Donnerstag, 28. Juli 2011

Eine Prise Daytona

Daytona Beach ist eine Küstenstadt, die ihre Glanzzeit vielleicht schon hinter sich hat. Die Kombination von perfektem Sandstrand und schmucken Hotels samt Nachtlokalen hat aber nach wie vor einiges für sich. Mein Onkel erzählt, dass es heute viel sauberer und gesitteter ist als früher. Früher, damit meint er die 70er und 80er Jahre, also jene Zeit, in der, so erzählt er, betrunkene Studenten auf den Ladeflächen ihrer Pickup Trucks saßen und leichtbekleideten Damen hinterherpfiffen, die den Ocean Drive auf- und abstöckelten. Ich finde, dass es heute nicht gar so viel anders ist, allein die Pickups stehen nicht mehr auf der Straße, sondern nur noch am Strand. Und ja, so betrunken wie früher sind die Studenten auch nicht mehr. Wahrscheinlich gilt überhaupt, dass früher alle Leute viel betrunkener und ungezogener waren als sie es heute sind.

Die Hotelanlagen in Daytona sind groß und mittelmäßig gut geführt. Es sind solche typischen Hotels, die direkt am Meer liegen, in denen die Barkeeper zu freundlich und die Zimmermädchen zu unfreundlich sind. In der Lobby spielt hawaiianisch angehauchte "Strandmusik", die Pools sind von meeresfaulen sonnenbrandverkokelten, leider meist übergewichtigen Amerikanern belegt, die aus dem Landesinneren vor der Hitze an den Strand geflüchtet sind, um dann nicht am Strand, sondern eben am Pool zu liegen. Das rhythmische Knacken ihrer Budweiser-Dosen vermischt sich mit dem Kindergeschrei zu einer Geräuschkulisse, die zu meiden man den "beschwerlichen" Weg zum Strand (3 Stufen abwärts) gern auf sich nimmt. Dort angekommen wundert man sich erst einmal über die vielen Autos, die da stehen. Denn selbst wenn man in einem Hotel wohnt, das direkt am Meer liegt, fährt man hier mit dem Fahrzeug an den Strand, hat man doch etwa 5 Kühlboxen, 8 Strandstühle, ein Zelt, einen Tisch, 10 Luftmatratzen, 3 Surfboards und allerlei Bälle, die man dort aufbauen, aufstellen und ausbreiten muss, sodass dem ausgefüllten Tag am Strand nichts mehr im Wege stehe. Dann wird mit dem Nachbarn darüber diskutiert, wo man sein Sonnensegel her hat, wieviel es gekostet hat und ob es das nicht woanders günstiger geben müsste. Man bietet sich gegenseitig Bier an, weist aber darauf hin, dass es verboten ist, Alkohol am Strand zu trinken, und überhaupt die Kinder... aber man habe ja Plastikbecher etc. Am Strand verstehen sich die Leute.

Doch nicht nur der Strand ist interessant. Daytona ist auch Amerika in klein. Die Natur zeigt sich in Form des Ozeans. Gerne lassen sich Delphine beobachten, Pelikane stürzen munter in die Wellen, um nach Fischen zu tauchen, beim Parasailing sieht man in Küstennähe riesige Mantarochen durch das Wasser gleiten. Nachts ist der Strand lichterfrei, denn zu dieser Jahreszeit kommen Meeresschildkröten, um ihre Eier in zu legen. Oft kann man früh morgens noch deren Spuren im Sand  entdecken.
Gleich neben der Natur, direkt an den Strand anschließend, findet sich jenes kapitalistische Brimborium in Form von Hotels, Souvenirläden und Unterhaltungsfirlefanz, das den von der Natur Gelangweilten das Leben wieder lebenswert machen soll. Überschreitet man aber den Ocean Drive und geht nur ein paar Straßen weiter, finden sich verarmte Siedlungen mit verfallenen Häusern, durch die man bei Tageslicht schon nicht gern, bei Nacht aber überhaupt nicht geht. Dieses Nebeneinander von Natur, Unterhaltungskultur und relativem (!) Elend zeichnet ein grobes Bild des amerikanischen Traums und seiner Folgen, ohne dabei allzu tragisch zu wirken. In seiner schlichten Einfachheit überzeugt es den Touristen ebenso wie den Einheimischen und wird daher für authentisch und gottgewollt gehalten.

Die Bewohner von Daytona Beach sind froh, wenn sie in einem Hotel arbeiten können, das noch nicht pleite gegangen ist. Viele der Hotelburgen am Strand stehen leer, wirklich gut halten sich nur jene im absoluten Zentrum, also nahe des Boardwalks und des Piers. Ich spreche mit der Bardame meines Hotels, die mit ihrem Job so halbwegs zufrieden ist. Sie erzählt mir, dass sie heuer in der BikeWeek, die im Februar stattfindet, auf die Dienste in der Hotelbar verzichtet und lieber in einer Kneipe gearbeitet hat. Die BikeWeek soll aber so dürftig besucht gewesen sein, dass sie im Nachhinein bereut hat, den Dienst im Hotel gegen den in der Kneipe getauscht zu haben. 'Rezession' und 'Krise' sind Wörter, die man in den Staaten immer noch dauernd aus jedem Mund hört. Man hört auch, dass die Politiker schuld seien, nicht aber Gott und schon gar nicht man selber. Also eigentlich hört man das gleiche wie auch in Europa, nur dass die Amerikaner diesen Gedanken irgendwie mehr verinnerlicht haben: Sie glauben an die Krise, anstatt sie überwinden zu wollen.

