Donnerstag, 19. Juli 2012

Sepp Rasser

„Sepp Rasser? I don't know a Sepp Rasser! I am Moslechner!“ Der Mann, der das sagt, fuchtelt abwehrend mit den Händen als wolle er mit dieser ganzen Sache am liebsten gar nichts zu tun haben. Der arabische Kunde beugt sich etwas über den Ladentisch, als habe er das Fuchteln als Einladung zum Näherkommen verstanden: „But man next door tell me you are Sepp Rasser!“

Der vermeintliche Sepp Rasser steht jetzt ganz an der Wand seines kleinen Trachtengeschäfts. Dort, an der Wand hinter der Kassa, hängen einige Kinderlederhosen und -dirndln. Würde man ihn fotografieren, mit seinem lichten Schnauzbart und den kleinen schwarzen Augen, sähe der Mann jetzt aus wie ein belgischer Pädophiler auf Alpenurlaub. Dem Araber fällt so etwas natürlich nicht auf. „You have dress for girrl?“ fragt er, noch eindringlicher als er vorher nach Sepp Rasser gefragt hat. Nun dringt aus dem hinteren des Raums ein hektisches Abrakadabra. Eine der fünf Frauen hält ein Dirndl hoch und es sieht aus, als würde sie damit anzeigen, dass sie es war, die geredet hat. Für den Sepp Rasser hinter dem Ladentisch wäre das nämlich nicht zu erkennen gewesen, tragen doch alle Frauen einen Schleier vor dem Gesicht.

Wütend dreht sich der Araber um und schreit irgendetwas in Richtung seiner Frau. Er scheint beleidigt zu sein, dass die Frau zuerst gefunden hat, wonach sie gesucht haben. „You show!“ sagt er zum Sepp Rasser, der eigentlich Moslechner Alois heißt, und zeigt dabei auf ihn. Ängstlich kommt der Alois aus seiner Ecke hervor und wuselt hinter dem Araber her. Drei Kleinkinder haben begonnen, die kleinen Stoffmurmeltiere, die pfeifen, wenn man sie drückt, zu betätigen. Indessen sind die arabischen Frauen in aufgeregtes Geplapper verfallen. Nacheinander werden alle Dirndln herausgezogen, die der Alois in seinem nicht allzu großen Geschäft hängen hat. Das Pfeifen der Plüschmanggerl sticht dem Alois schon in den Ohren als einer der drei Buben – oder ein vierter? - auch noch die Kuhglocken findet, die der Moslechner Alois schon seit den frühen 80ern im Geschäft hängen hat, und die sich damals noch gut verkauft haben; bis der Markt eben irgendwann gesättigt war, oder die Leute begriffen haben, dass sie mit einer Kuhglocke daheim im Grunde gar nichts anfangen können und dass auch das ästhetische Wohlempfinden beim Anblick einer solchen nur eine kurze Halbwertszeit hat.

Das Gebimmle, Gepfeife und Geplapper muss der Alois jetzt dulden, denn er ist schon längst nicht mehr Herr über seinen Laden. „What price for this?“ fragt der Araber streng, und der Alois greift schnell nach dem Preisschild. Es hat ihm vor ein paar Tagen jemand gesagt, dass Araber gut Ziffern lesen können, weil wir die von ihnen gelernt haben. Seitdem zeigt der Loisl den arabischen Gästen immer nur Preisschilder, um Missverständnissen vorzubeugen. Ein anderer Araber, der an einer kleineren Kuhglocke interessiert gewesen war, hat ihn zum Beispiel einmal nach dem Preis gefragt. Da hat der Loisl die Kuhglocken noch nicht beschriftet gehabt und dem Araber gesagt „Thirty two!“, worauf der Araber entgegnete: „Aha! But I only want one! So one fifteen?“ Der Rest des Gesprächs verlief nur weniger umständlich und nötigte den Alois dann ohnehin dazu, den Preis auf einen Zettel zu schreiben.

Der Araber inspiziert das Preisschild des Dirndls; auch die Frauen schauen neugierig darauf, während im Hintergrund weiter die Murmeltiere pfeifen und die Kuhglocken bimmeln. Als das Bimmeln aufhört, wird der Loisl misstrauisch und schaut kurz über seine Schulter. Eines der Kinder hat sich einen Filzhut aufgesetzt und rennt damit bei der Tür hinaus. Auch der arabische Vater merkt, was passiert ist und lässt einen lauten Fluch los. Sofort erscheint der Bub wieder in der Türe. „What price for hat?“ Der Loisl stürmt zum Hutregal, kommt mit einem Filzhut zurück und hält ihn dem Araber vor die Nase. „I buy“, sagt der Araber kurz und deutet dabei auf seinen Sohn. Auch die anderen beiden haben nun von den Murmeltieren gelassen und drehen jetzt an den Postkartenständern. Wieder sagt eine der Frauen etwas, wieder kann der Loisl nicht ausmachen, welche es gewesen ist.

