Sonntag, 18. September 2011

9 Gründe, warum ich noch kein Amerikaner bin

Kulturelle Assimilation - eine interessante Sache. Das ist, wenn man sich anpasst. Passiert umso häufiger und heftiger, je größer die Unterschiede zur eigenen Kultur sind. Und natürlich je abhängiger man von diesem Umfeld ist. Lebt man über zwei Monate mit einer amerikanischen Familie zusammen, wird man notgedrungenerweise einiges von deren Lebensstil übernehmen. Nicht wegen übermäßiger Begeisterung über den amerikanischen Lebenswandel, sondern einfach nur, weil es vieles im Alltag einfacher macht. "When in Rome do as the Romans do", sagen die Amerikaner gern, halten sich aber selber kaum daran. Ich versuche, diesem Motto getreu zu handeln und habe es bisher großteils genossen. Ein paar Sachen gibt es aber schon, an die ich mich nicht gewöhnen kann - und die mich daran erinnern, dass ich noch kein richtiger Amerikaner bin.

  1. Meine Konfektionsgröße ist noch nicht groß genug. So musste ich gestern entsetzt feststellen, dass mein übliches Large nicht immer jenes Large ist, das ich von daheim gewohnt bin. Ich bin hier nicht large, zumindest nicht immer. Manchmal bin ich nur medium. Auch gut, denn als ich mich im amerikanischen large-Hemd verschwinden sah, erkannte ich die Eleganz amerikanischer Mittelmäßigkeit. Schockiert musste ich feststellen, dass es hier auch XXL-Pullover gibt. Das sind dann mittlere Pferdedecken für Menschen, dessen Dimensionen mich schon in der bloßen Vorstellung gleichermaßen einschüchtern wie erschrecken.
  2. Ich dachte, ich hätte mich an die ubiquitäre Vollklimatisierung gewöhnt. Doch gerade in den letzten Tagen, da der September seine herbstlichen Züge in Form von tieferen Temperaturen offenbarte, fand ich immer wieder Orte vor, an denen vergleichsweise arktische Gegebenheiten herrschten. Es mag vielleicht herrlich sein, sich in ein Auto setzen zu können, in dem es 18 Grad hat, während es draußen 40 Grad hat. An einem Septembermorgen bei erfrischenden 21 Grad aber in eine Kirche zu spazieren (die übrigens ein ausgemustertes altes Kino ist), wo man dann bei gefühlten 14 Grad einer Predigt lauschen darf - das erinnert dann zu sehr an die katholischen Verhältnisse daheim. Zumindest klimatisch gesehen. Ich mag also nach wie vor keine Klimaanlagen.
  3. Weil wir gerade beim Thema sind: An die Allgegenwart Gottes kann ich mich auch nur schwer gewöhnen. Es ist gut zu wissen, dass man nicht allein ist auf der Welt, aber hier findet man Gott auf Münzen, auf Nummerntafeln, im Fernsehen, in den Facebook-Statusmeldungen neu gewonnener Bekannter und vor allem in den alltäglichsten Gesprächen - zum Beispiel im Supermarkt zwischen Tür und Angel oder an der Verkaufstheke. "Garst du mir die Shrimps, während ich noch Brot und Gemüse kaufe?" - "Ja, gerne!" - "God bless you!" Was ich aber zugeben muss: Die Gottesdienste hier sind ziemlich lässig und gar nicht so blöd. Wer weiß, was mit mir passiert wäre, wäre ich hier noch länger geblieben und jeden Sonntag in die Kirche gegangen...
  4. Ich esse immer noch zu gerne mit Messer und Gabel. Amerikaner haben das nicht so gern und daran ist gar nicht die Fastfood-Kultur (was immer das auch auch sein soll) schuld. Denn auch extrem slow Gekochtes nimmt der Amerikaner gern in die Hand. Man schneidet mit dem Messer, aber sobald sich eine Möglichkeit bietet, das Besteck zur Seite zu legen, wird das auch getan. So ergibt sich auch die Eigenartigkeit, manche Speisen mit Messer und Gabel in kleine Stücke zu schneiden, sodann das Messer zur Seite zu legen, bevor die Gabel von der linken in die rechte Hand wandert, welche dann das Essen zum Mund führt. Weil das so kompliziert ist, lässt man das Besteck so oft es geht lieber gleich ganz weg.