Leah (so heißt die Bardame) erklärt mir, sie habe Angst vor dem Ozean. Sie möge überhaupt keine natürlichen Gewässer, könne nicht schwimmen und Meerestiere würden bei ihr sowieso Panik verursachen. Außerdem habe sie eine irrationale Angst vor Fröschen. Ich sage, dass das nachvollziehbare Ängste seien, wenn auch - ihren Geburts- und Wohnort in Anbetracht ziehend - etwas unglückliche. Darüberhinaus habe sie Angst vor Luftballons. Die ständige Gefahr des Platzens bereite ihr unsäglichen Stress. Das halte ich schon für eine interessantere Angst. Noch interessanter allerdings ist ihre Angst vor Einkaufswägen. Was es daran zu fürchten gebe, frage ich. Leah meint, es sei die ständige Panik davor, mit jemandem zusammenzustoßen, etwas umzufahren und die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Die Angst vor Einkaufswagen halte ich für eine außerordentlich besondere Angst und gratuliere ihr dazu, denn so etwas Seltsames habe ich noch nie gehört. Sie freut sich irgendwie darüber und sagt mir, dass es schon witzig sei und sie auch gut mit ihren Ängsten leben könne. Allerdings mache ihr ihr Ekel vor Blut zu schaffen, der es ihr in Kombination mit den anderen Ängsten nahezu unmöglich mache, irgendwann einmal Kinder zu haben.
Ich stelle mir vor, wie Leah für eine Geburtstagsfeier eines ihrer Kinder einkaufen fährt, mehrere Male durch den Supermarkt läuft, weil sie keinen Einkaufswagen, sondern nur einen Handkorb zur Verfügung hat; wie sie Luftballons kauft, obwohl sie weiß, dass diese ihr die Party zur Hölle machen werden. Und dann sehe ich die herumtollenden Kinder und wie sie sich die Knie blutig schlagen, während Mama in Ohnmacht fällt.
Leah erzählt mir noch von dem Unbehagen, das sie verspürt, wenn sie jemand an einer Seite ihres Körpers berührt und wie sie sich dann selbst auf der anderen Seite berühren muss, um die erste Berührung 'auszugleichen'. "Wenn mein Freund mir zum Beispiel einen Klaps auf die rechte Pobacke gibt, muss ich mir selbst auf die linke schlagen, sonst drehe ich durch!", erklärt sie mir. Aha.
Leah lädt mich noch auf ein Bier ein, erklärt mir, wo in der Nacht etwas los ist und entlässt sie mich danach. Zum Abschied bedanke ich mich für ihre interessanten Ausführungen und tätschle ihr freundlich den linken Arm. Auf meinem Weg zum Aufzug sehe ich noch, wie sie beim Umdrehen, so unauffällig wie möglich, ihren rechten Arm berührt.

Sie ist zwar nett, denke ich, doch irgend etwas stimmt nicht mit ihr. Gleiches sollte auch für den Priester gelten, den ich ein paar Abende später traf...

Mittwoch, 27. Juli 2011

Das Australien-Erlebnis

In einem dieser Einkaufszentren, die meist an großen Kreuzungen zu finden sind und unverschämt viel an amerikanischen Boden einnehmen, werde ich in einen Laden einer mir bisher unbekannten Kette gedrängt und zum Umschauen genötigt. Als Shoppingmuffel überlege ich mir einen pragmatischen Grund für diesen Aufenthalt und rede mir ein, ich hätte ohnehin eine kurze Hose und ein T-Shirt nötig, vor allem eingedenk meines bevorstehenden Strandurlaubs. Lustlos studiere ich Farben und Aufdrucke der verschiedensten T-Shirts. Viele dieser Exemplare sprechen mich optisch überhaupt nicht an, andere ein bisschen, nie aber, so glaube ich, könnte ich mich in eines dieser sehr amerikanischen Shirts verlieben und es so tragen, als wäre es mir das Natürlichste der Welt. Ich mahne mich, ein wenig offener zu sein und schon gewöhnt sich mein Auge an die Farben und Muster, wie sie sich sonst nur an das Dunkel gewöhnen.



Die überaus freundliche aber etwas einfältig wirkende Verkäuferin begrüßt mich fast überschwänglich. Meine Tante, die mich hierher gebracht hat, sagt ihr unnötigerweise, dass ich noch nie in einem dieser Läden war. Ich finde, dass man das meinem verunsicherten Gesichtsausdruck entnehmen kann. Die Verkäuferin schließt aus dieser Auskunft, dass ich wohl aus dem Ausland sein müsse und fragt mich, woher ich denn sei. Irgendetwas kitzelt mich im hinteren Teil meines Kopfes, ich weiß, dass da jetzt was kommt. Ich sage ihr, dass ich aus Österreich bin und ihr Gesicht fängt an zu leuchten. Ich weiß, dass es jetzt kommt, es muss jetzt kommen, zu lange habe ich auf diesen einen Moment gewartet! Es ist der Moment, von dem jeder Österreicher träumt und vor dem man sich zugleich graut. Jetzt also ist dieser Augenblick für mich da. "Oh", sagt die Verkäuferin, "springen da auch Kängurus in deinem Garten herum?" Das Kitzeln in meinem Kopf hört abrupt auf, ein Gefühl der Erleichterung macht sich breit. Nach innen vergnügt, nach außen aber so arrogant wie möglich erkläre ich ihr den Unterschied zwischen Österreich und Australien, sage ihr, dass in Österreich höchstens Ziegen in Gärten herumhüpfen und ärgere mich ein bisschen über das naive Bild, das dieses Mädchen von Australien hat. Einer ihrer Kollegen, der das Gespräch gehört hat, lacht. Die Verkäuferin läuft wenigstens rot an, entschuldigt sich, was ich aber auch für überflüssig halte, und verschwindet im hinteren Teil des Ladens.



Ich begutachte weiter die T-Shirts und Jeans. Nach einigen Minuten kommt die Verkäuferin wieder zurück. Es scheint, als hätte sie irgendwo hinten im Lager hyperventiliert und starte jetzt einen neuen Versuch zu einem konstruktiven Verkaufsgespräch. Nervös stellt sie sich vor, ihr Name sei Hollie und irgendwie passt der auch zu ihr, wie ich mir denke. Sie zeigt mir verschiedene Jeansmodelle, ignoriert aber konsequent meine Bemerkung, dass ich weiße Nähte nicht akzeptieren kann. Ich schüttle ohne Unterlass den Kopf, erkläre ihr noch einmal, dass es nicht die Waschung ist, die mich stört, sondern die verdammten weißen Nähte. Schließlich versuche ich es ihr einfach zu machen und bitte sie, mir die Shorts zu zeigen, denn das sei eigentlich das, was ich brauche.



