Donnerstag, 26. Juli 2012

Kitzbüheler Tennis-Rundschau

Impressionen vom Kitzbüheler Bet-at-home-Cup (ATP 250) am Montag und Dienstag


Der Klescher und der Bauer

Es klescht, wenn Dominic Thiem aufschlägt, und zwar gleich drei mal: Zuerst, wenn sein Schläger den Ball trifft; dann, wenn der Ball im Aufschlagfeld aufspringt (da staubt es auch gleich ordentlich) und das dritte Mal, wenn der Gegner versucht, den Ball zu retournieren. Beeindruckend, der junge Österreicher, der in Kitzbühel gegen den Slowaken Martin Klizan ein sehr ordentliches Match abliefert! Leider muss er sich im dritten Satz 5:7 geschlagen geben: Nach einem unglaublichen Ballwechsel, den er noch gewinnen kann, wird Thiem von Krämpfen geplagt und plötzlich klescht der Aufschlag nicht mehr. Mit Mühe wurstelt Thiem noch drei Aufschläge ins Feld, diese aber gleichen eher den Tomatenbällen des Italieners Filippo Volandri, der aufschlägt wie ein Schuljunge. Ein gefundenes Fressen für den auf Nummer 5 gesetzten Klizan, dem es schon unbequem geworden war in diesem Match. Klizan gewinnt das Spiel, den Satz und das Match. Wie er das gemacht hat, weiß keiner so recht. Nur Günter Bresnik, der obergescheite Trainer von Thiem, weiß es ganz genau!

Dieser erklärt nach dem Match beim Interview, dass er so etwas von seinem Schützling nicht erwartet hätte. Anscheinend habe Thiem konditionelle Probleme, so Bresnik. Er sei enttäuscht von der Leistung Thiems und ihm sei gänzlich unklar, wie man so eine Partie noch aus der Hand geben könne. Ein Trainer also, der über das Leistungspotenzial seines Schützlings entweder zu wenig informiert ist, oder dieses maßlos überschätzt hat? Oder einfach nur ein Wichtigtuer, der in bäuerlichster Manier seinem Protegé vor Publikum die Leviten liest? Professionalität sieht jedenfalls anders aus. Das Publikum quittiert Günter Bresniks emotionalen Stammtisch-Kauderwelsch mit Buh-Rufen, bevor Bresnik seinerseits sarkastisch den erhobenen Daumen zeigt. „Suppa sats!“, wird er sich gedacht haben. „Ein Bauer bist!“, hat sich wohl das Publikum gedacht.


Die Gulbis-Show

Ernests Gulbis geht die Grundlinie auf und ab, immer wieder in das Publikum stierend. Seit dem ersten Spiel scheint er sich nicht wohl zu fühlen. Kein Wunder, muss er doch gegen Lokalmatador Andreas Haider-Maurer ran, der von den eher spärlich besetzten Rängen in bester Stammtisch-Manier angefeuert wird. „Geht scho, Andi!“ - „Gemma, Andi!“ - „Supa, Andi, supa!“ und mein persönliches Highlight der Grenzdebilität: „Vamos, Ändy!“ (Wirklich? Ändy? Vamos? Come on...)

Haider-Maurer schlägt immens stark auf. Aber Gulbis, der bisher einzige tatsächliche Vertreter eines ATP-Niveaus, kann sich auf den Aufschlag einstellen. Er retourniert Haider-Maurers erste Aufschläge souverän und attackiert die zweiten geradezu unwirsch. Den ersten Satz verliert er noch, den zweiten kann er knapp für sich entscheiden, im dritten geht Haider-Maurer 1:6 unter.

Was dazwischen passiert, sorgt bei den meisten im Stadion für Unverständnis. Gulbis legt sich mit dem Publikum an, Gulbis macht Mätzchen, Gulbis schimpft mit sich selbst, Gulbis raunzt Ballkinder an. „Buh!“, sagt das Kitzbüheler Publikum. Mir gefällt es insgeheim, weil es hier endlich Theater zu sehen gibt. Und gutes Tennis obendrein! Im Fernsehen sieht man es oft nicht so genau, aber der Niveauunterschied zwischen einem potenziellen Top-20-Mann und einem, der ewig zwischen Platz 80 und 120 der Weltrangliste rauf- und runter paternostert, ist, gelinde gesagt, schlagend! Gulbis ist ein Vertreter ersterer Spezies, und davon der erste, den ich beim Turnier in Kitzbühel verfolgen kann; insofern stört es mich überhaupt nicht, dass er sich hier keine Freunde macht. Noch dazu scheint er nicht hundertprozentig fit zu sein – er lässt ich am Ende des zweiten Satzes immer wieder an der Schulter behandeln.