  5. Mülltrennung halte ich für eine gute Sache. Deswegen graut es mir immer noch davor, Bananenschalen in einen Mülleimer zu werfen, wo schon Plastikverpackungen, Aludosen, Papier und Glas zusammen mit verschiedensten Essensresten sich ein munteres Stelldichein geben. Oft mache ich daher die Augen zu, wenn ich etwas wegwerfe. Ja, ich gestehe: Ich verschließe die Augen vor dem Grauen der Welt, vor der gesellschaftlichen Unverantwortlichkeit usw. Aber es geht nicht anders. Zudem wird mir immer wieder versichert, es gebe "Mexikaner", die für das Sortieren unseres Hausmülls bezahlt würden. Na dann...
  6. Gewehre und Pistolen sind für Soldaten, Polizisten und Jäger. Es sind keine Sammel- und Fetischobjekte, mit denen man mal eben schnell hinters Haus geht und die Nachbarn erschreckt. Selbstverteidigung? Von mir aus, aber dafür reicht doch auch eine Pistole - dafür braucht man keinen Schrank voll.
  7. Nicht jedes Getränk muss so gekühlt sein, dass es beim Trinken weh tut. Amerikaner sind Eiswürfelfanatiker. Ohne Eis ist ein Getränk kein Getränk. Egal, ob es sich bis unmittelbar vor dem Konsum im Kühlschrank befunden hat oder nicht. Du trinkst Wasser (das aus dem Kühlschrank kommt) ohne Eis? Gibt's nicht. Tu doch Eiswürfel rein! Warum? Weil es dann kälter ist! Wie, du willst es nicht kälter? Schön kalt muss es sein, sonst kann man das ja überhaupt nicht trinken. - Was, du meinst, das viele Eis nimmt deinem Getränk den Geschmack? Das Getränk muss doch nicht schmecken, es muss kalt sein! Tut mir leid, ich verstehe das bis heute nicht. Ich verwende Eiswürfel nur dann, wenn ich ein Getränk gekühlt haben will, das vorher ungekühlt war. Kälte ist keine Geschmacksrichtung, der ich etwas abgewinnen könnte. So zweifle ich bis jetzt auch an der Geschäftsidee meines Onkels, in Österreich Eiswürfel zu verkaufen. "Believe me, they would love it!", sagt er. Dass wir Eiswürfel haben, sie nur nicht überall hineingeben, versteht er gar nicht.
  8. Ich glaube nicht, dass Zu-Fuß-Gehen eine niedere Form der Fortbewegung ist. In den USA - zumindest in den ländlicheren Gegenden, werden Leute, die zu Fuß gehen, belächelt. Wer zu Fuß geht, muss wohl irgendwas falsch gemacht haben - er kann es sich wohl nicht leisten, zu fahren. Jeder Meter zu Fuß ist einer zu viel, denn Gehen ist anstrengend. Warum sollte man also gehen wollen? Das Konzept des Spazierens würde ich hier gerne mal vor einem größeren Publikum erläutern und dann in der Empörung, die mir förmlich entgegenströmen würde, baden.
  9. Kartoffelchips sind keine Beilagen für Sandwiches, Hotdogs oder andere "Hauptspeisen". Es sind ungemein ungesunde Knabbereien, von denen man möglichst wenig essen sollte. Hier wird man ernsthaft gefragt, ob man Kartoffeln oder Chips als Beilage für sein Abendessen haben möchte. Chips sind hier Grundnahrungsmittel. Müsste man das Notwendigste einkaufen, das eine amerikanische Familie an einem typischen Tag braucht - Kartoffelchips dürften auf keinen Fall fehlen. Milch, Brot (haha), Fleisch, Käse (haha) Chips, Kekse/Cracker. Speck und Eier vielleicht noch, dann hat man alles. Das Gute daran: Amerika ist ein Paradies für Kartoffelchips-Connaisseure - keine Sorte, die es hier nicht gibt. Das Schlechte daran: Man sieht es den Menschen an.
Man sieht: am schwierigsten gestaltet sich die kulturelle Assimilation beim Essen. Das Essen ist auch das, was ich am wenigsten vermissen werde. Nicht, dass es schlecht wäre. Es gibt hier natürlich auch viele interessante kulinarische Sachen zu entdecken. Aber irgendwie lässt dann die Bandbreite an tatsächlich gegessenen Nahrungsmitteln (Steak, Hühnchen, Speck, Bohnen, Kartoffeln) und deren Zubereitungsarten (frittiert, gekocht, gegrillt) doch zu wünschen übrig.

2 Kommentare:

  1. Super post! Was laughing my ass off despite bitter sweet moments (especially the food aspect).

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  2. einen klassischen böck eingestreut - sehr schön! :)

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