Sie zeigt mir wo die Shorts hängen und macht sich wieder aus dem Staub - wahrscheinlich um zu hyperventilieren. Ich suche mir ein für meine Begriffe mittelmäßig gewagtes Modell aus, da kommt Hollie schon mit einem orangen T-Shirt angerannt. Das passe da sehr gut dazu, meint sie. Das Shirt ist Tennessee-Orange, das heißt, es hat die Farbe des College-Football Teams der Tennessee Volunteers. Ich finde die Farbe schön, der Aufdruck aber widert mich an. Es handelt sich um einen graffitiähnlichen Schriftzug in blau und grün. Was da drauf stünde, frage ich Hollie. Sie wisse es nicht, sagt sie, aber da hilft ihr schon der informierte Kollege aus und sagt, es handle sich um den Markennamen: Ruca.
Ich mache aha und wandle zurück zu den anderen T-Shirts, wo ich eines in dem gleichen Orange sehe, das einen viel ansprechenderen Schriftzug trägt, der ebenso darüber informiert, dass es sich um ein Ruca-Shirt handelt. Hollie muss feststellen, dass ich mich nicht wirklich für irgendetwas entscheide, das sie mir präsentiert und wirkt ein bisschen enttäuscht. Also versuche ich ihr irgendwie einzureden, dass ich ohne ihre Hilfe die Hose gar nicht gefunden hätte und dass auch die Farbe des T-Shirts, die mir außerordentlich gefalle, ihre großartige Idee war. Da strahlt sie wieder und ich bin beruhigt.



Beim Bezahlen betet sie noch die obligatorischen Vergünstigungskonditionen herunter, drückt mir vier verschiedene Bonuskarten in die Hand. Dafür zeige ich ihr meinen Pass ("Oh, ich habe noch nie einen Pass gesehen!") und meinen österreichischen Führerschein - den alten, rosa Lappen -, was sie großartig findet. "Und dass du mir ja nie wieder Österreich mit Australien verwechselst, ja?", sage ich ihr großväterlich. Dann gebe ich ihr noch den Merksatz auf den Weg, den man in gut sortierten österreichischen Souvenirläden auf gelbe Verkehrshinweisschilder zusammen mit der symbolhaften Darstellung eines Kängurus gedruckt findet, und demzufolge es diese Tiere in Österreich nicht gebe. Da lacht sie wieder, wird rot und wünscht sich in das Lager um dort zu hyperventilieren.



Ich gehe mit meiner neuen Hose und meinem tennesseeorangen T-Shirt aus dem Laden und freue mich, dass ich mein erstes Australien-Erlebnis hinter mich gebracht habe. Hoffentlich folgen da noch einige!

Dienstag, 19. Juli 2011

Die Geschichten

Onkel Doyle ist jetzt 72 Jahre alt. Er ist der jüngere Bruder meines Großvaters und wie die meisten älteren Männer erzählt er gern Geschichten von früher. Meistens geht es in diesen Geschichten um's Fischen oder Gewaltanwendung mittels Fäusten, Füßen oder Feuerwaffen. Es geht auch oft um Autos, Boote und Mädchen. So etwa als Doyle damals seinen schwarzen 57er Chevy, jenes Modell also, das Dr. Kurt Ostbahn so schön besungen hat, angekettet (!) vor seinem Haus stehen hatte, und er mitten in der Nacht plötzlich ein anderes Fahrzeug sich nähern hörte. Als Doyle dann das Rasseln der Kette vernahm, wusste er, dass da jemand Begehr nach seinem Fahrzeug hegte und also nahm er kurzerhand das Gewehr von der Wand. (Dass das Gewehr griffbereit an der Wand hing, ist wichtig zu bemerken!) Kurioserweise gehörte das Gewehr nicht ihm, sondern seiner Frau, Mary. Jedenfalls schlich er mit dem Gewehr in der Hand auf die Veranda und von dort machte er auch schon den potenziellen Dieb aus, zielte und schoß ihm in sein Gesäß. Was sich hier so klischeehaft anhört, wird nickenderweise von seiner Frau Mary verbürgt. Man denkt sich, dass das mit den Schusswaffen in Amerika ja kein Problem wäre, schössen sie sich gegenseitig nur in den Podex.

Oder der Nachbar, der sich immer darüber beschwerte, dass die Jungs (das waren mein Großvater Kenneth mit seinen Brüdern J.D., Harold und eben Doyle) ihr Auto immer auf seinem Rasen abstellten. Jedesmal, wenn einer der Brüder sein Auto dort parkte, kam er aus seinem Haus gelaufen und schrie sie an, sie dürften ihr Auto hier nicht hinstellen, was den arroganten Burschen herzlich egal war und was sie auch immer ignorierten. Einmal allerdings erwischte der Nachbar meinen Großvater an einem schlechten Tag, sodass dieser, als er aus dem Auto ausstieg, dem heranstürmenden Nachbarn wortlos die Faust in's Gesicht reckte, was jenen nicht nur schnell mundtot machte, sondern auch auf dem von ihm so herzlich verteidigten Rasen zum Liegen brachte. Er sollte sich nach diesem Ereignis nie wieder über die parkenden Autos beschweren.

Oder die Geschichte mit dem Typen, der mit einem Flugzeug eine Brücke auf dem Tennessee River unterflog und dabei beinahe seinen wild fluchenden Freund Harold erwischte, der ihm dann mit seiner Pistole nachschoss. Die Vergangenheit ist voll von diesen Geschichten. Zu finden sind sie in jeder Familie, und ich bin froh, dass ich nun einige der Hauptdarsteller in diesen Geschichten kenne.

Montag, 18. Juli 2011

Der amerikanische Parmenidismus

Der Satz des Parmenides lautet sinngemäß: "Alles, was ist, ist. Alles, was nicht ist, ist nicht." Das klingt jetzt banal und eigentlich unnötig kompliziert, für einen Vorsokratiker war das aber eine nicht unwesentliche Einsicht. (Wie das Denken vor einem solchen Satz ausgesehen haben könnte, lesen Sie bitte bei Ernst Cassirer nach!) Warum ich jetzt mit so einem philosophischen Topfen daherkommen muss, erklärt sich mit dem Blick auf die Amerikaner, die dieses binäre Denken, mit einem Zug zum Pragmatischen versehen, auf nahezu alle Bereiche der Kommunikation übertragen.

Gestern ist es um Freiheit und Unabhängigkeit gegangen, und darum, dass diese (ideologischen) Fundamentalwerte der westlichen, besonders aber der amerikanischen Gesellschaft in den verschiedensten Ausprägungen zu finden sind. Meinungsfreiheit und öffentliche Diskussion wären etwa solche Formen der Freiheit, und gerade diese werden in den USA sehr hoch gehalten. Zu jedem politischen, wirtschaftlichen, sozialen Thema - aber auch zu allen sonstigen Themen - gibt es im amerikanischen Fernsehen Debattierrunden oder Talkshows. Das Bemerkenswerte an diesen Debatten ist jedoch immer der tiefe Graben zwischen den Meinungen, von denen es meist nur zwei gibt. Entweder etwas ist (so oder so), oder er es ist nicht (so oder anders): Von dieser Kontravalenz ist das Denken der jeweiligen Parteien geradezu infiziert. Da es ein Drittes sowieso nicht gibt, braucht man in den USA auch nicht mehr als zwei politische Lager.