Nach dem Match bemüht sich Gulbis um Schadensbegrenzung. Wie ein Schuljunge (ein anderer Typ Schuljunge als Volandri!) steht er beim On-Court-Interview und entschuldigt sich, dass er den „local guy“ nach Hause schicken musste. Er hoffe aber, dass die Unterhaltung gut war. Kein Wunder: Dieser Mann kommt aus einer Schauspielerfamilie!


Der Kornspitzbub

Eines muss man Alexander Antonitsch zu gute halten: Seine latente Unbekümmertheit (die oft pathologisch wirkt) trägt manchmal auch unerwartete Früchte. Seine Idee des „Spiel deines Lebens“ ist zum Beispiel so eine Frucht. Über 4.000 Leute bewarben sich um einen Platz an der Seite von Philipp Kohlschreiber im Kitzbüheler Doppelbewerb. Acht davon wurden zu einem Tie-Break-Shootout geladen, in welchem sich der junge Oberösterreicher Stephan Tumphart durchsetzte. Dieser Hobby-Spieler, der zuletzt im „Kornspitz-Cup“ erfolgreich war, durfte nun zusammen mit der Nummer 21 der Welt am Platz stehen. In der ersten Runde ging es gegen Nadal-Bezwinger Lukas Rosol aus Tschechien und den Argentinier Horacio Zeballos.

Philipp Kohlschreiber tat sich unter diesen Bedingungen schon vor dem Match als guter Sportsmann hervor. Freilich, ihm war der Doppelbewerb wahrscheinlich nicht wirklich wichtig, aber immerhin ließ er sich zu diesem „Crowd-grooming“ überreden und so war das ganze eine witzige und eigentlich auch überaus interessante Aktion. Wie würde ein Amateur auf ATP-Level mithalten können?

Um dies zu beobachten, musste man sich auf dem Grandstand einfinden, wo zu Beginn dieses Matches schon ungewöhnlich viele Leute Platz genommen hatten. Würde der 20-jährige Tumphart überhaupt ein Aufschlagspiel durchbringen können? Wie würde er die Aufschläge der Profis retournieren? - alles Fragen, die Tumphart schon nach drei Games beinahe mit Gleichmut beantwortet hatte. Zwar hörte man noch beim einen oder anderen Service-Return ein überraschtes „Boah!“ aus dem Mund des TU-Studenten, sein erstes Aufschlagspiel aber brachte er souverän durch. (Den ersten Doppelfehler im Match machte übrigens Kohlschreiber.) Kohli unterstützte seinen Partner mit Tipps und kleinen Aufmunterungen, wenn Tumphart bei einem Ballwechsel das Nachsehen hatte – was weniger oft der Fall war, als man geglaubt hätte. Der erste Satz ging für die beiden knapp mit 5:7 verloren. Das war's dann wohl – dachte man und verließ den Grandstand.

Wenig später, zurück auf dem Centercourt, hörte man die Durchsage, dass das Unglaubliche wahr geworden war und Kohlschreiber/Tumphart tatsächlich den Sieg davon getragen haben. Im Champions-Tiebreak besiegten sie Rosol/Zeballos 10:5 und zogen damit in die zweite Runde ein! Die ATP zeigte sich ratlos, denn niemand kannte den Mann, der da an der Seite von Philipp Kohlschreiber spielte. Ebenso ratlos muss Tumphart selbst gewesen sein – denn er selbst hätte wohl am wenigsten geglaubt, dass er eine Chance auf den Sieg hat.

Alex Antonitsch muss eine Freude haben, denn seine Aktion war ein voller Erfolg. Fraglich ist nur, ob diese Freude auch Philipp Kohlschreiber teilt. Denn dieser muss am Donnerstag unter Umständen drei Mal auf den Platz: Einmal, um sein am Mittwoch angefangenes Spiel fertig zu spielen, danach stünde schon die nächste Runde an. Und nun muss er ja – entgegen aller Erwartungen – Doppel auch noch spielen! Kohli wird’s mit Fassung und dem gewohnten Sportsgeist tragen. Und der Kornspitzbub Stephan Tumphart hat noch ein weiteres Spiel seines Lebens – denn nun geht es gegen die als Nummer eins gesetzte Paarung Knowle/Cermak.

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