Sonntag, 19. Juni 2011

Landmarken: Das Metnitztal II

Es wandert sich im Metnitztal vortrefflich, sofern man weiß, wohin man muss. Wir haben den Vorteil, mit Ortskundigen unterwegs zu sein und so können wir es auch riskieren, der Warnung unseres Gastgebers zu trotzen und den Weg ohne wasserfeste Schuhe anzutreten. Die Wiesen sind noch feucht, ja, aber so schlimm wird es auch nicht werden, sind wir uns sicher. Ganz und gar nicht nach der Art des Wanderers gekleidet, stehen mein Beifahrer und ich achselzuckend vor dem Haus und sehen uns die Bergschuhe der übrigen Wanderteilnehmer an. Ich sehe aus wie ein Jogger, trage eine dunkelblaue Adidas-Trainingsjacke, eine lange Jogginghose und brandneue Nike-Laufschuhe, die ich an diesem Wochenende eingehen wollte. Respekt vor neuen, sauberen Schuhen ist mir fremd. Sie sollen bald so aussehen, als hätte man sie auch reichlich getragen. Mein Beifahrer steht mit beiden Händen in den Hosentaschen seiner Jeans da, er trägt zwar ein Wanderhemd, aber die Sneakers an seinen Füßen sprechen eine andere Sprache. Die Brille, mit der man ihn sonst nur auf seiner Couch an langen, verregneten Fernsehtagen liegen sieht, steckt lässig im Ausschnitt seines Hemdes. Irgendwie sieht er aus wie ein Ornithologe, der sich erst einmal einen ungefähren Überblick über die im Metnitztal heimischen Vogelarten verschaffen will, bevor er seine Forschung richtig angeht. Wir werden ob unserer lässigen Wanderausrüstung natürlich ausgelacht – was wir aber einsehen.

Zunächst geht es mit den Autos in irgendeinen Hinterwinkel eines Seitentals. Dort wohnt der „Alkfred“, wie man ihn hier scherzhaft nennt. Vom Haus des Alkfreds werden wir auf einem Anhänger über Waldwege gezogen. So lange, bis man nur noch mit einem Traktor weiterfahren könnte. Das Mitfahren auf dem Anhänger macht Spaß, aber der Spaß weicht bald der Verunsicherung: Keiner von uns weiß, wo wir sind und was mit uns passieren wird. Plötzlich beschleichen einen Gedanken der absonderlichsten Art. Man fragt sich, wie gut man den Gastgeber eigentlich kennt, sieht den anderen Einheimischen ins Gesicht, ob man ihnen trauen kann. Aber alle haben den gleichen gutmütigen kärntnerischen Gesichtsausdruck, der nichts verrät. Man steigt also vom Anhänger und verdrängt die bösen Gedanken, versucht sich auf die Wanderung zu freuen.

Etwas Anderes bleibt einem auch nicht übrig, denn man folgt hier keinem ausgewiesenen Wanderweg, sondern dem Ortskundigen. So geht man einfach quer in den Wald hinein, nach zehn Minuten kommt man auf eine Forststraße, die man ein bisschen entlang geht, bevor man wieder irgendwo in den Wald einbiegt. Am Boden erkennt man ungefähre Trampelpfade, die aber höchstens hie und da von Förstern beschritten werden, kein deutscher Wandertourist hat hier jemals seinen Fuß auf den Waldboden gesetzt – ein Gefühl, das man als Bewohner einer Tourismusregion zu schätzen weiß. So weht ein Hauch von Pioniergeist durch die Metnitzer Wälder, während wir uns Meter für Meter durch den Wald kämpfen.

Die Stimmung unter den Wandernden ist zwar gut, eine schöne Aussicht (Grundingredienz jeder Wanderung) ist jedoch nicht vorhanden. Zu schwer hängt der Morgennebel in den Tälern, zu schwach ist die Metnitzer Junisonne, um die Wälder dauerhaft vom Dunst zu befreien. Manchmal kann man einen blauen Streifen am Himmel erkennen, die Hoffnung auf schönes Wetter ist jedoch nicht von Dauer. Wir erreichen, nachdem der Wald durchquert wurde, eine breite Wiese, die uns zum letzten Anstieg führt, bevor wir den 2047m hohen Hirschstein erklimmen. Oben angekommen erwartet uns eine fast mystische Stimmung. Der Wind bläst den Nebel scharf von der Seite zwischen den zwei großen Felsen hindurch, die der steileren Flanke des Berges entwachsen und ihm, so versichert uns ein Einheimischer, den Namen eingetragen haben. Von unten sehen die zwei Felsen nämlich aus wie ein Hirschgeweih. Ganz sicher ist sich der Einheimische zwar nicht, wir glauben es aber dankbar.

Wir trinken ein Gipfelbier und machen uns, als wir ein tiefes Donnern aus dem Nebel heraus vernehmen, schnell wieder auf den Weg zurück ins Tal. Im großen Rucksack des Gastgebers scheppern die leeren Bierflaschen, ich und mein Beifahrer haben nasse Füße, was uns aber egal ist, denn wir haben mehr oder weniger bewiesen, dass man für den Hirschstein keine Bergschuhe braucht – nasse Füße hin oder her. Beim Haus des Alkfreds wieder angekommen, gibt es noch ein Bier. Am Weg vom Alkfred zu unserer Unterkunft, den wir abermals mit dem Auto zurücklegen, sehe ich einen alten Mann, der vor einer Hausmauer sitzt und schaut. Er sieht aus, als säße er hier schon Jahrzehnte. Er schaut unseren Autos nach, aber viele Autos kommen an seinem Haus nicht vorbei. Ansonsten schaut er geradewegs auf die bewaldeten Hügel vor ihm. Etwas Zufriedenes strahlt er aus, obwohl sich in seinem Leben nicht mehr so viel tut.

Später dann, bei der Grillerei, die unser Gastgeber veranstaltet, gibt es dann noch mehr Bier. Sorgenlos und ein bisschen müde sitzen wir auf überdachten Bierbänken. Es fängt an zu regnen, aber die Gesichter der Kärntner trübt das nur wenig. Es scheint, als könnte nichts diese Gesichter trüben. So mag es im Metnitztal vielleicht nie richtig warm werden, seine Bewohner aber tragen die Sonne im Herzen. Die einen sagen, das sei das Hirterbier. Die anderen sagen, das sei das Murauer Bier. Wieder andere meinen, das läge in der Kärntner Natur.

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