In der Diskussion berufen sich beide Seiten zudem abwechselnd auf die harte, amerikanische Realität. Sie erklären, wie die Lage ist und was in dieser Lage zu tun sein sollte. Dabei widersprechen sie sich bereits in der Beschreibung des Ist-Zustands, merken es aber nicht. Sie tun so als ob sie über das Gleiche sprechen würden, was aber nicht der Fall ist. Dann geraten sie einander darüber in die Haare, wie das Problem zu lösen sei. Dabei findet im Grunde kein Austausch statt. Soll der Zuschauer die Synthese leisten? Die Antwort lautet: Nein, weil der Zuschauer sowieso entweder dem einen oder dem anderen Lager zustimmen wird, denn er gehört ja einem der beiden von vorneherein an. So setzt sich diese fruchtlose Form der Diskussion auch im Alltag fort. Obama-Befürworter und Obama-Gegner tauschen sich nicht aus. Sie erklären einander ihre Sicht der Welt, ohne überhaupt den Anspruch zu haben, dem anderen die eigene Sichtweise verständlich zu machen, geschweige denn irgendetwas vom Standpunkt des Gegenübers anzunehmen. Es herrscht am Ende ein implizites "Let's agree to disagree", das sich nach außen hin nur über mürrische Gesichter kommuniziert.

Wo ist jetzt der Unterschied zu Europa, möchte man fragen. Ich denke, dass die Europäer aufgehört haben, den Graben zwischen dem Einen und dem Anderen so streng zu ziehen. Eine ernsthafte Diskussion setzt a priori voraus, dass der andere Standpunkt einer von vielen möglichen ist, und dass selbiges auch für den eigenen Standpunkt gilt. Dieses implizite Wissen eröffnet jeder Diskussion eine potenziell unendlich weites Feld der Meinungen, Ansichten und Lösungen. Dieses Feld wird dann durch den Vergleich mit der Wirklichkeit (die man sich im günstigsten Fall als eine vorläufige vorstelle) begrenzt, also in bestimmter Weise gezähmt. Nicht, dass es bei uns kein Lagerdenken gäbe. Aber ich glaube doch, dass sich der Europäer der Vorläufigkeit der diskussionswürdigen Themen und Thesen (und vor allem seiner eigenen Rolle in diesem Diskurs, seiner Beziehung zu den 'diskursiven Entitäten') eher bewusst ist als der Amerikaner. Deswegen, so scheint es mir, gibt es bei uns weniger „Experten“, zumindest weniger Auskenner, die sich auch selbst als solche bezeichnen würden. Der bescheidene Experte ist bei uns der glaubwürdigste.

Was die amerikanischen Experten in den Augen der Amerikaner so (scheinbar) glaubwürdig macht, ist nicht ihr Fachwissen oder ihre besonders interessante Sichtweise der Dinge. Es ist - und ich bin mir bewusst, dass das ein alter Hut ist - ihr Präsentationstalent und ihre rhetorischen Fähigkeiten. Man fühlt sich oft dazu hingerissen zu glauben, dass der gerade sprechende Experte eine frische Sicht der Dinge präsentiere. Doch dann sieht man hinter dem überzeugenden und überzeugten Gesichtsausdruck plötzlich die Fratze des exklusiven Oders grinsen und erkennt, dass auch er nicht bereit oder fähig ist, irgendetwas Neues in die Debatte einzubringen. Ein zögernder, nachdenklicher Diskutant (wie etwa unser alter Alexander van der Bellen) würde es in Amerika nicht einmal am Empfangsschalter eines Fernsehstudios vorbei schaffen. Es gilt in jedem Fall, Entschlossenheit zu vermitteln. Das Gedankenkonstrukt, das diese Entschlossenheit motiviert, ist völlig nebensächlich. Welchem Lager der Sprecher angehört, hat man ohnehin nach zwei Sätzen herausgefunden.

Der pragmatische Parmenidismus mag in der politischen Realität funktionieren. Gepaart mit der Freiheitsidee und dem Gedanken des offenen Diskurses muss er aber eine Scheinverbindung mit dem "l'idée vient en parlant" eingehen, der Vorstellung also, dass in der Diskussion über ein Thema neue Ideen entstehen können - ja sogar zwangsweise entstehen müssen. Leider gerät dieser mehr oder weniger unterhaltsame Überbau schnell zur Farce und hält für den Europäer wenig Erkenntnisreiches bereit. Ich sehe eine solche Diskussionsrunde und weiß am Ende nicht mehr über die amerikanische Schuldenkrise, sondern nur mehr über die amerikanische Art der Diskussionsführung und -inszenierung.

So tut man sich auch schwer, den Amerikanern eine europäische Perspektive auf Obama zu bieten. Denn Obama ist entweder schlecht, oder er ist gut, hat aber momentan ein paar Probleme, an denen sowieso die Republikaner Schuld haben - tertium non datur. Und das Dritte, das bin ich - meine Meinung zur amerikanischen Politik, sollte ich überhaupt eine haben, gibt es hier nicht. Würde ich versuchen eine zu formulieren, sie würde wahrscheinlich mit Verweisen auf die harte amerikanische Wirklichkeit ad absurdum geführt werden und ich müsste zugeben, dass ich die Wahrheit nun wirklich nicht gepachtet habe. Und dann erginge es mir wohl wie einem Alex vdB oder einem Heinzi Fischer.

Sonntag, 17. Juli 2011

Die Differenz der Freiheit

"same same - but different!"
altes arabisches Sprichwort

Freiheit ist so ein Wort, mit dem man Amerika gerne assoziiert. Sei es die Freiheit auf einer Landstraße oder die Freiheit, dass jeder machen kann, was er möchte (die eine allgemein akzeptierte Illusion ist) oder eben die Freiheit in Form von Unabhängigkeit, jenes Konzept, das die USA im Kern ausmacht, das jedes Jahr wild gefeiert wird, von dem aber keiner mehr so richtig zu wissen scheint, wofür es heutzutage noch gut ist. Auch die Freizeit ist Ausdruck der amerikanischen Freiheit. So scheint es auch geboten, seine Freizeit zu nutzen, denn wer seine Freizeit nicht nutzt, der macht auch von seiner Freiheit nur mangelnden Gebrauch. Und das ist irgendwie unamerikanisch.

