Donnerstag, 28. Juli 2011

Eine Prise Daytona

Daytona Beach ist eine Küstenstadt, die ihre Glanzzeit vielleicht schon hinter sich hat. Die Kombination von perfektem Sandstrand und schmucken Hotels samt Nachtlokalen hat aber nach wie vor einiges für sich. Mein Onkel erzählt, dass es heute viel sauberer und gesitteter ist als früher. Früher, damit meint er die 70er und 80er Jahre, also jene Zeit, in der, so erzählt er, betrunkene Studenten auf den Ladeflächen ihrer Pickup Trucks saßen und leichtbekleideten Damen hinterherpfiffen, die den Ocean Drive auf- und abstöckelten. Ich finde, dass es heute nicht gar so viel anders ist, allein die Pickups stehen nicht mehr auf der Straße, sondern nur noch am Strand. Und ja, so betrunken wie früher sind die Studenten auch nicht mehr. Wahrscheinlich gilt überhaupt, dass früher alle Leute viel betrunkener und ungezogener waren als sie es heute sind.

Die Hotelanlagen in Daytona sind groß und mittelmäßig gut geführt. Es sind solche typischen Hotels, die direkt am Meer liegen, in denen die Barkeeper zu freundlich und die Zimmermädchen zu unfreundlich sind. In der Lobby spielt hawaiianisch angehauchte "Strandmusik", die Pools sind von meeresfaulen sonnenbrandverkokelten, leider meist übergewichtigen Amerikanern belegt, die aus dem Landesinneren vor der Hitze an den Strand geflüchtet sind, um dann nicht am Strand, sondern eben am Pool zu liegen. Das rhythmische Knacken ihrer Budweiser-Dosen vermischt sich mit dem Kindergeschrei zu einer Geräuschkulisse, die zu meiden man den "beschwerlichen" Weg zum Strand (3 Stufen abwärts) gern auf sich nimmt. Dort angekommen wundert man sich erst einmal über die vielen Autos, die da stehen. Denn selbst wenn man in einem Hotel wohnt, das direkt am Meer liegt, fährt man hier mit dem Fahrzeug an den Strand, hat man doch etwa 5 Kühlboxen, 8 Strandstühle, ein Zelt, einen Tisch, 10 Luftmatratzen, 3 Surfboards und allerlei Bälle, die man dort aufbauen, aufstellen und ausbreiten muss, sodass dem ausgefüllten Tag am Strand nichts mehr im Wege stehe. Dann wird mit dem Nachbarn darüber diskutiert, wo man sein Sonnensegel her hat, wieviel es gekostet hat und ob es das nicht woanders günstiger geben müsste. Man bietet sich gegenseitig Bier an, weist aber darauf hin, dass es verboten ist, Alkohol am Strand zu trinken, und überhaupt die Kinder... aber man habe ja Plastikbecher etc. Am Strand verstehen sich die Leute.

Doch nicht nur der Strand ist interessant. Daytona ist auch Amerika in klein. Die Natur zeigt sich in Form des Ozeans. Gerne lassen sich Delphine beobachten, Pelikane stürzen munter in die Wellen, um nach Fischen zu tauchen, beim Parasailing sieht man in Küstennähe riesige Mantarochen durch das Wasser gleiten. Nachts ist der Strand lichterfrei, denn zu dieser Jahreszeit kommen Meeresschildkröten, um ihre Eier in zu legen. Oft kann man früh morgens noch deren Spuren im Sand  entdecken.
Gleich neben der Natur, direkt an den Strand anschließend, findet sich jenes kapitalistische Brimborium in Form von Hotels, Souvenirläden und Unterhaltungsfirlefanz, das den von der Natur Gelangweilten das Leben wieder lebenswert machen soll. Überschreitet man aber den Ocean Drive und geht nur ein paar Straßen weiter, finden sich verarmte Siedlungen mit verfallenen Häusern, durch die man bei Tageslicht schon nicht gern, bei Nacht aber überhaupt nicht geht. Dieses Nebeneinander von Natur, Unterhaltungskultur und relativem (!) Elend zeichnet ein grobes Bild des amerikanischen Traums und seiner Folgen, ohne dabei allzu tragisch zu wirken. In seiner schlichten Einfachheit überzeugt es den Touristen ebenso wie den Einheimischen und wird daher für authentisch und gottgewollt gehalten.

