Donnerstag, 12. Juli 2012

Völkerverständigung

Ibrahim hat große Hände, und er kann damit Musik machen. Dauernd klatscht, trommelt und schnippt er. Uns Eingeborenen versucht er, eine uns vollkommen unbekannte Art des Fingerschnippens beizubringen und lacht sich dabei halb tot, während wir wie die ersten Affen dastehen und mit kompliziertesten Verrenkungen unserer Handknochen genau gar keinen Ton erzeugen. Ibrahim schnippt vergnügt und macht das so laut, dass es fast in den Ohren weh tut, während uns bereits die Sehnen heiß werden und immer noch kein Ton zu vernehmen ist.

Schließlich hat er Nachsehen mit uns und zeigt uns etwas anderes: Er macht ein galoppierendes Pferd nach. Auch das geht in Kuwait anders als in Österreich, wo man sich mit Händeklatschen und Oberschenkelpatschen zufrieden gibt. Ibrahim benützt den Hohlraum zwischen seinen gefalteten, großen Händen, seine Stirn, seine Brust und schließlich erst den Oberschenkel. Wie die Töne entstehen, die das Geräusch eines galoppierenden Gauls viel überzeugender nachahmen als unser Klatsch-Patsch, bleibt uns verborgen. Niemand der Anwesenden versucht sich an dem 'kuwaitischen Gaul'; alle blicken nur bewundernd den fremden Mann an, der mit uns mindestens genauso viel Freude zu haben scheint, wie wir mit ihm haben. Daheim wird er wohl erzählen, wie er die Barkultur in Österreich befruchtet hat und die dort Ansässigen mit billigen Tricks zum Staunen brachte.

Der große Bernd, ein 2 Meter 10 hoher Hüne mit langem, fettigem Haar und Indiandergesicht, meint, er müsse Ibrahims Darbietungen etwas entgegensetzen und macht den 'abgeschnittenen Daumen', jenen Volksschultrick also, der dem Zuseher vorgaukeln soll, dass man die Spitze seines Daumens beliebig verschieben könne, während es sich in Wahrheit um den Daumen der zweiten Hand handelt. Ibrahim kichert belustigt und macht ein Gesicht, als ob er den großen Bernd fragen wollte, ob er ihn verarschen wolle. „This is trick that make little kid!“, sagt Ibrahim und deutet die ungefähre Körpergröße an, die solche Kinder haben, welche derartige Kunststücke aufführen.

Der große Bernd zeigt noch einen Trick – diesmal mit dem Feuerzeug: Er hält es mit ausgestrecktem Arm vor seinen Körper, lässt eine Flamme erscheinen und führt dann das Feuerzeug langsam über seinen Kopf. Dann bläst der große Bernd einmal kurz, und wie von Zauberhand erlischt die Flamme über seinem Haupt! Ein bezeichnendes und passendes Bild, Ibrahim aber fühlt sich schön langsam nicht mehr ganz ernst genommen vom großen Bernd. Es ist auch eine traurige Angelegenheit: Da packt der Kuwaiti einen guten Schmäh nach dem anderen aus, und der Zeller kann nur mit Gags aufwarten, die ein kritisches Kleinkindpublikum bei jedem Kindergeburtstag mit erbostem Schwedenbomben-Werfen quittieren würde.

Ibrahim aber ist barmherzig und führt weiter Kunststücke vor, erzählt Witze und macht mit seinem Körper Musik. Irgendwer muss ihm jetzt Einhalt gebieten, sonst hält er uns für einen unkreativen Haufen leicht zu beeindruckender Wilder (was wir vermutlich auch sind)!

Also fasst sich der große Bernd erneut ein Herz und greift tief in die Trickkiste: „Look!“, sagt er und hält Ibrahim Zeige- und Mittelfinger vor das Gesicht. „Hoffentlich kommt jetzt nicht wieder so etwas wie der abgesägte Finger!“, denke ich mir. Ibrahim schaut mehr freundlich als gespannt auf die beiden dicken Bernd-Finger. Auch er erwartet jetzt nichts Besonderes, seine Höflichkeit aber gebietet ihm, dem Bernd seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Da taucht der Bernd die Finger in sein Bier, drückt sie von innen gegen das Glas und hebt so das Bier in die Höhe. Ibrahim lacht und klatscht – damit hat er zumindest nicht gerechnet! Mit einem Ruck lässt der große Bernd jetzt das Bierglas nach oben sausen, zieht die beiden Finger raus, fängt das Glas mit der selben Hand wieder auf und leert es in einem Zug. Ibrahim tobt, alle klatschen, der große Bernd streckt die Faust gen Himmel, wie ein Boxer nach einem KO-Sieg. Sein Indianergesicht ziert ein breites Grinsen, halb von Freude, halb vom abendlichen Alkoholkonsum gezeichnet. „Give him another beer!“ ruft Ibrahim aufgeregt und legt auch gleich lachend das Geld hin. Jetzt hat ihn der große Bernd überzeugt!

Die Freude währt jedoch nicht lange, denn nachdem Ibrahim wieder ein paar Tricks vorgeführt hat, nimmt der große Bernd einen weiteren ersten und letzten Schluck von seinem Bier und wankt sodann rückwärts zur Türe hinaus. „I give up“, lässt er Ibrahim wissen und fällt beinahe in die Staude vor dem Lokal. Besorgt sieht Ibrahim ihm nach, dreht sich zu mir und sagt: „Is big man, hurt much when fall! - But good trick with beer! I will practice!“ Dann schnippt er wieder vergnügt und trommelt auf der Bar 1001 mir gänzlich fremde Rhythmen. Ein Abend der Völkerverständigung, des Kulturaustauschs und der Ehrenrettung durch einen Pinzgauer Kampftrinker geht zu Ende...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen