Donnerstag, 4. August 2011

Der Preis der Freiheit


Im Land der Freiheit hat die Freiheit immer auch einen Preis. Ist das vielleicht der Grund für die Schuldenkrise der USA? Eine sündhaft teure Frage, die ich lieber stecken lasse. Was ich meine ist: Ist es nur der Zwentendorf-Österreicher, der sich von zwei Kühltürmen eines AKWs am Horizont die Idylle eines wunderbaren Sees trüben lässt? Für die Amerikaner scheint das kein besonders seltsames Bild zu sein; zumindest scheinen sie sich daran gewöhnt zu haben. So wie sie sich an Restaurants gewöhnt haben, die mexikanisches und italienisches Essen anbieten und dabei so tun, als sei es das Natürlichste der Welt, diese beiden Küchen nebeneinander, gleichzeitig und mit einem „und“ verbunden zu bewerben und auch tatsächlich anzubieten. Kulinarisch passt da jedenfalls nichts zusammen, aber betrachtet man es rein dekorativ, öffnen sich einem die Augen: Die mexikanische und die italienische Flagge sehen sich nämlich – vor allem für die ungeschulten und von Stars und Stripes rotweißblau entzündeten Augen eines Amerikaners – ziemlich ähnlich: grün, weiß und rot, längsgestreift. Bis auf das Wappen, das die Flagge Mexikos ziert, sind sie also identisch. Die Außen- und Innenbemalung des Lokals erlaubt also vieles. Aber ich schweife ab...

Der See und das Atomkraftwerk: Im zentralen Ost-Tennessee wurde der Tennessee River zu einem See aufgestaut. Damm und Schleuse heißen „Watts Bar“ und nebenan befindet sich gleich auch ein AKW, das man bei der Autofahrt von Cleveland nach Spring City schön beobachten kann, wenn man über die Watts-Bar-Brücke fährt. Der von der Watts Bar zurückgestaute Fluss nennt sich konsequenterweise Watts Bar Lake, ist ob seiner ursprünglichen Flussnatur wild verzweigt und hat etwa die Größe des Neusiedler Sees, was dem Seebesucher ein stundenlanges Herumfahren und Entdecken ermöglicht. Wie alles in östlichen Tennessee ist auch dieser See wunderschön. Von sattem Grün bewachsene Ufer, ein paar Klippen für Wagemutige und Leichtsinnige, geschmackvoll gebaute und platzierte Seehäuschen sowie ein veritabler Fischreichtum zeichnen den Watts Bar Lake aus.


Mit dem Boot lässt sich der See hervorragend erkunden, auch wenn man zunächst aufgrund der Verästelungen dauernd die Orientierung verliert. Umso schlimmer dann der Schreck, wenn man von einem malerischen Seitenarm Richtung Süden in einen anderen einbiegt und sich hinter den dichten, gesunden Wäldern auf einmal die schmauchenden Kühltürme des Kraftwerks zeigen. Einem in den 80er Jahren groß gewordenen Mitteleuropäer wird da ganz heiß im Kopf. Man denkt an Tschernobyl und die Schwammerl, man denkt an Janoschs „Lumpengesindel“ - die ökologische Erziehung, der man damals irgendwie zwangsweise ausgesetzt war, hat ihre Spuren hinterlassen. Jedenfalls passt das AKW hier gar nicht hin. Man erinnert sich an stundenlange Fahrten durch Deutschland, und wie man irgendwann mitten in der Ödnis, hinter einem Hügel gelegen, ein AKW erspähte und sich dachte, dass sich hier wohl kein Nachbar aufregen könne, weil es keinen Nachbarn gibt. Ähnliches gilt wohl auch für das Watts-Bar-Kraftwerk, nur: Dass sich daneben ein großes Erholungsresort befindet, befremdet schon ein wenig.


Mittwoch um 12 Uhr Mittags wird dann das Gebell eines Hundes durch einen lauten Sirenenton unterbrochen, der sehr nach Reaktorunfall klingt. Ich blicke meinen Onkel an. Der sagt mir, dass wenn ich dieses Geräusch zu einem anderen Zeitpunkt als Mittwoch um 12 Uhr hören sollte, ich die Flucht antreten müsse. Zur Beruhigung hält er mir die Armbanduhr vor die Nase – tatsächlich zwölf. Mir war irgendwie schon klar, dass es sich um eine Probe handeln müsse, aber der für mich ungewohnte Zeitpunkt und die grausige Fremdheit des Sirenentons vermögen einem durchaus kurz einen Schreck einzujagen. Die österreichische Feuerwehr-Sirene, die immer dann erklingt, wenn am Samstag Mittag das Lagerhaus zusperrt, klingt im Vergleich geradezu beruhigend. Und für alles andere haben wir einmal im Jahr (?) einen Strahlenalarm-Test oder so etwas ähnliches, wo man dann zählen muss, wie oft der Ton rauf und runter geht. Die schauerliche amerikanische AKW-Sirene hingegen lässt keinen Zweifel über den Ernst der Situation.

Beim Verlassen des Campingresorts fallen dann die blauen Schilder am Straßenrand auf, welche im Falle des Falles die Fluchtroute anzeigen sollen. Gemütlich und unschuldig geleiten den erholten Seebesucher diese stummen Zeugen der potenziellen Gefahr aus dem Resort. Dieses Nebeneinander von Atomkraft und intakter Natur wirkt vielleicht nur für einen Österreicher verstörend – für die Amerikaner ist das AKW am Seerand der Preis der Freiheit; so wie die Herzkrankheit als Folge des Fast-Food-Konsums oder die Schulden als Folge der „Kreditkartenwirtschaft“, quasi ein gottgegebenes Faktum, mit dem zu leben sich einfacher darstellt als Grundlegendes zu ändern und auf Komfort zu verzichten. Das AKW ändert nichts an der Schönheit des Sees, wie auch der See nichts an der Hässlichkeit des AKWs ändert. Erschreckend ist nur, mit welcher Selbstverständlichkeit diese beiden Dinge zusammengehören: die Freiheit und ihr Preis.

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