Die Bewohner von Daytona Beach sind froh, wenn sie in einem Hotel arbeiten können, das noch nicht pleite gegangen ist. Viele der Hotelburgen am Strand stehen leer, wirklich gut halten sich nur jene im absoluten Zentrum, also nahe des Boardwalks und des Piers. Ich spreche mit der Bardame meines Hotels, die mit ihrem Job so halbwegs zufrieden ist. Sie erzählt mir, dass sie heuer in der BikeWeek, die im Februar stattfindet, auf die Dienste in der Hotelbar verzichtet und lieber in einer Kneipe gearbeitet hat. Die BikeWeek soll aber so dürftig besucht gewesen sein, dass sie im Nachhinein bereut hat, den Dienst im Hotel gegen den in der Kneipe getauscht zu haben. 'Rezession' und 'Krise' sind Wörter, die man in den Staaten immer noch dauernd aus jedem Mund hört. Man hört auch, dass die Politiker schuld seien, nicht aber Gott und schon gar nicht man selber. Also eigentlich hört man das gleiche wie auch in Europa, nur dass die Amerikaner diesen Gedanken irgendwie mehr verinnerlicht haben: Sie glauben an die Krise, anstatt sie überwinden zu wollen.

Leah (so heißt die Bardame) erklärt mir, sie habe Angst vor dem Ozean. Sie möge überhaupt keine natürlichen Gewässer, könne nicht schwimmen und Meerestiere würden bei ihr sowieso Panik verursachen. Außerdem habe sie eine irrationale Angst vor Fröschen. Ich sage, dass das nachvollziehbare Ängste seien, wenn auch - ihren Geburts- und Wohnort in Anbetracht ziehend - etwas unglückliche. Darüberhinaus habe sie Angst vor Luftballons. Die ständige Gefahr des Platzens bereite ihr unsäglichen Stress. Das halte ich schon für eine interessantere Angst. Noch interessanter allerdings ist ihre Angst vor Einkaufswägen. Was es daran zu fürchten gebe, frage ich. Leah meint, es sei die ständige Panik davor, mit jemandem zusammenzustoßen, etwas umzufahren und die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Die Angst vor Einkaufswagen halte ich für eine außerordentlich besondere Angst und gratuliere ihr dazu, denn so etwas Seltsames habe ich noch nie gehört. Sie freut sich irgendwie darüber und sagt mir, dass es schon witzig sei und sie auch gut mit ihren Ängsten leben könne. Allerdings mache ihr ihr Ekel vor Blut zu schaffen, der es ihr in Kombination mit den anderen Ängsten nahezu unmöglich mache, irgendwann einmal Kinder zu haben.
Ich stelle mir vor, wie Leah für eine Geburtstagsfeier eines ihrer Kinder einkaufen fährt, mehrere Male durch den Supermarkt läuft, weil sie keinen Einkaufswagen, sondern nur einen Handkorb zur Verfügung hat; wie sie Luftballons kauft, obwohl sie weiß, dass diese ihr die Party zur Hölle machen werden. Und dann sehe ich die herumtollenden Kinder und wie sie sich die Knie blutig schlagen, während Mama in Ohnmacht fällt.
Leah erzählt mir noch von dem Unbehagen, das sie verspürt, wenn sie jemand an einer Seite ihres Körpers berührt und wie sie sich dann selbst auf der anderen Seite berühren muss, um die erste Berührung 'auszugleichen'. "Wenn mein Freund mir zum Beispiel einen Klaps auf die rechte Pobacke gibt, muss ich mir selbst auf die linke schlagen, sonst drehe ich durch!", erklärt sie mir. Aha.
Leah lädt mich noch auf ein Bier ein, erklärt mir, wo in der Nacht etwas los ist und entlässt sie mich danach. Zum Abschied bedanke ich mich für ihre interessanten Ausführungen und tätschle ihr freundlich den linken Arm. Auf meinem Weg zum Aufzug sehe ich noch, wie sie beim Umdrehen, so unauffällig wie möglich, ihren rechten Arm berührt.

Sie ist zwar nett, denke ich, doch irgend etwas stimmt nicht mit ihr. Gleiches sollte auch für den Priester gelten, den ich ein paar Abende später traf...

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