Dienstag, 20. September 2011

Drehtüren

Wie abstrus schon allein der Grundgedanke der Drehtür an sich ist: Es handelt sich um eine Tür, die immer geschlossen ist. Die Drehtür sollte eine Tür ohne Luftzug sein und ist zu einer Tür ohne Charakter geworden. Drehtüren sind Undinge, Kommoditäten, die einem das Leben schwer machen und obendrein gefährlich sind (man denke nur daran, was alles in Drehtüren stecken bleiben kann!). Man sollte sie alle abschaffen, ausbauen, aus allen Bankfilialen, Mittelklassehotels und Museen dieser Welt entfernen und sie auf dem Friedhof jener Dinge, die sich zwar schick und praktisch anhören, aber eigentlich und im Grunde ihres Wesens nichts als ein großes Ärgernis sind, begraben. Gleich neben Plastikbesteck und solchen Sachen.

Zunächst irritiert an Drehtüren ihre Größe; besonders die Größe der „Zellen“ (jener Drehtürabteile, in die sich Menschen quetschen müssen, wollen sie die Drehtüre erfolgreich passieren) ist oft problematisch: Man nähert sich einer Drehtüre und die erste Aufgabe besteht darin, abzuschätzen, wie viele Leute denn in so ein Kompartment passen. Oft findet nur eine Person darin Platz, manchmal sind die Drehtüren aber auch groß genug, um mehrere Personen gleichzeitig passieren lassen zu können. Das Fassungsvermögen zu schätzen, ist aber in vielen Fällen gar nicht so einfach und nicht selten habe ich es erlebt, dass jemand dachte, er (meistens handelte es sich dabei um einen Mann) habe noch Platz, und sich geschwind in die sich gerade schließende Falte der Drehtür zwang, nur um dann feststellen zu müssen, dass er einer galanten Dame gerade viel zu nahe gekommen ist. Denn – auch dies beachte man! - die Drehtüre ist wie eine Kammer, die die Zeit verlangsamt: Leute springen hurtig in und aus Drehtüren heraus, befinden sie sich aber gerade mitten in der Tür, sind sie in Raum und Zeit gefangen - sie werden gebremst.

Das Studieren der Drehgeschwindigkeit ist nämlich das nächste Problem. Wie oft sieht man hoffnungsvolle Drehtürbenutzer vor der Türe lauern! Sie warten auf den richtigen Zeitpunkt – soll man noch warten, oder sich noch schnell in die sich gerade schließende Zelle zwängen? Zögernd und konzentriert wird auf die sich ständig öffnende und gleichzeitig schließende Türe gestarrt. Wie verwirrte Hunde stehen sie da und warten angestrengt – ja bemerkt denn keiner den Umstand, dass Drehtüren nur zu Verzweiflung führen? (Rolltreppen haben übrigens einen ähnlichen Effekt auf ihre Benutzer – besonders älteren Menschen fällt es oft schwer, sich für die richtige Stufe zu entscheiden, schießt doch ständig eine neue wie aus dem Nichts aus dem Boden hervor!)

Hat man sich nun für ein noch leeres Kompartment entschieden und es erfolgreich betreten, entsteht die nächste Verwirrung: Funktioniert diese Drehtüre automatisch oder manuell? Muss man selber schieben und drücken, oder dreht sich die Türe von allein? Bis man das herausgefunden hat, ist die Türe schon drei mal stehen geblieben. Entweder, weil sich alle der sich gerade in ihr befindlichen Personen darauf verlassen haben, dass sie automatisch funktioniert, sie aber in Wahrheit auf die Kraft der Passanten angewiesen ist. Oder aber es handelt sich um eine automatische Drehtüre, die ihre Funktion aus Sicherheitsgründen immer dann einstellt, wenn sie sich gedrängt fühlt; weil also alle Drehtürpassanten schneller durch sie hindurch wollen und deshalb allesamt drücken, was der Automatik der Türe gar nicht behagt und sie trotzig stillstehen lässt. Was dann passiert ist ein interessantes Beispiel dafür, wie die Gehirne mehrerer Menschen sich bei einer gemeinsamen Problemlösung gegenseitig kurzschließen können.

