Sonntag, 15. Mai 2011

Kurze Begehung eines Wortfeldes

Neologismen sind eine spannende Sache. Ein Wort herzunehmen, in eine andere Wortart überzuführen und mit allerlei Präpositionen oder Affixen zu schmücken, kann nicht nur von ungemein nützlicher Kurzweil sein, sondern Bedeutungsverschiebungen erzeugen, die vielleicht sogar irgendwann mal nützlich sein könnten. Einer, der so etwas mit Vergnügen macht, ist der L. Der L. ist demgemäß ein regelrechter Neologist, und er hat letztens in einem seiner heiteren Blogeinträge ein Wort kreiert, das mir viel Freude bereitete und dessen Wortfeld ich nun ein wenig abwandern möchte.

Ausgehen möchte ich von L.s Satz: [...], dass der Erfolgsmensch dann, wenn er merkt, dass sein Erfolg ausbleibt, beginnt vor sich hin zu bittern.

Hier begegnet uns das ursprüngliche Adjektiv bitter in Form eines Verbs, genauer: in der Wendung vor sich hin bittern.

  • vor sich hin bittern: Wer vor sich hinbittert, der trägt eine traurige Bitterkeit vor sich her. Das in Verbform gebrachte Adjektiv "bitter" unterstreicht die Aktivität, die von dieser Bitterkeit ausgeht. Man bekommt den Eindruck, dass hier jemand aktiv an seiner Bitterkeit arbeitet und diese auch offen zur Schau trägt. Gleichzeitig entsteht aber auch ein Eindruck der Passivität. So wie ein Joghurt an der Sonne langsam sauer wird, wird der Vor-sich-hin-Bitterer langsam bitter. Seine Bitterkeit ist nichts ihm nur äußerlich Anhaftendes mehr, sondern hat längst schon von seinem Wesen Besitz ergriffen. Soweit, dass er nicht mehr nur verbittert, sondern selbst bittert: Das Bittere ist also ganz er selbst.
  • in sich hinein bittern: Das In-sich-hinein-Bittern geht oft dem Vor-sich-hin-Bittern voraus. Wer in sich hinein bittert, arbeitet noch rein aktiv und ist bemüht, seine Existenz mit Bitterkeit zu füllen, ohne dass noch irgendjemand anderes Anteil daran hätte. Die Bitterkeit ist dem In-sich-hinein-Bitterer Nahrung. Im Gegensatz zum Vor-sich-hin-Bittern erkennen wir hier, dass das Bittere noch nicht ganz den Bitterer ausfüllt. Es klingt zudem noch etwas Bemühtes mit, als gäbe es ein Ziel zu erreichen, ähnlich dem Gefühl der Sattheit (zu der ich lieber Sätte sagen würde) beim Essen oder die Betrunkenheit beim Trinken.
  • aus sich heraus bittern: Hier handelt es sich um die destruktivste Form des Bitterns. Der Aus-sich-heraus-Bitterer trägt schon so viel Bitterkeit in sich, dass er nicht mehr in sich hinein bittern kann, und ihm das Vor-sich-hin-Bittern nicht mehr genug ist. Er muss Bitterkeit loswerden und das am besten an anderen Menschen. Also bittert er alle Bitterkeit, die er inne hat, aus sich heraus. Optisch ist das neben dem Vor-sich-hin-Bittern die interessanteste Variante, da die Expressivität wie auch die Dramatik beim Aus-sich-heraus-Bittern auf das höchste gesteigert werden kann.
Besondere Erwähnung sollten auch die passivischen Konstruktionen finden. Man lasse die folgenden einfachen Beispielsätze einmal auf sich wirken:
  • Es bitterte in ihn hinein.
  • Es bitterte aus ihm heraus.
Im ersten Fall wird jene Bedeutungskomponente, welche die Aktivität des In-sich-hinein-Bitterns ausmacht, vollkommen ausgelöscht und es entsteht ein eigenartiges, fast mythologisch anmutendes Bild eines völlig entmachteten Menschen, der von Bitterkeit durchdrungen wird, nein: in den Bitterkeit eindringt.
Aber auch die zweite Variante ist nicht weniger drastisch. Die Passivkonstruktion nimmt dem ursprünglichen Aus-sich-heraus-Bittern zwar das Aggressive, aber um den Preis, dass wir uns den Menschen, aus dem es herausbittert, nur mehr als leichenhaftes, von Bitterkeit durchtränktes Etwas vorzustellen vermögen. Ein trauriges, ein schockierendes Bild.

Doch bietet das Feld des Bitterns noch viele andere Möglichkeiten, mit Worten Bilder von grausigster Anschaulichkeit zu erzeugen. Nicht auszudenken, welch großartige Sätze man mit Konstruktionen wie zerbittern, erbittern, umbittern, einbittern, nachbittern oder ausbittern bilden könnte. Dies diene aber nur als Denkanstoß für die nächste Urlaubspostkarte oder den jährlichen Weihnachtsbrief an entfernte Verwandte.

Viel Spaß beim Bittern!

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