Dienstag, 14. Januar 2014

Der Bienenmann

Mit dem Bienenmann verhält es sich so: Was er sagt, passiert. Nicht, weil alle daran glauben, dass es passiert. Die Dinge, die um uns geschehen, geschehen einfach - ganz egal, was wir davon halten. Beim Bienenmann ist das anders: Es geschieht, weil er es sagt. Ganz egal, was er davon hält. Nun tätigt der Bienenmann gottlob keine Aussagen über alles, was in der Welt passiert. Würde er es tun, geschähe es freilich. Nur wer wollte das schon? Niemand - und am wenigsten er selbst.

Wichtig ist nur das Wetter, denn das kann er bestimmen. Die meisten Menschen interessieren sich ja auch für wenig Anderes. Es ist auch nicht so, dass er das Wetter machen würde. Er sagt bloß, wie es wird, und das Wetter hält sich daran. Ein stilles Abkommen scheint zwischen dem Bienenmann und dem Wetter zu bestehen.

Der Mensch will vieles wissen. Am meisten interessiert ihn aber, wie das Wetter wird. Also fragt er den Bienenmann, vor allem zwei Mal im Jahr. Einmal nach dem Winter; und einmal nach dem Sommer. "Wie wird der Sommer?" oder "Wie wird der Winter?". Im Sommer will der Mensch Sonne, aber es soll auch nicht zu lange trocken bleiben. Im Winter will der Mensch Schnee, aber eben auch Sonne, um diesen genießen zu können. Für Menschen in Tourismusgebieten ist der Schnee im Winter also besonders wichtig. "Wann kommt der Schnee?", fragen sie deshalb den Bienenmann, oder: "Wie viel Schnee bekommen wir heuer?". Und der Bienenmann sagt es dann. Er sagt zum Beispiel: "Ende November kommt viel Schnee. Danach wird es warm. Im Jänner gibt's dann wieder Neuschnee." Und das Wetter wird dann so. Zunächst zumindest.

Nach einem Monat Winter fragen die Menschen wieder: "Wann kommt der Schnee?", und der Bienenmann muss ihn wieder verheißen. "Jetzt noch nicht. Ende Jänner oder Anfang Februar", vertröstet er die Menschen. Er sagt, er habe das von den Bienen gehört oder aus dem Misthaufen herausgelesen, außerdem habe er jahrzehntelang Aufzeichnungen geführt. So gibt der Bienenmann dem Wetter auch eine statistisch gute Chance, so zu werden, wie es immer schon war: Kalt im Winter, warm im Sommer. Mal mehr Schnee oder Regen, mal weniger. Aber Schnee oder Regen kommt immer! Entweder am Ende des einen, oder am Anfang eines anderen Monats. Oder zwischendrin, einfach so.

Werden die Fragen dringlicher, wehrt der Bienenmann ab: Er könne es ja auch nicht ganz genau sagen, schließlich sei er nicht der liebe Gott. Obwohl es natürlich schon oft so aussieht, als wäre er genau das: der liebe Gott. "Fürchtet euch nicht", spricht er dann, eine Biene streichelnd, "bald einmal kommt der Schnee!" Und die Menschen erzittern unter den Worten des Bienenmannes, weil sie nun wissen: Bald einmal schneit es. "Kommt viel Schnee?", fragen sie weiter. "Nein, generell eher wenig, stellenweise aber ganz ordentlich!", sagt der Bienenmann dann, weil sein Misthaufen hat es ihm geflüstert und die Bienen haben es ihm gesummt. Damit gibt er dem Wetter wieder die Chance, auf dem Berg "ganz ordentlich" Schnee abzulagern, in sonnigen Tälern hingegen "eher wenig" liegen zu lassen.

"Sprich, Bienenmann!", fordern die Menschen, "wie wird der Sommer?" - "Vor dem Sommer kommt das Frühjahr, und das wird regenreich, dann wird es warm, und im Sommer heiß! Aber auch viel Regen - oder wenig. Und nach dem Sommer kommt ein schöner Herbst." "Oh", sagen dann die Menschen, "gut!", und verbreiten die Kunde, dass das Wetter wieder so werde, wie es der Bienenmann gesagt habe. Und sollte es im Februar immer noch zu wenig Schnee haben, so hoffen sie inständig darauf, dass der Bienenmann sein heilig Wort sprechen möge und sage: "Es kommt Schnee!" Und sie hoffen, dass das Wetter selbigen dann auch bringe, sich also wieder an die Worte des Bienenmannes halte, das stille Abkommen einlösend, welches er mit dem Wetter hat. Oh, Zauber der Natur! Oh, Weisheit des Misthaufens! Mach, lieber Bienenmann, dass es schneie!

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