Sonntag, 15. April 2012

42: Zwei außergewöhnliche Geschichten


Um Baseball verstehen zu können, reicht es leider nicht, nur die Regeln zu kennen. Es erlaubt einem zwar, ein Baseballspiel verständig zu verfolgen, aber selbst bei ausgezeichnetem Regelverständnis kann es sich dabei um eine relativ langweilige Angelegenheit handeln. Denn, wie so oft im Sport, ist das Aufregende nicht an der Oberfläche zu finden, sondern in den Tiefen der Historie und den scheinbaren Untiefen der Statistiken versteckt. Am Beispiel des heutigen Tages sollen wir erfahren, warum dies für Baseball im besonderen gilt.

Den 15. April hat die amerikanische Major League zum „Jackie Robinson Day“ erkoren. Besagter Jackie Robinson lief an eben jenem Tag im Jahre 1947 als erster schwarzer Baseballspieler in der amerikanischen Profiliga für die Brooklyn Dodgers ein. Bis dahin war Schwarzen das Baseballspielen bloß in der Negro-League erlaubt, die sich in der Folge innerhalb nur eines Jahres auflöste – also knapp 20 Jahre bevor die Bürgerrechtsbewegung in den Staaten ihren Höhepunkt erreichte. Aber nicht allein seiner Hautfarbe schuldete der 1972 verstorbene Jackie Robinson die vielen Ehrungen und posthumen Auszeichnungen. Er gehörte während seiner aktiven Zeit zu den besten, vielseitigsten und talentiertesten Spielern der MLB. Rekorde und Statistiken mögen an dieser Stelle schweigen; sagen wir einfach, dass er zu den Größten des Sports gehörte und aller Ehren würdig war.

Jackie Robinson

Die amerikanische Sitte, große Sportler eines Vereins damit zu ehren, dass deren Trikotnummern nach ihrem Karriereende für immer gesperrt werden, ist auch hierzulande bekannt. Im Eishockey sind der Name Wayne Gretzky und die 99 untrennbar miteinander verbunden, genauso wie Michael Jordan und die 23 im Basketball. Auch die mittlerweile nach Los Angeles verzogenen Dodgers sperrten 1972 Robinsons Trikotnummer – die 42. Zehn Jahre zuvor wurde er außerdem als erster Schwarzer in die Baseball Hall of Fame aufgenommen. So schien es keine Ehre zu geben, die Jackie Robinson nicht zuteil wurde.

Bis es 1997, zum 50. Jubiläum seines Debüts in der MLB, dazu kam, dass Robinsons Rückennummer ihm zu Ehren auf ewige Zeiten für Spieler sämtlicher Teams gesperrt wurde. Freilich durften jene Spieler, die zu diesem Zeitpunkt die 42 trugen, diese bis zu ihrer Pensionierung weiter behalten. Von diesen ist im Jahr 2012 nur noch einer übrig – Mariano „Mo“ Rivera von den New York Yankees. Er wird der letzte Profi-Baseballer in den USA sein, der mit der 42 auf das Feld laufen darf. Rivera selbst ist ebenfalls ein Kandidat für die Hall of Fame. Als Closing Pitcher der Yankees ist er dafür verantwortlich, den Punktevorsprung seines Teams im letzten Durchgang jedes Spiels zu halten und also keine Runs der gegnerischen Mannschaft mehr zuzulassen. In der gesamten Geschichte der Major League ist das keinem so oft gelungen wie Mariano Rivera: Im letzten September sicherte er die 6-4 Führung der Yankees gegen die Minnesota Twins und verbuchte damit den 602. Save seiner Karriere. Damit steht er nun alleine ganz oben auf der ewigen Bestenliste der MLB.

Mariano Rivera
 
Mariano Rivera erweist sich also als ein würdiger letzter Träger der Nummer 42. Dabei glänzt er als Pitcher nicht unbedingt durch seine Vielseitigkeit. Sein Erfolg rührt vielmehr daher, dass er über einen einzigartigen Wurf verfügt, den viele Experten mittlerweile als Revolution des Baseball-Pitchings ansehen. Sein Cut Fastball (oder Cutter) ist ein äußerst schnell geworfener Ball, der knapp bevor er den Batter erreicht, nach links abdreht. Ungewöhnlich daran ist nicht der Effet, der bei sogenannten Breaking Balls wie Slider oder Curveball oft viel stärker ausgeprägt ist, sondern die gleichzeitig sehr hohe Geschwindigkeit des Balls und Riveras Wurftechnik, die es dem Schlagmann erschwert, einzuschätzen, mit welchem Pitch er es zu tun bekommt. Prinzipiell gibt es für den Pitcher die Möglichkeit, den Ball mit hoher Geschwindigkeit zu werfen (Fastball) oder mit viel Schnitt, um dem Schlagmann den Ballkontakt zu erschweren (Breaking Ball). Mo Rivera hat seinen Cut Fastball, also die perfekte Mischung aus beidem, per Zufall beim Aufwärmen entdeckt und wusste einige Zeit lang nicht genau, welche Wurftechnik ihm zu dieser Wunderwaffe verhalf. Er nannte es – ganz amerikanisch – ein Geschenk Gottes bzw. hielt es zunächst für einen Fehler in seiner Wurfmechanik, bis er lernte, den Pitch zu kontrollieren und gezielt einzusetzen. Mittlerweile verfügen natürlich viele der besten MLB-Pitcher über gute Cutter, aber Rivera ist immer noch der Meister des Cut Fastballs, den Experten gerne „mysterious“ oder „magical“ nennen und dessen Unberechenbarkeit allzu oft zu abgebrochenen Baseballschlägern führt.

So ist die Nummer 42 nicht nur die Antwort auf die Frage nach eh allem (wie man bei Douglas Adams nachlesen kann), sondern steht im Baseball für die Geschichte zweier außergewöhnlicher Spieler, die eigentlich nur die Rückennummer verbindet, die aber durch die Geschichte des Sports doch irgendwie zusammen gehalten werden. Denn wenn Mariano Rivera in die Sportlerpension verschwindet und irgendwann einmal in die Hall of Fame aufgenommen wird, er sich also mit Jackie Robinson im Baseball-Walhalla trifft, wird die 42 um den Namen eines ihrer großen Träger reicher sein, und Rivera wird so auch der letzte Yankee gewesen sein, der sie getragen hat.

Robinson und Rivera sind nur zwei Beispiele dafür, dass dieser Sport viel von seiner Faszination einbüßt, wenn man bloß das Geschehen auf dem Feld verfolgt. Für unsereins, die wir zu Baseball so gut wie keinen Bezug haben, ist es schwierig sich dafür begeistern zu können, denn es gilt, viel über den Sport und seine Geschichte zu lernen, was mitunter mühsam sein kann, weiß man doch nie, wo man damit anfangen soll. Storys wie jene von Robinson und Rivera können zumindest neugierig machen. Gleiches gilt auch für den (übrigens sehr sehenswerten) Film „Moneyball“ mit Brad Pitt und Philip Seymour Hoffman, der die unglaubliche Geschichte des Baseball-Mangagers Billy Beane während seiner Zeit bei den Oakland Athletics erzählt.

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 Video zu Jackie Robinson


Über River's Cutter:
 Moneyball:

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