Nun ist es aber so, dass die Amerikaner Weltmeister sind im Freizeitnutzen. Das nicht deshalb, weil sie ein gar so aktives und unternehmungslustiges Volk wären, sondern weil sie einfach eine andere Auffassung von Zeitvertreib haben als etwa ein österreichischer Europäer. Ich zum Beispiel halte Fernsehen für keinen Zeitvertreib, im besten Fall für Zeittotschlagen. Zumindest wenn man unter Fernsehen das wahllose Herumschalten zwischen inhaltsleeren Sendern versteht, wie es hier praktiziert wird. Das Fernsehen ist in den Augen des Amerikaners eine veritable Zwischentätigkeit, die aber von keinem besonderen Interesse geleitet ist. Sollte zufällig einmal etwas Interessantes oder Unterhaltsames laufen, so hat man eben einfach Glück gehabt. Läuft gerade wirklich nur Langweiliges, oder sollte, Gott behüte, sich irgendein Interesse rühren, wird eben eine DVD eingelegt. Dann läuft von 4 bis 6 Uhr ein Film, den dann alle, die zufällig irgendwann einmal ins Wohnzimmer kommen, zumindest zu einem Teil anschauen. Niemand wird den Film von Anfang bis zum Schluss sehen. Aber man könnte am Abend durchaus behaupten, die Familie habe sich am Nachmittag gemeinsam einen Film angesehen.

Zeitvertreib ist aber auch Bewegung. Wer seine Vorurteile über das amerikanische Volk brav gefüttert hat, wird jetzt verwundert sein. Doch besteht hierin noch kein Grund zur Unruhe, meine ich doch die motorisierte Bewegung. So hieß es gestern etwa, dass wir zum See fahren würden. Schön, denke ich mir, ein entspannter Tag am See, das kann ich gut gebrauchen. Als ich vor die Haustüre trete, erblicke ich einen weißen Jeep mit Anhänger und einen riesigen weißen Pickup-Truck mit Anhänger (habe ich jetzt eigentlich schon alle Autos gesehen, die diese Familie hat?). Auf den Anhängern befinden sich ein Jetski und ein Motorboot. Tolle Sache, wir fahren zum See!

Auf dem Weg dorthin bleiben wir an einer Tankstelle stehen. Chuck erzählt mir, dass er sich noch erinnern kann, wie damals seine Eltern 89 Cent für eine Gallone Sprit gezahlt haben. Heute kostet sie $ 3,40. Chuck tankt zuerst den Pickup, dann das Boot. Wir fahren weiter, fahren über endlose Landstraßen Richtung Nordosten. Wir fahren in die Berge. Der See liegt auf einem Berg, er wurde von der Armee künstlich angelegt, man hat einfach einen Damm gebaut und das Wasser in einem Tal aufgestaut. In Georgia, so erklärt mir Chuck, gibt es keine natürlichen Seen. Derweil schnauft der Pickup die enge Bergstraße hinauf.

Oben angekommen werden Boot und Jetski ins Wasser gelassen und auf diesem Wege der ganze See, der riesig ist, abgefahren. Der See hat kaum Ufer, die zum Baden benutzt werden können. Im Grunde finden sich darauf auch nur Bootfahrer, Fischer, und Wasserskiläufer. Man bewegt sich, fährt den verzweigten See ab. Ich genieße die Sonne und den Fahrtwind, betrachte den dichten, für Georgia so typischen Mischwald, der überall das Ufer des Sees ziert. Ein riesiger See im Wald auf einem Berg, auf dem man mit dem Motorboot herumfahren kann: Das ist Freiheit. Das ist Bewegung. Das ist Zeitvertreib. Das ist aber freilich auch Sonnenbrand - quasi der Preis für die Freiheit.

Diese Art der Freizeitgestaltung sagt mir durchaus zu. Nur verstehe ich nicht, wie hier Zeit und Aufwand zu rechtfertigen sind, wenn ein Tag am See und ein Tag vor dem Fernseher sich von der Wertigkeit her gar nicht so von einander zu unterscheiden scheinen. Beides ist Zeitvertreib und freilich ist der Tag am See die ereignisreichere und coolere Form der Freizeitgestaltung, aber irgendwie stellt sich bei mir das Gefühl ein, dass man hier, schon allein des emotionalen und des technischen Aufwandes wegen, eine schärfere Trennlinie zwischen den beiden ziehen müsste. Meinem Gefühl zufolge ist der Tag am See etwas - der Tag vor dem Fernseher hingegen ist nichts. Im Bewusstsein der Amerikaner - so jedenfalls scheint es für den Außenstehenden - sind beides einfach andere Formen der selben Essenz. In dieser Gegend scheint nämlich auch praktisch jeder Haushalt, der einen Fernseher hat, ebenso ein Boot zu haben. In jeder Einfahrt stehen Motorboote und/oder Jetskis. Freilich gibt es kleinere und größere, ältere und modernere, teuere und günstige Boote. Doch ein Boot muss man haben, auch wenn der Treibstoff nicht mehr so billig ist, wie noch vor 20 Jahren.

Wie das mit der Wertigkeit der Dinge geht, werde ich in einem der nächsten Einträge versuchen herauszufinden. Ich denke nämlich, dass dieses binäre Denken (etwas ist, oder es ist nicht) jene Einfachheit darstellt, auf dem der ganze Firlefanz der amerikanischen Alltagskultur überhaupt erst gedeihen kann. Wie ich das genau meine, wird sich wahrscheinlich auch mir erst noch zeigen.

Samstag, 16. Juli 2011

Paranoia

Bedrohlich knarrt es hinter mir. Zwar kenne ich das Geräusch schon, aber jedes mal wieder fährt es mir durch Mark und Bein. Es ist die anspringende Klimaanlage, die zu jeder Tages- und Nachtzeit ihren von mir so gefürchteten Dienst tut. Ich sitze mit nassen Haaren am Tisch und überlege, ob ich sie nicht besser föhnen gehen sollte, denke dann aber daran, wie meine Cousine Liz am ersten Abend eine Stunde lang mit nassen Haaren unterhalb des Lüftungsschlitzes gesessen ist - und sie ist auch heute noch kerngesund. Wir Bergtäler sind den Wind gewöhnt, den echten, den herzhaft kühlen Wind, der am Abend sich vom Berg hinab in das Tal stürzt und alle Hoffnungen auf einen lauen Sommerabend unter seinem garstig kalten Atem begräbt. Aber dieses hinterlistige, allgegenwärtige Gebläse, dem man nicht einmal einen konkreten Ursprung zuordnen kann (oft suche ich ängstlich nach dem Gitter, das die giftige Kühle entlässt, finde es aber nicht), das sind wir nicht gewöhnt. Hier wird mit unfairer Partisanentaktik gegen das wärmliche österreichische Wohlbefinden gekämpft, es ist ein Guerillakrieg der kleinen blauen Eiszapfenmännchen (die ich mir mittlerweile wirklich schon so vorstelle) gegen meinen erzitternden Körper.

