Dienstag, 30. August 2011

Panik

Eineinhalb Monate bin ich nun schon hier, und wäre ich nicht so ein besonnener Bergmensch, den so schnell nichts aus der Ruhe zu bringen vermag, ich hätte schon ein paar Kübel voll Angstschweiß geschwitzt und müsste eines dieser Herzmedikamente nehmen, vor denen in der Fernsehwerbung gewarnt wird. Ja, tatsächlich werden Medikamente hier nicht nur beworben, es wird auch vor ihnen gewarnt, weil prinzipiell gilt, dass alles was existiert, auch gefährlich sein kann, ja vermutlich sogar mit ziemlicher Sicherheit gefährlich ist.

Die Pilgerväter sahen sich schon zu Beginn der US-amerikanischen Geschichte mit allerlei Gefahren konfrontiert. Das begann auf der Überfahrt von Europa nach Amerika und setzte sich im neuen Land fort. Denn dort sah man sich allerlei Widrigkeiten ausgesetzt, und hätte man nicht die netten Indianer gehabt, die den lustigen Briten und anderen Gesellen mit Rat und Tat zur Seite standen, wer weiß, ob das spätere Land der unbegrenzten Möglichkeiten sich nicht schon bald nach seiner Entdeckung als das Land der sehr beschränkten Möglichkeiten entpuppt hätte.



Auch heute noch lauert die Gefahr überall. Sei es in Form von Terroristen, bösen Bakterien, Haien oder Erdbeben: das Leben ist höchst ungewiss! Gerade erst beunruhigte Hurrikan Irene die Gemüter der Ostküste. Ich befand mich zufällig auf einem Trip nach North Carolina, wo Irene – aller Voraussicht nach – die Outer Banks verwüsten sollte. Von Raleigh aus, also in sicherem Abstand zum Ozean, beobachteten mein Onkel, dessen Freund und ich das Geschehen im Fernsehen. Unser Plan, das Wochenende am Strand zu verbringen, schien durchkreuzt und also begnügten wir uns mit einer kleinen Besichtigung der Gegend und der Aussicht auf schönes Wetter weiter südlich.

Einstweilen machte sich auf den Straßen Raleighs Panik breit. Die Tankstellen waren dauerbesetzt und in den Supermärkten waren die Milch- und Brotregale nahezu leer. Also kauften wir Bier, Chips, Eiscreme sowie Cracker und Käse, denn davon gab es nach wie vor genug. Tatsächlich wurde es dann auch recht stürmisch und regnerisch. Die Fernsehberichte von der Küste gaben sich zunehmend dramatischer, aber irgendwie wollte kein genügend großes Unbehagen aufkommen. Es schien, als suchten die Fernsehstationen verzweifelt nach ersten Opfern des Hurrikans. Stattdessen zeigten sich bloß ein paar Surfer, die sich über die hohen Wellen, die ihnen Irene bescherte, freuten.


Dann erfrechte sich Irene auch noch, sich zu einem Hurrikan der Kategorie 1 zu verharmlosen! Die Panik vor dem Sturm wich langsam der Panik davor, dass der Sturm nicht stark genug sein werde. „Wäre ich an Ihrer Stelle, würde ich mich nicht darum sorgen, ob es sich um einen Hurrikan der Kategorie 1, 2 oder 3 handelt. Ich kann Ihnen nur versichern: Sie wollen da nicht mittendrin sein!“, verkündete eine Sprecherin der Gouverneurin mit beschwörender Stimme. Das nächste Bild zeigte eine Strandbar, in der ein paar Leute eine „Hurrikanparty“ veranstalteten.

Auch New York, so hieß es, sei noch in Gefahr. Endlich schien sich eines der vielen Horrorszenarien aus den so beliebten Katastrophenfilmen zu erfüllen: eine Millionenstadt von der Natur bedroht! Unglücklicherweise musste man schon am nächsten Tag feststellen, dass Irene nun kein Hurrikan mehr war, sondern nur mehr ein Tropensturm. „Still pretty bad, still very dangerous!“, versuchte ein Nachrichtensprecher in lehrerhafter Manier die Panik verzweifelt aufrecht zu erhalten. Doch spätestens jetzt lachten nicht nur mehr die Einwohner Louisianas, sondern auch der Großteil der nördlichen Ostküste.

Es ist nicht so, dass Irene keinen Schaden angerichtet hätte, und leider mussten auch einige Menschen im Sturm ihr Leben lassen. Aber irgendwie beschleicht einen das Gefühl, dass die Medien den Menschen den Hurrikan schlimmer verkaufen wollten, als er tatsächlich war. Die Frustration darüber, dass Irene da nicht mitspielte, spiegelte sich in dem Fakt wieder, dass die Berichterstattung über den Hurrikan, sobald sich dieser zum Tropensturm wandelte, schlagartig weniger wurde – ja im Vergleich zu vorher geradezu aufhörte. Das tut nicht nur dem Sturm Unrecht, sondern auch den tatsächlichen Opfern Irenes.

Freilich ist man seit dem Katrina-Desaster vorsichtig geworden was Hurrikans betrifft. Leider scheint es aber auch eine gewisse Sensations-Erwartungshaltung zu geben, die Schäden und Tragödien fordert, während sie das Glimpfliche verachtet. Panik ist eine Grundbefindlichkeit des Amerikaners und sie will genährt werden. Wenn man dafür nicht ins Kino zu gehen braucht, ist es umso besser. Umso unbefriedigender ist es dann aber auch, wenn die Panik sich als scheinbar unbegründet herausstellt. Dann fühlt sich der Amerikaner von der Natur, der sowieso nicht zu trauen ist (wie schon die Pilgerväter erfahren mussten), zum Besten gehalten. Und die Medien sorgen sich um die Einschaltquoten. Das ist dann die wahre Katastrophe.

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