Freitag, 30. März 2012

10 stille und weniger stille Gerüche


Der Frühling startet durch hier in Graz. Und er beschert uns 10 Gerüche, die wir den Winter über vermisst haben.

Der Geruch vom Murufer: Jeder Grazer kennt den Geruch, der einem in die Nase steigt, wenn man im Innenstadtbereich die Mur entlang geht, oder auch nur einem Murufer zu nahe kommt. Faulig riecht es da, aber eben auch irgendwie lebendig. Böse Zungen behaupten, der Geruch stamme von den Leuten, die da im Sommer gerne herumgammeln. Das kann aber nicht sein, denn die tragen höchstens dazu bei, dass der faulige Murgeruch hin und wieder von Marihuanaschwaden durchdrängt wird und sich dergestalt versüßt, dass man glaubt, man stünde vor einem brennenden Schweinestall, in dem ganz viele kleine Karamel-Schweinderl hausen. Ansonsten riecht es dort leider einfach nur schlecht.

Der Geruch von Kanal: Nur bei seltsamen Wetterlagen drängt er im Winter aus dem Grazer Untergrund nach oben: Im Sommer hingegen ist der Kanalgeruch fast ein Klassiker und in seinem Wesen dem Geruch vom Murufer gar nicht so unähnlich. Gemein am Kanalgeruch ist nur, dass er hotspotartig auftritt, und einen also meistens überraschend in die Nase fährt, wohingegen man ja genau weiß, worauf man sich einlässt, wenn man dem Murufer zu nahe kommt.

Der Geruch von vergossenem Alkohol: Ja, auch im Winter riecht es in der ganzen Grazer Innenstadt nach Glühwein- und Punschresten. Im Sommer jedoch eröffnen sich den verschütteten Getränken vielfältige Möglichkeiten, auch noch Stunden nach dem Austreten zu belästigen. Versickert etwa Bier im warmen Boden des Stadtparks – im Laufe des Sommers werden es mehrere Hektoliter sein – ergibt das alsbald den so typischen Festivalgeruch, also den Geruch von falsch verstandener Freiheit. Überhaupt fördert die Wärme im Frühling und Sommer ja in jeder Weise die Geruchsentwicklung. Ideale Bedingungen also, denn so viele Spritzwägen hat die Stadt Graz gar nicht, dass sie dem Alkgeruch Herr werden könnte.

Der Geruch von Feinstaub: Zugegeben, richtig gerochen habe ich den Feinstaub noch nie. Aber dass er da ist, merkt man in jedem Fall. Es sind nicht nur die Abgase direkt an der Straße, die einem in das Gesicht stinken, es ist die „dicke Luft“ überhaupt, der man in Graz gar nicht entrinnen kann. Das muss sich nicht unbedingt in einem bestimmten Geruch niederschlagen, aber es erlaubt einem auch nicht, in der Früh das Fenster aufzureißen, einen tiefen Zug zu nehmen und entspannt „Aaah!“ zu sagen. Manchmal aber, wenn man sich wieder mal sehr sauerstoffunterversorgt vorkommt in Graz, dann meint man, den Feinstaub sogar riechen zu können. Er riecht wie eine alte, elektrostatisch aufgeladene Wolldecke und so gefährlich harmlos giftig.

Der Geruch von Grill: Ob im Schrebergarten oder auf Balkonen von Wohnhäusern: Man hat das Gefühl, dass die Grazer das ganze Jahr hindurch grillen. Im Jänner mag es einmal eine kurze Pause gegeben haben, aber ansonsten glimmt in dieser Stadt der Grill andauernd. Trotzdem lässt sich zum Sommerbeginn natürlich ein signifikanter Anstieg an Rauchschwaden verzeichnen, die sich in den feinstaubverhangenen Grazer Himmel schlängeln. Dann riecht es wieder überall nach verbranntem Fleisch, mit dem sich Studenten wie Pensionisten gleichermaßen die von der ersten Sonne geröteten Bäuche vollschlagen. Gustiös ist der Grillgeruch irgendwann nicht mehr, denn er hat den Zauber des Besonderen, der ihm noch in mancher Kindheit anhaftete, verloren. Nicht nur am Mittwoch oder am Sonntag wird hier gegrillt, sondern an jedem Werk- und Feiertag und zwar überall, am besten drei Mal täglich.

