Sonntag, 17. Juli 2011

Die Differenz der Freiheit

"same same - but different!"
altes arabisches Sprichwort

Freiheit ist so ein Wort, mit dem man Amerika gerne assoziiert. Sei es die Freiheit auf einer Landstraße oder die Freiheit, dass jeder machen kann, was er möchte (die eine allgemein akzeptierte Illusion ist) oder eben die Freiheit in Form von Unabhängigkeit, jenes Konzept, das die USA im Kern ausmacht, das jedes Jahr wild gefeiert wird, von dem aber keiner mehr so richtig zu wissen scheint, wofür es heutzutage noch gut ist. Auch die Freizeit ist Ausdruck der amerikanischen Freiheit. So scheint es auch geboten, seine Freizeit zu nutzen, denn wer seine Freizeit nicht nutzt, der macht auch von seiner Freiheit nur mangelnden Gebrauch. Und das ist irgendwie unamerikanisch.

Nun ist es aber so, dass die Amerikaner Weltmeister sind im Freizeitnutzen. Das nicht deshalb, weil sie ein gar so aktives und unternehmungslustiges Volk wären, sondern weil sie einfach eine andere Auffassung von Zeitvertreib haben als etwa ein österreichischer Europäer. Ich zum Beispiel halte Fernsehen für keinen Zeitvertreib, im besten Fall für Zeittotschlagen. Zumindest wenn man unter Fernsehen das wahllose Herumschalten zwischen inhaltsleeren Sendern versteht, wie es hier praktiziert wird. Das Fernsehen ist in den Augen des Amerikaners eine veritable Zwischentätigkeit, die aber von keinem besonderen Interesse geleitet ist. Sollte zufällig einmal etwas Interessantes oder Unterhaltsames laufen, so hat man eben einfach Glück gehabt. Läuft gerade wirklich nur Langweiliges, oder sollte, Gott behüte, sich irgendein Interesse rühren, wird eben eine DVD eingelegt. Dann läuft von 4 bis 6 Uhr ein Film, den dann alle, die zufällig irgendwann einmal ins Wohnzimmer kommen, zumindest zu einem Teil anschauen. Niemand wird den Film von Anfang bis zum Schluss sehen. Aber man könnte am Abend durchaus behaupten, die Familie habe sich am Nachmittag gemeinsam einen Film angesehen.

Zeitvertreib ist aber auch Bewegung. Wer seine Vorurteile über das amerikanische Volk brav gefüttert hat, wird jetzt verwundert sein. Doch besteht hierin noch kein Grund zur Unruhe, meine ich doch die motorisierte Bewegung. So hieß es gestern etwa, dass wir zum See fahren würden. Schön, denke ich mir, ein entspannter Tag am See, das kann ich gut gebrauchen. Als ich vor die Haustüre trete, erblicke ich einen weißen Jeep mit Anhänger und einen riesigen weißen Pickup-Truck mit Anhänger (habe ich jetzt eigentlich schon alle Autos gesehen, die diese Familie hat?). Auf den Anhängern befinden sich ein Jetski und ein Motorboot. Tolle Sache, wir fahren zum See!

Auf dem Weg dorthin bleiben wir an einer Tankstelle stehen. Chuck erzählt mir, dass er sich noch erinnern kann, wie damals seine Eltern 89 Cent für eine Gallone Sprit gezahlt haben. Heute kostet sie $ 3,40. Chuck tankt zuerst den Pickup, dann das Boot. Wir fahren weiter, fahren über endlose Landstraßen Richtung Nordosten. Wir fahren in die Berge. Der See liegt auf einem Berg, er wurde von der Armee künstlich angelegt, man hat einfach einen Damm gebaut und das Wasser in einem Tal aufgestaut. In Georgia, so erklärt mir Chuck, gibt es keine natürlichen Seen. Derweil schnauft der Pickup die enge Bergstraße hinauf.

Oben angekommen werden Boot und Jetski ins Wasser gelassen und auf diesem Wege der ganze See, der riesig ist, abgefahren. Der See hat kaum Ufer, die zum Baden benutzt werden können. Im Grunde finden sich darauf auch nur Bootfahrer, Fischer, und Wasserskiläufer. Man bewegt sich, fährt den verzweigten See ab. Ich genieße die Sonne und den Fahrtwind, betrachte den dichten, für Georgia so typischen Mischwald, der überall das Ufer des Sees ziert. Ein riesiger See im Wald auf einem Berg, auf dem man mit dem Motorboot herumfahren kann: Das ist Freiheit. Das ist Bewegung. Das ist Zeitvertreib. Das ist aber freilich auch Sonnenbrand - quasi der Preis für die Freiheit.

Diese Art der Freizeitgestaltung sagt mir durchaus zu. Nur verstehe ich nicht, wie hier Zeit und Aufwand zu rechtfertigen sind, wenn ein Tag am See und ein Tag vor dem Fernseher sich von der Wertigkeit her gar nicht so von einander zu unterscheiden scheinen. Beides ist Zeitvertreib und freilich ist der Tag am See die ereignisreichere und coolere Form der Freizeitgestaltung, aber irgendwie stellt sich bei mir das Gefühl ein, dass man hier, schon allein des emotionalen und des technischen Aufwandes wegen, eine schärfere Trennlinie zwischen den beiden ziehen müsste. Meinem Gefühl zufolge ist der Tag am See etwas - der Tag vor dem Fernseher hingegen ist nichts. Im Bewusstsein der Amerikaner - so jedenfalls scheint es für den Außenstehenden - sind beides einfach andere Formen der selben Essenz. In dieser Gegend scheint nämlich auch praktisch jeder Haushalt, der einen Fernseher hat, ebenso ein Boot zu haben. In jeder Einfahrt stehen Motorboote und/oder Jetskis. Freilich gibt es kleinere und größere, ältere und modernere, teuere und günstige Boote. Doch ein Boot muss man haben, auch wenn der Treibstoff nicht mehr so billig ist, wie noch vor 20 Jahren.

Wie das mit der Wertigkeit der Dinge geht, werde ich in einem der nächsten Einträge versuchen herauszufinden. Ich denke nämlich, dass dieses binäre Denken (etwas ist, oder es ist nicht) jene Einfachheit darstellt, auf dem der ganze Firlefanz der amerikanischen Alltagskultur überhaupt erst gedeihen kann. Wie ich das genau meine, wird sich wahrscheinlich auch mir erst noch zeigen.

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