Freitag, 13. April 2012

30 seconds closer to Bedeutungslosigkeit

Auch auf die Gefahr hin, mich jetzt unheimlich unbeliebt zu machen, halte ich es dennoch für notwenig, ein paar Worte über 30 Seconds to Mars zu verlieren. Gestern saß ich im Auto und da wünschte sich ein Kärntner Forstarbeiter "Closer to the Edge" von besagter Band. Ich wollte schon den Sender wechseln, da dachte ich mir, nein, diesmal hörst du dir das von vorne bis hinten an und passt auf, was da passiert. Vielleicht, so dachte ich mir, erschließt sich dir die Faszination, die diese Band für so viele Leute jungen oder mittleren Alters hat.

Bekannt war mir "Closer to the Edge" von geschätzten 500 facebook-Posts und mindestens ebensovielen likes und Kommentaren mit vielen Herzen drin. Dabei fiel mir auf, dass sich die Herzen nicht immer nur auf den Song bezogen, sondern in den meisten Fällen auf Jared Leto, dem Schauspieler und Sänger dieser Band, deren Mitglieder sich allesamt gerne äußerst "badassig" inszenieren. Sei es mit langen Rockerhaaren und Bart, sei es mit Italotürken-Haarschnitt und Sonnenbrille oder mit einer Irokesenfrisur. Wie auch immer sie sich anziehen und rüberkommen wollen: Es ist alles ein bisschen neo-retro, gerade so 10 bis 15 Jahre zu spät, eine Mischung aus Shaggy, Nek und Lenny Kravitz oder so. Irgendwie peinlich - genau wie ihre Musik.

Die Live-Bilder im Video zu "Closer to the Edge" zeigen eine Band, die vorgeblich schon Jahrzehnte auf Welttournee ist und eine gigantische Liveshow zu bieten hat. Sie siedeln sich also irgendwo zwischen U2 und den Rolling Stones an, und dass es sich dabei um eine Lüge handelt, musste ich von einem Fan erfahren, der enttäuscht von einem ihrer Konzerte zurück kam. Gut, wenn die Erwartungen so hoch geschraubt werden, kann man eigentlich nur enttäuschen.

Dann das Lied: vollkommen überladen. Da findet sich allerhand Rock-Schnick-Schnack aus den letzten 3 Jahrzehnten, der höchstens noch nostalgisch wirken kann, aber im Prinzip nur noch peinlich ist. Der omnipräsente Synthesizer glimmert und fiept unaufhörlich, bei den vollkommen uninspirierten Gitarren  wird fleißig auf das Distortion-Pedal gedrückt und spätestens, wenn Jared Letos Stimme verzerrt daher kommt, wird einem richtig schlecht. Darunter legt sich das übertriebene Schlagzeug-Gehämmere von Jareds Bruder, einem hyperaktiven Nervösling, bei dem man das Gefühl hat, er müsse in nur einem Song alles unterbringen, was er je an den Drums gelernt hat.

Auch im Video findet sich viel Hyperaktives: Da werden wilde Kamerafahrten schnell hintereinander geschnitten und eigentlich sieht man nur, wie Jared Leto mit übertriebenen Gesten seinen bedeutungslosen Gesang "untermalt". Außerdem wird viel gelaufen. Leto läuft über die Bühne, Menschen laufen in Arenen, man hopst und schüttelt sich, alles ist schnell und wirkt dahingeschludert. So wundert es auch nicht, dass zwischen den Refrains wenig Platz für irgendwelche Strophen bleibt. Es stellt sich immer nur die Frage, wann der nächste Refrain denn endlich wieder kommt, wann man wieder schreiend einen Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger in den Himmel recken kann, als würde man Gott anklagen wollen, dass er nicht sieht und verstehen mag, wie geil es hier unten ist.
Überhaupt besteht das Lied im Grunde nur aus dem Refrain, und der ist, wie ein Rock-Refrain zu sein hat: Laut. Man könnte sagen, dass da nur geplärrt wird, und läge damit wohl sehr richtig. Und was hat uns das Lied zu sagen?

No I'm not saying I'm sorry
One day, maybe we'll meet again
No I'm not saying I'm sorry
One day, maybe we'll meet again
No, no, no, no

Da ist sich einer ganz sicher, dass er sich nicht entschuldigt, und dass man sich irgendwann vielleicht (!) mal wieder treffen wird. Das wird schließlich durch ein vierfaches Nein wieder revidiert, oder die Kraft reicht nicht mehr, noch einmal zu negieren, dass man Entschuldigung sagt. Der Rest des Textes sind sinnlose Aneinanderreihungen existenzkritischer Bekundungen a la "This never ending story, Paid for in pride and fate / We all fall short of glory, lost in our faith". Ist ja auch wurscht, denn bald kommt wieder der zigmal wiederholte Refrain und dann kann man wieder in das Mikrophon brüllen und hopsen.

Was an dem Song geil ist, bleibt mir zwar immer noch verborgen, aber ich vermute, dass er einfach Ventilfunktion hat. Denn bei "Closer to the Edge" handelt es sich um ein Sammelsurium von bedeutungslosen Versatzstücken der Rockmusik der letzten 20 Jahre. Alles, was für den modernen Rock sinnlos geworden ist und er hinter sich gelassen hat, findet bei 30 Seconds to Mars eine Wiederauferstehung in einem schwülstigen Konglomerat zum Zwecke der Aggressions- oder Triebabfuhr. Das Übertriebene ist dabei Primat und somit erinnern 30STM wirkungsästhetisch irgendwie an Bands wie Rage against the Machine, H-Blockxx, Dog Eat Dog, NOFX etc. nur ohne deren Talent bzw. deren Identifikationsangebot und Gruppenbindungskraft. Laut aufdrehen, zappeln und cool sein - für mehr ist da leider kein Platz.

So saß ich im Auto und ließ das Lied über mich ergehen, kam mir aber unheimlich absurd vor, denn das ist kein Lied, das zum Navigieren im Ortsverkehr einer ländlichen Kleinstadt gemacht wurde. Ob es dem Kärntner Forstarbeiter bei der Arbeit geholfen hat, oder ob er sich vor lauter Aufregung ein Bein abgehackt hat, weiß ich natürlich nicht. Bleibt nur die Vermutung, dass für Kärntner selbst die Holzarbeit noch nicht Katharsis genug ist!

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