Gestern musste ich einige Male aus dem Haus gehen, um mich wieder aufzuwärmen. Gott sei Dank hat die Schwüle schon etwas nachgelassen, sonst hätte ich gar nicht gewusst, wohin ich mich verziehen sollte. Jedes Mal, wenn ich in einem amerikanischen Auto auf dem Beifahrersitz Platz nehme, klappe ich panisch jegliches Gebläse, das mir zuleibe rücken will, von mir weg, nur um dann mitleidig gefragt zu werden, ob mir denn kalt sei. Nein, sage ich, kalt sei mir nicht, ich sei bloß paranoid. Dann gebe ich kurz darüber Auskunft, dass wir zu Hause nicht so viele Klimaanlagen haben, da unsere Klimaanlage, um meine Mutter zu zitieren, der Wald sei. Gott sei Dank wissen zumindest mein Onkel und meine Cousine Caitie aufgrund ihres letztjährigen Aufenthalts in Zell am See, dass ich nicht scherze, denn sonst hätte ich bereits um meine Glaubwürdigkeit fürchten müssen.

So auch gestern: Auf der halbstündigen Fahrt zu einem japanischen Lokal in Chattanooga versuche ich mich in Spuckübungen mit amerikanischen Kautabak. Mein Cousin Chuck auf dem Rücksitz (er kann sich dort nur quer über die Rückbank legen, da er ca. 2,10m groß ist und ungefähr halb so breit) ruft seinem Cousin auf dem Fahrersitz zu, dass er da hinten halb zergehe vor Hitze. Munter dreht daraufhin der Fahrer die Klimaanlage bis zum Anschlag, während ich, gleichermaßen geistesgegenwärtig wie paranoid, alle Luftaustrittsöffnungen von mir weg richte. "Ist dir kalt?", fragt Austin, der fahrende Cousin. Ich erkläre ihm die Geschichte mit dem Wald. Er lacht.

Im Sushi-Laden herrscht klirrende Kälte. Einerseits beruhigt mich das, denn roher Fisch hat es gerne kühl, ich muss mich also nicht um die Qualität der Lebensmittel sorgen. Andererseits bereue ich es, keine Jacke mitgebracht zu haben - aus Stolz und auch aus Unvorsicht. Das Essen ist großartig, die geschätzten 30 Eiswürfel im Wasserglas ziemlich unnotwendig, ich bestelle mir lieber ein Bier, das ich dann auch gerne anwärmen lassen würde, was aber bei den Temperaturen im Lokal nicht möglich ist. Endlich geben auch meine Cousinen zu, dass ihnen kalt ist. Meinem Cousin ist nicht kalt, so wie einem Bären bei frühzeitigem Wintereinbruch nicht kalt wird. Nach dem Essen stürze ich hinaus in die wohlig-schwüle Abendwärme von Chattanooga.

Auf dem Rückweg müssen wir von der Interstate abfahren, denn es gibt Stau. Drei Fahrbahnen voller Fahrzeuge, vor allem LKW. Ich erzähle, dass die bei uns nach 10 Uhr abends nicht mehr fahren dürfen. Wieder ernte ich von Austin einen ungläubigen Blick. Wir nehmen die erste Ausfahrt, umfahren den Stau, kommen durch seltsame Bezirke von West-Chattanooga, die selbst die beiden Einheimischen noch nicht gesehen haben. Chuck, der Bär, meint, wenn wir nicht aufpassen, landen wir irgendwo im Ghetto und werden ausgeraubt. Das scheint eine Grundangst weißer Mittelschichtamerikaner zu sein. In jeder Stadt gibt es mindestens eine Gegend, wo man nicht hingehen sollte, denn dort wird man sofort ausgeraubt, verdroschen, mindestens aber beleidigt, im schlimmsten Fall erstochen oder erschossen. In solchen Gegenden wohnen vorzugsweise Schwarze, Latinos oder Asiaten. Die Einfachheit dieser Weltsicht macht den Europäer zwar schmunzeln, nie aber würde er sich auf eine Diskussion einlassen, die auch nur irgendeinen Punkt dieses wackeligen Konstrukts angreifen würde; ein Konstrukt, das sich jedoch - so viel muss man eingestehen - in der Praxis sicherlich größtenteils bewährt. (Man bemerke die Kombination von "sicherlich" und "größtenteils" - mehr Vorsichtigkeitsfloskeln erlaube ich mir hier vorerst nicht.)

So hat jeder sein eigenes (unbegründetes?) Feindbild. Der Europäer die allgegenwärtigen Eiszapfenmännchen, die aus der Klimaanlage kommen, und der Amerikaner die "Gangs" in der "Hood". Die Hood kann man umfahren. Den Klimaanlagen auszuweichen, stellt sich aber als ein unmögliches Unterfangen heraus. Noch aber bin ich - dabei klopfe ich auf wahrscheinlich echtes Ahornholz - gesund, auch wenn mich das Brummen der gerade wieder angesprungenen Raumtemperierung schon wieder erschreckt hat. Man wird sich daran gewöhnen.

Freitag, 15. Juli 2011

Anreise

Eine weit verbreitete Beobachtung ist, dass in Amerika immer alles so aussieht, wie man es sich vorstellt. Man kennt das Land aus Filmen, egal, ob es sich um biedere Vororte in den Neuenglandstaaten, die Häuserschluchten (damit wäre auch dieses abgegriffene Wort verbraucht) von Manhattan, den unschuldigen Bimmelbahncharme von San Francisco oder die einfältige Ödnis des mittleren Westens handelt. Was man bei dieser Beobachtung gerne außer acht lässt, ist, dass nicht nur die Orte wie aus Filmen sind, sondern sich die Leute ebenso verhalten als wären sie Figuren in einem "schlechten amerikanischen Film". Doch so schlecht ist dieser Film gar nicht.

