Donnerstag, 11. August 2011

Ruhige Tage und ein Friseurbesuch


Die Hitze, in der ich in diesen Tagen liege, ist keine sengende mehr, wird aber ihrem Wesen trotzdem noch gerecht. Es hat abgekühlt, das heißt die Temperatur liegt in den niedrigen 30ern, vor allem aber hat die Luftfeuchtigkeit abgenommen, was das faule Herumliegen am Pool erträglicher macht. Sogar das Wasser hat seine Kinderbeckenwärme verloren und konnte heute erstmals „kühl“ genannt werden. Im Radio laufen die ewig gleichen Countrylieder, die einem mittlerweile schon egal sind – das eine oder andere findet man sogar schon ganz gut. Die in der Einfahrt liegenden Blätter brechen unter den Reifen der Autos; das Geräusch erinnert mich bezeichnenderweise an Kartoffelchips: die Amerikanisierung der Sinneseindrücke. Tatsächlich sind die Blätter schon welk. Die Hitze und der wenige Regen tragen Schuld daran, dass, vergäße man auf die Hitze, fast schon Herbststimmung aufkommen mag.


Momentan verbringe ich ruhige Tage in meinem Sommerdomizil. Das zwingt mich immer öfter vor den Fernseher, der hier den ganzen Tag läuft. Abends schaue ich Baseball, denn die Footballsaison hat noch nicht angefangen, und irgendwie habe ich ein bisschen Gefallen an diesem relativ langweiligen Sport gefunden. Morgens laufen meist Nachrichtensendungen, in denen aufgeregte Herren in diesen seltsamen, an den Schultern und Armen aufgebauschten amerikanischen Hemden auf die Regierung schimpfen, während im Hintergrund, wie zum Beweis für ihre Ausführungen, Aktienkurven eingeblendet werden. Am späteren Vormittag geben dann Ärzte Gesundheitstipps. Warum diese TV-Doktoren in Operationsklamotten oder weißen Kitteln im Studio sitzen müssen, bleibt schleierhaft. Heute jedenfalls war ein plastischer Chirurg aus Florida (woher sonst?) zu Gast, der den verblüfften Zuschauern erklärte, was ein Miami Thong Lift ist. Dabei handelt es sich um eine operative Korrektur des Fettgewebes am Gesäß, welche den perfekten Sitz des String Tangas sicherstellen soll. Seine zufriedene Patientin präsentierte dem Publikum stolz ihren neuen Podex, was heftig bejohlt und beklatscht wurde. Es ist leider großteils Bildung dieser Art, die mir den Horizont erweitert.


Gestern allerdings durfte ich einen Friseurbesuch über mich ergehen lassen. In der Daltoner Altstadt befindet sich ein Herrensalon, der von zwei Männern vom alten Schlag geführt wird. Das Geschäft besteht seit den 60er Jahren und hat sich seitdem wohl nur wenig verändert. Aber auch die Haarschnitte haben sich kaum verändert, deswegen warnt mich mein Cousin Chuck im Vorhinein: Da die beiden großteils Senioren als Kunden hätten, ginge es zwar relativ schnell, leider aber würden sie kaum Erfahrung mit dichtem Haar und jugendlichen Schnitten haben; besonders der Ältere, so mein Cousin, habe ihm schon den einen oder anderen Idioten-Schnitt verpasst. Ich werde ein wenig nervös, der Gedanke an meine ständig größer werdende Baseballkappensammlung beruhigt mich aber gleich wieder. Ich nehme mir eine Sports Illustrated und blättere darin. Henry, so der Name des jüngeren und talentierteren der beiden Friseure, entlässt gerade seinen letzten Kunden. Vor meinem Cousin und mir ist noch ein anderer Herr an der Reihe. Dieser aber sagt, er würde warten, bis der andere Friseur Zeit für ihn habe. Chuck springt sogleich auf und läuft Henry entgegen – es wirkt irgendwie erleichtert. Ich überlege kurz und komme zu dem Schluss, dass, da der Herr vor mir ohnehin mit dem „schlechten“ Haarschneider vorlieb nehmen will, ich wohl auch von Henry geschnitten werden würde.


