Montag, 5. September 2011

Savannah - Herz des Südens

In Savannah findet man das Herz des Südens: Es ist heiß, es ist schwül, die Häuser sind alt, die Pflanzen bedrohlich, es gibt jede Menge Fisch und Alkohol, beides wird in ansprechenden Kneipen serviert, und es gibt hier mehr Schwarze. Außerdem spukt es in den Häusern - das behaupten jedenfalls die Bewohner. Ob sie das selbst auch wirklich glauben, oder ob damit nur das Geschäft mit den Geister-Touristen angekurbelt werden soll, sei dahingestellt. Manche meinen, es seien die Seelen der vielen Sklaven, die diese Stadt einst beherbergt hat, welche keine Ruhe finden und die jetzigen Einwohner von Savannah immer noch plagen. "Selbst schuld!", ruft da der fälschlicherweise seine Hände in Unschuld waschen zu können glaubende Kontinentaleuropäer, "Hättet ihr sie nicht gequält, würden sie euch jetzt in Ruhe lassen!"

So beruhigen sich die noch in ihren lebendigen Körpern steckenden Seelen Savannahs mit Festen und einem Lebensstil, der an Romantik vielleicht von keiner anderen Stadt der USA zu überbieten ist. Ich spreche nicht von einer erotischen oder einer verträumten Nachtromantik, sondern von der Romantik des alten Südens. Diese Romantik hängt träge in der feuchtwarmen Sommerluft; fad neigen sich unter ihr die Bäume gen Boden, das spanische Moos in ihnen hängt wie das fransige Haar einer Greisin herab, als wolle es uns sagen, dass hier alles zu spät ist, dass sich hier nichts mehr rühren mag. Im gelbgrauen Licht eines späten Sonntag Nachmittags wandert man hier zwischen Parks und Alleen herum, ist unschlüssig, ob man dieses Städtchen ausgestorben oder quicklebendig nennen soll. Einerseits wirkt es wie ein Museum des amerikanischen Optimismus, andererseits verweist es augenzwinkernd auf seine schicke Anachronie und wird so zu einem hippen, postmodernen, subversiven Überbleibsel. Davon zeugen die vielen kleinen Galerien und Shops von lokalen KünstlerInnen, der Einfluss des Savannah College of Art and Design auf das soziale Gefüge und die Topografie der Stadt sowie das laissez-faire, das sonst in den USA so selten zu finden ist, weil so etwas den Amerikanern verdächtig ist und - vielleicht aufgrund seines französischen Ursprungs - sowieso nicht ernst genommen wird.

Und doch stehen da die vielen alten Häuser als Zeugen eines "imperialen Lebensstils" - Mahnmale der Sklaven- und Plantagenwirtschaft, des auserbeuteten Reichtums, des Traums vom alten Süden. So viele bekannte und wichtige Persönlichkeiten waren hier bzw. wurden gar hier geboren und/oder begraben. Damit gehen die Amerikaner aber fürchterlich locker um. Zur Geschichte ihrer Stadt haben sie eine Haltung, die irgendwo im weiten Feld zwischen österreichischer Wurschtigkeit und preußischer Wichtigtuerei lümmelt. Freilich ist man irgendwie stolz auf die Stadt - aber irgendwie ist das auch alles egal. Am deutlichsten merkt man dies auf Tybee Island, einer herzigen Insel nahe Savannah. Dort sind die Leute noch lässiger und lockerer als in Kalifornien, und dies mit einer angenehm unaufdringlichen Selbstverständlichkeit, die den sonst so ausgewiesen zwanglosen Westküstlern fehlt. Das hat nicht dieses Hoppsige, zappelig Surferhafte oder ultracool Relaxte. Es ist so unbetont selbstgenügsam, ohne arrogant zu wirken, was es sympathisch und authentisch macht.

Savannah, das ist Anti-Las-Vegas, das ist Authentizität ohne Aufpreis. Es ist klein und unaufgeregt, ohne dabei langweilig und vorhersehbar uninteressant zu sein. Savannah ist eine Perle, die man in den USA lange suchen muss und an der man mehr ihre Seltenheit als ihren Glanz schätzt. Da muss ich unbedingt wieder hin! Zuerst aber muss ich unbedingt wieder nach New York...

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