Ich wache durch das heftige Rütteln des Flugzeugs aus meinem schwachen Dämmerschlaf auf. Die Bewegung war so heftig, dass mein iPod den Shuffle-Modus aktiviert und damit passenderweise "Hold on, I'm coming" von Sam & Dave auflegt. So wäre es zumindest gewesen, passten Wirklichkeit und Vorstellung öfter zusammen. In Wahrheit raunzt mir Marvin Gaye ins Ohr, als sich die Wolkendecke über Atlanta allmählich lüftet und die fade Vorstadtlandschaft der Metropole frei gibt. Lauter Bäume und zwischendrin Straßen. Das könnte überall sein, denke ich mir, doch in diesem Moment erspähe ich ein Footballfeld. Amerika also. Dann ein absonderlicher Wasserturm, dann ein Baseballfeld. Ich irre nicht. Nach 10 Stunden Flug reicht es mir auch. Mein Sitznachbar muss noch noch Michigan, irgendwo an die Grenze zu Kanada. Noch zwei Mal fliegen. Er macht irgendwas Frommes mit Senioren - er weiß es selber nicht genau. Er ist übrigens Deutscher.

In der Gangway macht sich schon die Schwüle bemerkbar. 34 Grad Celsius, über 90 % Luftfeuchtigkeit. Ich ächze das erste Mal, kaum aber betrete ich die Innenräume des größten Passagierflughafens der Welt, wünsche ich mich wieder in die Gangway zurück: das fiese, zupfige, eisige Kalt der Klimaanlagen. Es kriecht einem überall dorthin, wovon es immer geheißen hat, man solle diese Körperteile immer warm halten, also in den Rücken, in den Hals, durch die Schuhe. Vielleicht ist das auch nur meine panische Angst vor Klimaanlagen, denen ich genauso wenig vertraue wie Mikrowellenherden oder Fastfoodrestaurants. Ich bin hier falsch!

Der Zollbeamte, der die Wartenden den entsprechenden Abfertigungskabinen zuweist, spielt seine Rolle perfekt. Grimmig nimmt er den Pass eines jeden Einreisenden, hält ihn neben das Gesicht und prüft dann, abwechselnd auf den dummen Kopf im Pass und den schwitzenden Kopf des Passinhabers schauend, die Identität. Erst dann befiehlt er, wohin man sich stellen darf. Die zwei Herren vor mir schickt er nach "irgendwo da hinten", sie sollen sich die kürzeste Schlange aussuchen. Das mit der kürzesten Schlange wiederholt er noch zwei mal, und zwar so, als sei es seine eigene, ganze spezielle Idee, sich die kürzeste Reihe auszusuchen. Irgendwo macht einer mit einer Handykamera ein Foto. Das ist verboten. Ein Uniformierter stürzt auf den Handyfotografen los und zwingt ihn, das Foto zu löschen. Dann, nachdem er die nationale Sicherheit wieder hergestellt hat, geht er zurück von wo er kam und führt sein heiteres Gespräch mit dem Reinigungspersonal weiter.

Mein Onkel fährt mit mir mitten durch Atlanta. Das sei zwar nicht das Vernünftigste, aber immerhin soll ich einer der stressigsten amerikanischen Städte auf die mühevollste Weise zur ungünstigsten Uhrzeit kennenlernen, so er. Also mitten durch statt rund herum. Verzögerungen gibt es nur zwei, irgendwie scheint mein Onkel ein wenig enttäuscht zu sein. Nachdem wir die Skyline passiert haben sehe ich eigentlich nur noch Bäume links und rechts. Ich solle auf die Schneise achten, die der schwere Tornado vor ein paar Wochen durch die Bäume geschlagen hat. Dann dreht mein Onkel Southern Rock Radio so laut auf, dass mir die Zähne weh tun - wie das geht, ich weiß es nicht.

Irgendwo im scheinbaren Nirgendwo stoppen wir. Große Kreuzung, ein paar Häuser, Parplätze, viele Autos. Anscheinend noch irgendein Vorort von Atlanta, irgendein College ist in der Nähe. Wir steigen aus dem Auto aus, fast hätte ich die lähmende Hitze vergessen. Ich schleppe mich über den Parkplatz, wir gehen zu Tacomac, damit man gleich weiß, wo man daheim ist. Tatsächlich gibt es Leute, die auf der Terrasse sitzen. Drinnen aber ist beinahe alles voll. Es ist etwa sechs, viele Stundenten und Arbeiter, die sich auf dem Nachhauseweg finden. Da hinten, so mein Onkel während er mit der Hand auf die Bäume zeigt, befänden sich große Wohnsiedlungen.

Auch im Restaurant tun wieder alle sehr amerikanisch. Als Europäer stellt sich nach anfänglichem Schmunzeln und freudigem Wiedererkennen bekannter Muster dann doch die Frage, wie man sich dazu verhalten soll. Soll man da mitmachen? Oder geht das nur ironisch? Will heißen, man muss sich entscheiden, ob man hier Zuschauer oder Akteur sein will. Geduldet wird wohl beides - nur entscheiden muss man sich.

Während Hot Wings und Nachos sowie ein viel zu kaltes Bier serviert werden, denkt man noch an den Vorsatz, den man vor dem Abflug gefasst hat, man möge sich möglichst unamerikanisch ernähren und rechtfertigt diese erste deutliche Niederlage mit dem Gerade-angekommen-Sein. Dabei bläst einem die Klimaanlage giftig ins Genick, die Kellnerin lächelt unwirklich, die Studenten sind unglaublich studentisch, überhaupt ist alles so überwirklich wirklich und dadurch noch so unzugänglich, ja absurd.

Am Abend sitze ich im gemütlichen Sessel bei der Familie. Alle freuen sich mich zu sehen. Ich freue mich auch, bin aber müde. Auch muss ich mich erst wieder an den Kauderwelsch gewöhnen, den sie hier Englisch nennen. Nicht nur, dass sie hier anders sprechen als etwa im Norden, nein, es sprechen auch die Älteren anders als die Jüngeren, Frauen sowieso anders als Männer und dann scheint es auch noch eine Rolle zu spielen, von welchem College oder welcher Schule man kommt. Wäre es ein Film, würde ich jetzt der Faulheit wegen gerne die Untertitel anschalten. Aber sie haben Nachsicht, schicken mich ins klimaanlagengekühlte Bett. Morgen solle ich erstmal am Pool ausspannen, geweckt werde ich mit Speck und Eiern. Ob ich mich darauf freuen soll?

Mittwoch, 13. Juli 2011

Zeller Weisheit

"Wos brauch i an Huastnsouft, der wos noch Schnopps schmeckt? Do ko i glei an Schnopps saffn, do houd d'Lähwa a no wos davoo!"

