Donnerstag, 4. August 2011

Das Mehr und das Weniger - kleines Heimweh


Mehr ist besser: Das ist die einfache Formel für den amerikanischen Alltag. Es gibt kein „small is beautiful“, und sollte etwas ausnahmsweise wirklich einmal besser sein, wenn es weniger ist, werden einfach die Verhältnisse umgekehrt. Das ist ein Sprachspiel, das dem Amerikaner erlaubt, immer alles besser zu finden, was mehr ist. So lässt er sich aber auch von jedem, der dieses Sprachspiel beherrscht, vorgaukeln, dass etwas besser sei als etwas anderes, wenn dieser jemand es nur versteht, ihm die Verhältnisse so darzulegen, dass das, was der Amerikaner gut finden soll, immer mehr ist als das, was er schlecht finden soll. Klingt kompliziert, ist aber relativ simpel in der Praxis.

Erstmal sei ein Beispiel aus dem nicht manipulativem Sektor genannt. Es soll zeigen, dass die Gleichung mehr=besser dem Amerikaner natürlicher vorkommt als weniger=besser. Wir drücken die Sparsamkeit eines Autos so aus: Je weniger Treibstoff es auf 100 km verbraucht, desto besser ist es. Einem Amerikaner wäre das suspekt. Also geht das in den USA anders. Dort wird über die „gas mileage“ ausgedrückt, wie weit man mit einer Gallone Treibstoff kommt (miles per gallon). Je höher also die Zahl, desto besser die Effizienz des Fahrzeugs. Es handelt sich um eine einfache Umkehr der Verhältnisse. Wir könnten genauso gut angeben, wie viele Kilometer man mit einem Liter Kraftstoff zurücklegen kann. Dass für uns aber die kleinere Zahl die attraktivere ist, für die Amerikaner jedoch die größere, ist kein Zufall.

Im Lebensmittelsektor findet man ähnliches. Während bei uns Joghurtpackungen mit großen Nullen bepinselt werden, um jedem klarzumachen, dass im betreffenden Produkt kaum oder wenn möglich gar kein Fett enthalten ist, muss man in den USA schon genau schauen, ob es sich um ein „low fat“ Produkt handelt. Was auf diesen Produkten allerdings durchaus zu finden ist, sind große Schriftzüge, die das Erzeugnis als „healthier“ anpreisen. Ein Mehr an Gesundheit also – das versteht der Amerikaner. Weniger Fett – das versteht er nicht.

Einige Werbungen enthalten zwar das Wort „less“. Dieses hat aber meist nur subsidiäre Funktion und wird bald von einem viel größeren, dickeren und womöglich bunteren „more“ wiederholt überblendet und also aus dem Ultrakurzzeitgedächtnis geradezu herausgelöscht. less=small=bad, more=big=good: Diese Metaphernkonzepte sind dem amerikanischen Bewusstsein eingemeißelt und sind der Grund, warum sich ein Europäer mitunter überfordert fühlt. Überfordert von der Fülle der Angebote, von der Intensität der Darbietung, von der Lautstärke, den Lichteffekten, den marktschreierischen Anpreisungen der Werber – überfordert von der Art und Weise der Kommunikation überhaupt.

Ich nenne alles übertrieben und gewöhne mich doch langsam daran. Wie schal und langweilig wird mir Europa vorkommen müssen, wenn ich zurück komme! Wie unspektakulär werden die Leute, die Autos, die Supermärkte, die Werbungen, wie unspektakulär wird überhaupt alles sein. Und doch sehne ich mich manchmal nach dem Weniger, nach dem Bescheidenen, dem Unauffälligen, dem Subtilen, dem Leisen. Das kommt mir alles so europäisch vor, so edel und schlau – irgendwie gefinkelt und doch nicht hinterlistig: small but beautiful. Das klingt schön.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen