Dienstag, 20. März 2012

Der frühe Vogel

Der frühe Vogel ist ein komischer Vogel. Außerdem hat er es nicht leicht mit uns. Die einen behaupten, er könne sie mal; die anderen, mit ironischer Reziprozität, er habe selbst einen Vogel. Dass er traditionellerweise den Wurm (welchen Wurm? Den Wurm überhaupt? Den Wurm an sich?) fängt, ist ihm wahrscheinlich egal, denn Würmer gibt es – vor allem an Regentagen – wie Sand am Meer. Apropos Meer: Meeresvögel fangen vermutlich lieber gar nicht den Wurm, sondern den Fisch. Anderswo steht aber geschrieben, dass das Meer voller Fische sei und es auf den einzelnen überhaupt nicht ankomme. Das soll trösten (there's plenty of fish in the sea – aber nicht umgekehrt!).

Kein Grund also für Vögel, früh dran zu sein. Kein Grund auch für uns Menschen, sich mit Vogeltugenden zu brüsten, wenn es uns einmal zufällig gelingt, früh aufzustehen. Leute, die ohnehin früh aufstehen müssen (berufsbedingt, altersbedingt), denen ist dieses Aufstehen schon so natürlich, dass es keiner Erwähnung wert ist - im besten Fall ist es ihnen lästig. Und Leute, die nicht früh aufstehen müssen, bleiben sowieso im Bett, weil sie wissen, dass sie außerhalb ihrer Federburg nichts versäumen. Ob man als früher Vogel irgendeinen Wurm fangen würde, ist einem dann herzlich wurscht.

Unnötigerweise früh aufzustehen und sich dabei noch gut vorzukommen – das ist nicht nur ziemlich perfide, sondern auch noch unverschämt. Einerseits degradiert es jene, die den Schlaf als legitimes Mittel nicht nur der Erholung sondern auch des Zeitvertreibs ansehen, andererseits beweist ein solches Verhalten an sich nur, dass man sich an Tugenden zu halten vermag, die einem von alten Naziopas als kleines Kind ins Ohr geplärrt wurden, die aber, ihrem ideologischen Umfeld enthoben, sich als recht nutzlos und ausgesprochen gemütlichkeitsfeindlich erweisen. (Müde ist faul!)

Zu allem Überfluss brüsten sich doch genau jene mit dem Frühaufstehen, denen das zufällig passiert ist und die, vermutlich eines schlechten Gewissens wegen, weil sie ohnehin dubiose Menschen sind, gar nicht weiterschlafen können, obwohl sie vielleicht wollten. Ihre ganz Niedertracht offenbart sich dann in facebook-postings, in denen sie der Welt mitteilen, dass Morgenstund Gold im Mund habe, es sich bei ihnen um besagten frühen Vogel handle oder sie wünschen uns ungefragt einen hundsgemeinen Guten Morgen, damit das erste, was wir Spätaufsteher zu sehen bekommen, eine genauso tugend- wie grauenhafte Mitteilung eines Schwachsinnigen ist, dem es einmal in drei Monaten zufällig gelungen ist, vor acht Uhr aufzustehen. Solche Aktionen zwingen wiederum anständige Leute dazu, dem frühen Vogel zu unterstellen, dass er selber einen Vogel habe. Daraufhin zwitschert ein solcher tatsächlicher und leibhaftiger früher Vogel erbost beim Fenster herein, dass er sich ungerecht behandelt und irgendwie entehrt fühle. Dann darf und muss man sich in aller Frühe schon bei einem Tier, dessen Unmut man sich zugezogen hat, entschuldigen, muss ihm sagen, dass es nicht so gemeint war und die Schuld dem Menschen geben, der einem zuerst verkündet hat, dass es sich bei ihm in Wahrheit um den frühen Vogel handle.

Dabei war er nichts anderes als der erste Affe, über den man sich an einem möglicherweise schönen Tag geärgert hat. Otto Waalkes meinte wohl deswegen schon damals, dass Morgenstund Colt im Mund habe. Mehr Humor geht da leider echt nicht. There's plenty of worms in the ground, bleibt den Liegenbleibern noch tröstend zu sagen.

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