Donnerstag, 7. Juli 2011

Am Mittwochsfestl

Am Stadtplatz stehen sich wieder einmal die Leute gegenseitig im Weg. Betrunkene Touristen, betrunkene Einheimische und solche, die es noch werden wollen - sowohl einheimisch als auch betrunken. Auf einer Bühne sitzen 4 junge Burschen und spielen Harmonika, aber niemand hört zu. Es ist Mittwochsfest und zwar das erste des Jahres, das Wetter ist schön und also ist man gezwungen hinzugehen. Bei mir geht ein riesiger Holländer vorbei, er hat eine Gämse auf dem Kopf. Vielmehr handelt es sich um eine Kopfbedeckung in Gämsenform. Sie können sich das jetzt vorstellen, wie Sie wollen - in Wirklichkeit sieht so etwas noch viel schlimmer aus.

Der Spritzer ist warm, das Bier grausig, die Bedienung langsam. Viele Mundwinkel lässt das aber nicht nach unten hängen, denn irgendwie ist man froh, dass es überhaupt was gibt und sowieso: Gerade die Zeller jammern ja auf höchstem Niveau. Gehen wir halt zu einem anderen Standl, es gibt ja genügend! Ich will wieder bergwärts, denn von dort kommend habe ich zuvor eine von Havana Club gesponserte kubanische Band gesehen. Vielmehr handelt es sich um einen Gitarristen und Sänger, einen Rastamann mit Trommeln und zwei karibische Schönheiten, die tanzend Rhythmusinstrumente bedienen. Ihre Rasseln haben es mir angetan.

Oben angekommen muss ich feststellen, dass die Havana Club Habaneros Pause machen. Ich trinke tschechisches Budweiser, nenne es bei der Bestellung ein "Technisches" und der Kellner muss - wie immer - lachen. Zwar finde ich den dummen Wortwitz schon lange nicht mehr lustig, aber ich weiß genau, dass er von mir erwartet wird. Letztens wollte ich einmal ein "Tschechisches" bestellen. Da hat mich der Kellner fragend angesehen und gesagt: "Du meinst ein Technisches?". Ja, meinte ich. Na also. Dem "Technischen " lasse ich ein Gin Tonic folgen, die Havana Club Mädchen tanzen schon wieder, auch ich versuche es ein bisschen. Ich halte mich für mittelmäßig musikalisch, aber karibische und südamerikanische Rhythmen verwirren mich prinzipiell. Immer, wenn man glaubt, jetzt habe man es heraußen, stolpert man wieder über eine scheinbar willkürlich gesetzte Pause, sucht den Takt, versucht es von vorne, hat es wieder gefunden und dann macht es "bamm bamm...... bamm bam bam" und alles geht wieder von vorne los. Ich klemme mir eine Rose zwischen die Zähne, das lässt alles unernster aussehen.

Später, als die Kubaner schon weitergezogen sind, kommt der Chef mit einer Flasche Prosecco und David Hasselhoff singt "September Love" aus dem Lautsprecher heraus. Ich werde proseccogeduscht ("Herr Magister! Herr Magister!"), meine Lederjacke klebt, Leute stieren verständnislos, ich grinse und merke zufrieden, dass ich für solche Sachen doch noch nicht zu alt bin. Bekloppt aussehende Schüler schauen erschreckt, heute sind mir sogar die egal. Sonst fragen wir uns immer, ob wir wohl auch so waren, um uns dann selbst zu versichern, dass nein. Heute abend weiß ich aber, dass wir ebenso bekloppt waren.

Irgendwann landet man dann immer im Insider und dort ist heute erwartungsgemäß die Hölle los. Wir stehen am Eingang, halb auf der Straße - immerhin haben wir einen Tisch. Der Italiener, der aussieht wie Tom Cruise, ist auch wieder da. "Enice to see eyou agaaaiin", sagt er und ich freue mich ebenso ihn zu sehen, auch wenn ich anfangs immer Angst habe, dass er mir eine Scientology-Mitgliedschaft andrehen möchte. Jedes Mal sage ich ihm, dass er wie Tom Cruise aussieht. "Ehnooo nooo, Tom Cruise ise much smaller, no?", sagt er dann immer und lacht das reinste Tom-Cruise-Lachen.

Die Mutter eines Freundes fragt mich nach meinen Sommerplänen. Ich sage ihr, dass ich in den USA sein werde und sie sagt, ich solle mir da drüben ein Mädchen suchen – zum Heiraten. Dabei schaut sie begeistert und erzählt mir, dass die da drüben so fesch sind. Ich solle mir aber keine Dicke suchen, sagt sie. Die Schlanken seien eh alle fesch bzw. fesch gemacht. "Eine Seidige brauchst du! Ein richtig seidiges Mädchen!" Mein Freund und ich sind total begeistert von den Ausführungen seiner Mutter. Seidig! Ja, so soll sie sein! Wir wissen, was wir uns darunter vorzustellen haben.

Auf der Toilette fragt uns einer der trotteligen Schüler, ob wir Salzburger seien. Ich sage, aus Graz kommend, im Reflex ja. "Aso deswegen", sagt er frech. Da stutze ich und erkenne meinen Irrtum. "Du meinst aus der Stadt? Nein! Wir sind Zeller", kläre ich ihn wahrheitsgemäß auf. Der Schüler schaut mich mit seinen viel zu eng beieinander stehenden Augen, die Rückschlüsse auf die mangelnde Variation in seinem Genpool durchaus zulassen, an und meint, wir seien aber so angezogen wie Stadtsalzburger (er meint wohl das Hemd). Ich mustere seinen fragwürdigen Aufzug von oben bis unten, sage nur "aha" und gehe. Immer das Gleiche...

Jeden Sommer gehen die Zeller aufs Mittwochsfest und jeden Mittwoch bereuen sie es immer auch ein bisschen, obwohl es ja alles in allem sehr nett ist. Das Fest bleibt gleich, die Leut bleiben gleich, ändern tut sich im Grunde nur das Wetter und selbst das kann nur entweder schlecht oder gut sein. Solange es gut ist, so sagt man im Pinzgau, muss man es ausnutzen. Deswegen stellt man sich dann auch jeden Mittwoch Abend in die Stadt, beäugt die teils recht zweifelhaften Zeitgenossen, trinkt was, unterhält sich mit Freunden, genießt das Wetter und ist sich einig, dass das Mittwochsfestl schon irgendwie ein Highlight ist. Auch wenn es eigentlich schon reicht, einmal dort gewesen zu sein. Oder zweimal – einmal beim ersten Fest und einmal beim letzten.