Der Araber deutet auf das Dirndl, zieht die Augenbrauen hoch und sagt: „Discount!“ - Es ist keine Frage. Der Moslechner Alois antwortet: „No discount“, und klingt dabei fragend. „But I buy hat!“ sagt der Araber aufgebracht. - „Yes, but no, but...“ Wieder flucht der Araber etwas und die Frauen brechen in erneutes Gegacker aus. „You don't give discount?“, die Stimme klingt jetzt sanfter. „I don't have discount!“ entgegnet der Moslechner entschuldigend. „But you can give discount, no?“ - diese Frage verwirrt den Alois jetzt.

„No discount!“, sagt er mit Nachdruck. Der Araber brummt. „I take this and hat“, sagt er und hält ihm eines von den Dirndln hin. Der Moslechner Alois nimmt das Dirndl, wundert sich darüber, wie jemand ein Dirndl kaufen kann, ohne es vorher anzuprobieren, entschließt sich aber dazu, lieber keine weiteren Fragen zu stellen.

Wieder pfeift ein Murmeltier. Einer der Buben hat das Interesse an dem Postkartenständer verloren und ist zurück zu den Plagegeistern. „What's this?“ fragt der Araber und deutet Richtung Murmeltiere. „Äh... a Manggei!“ sagt der Loisl in Ermangelung der passenden englischen Vokabel. „Is animal, ha? Live here?“ - Der Araber scheint auf dem richtigen Weg zu sein, deswegen nickt der Loisl heftig. „I take!“ sagt der Kunde und schreit etwas Grimmiges, worauf der kleine arabische Junge mit dem Murmeltier zur Kassa gelaufen kommt. „So I take this, this and hat. No discount, ha?“, auf dem Gesicht des Arabers zeigt sich ein fast ironisches Lächeln. Da muss der Loisl blöd grinsen und lacht: „No discount!“, worauf sich das Gesicht des Arabers gleich wieder verfinstert. Der Postkartenständer quietscht und taumelt unter den immer wilder werdenden Drehungen, die er, angetrieben von den Händen des kleinen Arabers, zu vollführen hat.

Als der Loisl das Geld des Arabers nimmt, klatscht ein Päckchen Ansichtskarten auf den Boden. Der Vater stürmt zum Postkartenständer, hält diesen abrupt an, worauf sich weitere zwei Päckchen auf dem Boden verteilen. Laut fluchend scheucht er das Kind aus dem Laden. „I am sorry!“, sagt der Araber, „no, passt scho!“ der Loisl.

Nach Erledigung des Zahlungsgeschäftes fragt der Kunde noch ein letztes Mal „You are not Sepp Rasser, no?“ und lacht ein bisschen. Gut aufgelegt, weil er ein gutes Geschäft gemacht hat und die scheinbare Bedrohung dabei ist, sich zu verziehen, sagt der Loisl erleichtert: „No, I am not Sepp Rasser.“ - „But man next door say you Sepp Rasser!“ Der Araber wirkt verwirrt und auch der Loisl schaut sein Gegenüber verblüfft an. „I was talking to man next door. I ask who sell Austrian dress for women. He tell me: Sepp Rasser!“ (Tatsächlich ist es nämlich so, dass der Bruder vom Moslechner Alois, der Moslechner Rupert, gleich nebenan ein Spezialitätengeschäft führt.)

Der Araber fährt in seiner umständlichen Erklärung fort: „I tell him I want to go to Moslecker! He say that he is Moslecker, but for dress I have to go to Sepp Rasser! And he show me to go in here!“ Nun ging dem Moslechner Alois ein Licht auf. Der Araber wurde wohl wegen eines Dirndls zum „Moslechner“ geschickt und landete – durchaus folgerichtig – im Geschäft seines Bruders. Da es in einem Spezialitätengeschäft aber keine Dirndln gab, sondern nur Schweinsbäuche und ähnliches, für Araber ganz und gar unbrauchbares, musste der Bruder den Araber wohl zu ihm herein geschickt haben!

In diesem Moment erscheint der Moslechner Rupert grinsend in der Tür. Der Araber deutet auf ihn und scheint vergnügt: „Look, this man send me here!“, sagt er aufgeregt. Der Rupert kommt in den Laden herein, deutet auf den Loisl und sagt: „Ah, ei sie ju faund mei Brasser!“

Der Araber fragt: „This is Sepp Rasser?“ - „Yes!“, sagt der Rupert und legt stolz den Arm um seinen Bruder: „dis is mei Brasser!“
„See!“, ruft der Araber stolz und schaut den Alois in der überzeugendsten Weise an: „You are Sepp Rasser! But why you call yourself Moslecker?“

Auch der Rest dieses Gesprächs verlief wieder einmal nicht unkompliziert...

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