Als der ältere Friseur mit seinem letzten Kunden fertig ist, will der freundliche Herr, der jetzt an der Reihe wäre, mir aber seinen Platz überlassen. Er sagt, er habe ohnehin den ganzen Tag nichts zu tun und sei eigentlich nur zum Quatschen hier. Sein weniges Haar bedarf nur einer kurzen Behandlung, und da ich, wie ihm aufgefallen sei, zusammen mit Chuck gekommen bin, wäre es ihm ein Vergnügen, mir den Vortritt zu lassen, damit mein Cousin nicht auf mich warten müsse, sobald dieser fertig sei. Nie war mir ein freundlicher Mensch so unangenehm! Ich erkläre ihm, dass ich, vielmehr dass mein Cousin und ich, wohl noch viel weniger zu tun hätten als er und dass es mir höchst unangenehm wäre, mich hier in irgendeiner Art und Weise vorzudrängen, wo ich doch nicht einmal von hier sei und so weiter.
Aber gerade als Gast hätte ich doch das Vortrittsrecht, sagt mir der zu freundliche Herr, während der schlechte Friseur mich schon grinsend zu sich winkt, bedrohlich mit seiner Schere die Luft zerschnippselnd. Ich fuchtle mit meiner Sports Illustrated und stammle irgendetwas davon, dass ich gern noch die Wartezeit nützen würde, um diesen Artikel fertig zu lesen, während ich auf das Bild eines mir vollkommen unbekannten Baseballspielers zeige.
Aber ich könne doch die Zeitschrift mit auf den Frisierstuhl nehmen, meint der schlechte Friseur. Nein, das könne ich nicht, sage ich, denn dann müsste ich entweder dauernd den Kopf senken, was dem Gelingen des coiffeurschen Handwerks unzuträglich wäre, oder aber mir die Zeitschrift hoch vor das Gesicht halten, was meine Arme schon nach wenigen Minuten schwer werden lassen würde. Während ich das sage, zeige ich mit übertriebenen Gesten umständlich vor, was ich meine. Der Friseur und der freundliche Herr lachen und geben schließlich nach. Ich bin gerettet.


Tatsächlich schneidet Henry ganz ordentlich. Die Tatsache, dass ich zum ersten Mal von einem glatzköpfigen Friseur geschnitten werde, finde ich bemerkenswert. Henry lobt die Farbe meines Haares und auch die Dichte. Es finde sich aber das eine oder andere graue Haar, so er. Ich sage ihm, dass mir das keine Neuigkeit sei, verzichte aber – aus Rücksicht auf Henrys blanken Schädel und seinen weißen, fast mönchsartigen, Haarring, der sich von Ohr zu Ohr zieht – auf die Bemerkung, die ich in solchen Situationen sonst zu machen pflege, nämlich, dass ich froh sei, noch viele Haare zu haben und ich deswegen die paar grauen verschmerzen könne. Henry scheitelt mir das Haar streng und tatsächlich sehe ich jetzt aus wie ein amerikanischer GI aus den 50er Jahren. Zufrieden stehe ich auf und gebe Henry 10 Dollar, die er in einer Lade seines großen Friseurtisches verschwinden lässt. Er wünscht mir noch einen schönen Aufenthalt, ich verspreche ihm, ihn weiterzuempfehlen und Henry lacht vergnügt. Vor dem Laden wartet Chuck. Wir sehen uns gegenseitig prüfend auf den Kopf und nicken uns zu. Für jemanden, der uns in diesem Moment beobachten würde, sähe es wahrscheinlich so aus, als würden wir mit dem Nicken einander Mut machen wollen.

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