Kleine Versuchsanordnung: Automatische Drehtüre mit drei Personen (A, B und C)
  • Während C sich gerade in der Türe befindet, wollen sie A und B betreten. Beide drücken. Die Türautomatik wittert Gefahr und bleibt stehen. A und B schauen verdutzt, während sie beide unschuldig ihre Hände erheben, als ob sie sich vor der Türe ergeben wollten.
  • C indessen hat schon einen halb offenen Spalt vor sich, wittert also Freiheit, und will sich durch die Türe drücken, gerade als die Automatik der Drehtüre sich wieder dazu entschließt, das Karussell weiterfahren zu lassen. Aufgrund Cs unwirschen Vorgehens bleibt die Türe wieder stehen. Der Spalt ist aber gerade groß genug geworden und C kann, indem er sich noch unwirscher durch die Türe drückt, entweichen. C verliert dabei einen Sakko-Knopf.
  • A und B sind derweil gefangen und schauen einander fragend an. Da sich die Türe nicht bewegen will, versucht B es wieder mit ein wenig Druck. In diesem Moment setzt sich die Drehtüre ganz langsam in Bewegung. Bs Handeln hat mit der Funktion der Türe gar nichts zu tun, jedoch meint A in B den Verursacher der Bewegung zu erkennen und glaubt nun fälschlicherweise, dass die Drehtüre vermutlich doch auf mechanische Kräfte reagiert. Also drückt A, um die Bewegung der Türfalten zu beschleunigen, was wiederum die Türautomatik beleidigt. Sie bleibt erneut stehen.
  • Plötzlich ertönt ein Alarmgeläut – das sichere Zeichen dafür, dass hier irgendwas nicht in Ordnung ist. Man sieht wie A und B, gefangen in ihren jeweiligen Kompartments, die Köpfe hängen lassen, während dutzende Menschen auf beiden Seiten der Tür auf sie einschimpfen.

Um in Zukunft solche Situationen zu vermeiden, sei hier gesagt: Meistens haben nicht-automatische Drehtüren irgendwo Griffe oder für das Schieben und Drücken vorgesehene Flächen, damit man nicht mit den Händen am Glas herumtappen muss. Das ist aber auch nur eine Daumenregel. Und: In Ländern mit Linksverkehr passiert man Drehtüren im Uhrzeigersinn!

Habe ich vorhin darauf hingewiesen, dass Drehtüren Zeitkammern sind, in denen sich alles verlangsamt, so ist dies vor allem für die Fortbewegung innerhalb der Türe von Bedeutung. In Drehtüren wird nicht gegangen und schon gar nicht geschritten. Hier wird getrippelt und auf der Stelle getreten – möglichst kleine Schritte sind angesagt. Vor allem, wenn es sich um eine große Türe handelt und man sich hinter jemandem befindet, wünschte man sich oft, man könnte rückwärts gehen. Von hinten aber schiebt sich einem bedrohlich der nächste Flügel der Türe gegen die Fersen. Hier heißt es Ruhe bewahren und sich langsam und geduldig – tapp tapp tapp – nach vorne bewegen. Beobachten Sie Leute in solchen Drehtüren! Sie haben den Blick meist auf den Boden gerichtet.

Auch vor oder nach der Drehtüre ist Umsicht gefragt. Bei Hochbetrieb bilden sich nämlich schnell kleine Schlangen hektischer Menschen. Hier gilt gleiches wie beim Schilift: Dem Vordermann so nahe wie nötig, aber so entfernt wie möglich zu sein. Nicht auf die Schuhe treten und sich nicht auf die Schuhe treten lassen! In besseren Etablissements finden sich gleich nach den Drehtüren Schuhputzmaschinen – man weiß hier warum!

Das alles ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Ich möchte gar nicht genauer über die Gefahren und Ärgerlichkeiten von Drehtüren nachdenken – es würde mein Vertrauen in den menschlichen Erfindergeist erschüttern. Gott sei Dank hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles zum Besseren gewandelt. Drehtüren sind seltener geworden, und dort, wo man sie noch findet, gibt es meistens rollstuhlfreundliche Seiteneingänge, die daueroffen sind, weil Ungeduldige keine Drehtüren benützen wollen und sich also durch diese, gar nicht für sie bestimmten Eingänge zwängen. So hat auch die „Tür ohne Luftzug“ ihren Sinn eingebüßt. Man kann nur hoffen, dass dieses Ärgernis keine weiteren Früchte trägt als jene der großen, zweizelligen Drehtüren, die man an den Eingängen von Möbelhäusern oder Baumärkten findet und die gar nicht so schlecht funktionieren, wenn man sich ein wenig geduldig zeigt.

Eine Tür, die immer geschlossen ist: Dass das ein Blödsinn sein muss, hätte man sich auch gleich denken können.

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