Der Geruch von billigem Parfum: Frühlingszeit ist Paarungszeit und deshalb greifen Männlein wie Weiblein zu jedem erdenklichen Mittel, um sich dem jeweils anderen (oder dem eigenen) Geschlecht schmackhaft zu machen. Nicht selten sind hierbei zweifelhafte Düfte Mittel zum Zweck. Dass Männer bei der Parfumwahl selten Geschmack beweisen, ist bekannt. Deshalb gibt es jedes Jahr einen neuen Duft von Axe, der sich auch verkauft. Leider greifen auch immer mehr Mädchen zu jener Massenware, welche über Drogerieketten unter dem Schlagwort „Frühlingsduft“ werbewirksam in Umlauf gebracht wird. Parfums dieses Genres sind meistens süß, riechen also irgendwie lieb und nach Blumen oder Zuckerl und das passt nach Meinung hormongeschwängerter Mädchenköpfe gut zum Frühling und den kurzen Rockerln. Dann stinken die wandelnden Zuckerlgeschäfte über den Campus und in der Sporgasse herum, solange bis das Flascherl leer ist oder der Kopf endlich sagt, dass ihm das eigentlich zu süß sei. Dabei wissen doch alle, dass der allerbeste Frühlings- wie auch Sommerduft der Geruch von Sonnencreme auf gepflegter Frauenhaut ist!

Der Geruch vom Schlossberg: Ich weiß gar nicht, ob der Schlossberg im Winter nicht gleich reicht wie im Sommer – wahrscheinlich schon. Aber die schlagende Kühle, die im Sommer aus dem Berg in die aufgeheizten Grazer Gassen strömt, verleiht dem strengen Höhlengeruch eine fast erfrischende Note. Was eigentlich nach Grab riechen sollte, riecht so nach Steinbruch in einer Vollmondnacht, also nur nach Grabesnähe. Gerne lasse ich mich an einem heißen Hochsommertag von dem klammen Wind anwehen und sauge die Luft aus dem Innern des Schlossberges ein, während ich mir vorstelle, wie tief drin im Stollen von Fledermäusen verkackte Tropfsteinhöhlen atmen. Herrlich!

Der Geruch von Eisdielen: Eisdielen riechen im Idealfall nach gar nichts. Eigentlich sind Eisdielen die einzigen Geschäfte, in die man hineingeht und die nach nichts riechen – zumindest wenn dort nur Eis verkauft wird. Das Eis selbst ist zu kalt, um nach seiner Geschmacksrichtung zu duften und sonst gibt es dort nichts, was riechen könnte. Höchstens nach ausgeronnenem Kühlwasser könnte es dort stinken. Aber in solche Eisdielen – wenn es sie in Graz, der Eishauptstadt Österreichs, überhaupt geben sollte – geht man sowieso nicht hinein. Das Innere von Eisdielen riecht steril, und zwar steriler als eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus je riechen können: nämlich eben nach gar nichts. Achten Sie mal drauf!

Der Geruch von Tennisplätzen: Zugegeben, jemandem, der nicht Tennis spielt, wird das nicht viel sagen. Aber schließlich kann ich auch nicht auf jene Leute Rücksicht nehmen, die partout in keine Eisdiele zu bekommen sind. Dabei hat der Geruch von Sandplätzen die bemerkenswerte Eigenschaft, sich an die Umgebung anzupassen. So reagiert der gebrannte Kalk nicht nur auf die Temperatur im Laufe des Tages, sondern auch auf die Menschen, die auf ihm gelbe Filzbälle umher dreschen. Gibt er sich morgens noch kühl und nüchtern wie Kies, schwingt er sich in den heißen Mittagsstunden zu einem Geruch auf, der, heiß und giftig, jenem von Sommer-Baustellen nahe kommt, um dann am späteren Nachmittag, bereits die unzähligen Schweißtropfen der Spieler aufgesogen habend, einen gutmütig müden wie auch beruhigenden torfähnlichen Geruch anzunehmen. So lästig der Sand sich in sämtlichen Ritzen der Kleidung festzusetzen weiß, so reizvoll ist sein Geruch, dessen Kondensat einem noch einmal in die Nase steigt, wenn man sich unter der Dusche den rötlichen Rest von den Beinen wäscht und dieser sich wirbelnd in den Abfluss drängt.

Der Geruch von Straßenbahnen: Die öffentlichen Verkehrsmittel im Sommer zu benutzen, ist ein sehr zweifelhaftes Vergnügen. Der Schweißgeruch der Passagiere verübelt einem den schönsten Sonnentag, zumal an Tagen, an denen am Nachmittag ein an sich vernüglicher Sommerregen niedergeht, es in den Bims feuchtwarm und stickig wird. Sollte man aber in den seltenen Genuss eines leeren Straßenbahnwaggons kommen, erlaubt das warme Klima es der Maschine, ihre sämtlichen olfaktorischen Reize auszuspielen. Man glaubt dann, jede einzelne Schraube, jede Dichtung, jeden Gummi riechen zu können. Dazu kommt der wohlige Geruch von Maschinenöl, Bremsen, Elektrizität und wenn Eisen sich an Eisen reibt, quietscht das nicht nur schön schaurig und irgendwie urig, sondern man glaubt es auch duften zu hören – eine synästhetische Sinfonie von besonderer Anmut, die man den klapprigen Viechern gar nicht zutraut.

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