Donnerstag, 12. April 2012

Ö-Driver

Der Ö-Driver ist ein Bürger im besten Sinne des Wortes. Er ist kein Wutbürger, aber er ist wachsam. Er ist kein Pedant, aber er weiß, was sich gehört und wie die Sachen eigentlich sein sollten. Er erkennt den Unterschied zwischen Ist und Soll; insofern ist er ein Advokat des Werdens. Seine Vigilanz und sein Wille zum Aufzeigen, Anzeigen und Melden gleichen jenen eines pensionierten Gemeindebaubewohners, der in seinem früheren Leben einmal Beamter war – kein sehr hoher, aber ein wesentlicher und wichtiger, ein in seinem Amt unabdingbarer.

Beobachten und Melden sind zwei Tugenden, die nicht nur im Militärwesen von größtem Wert sind. Für den Ö-Driver sind es geradezu Identifikationstugenden oder – genauer – Identitätstugenden, denn ohne sie ist er kein Ö-Driver, ja vielleicht ist er ohne sie gar nichts mehr. Wer sind diese Ö-Driver? Hie und da hört man einen undeutlich durch den Äther plärren, dass auf der Südostautobahn ein ungarischer Gemüsetransporter seine Ladung verloren habe, dass der Zeitverlust mindestens eine halbe Stunde betrage und bei aller Heiterkeit über die Umstände des Unfalls es doch unerträglich sei, dass die Polizei noch nicht vor Ort und die Unfallstelle noch nicht abgesichert sei. Weiterkommen sei nur schwer möglich, er werde aber das Geschehen im Auge behalten und melden, sobald die Zwiebeln und Tomaten keine Gefahr für den fließenden Verkehr mehr darstellen würden.

Es sind Alltags-Helden, diese Ö-Driver. Ohne sie wäre ein zügiges Vorankommen auf Österreichs Straßen gar nicht mehr möglich. Ohne sie müsste Ö3 pro Stunde mindestens ein schlechtes Lied mehr spielen. Ö-Driver sind die, die langsamer werden, wenn es irgendwo was zu sehen gibt. Nicht die Neugier ist es, die den Ö-Driver langsamer werden lässt, nein, es ist seine Pflicht, genau zu erfassen, was da am Straßenrand oder auf der anderen Seite der Autobahn vor sich geht, um es dann ordnungsgemäß zu melden und uns anderen Autofahrern die Mühe zu ersparen, anhalten und nachsehen zu müssen. Erreicht uns die Meldung des Ö-Drivers rechtzeitig, schaffen wir es vielleicht sogar, Unfallstellen ganz zu umfahren. Sollten wir irgendwo im Stau stehen, tröstet uns die Meldung des Ö-Drivers, der von genau diesem Stau berichtet. Nun wissen wir, dass wir nicht allein sind, weil es Leute gibt, die nicht nur mit uns im selben Stau stehen, sondern es auch noch dem nationalen Radiosender berichten müssen, dass sie sich in der autofahrerischen Ausweglosigkeit schlechthin befinden. Wir blicken uns im Stau stehend um und fragen uns, wer von den sich in unserer Nähe befindlichen Autofahrern wohl ein Ö-Driver sein mag, denn wir möchten ihm danken.

Ö-Driver sind informierte Menschen und deshalb geben sie Informationen auch gerne weiter. Sie wissen immer, wie viel Grad es draußen hat. Sie wissen, unter welchen Bedingungen sie wie viel Benzin verbrauchen. Sie wissen Kilometeranzahl und Fahrtzeit jeder Strecke in ganz Österreich auswendig, und wenn nicht, dann schätzen sie es ziemlich genau. Sie kennen den Kilometerstand ihres Fahrzeuges zu jeder Zeit. Das Wasser in ihrer Scheibenwischanlage ist noch nie ausgegangen. Sie wechseln ihre Reifen immer selbst und haben auch noch nie zu viel für einen Satz neuer Sommer- oder Winterreifen bezahlt. Sie liebten den Ö3-Vignettenman und gewinnen immer die Jahresvignetten beim Preisausschreiben der Kronenzeitung. Sie sammeln Tankgutscheine und verwenden Online-Benzinpreiskalkulatoren, denn sie tanken nie zu teuer. Der Luftdruck in den Reifen ihres Fahrzeugs ist immer auf Außentemperatur, Fahrbahnverhältnisse und Beladung abgestimmt. Ö-Driver mögen den Kaffee, der an Autobahnraststätten serviert wird. Sie sind es auch, die dort Blumen, Kuscheltiere und Grundnahrungsmittel kaufen. Sie lieben den sechsbeinigen Hund von Agip. Was sie nicht mögen, ist, wenn an der Tankstelle der Wasserkübel zum Reinigen der Scheiben zu schmutziges Wasser beinhaltet.

Ö-Driver wird, wer fest davon überzeugt ist, dass es ohne Menschen wie ihn nur Chaos und Dummheit gäbe. Dabei entspringt dieses Weltbild keineswegs irgendeiner Form von Selbstüberschätzung, sondern ist einfache menschliche Bekümmertheit, Sorge im weitesten heideggerschen Sinne. Sie meinen es nur gut mit uns, und wir sind im Gegenzug froh, dass es sie gibt, unsere Ö-Driver.


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