatz der fragwürdigste. Eine steile These, mag man meinen, wenn man an Plätze wie den Jakominiplatz, den Griesplatz oder den wirklich auch sehr fragwürdigen Geidorfplatz denkt. Der größte Konkurrent in Sachen Fragwürdigkeit ist aber der Andreas-Hofer-Platz, der ehemalige Fischplatz. Schon allein der Name ist da sehr fragwürdig. Denn erstens: Was hat der Andi Hofer mit Graz zu tun? Zweitens verrät der alte Name schon, dass der Platz für die Fisch ist. Aber der Andi-Hofer-Platz ist schon dermaßen absurd und hässlich, dass ich ihm glatt das Wettbewerbsrecht aberkennen würde, weil er in Sachen Fragwürdigkeit tatsächlich in einer ganz eigenen Liga spielt.

Dem Lendplatz hingegen kann man eine gewisse Wichtigkeit schon allein deswegen nicht absprechen, weil er die Feuerwehr beherbergt und weil er Verkehrsknotenpunkt für 4 (in Worten: vier) GVB-Buslinien ist; außerdem fahren noch ein paar Watzke-Busse in Dörfer, die außerhalb von Graz liegen und in die in Wahrheit niemand fahren will, außer ein paar alte Leute, die nicht mehr selber mit dem Auto fahren können oder dürfen. Im Vergleich zum Jakominiplatz ist aber die verkehrstechnische Bedeutung des Lendplatzes natürlich mickrig.

Der Lendplatz ist aber gleichzeitig auch lässig, weil da viele hippe und junge Läden auf- und oft bald wieder zusperren. In den Zeitungen steht dann, das Viertel blühe auf. Außerdem ist der Lendplatz ein multikulturelles Kleinod, weil es da türkische Geschäfte gibt und ein serbisches Café sowie einen sehr modern interpretierten Kramerladen ungeklärter ethnischer Provenienz. Auch eine kurdische Pizzeria gibt es dort, die sehr gut ist. Und sonst auch noch ein paar Lokale, steirische und sonstige; man könnte also auch behaupten, dass der Lendplatz ein regelrechtes Genussviertel ist.

Freilich ist der Lendplatz auch eine Vergnügungsmeile. Denn es gibt ein Admiral Sportwettencafé, wo garstige alte Steirer den ganzen Tag Bier trinken und rauchen. In den anderen beiden Wettcafés wird sicher auch garstig getrunken und geraucht. Und natürlich gibt’s am Lendplatz Puffs. Und es gibt die Scherbe und das Exil und das Pierre's und auch das ppc ist da und so weiter und so fort.

Auch einen Bauern-Markt gibt es am Lendplatz, also ist der Lendplatz auch ein Marktplatz. Ein paar feste Standeln gibt es da, wo man auch, wenn kein Markt ist, hingehen und was kaufen kann. Meistens gehen die Leute aber nur zum Saufen hin. Wenn man den Bauernmarkt nicht mag, weil einem das zu persönlich ist, dann kann man auch zum Billa oder zum Spar gehen, denn auch solche Geschäfte hat es am Lendplatz. Parfums und Make-Up kauft man beim Bipa, Druckerpatronen und CDs beim Libro und wenn man einmal nicht daheim schlafen will, mietet man sich im Mercure (seriös) oder im Etap-Hotel (unseriös) ein, denn auch Hotels gibt es am Lendplatz.

Geld für die Hotels holt man sich bei der Sparkassa oder der Bank Austria, der Lendplatz ist nämlich das Bankenviertel von Lend. Es gibt am Lendplatz drei Friseure, einen für Herren, einen für Damen und einen für Türken. Es gibt einen Handyshop und einen Bäcker, ein Fotostudio, ein Reisebüro, eine Fahrschule, die Polizei, die Post, einen Floristen... es ist fast nicht zum Aushalten.

Ich frage mich, was es am Lendplatz eigentlich nicht gibt. Bis auf eine Straßenbahnhaltestelle gibt es eigentlich alles. Viele werden jetzt fragen, warum ich den Lendplatz nun für den fragwürdigsten aller Grazer Plätze halte. Eben deswegen, weil es da im Prinzip alles gibt und man, sofern man in Lendplatznähe wohnt, eigentlich nur zum Lendplatz gehen muss, wenn man irgendwas braucht. Das ist deswegen ein Problem, weil es dem Lendplatz nun doch nocht an etwas fehlt: an Flair. Ganz Lend hat keinen Flair, ja man müsste fast sagen, dass der Lendplatz in Sachen Flair noch das Highlight innerhalb der Grenzen von Lend ist. Als Lendbewohner kommt man, wenn man es praktisch sieht, nie über den Lendplatz hinaus, das heißt, man bekommt von Flair nie irgendwas mit, obwohl es in Graz hie und da schon ein bissl Flair zu erhaschen gäbe. Sicher aber nicht am Lendplatz!

Also geht man als Lendbewohner Umwege. Man geht möglichst schnell aus dem Lend (so heißt es doch, oder? Heißt es nicht der Lend?) hinaus, über die Keplerbrücke hinüber oder am Kai entlang Richtung Gries, bis man beim Kunsthaus ist, das ja eigentlich noch in Lend steht, aber das ist nur eine Beckmesserei für Stadtplanzeichner, denn gefühlt gehört das Kunsthaus zur Innenstadt. Man hat es nur nach Lend gestellt, also auf die andere Murseite hinüber verfrachtet, weil man da noch Platz gehabt hat und weil man es dort schön von der Innenstadt aus sehen kann. Von (vom?) Lend aus sieht man das Kunsthaus nämlich überhaupt nie, und wenn, dann nur von hinten, und von hinten ist es hässlich wie nur was – richtig ungustiös.
Die Umwege geht man als Lendbewoher, damit man einmal hinaus kommt aus dem Lend, damit man etwas Anderes sieht und ein wenig von der, sich ihrer natürlichen Grenzen gänzlich bewussten Grazer Schönheit mitbekommt. Den Lendplatz gilt es daher zu meiden. Er ist ein flairloser Alleskönner, ein Unsympathler der hundsgemeinen Art, den sie nur deswegen gemacht haben, damit die Leute, die am Grazer Bahnhof ankommen, und die nur schnell was brauchen (einen Friseur, einen Bäcker, einen Floristen), gar nicht in die Innenstadt kommen, weil es am Lendplatz ja eh alles gibt. Und weil dann viele über die Annenstraße in die Innenstadt wollten, haben sie die verkümmern lassen; haben sie zu einem langgezogenen Lendplatz werden lassen und zusätzlich, um ganz sicher zu gehen, dass keine lästigen Leute in die Innenstadt kommen, haben sie beim Bahnhof noch einen Spar gebaut, der so lange offen hat, bis kein Zug mehr fährt und kein Lästiger mehr ankommt und in die Innenstadt fahren muss. Früher hat man Stadtmauern gebaut, heute macht man ungustiöse Plätze und Straßen, die die Leute davon abhalten, in die schöne Innenstadt zu kommen.

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