Montag, 7. Mai 2012

Blauer Sand und grünes Gras

Dieser Tage findet in Madrid das Masters 1000-Turnier statt - auf blauem Sand. Blauer Sand, wie das klingt! Nach einer sagenumwobenen Pazifik-Insel, nach einem Film von James Cameron oder einem Reaktorunfall. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um die Idee eines wahnsinnigen Rumänen namens Ion Tiriac. Tiriac war einmal Eishockey- und Tennisspieler, in einer Zeit, in der es das noch gab, dass Leute zwei Sportarten professionell ausübten und damit auch noch erfolgreich waren. So gewann er beispielsweise das Doppel bei den French Open im Jahre 1970, zusammen mit dem ebenso wahnsinnigen Ilie Nastase - auch ein Ungustl höchster Güte. Später blieb er dann dem Profi-Tennis unter anderem als Manager von Boris Becker erhalten.

Wie Ion Tiriac zu dem Haufen Geld gekommen ist, den er zu besitzen scheint, ist ziemlich undurchsichtig und interessiert auch niemanden wirklich. Bedeutend ist aber, dass Tiriac nun das Masters-Event in Madrid organisiert, nein, besitzt. Früher im Herbst in der Halle gespielt, ist es nun fixer Bestandteil des Frühjahrs-Clay-Court-Swings vor den French Open. Der seit 2009 neue Austragungsort, die Caja Magica, ist neben Paris Bercy der hässlichste auf der Tour und überhaupt ist das Turnier auch bei Spielern nur mäßig beliebt, was unter anderem daran liegt, dass in Madrid auf über 660m Seehöhe gespielt wird, viel höher als bei den French Open und den anderen Stationen auf dem Weg dorthin. Wer wird sich aber bei einem Preisgeld von 2,8 Millionen Dollar groß über die Bedingungen beschweren?

Caja Magica


Heuer machte das Turnier vor allem wegen Tiriacs Entscheidung, den Sand blau einzufärben, auf sich aufmerksam. Das hat einerseits mit dem Hauptsponsor zu tun, der Versicherungsanstalt Mutua Madrilena, deren Corporate Design eben auch jenes Blau in sich fasst, das dem Sand heuer seine distinkte Farbe gibt. Andererseits, so Ion Tiriac, sei auf blauem Untergrund der gelbe Ball für die Fernsehzuschauer besser zu erkennen. Letzteres ist zunächst ein nachvollziehbares Argument, da auch die meisten Hartplatz-Turniere mittlerweile auf blauem Untergrund gespielt werden. Die Spieler nahmen Tiriacs Entscheidung natürlich mit Unbehagen auf. Man zweifelte vor allem, ob der blau gefärbte Sand die gleichen Eigenschaften aufweisen würde wie der gewohnt rote Belag. Außerdem, so das Argument vieler Spieler, sei es fragwürdig, ob mitten in der Sandplatzsaison und gerade bei einem so wichtigen Pflicht-Turnier vor den French Open das ungewohnte Blau eine kluge Sache sei - man müsse sich schließlich umgewöhnen.



Man sollte Tiriacs Entscheidung nicht als besondere Pionierleistung loben. Freilich hat er es geschafft, vor dem Turnier das so wichtige mediale Gewurle zu erzeugen, und der Sponsor wird sich ob des so schönen blauen Courts sicherlich auch erkenntlich zu zeigen wissen. Als Zuseher in Zeiten von HD-Fernsehen darf man den Zugewinn an Kontrast getrost als vernachlässigbar betrachten. Der "Smurf-Turf" ist aber eine nette Abwechslung zum immergleichen rot-orange und lustig, weil ungewohnt, anzusehen (ähnlich dem nordamerikanischen Har-Tru-Sand, der dunkelgrün gefärbt ist). Die Spieler werden sich ohnehin auch in Zukunft über jegliche Änderung zu beschweren wissen, und am Ende werden die Verlierer dem blauen Sand die Schuld für ihren Misserfolg in die Schuhe schieben und die Gewinner ihn gar nicht mal so schlecht finden.

Freilich fragen sich die Konservativen unter den Tennisfreunden, was denn als nächstes komme: Ob denn nun der Rasen im altehrwürdigen Wimbledon auch des besseren Kontrastes wegen blau gefärbt werden müsse? Das darf aber bezweifelt werden. In Wimbledon wird sich so schnell nichts ändern, dort hat man gerade erst das längst fällige Dach über den Centre Court gebaut und das ist für das englische Traditionsturnier schon genug Progressivität für die nächsten 15 Jahre.
Ob man überall sonst auf grünem, blauem, rotem oder lila Sand bzw. Hartplatz spielt, hat in London noch nie jemanden gejuckt. Und wenn auch der Tennissport mit der Zeit gehen will und muss - in Wimbledon wird man noch lange weiß tragen, Erdbeeren mit Sahne essen und Pimm's trinken, selbst wenn es das allerletzte Rasenturnier werden sollte.
Die letzte große Bastion des grünen Grases hat schon die Revolution der 70er überlebt, als die US Open von Rasen auf Har-Tru-Sand wechselten:
While almost everybody smoked grass, people no longer wanted to play tennis on it anymore. Grass-court tennis smacked of tradition, exclusivity, and elitism. The vestigial grass-court game was okay at Wimbledon, where they also had royalty, double-decker buses, and judges in powdered wigs who liked getting spanked by schoolgirls dressed up as French maids. But in America in the 1970s, tradition, exclusivity, and elitism were loaded words that helped turn the tide of opinion against amateur tennis.
(Pete Bodo - Courts of Babylon)
Vielleicht wird man in ein paar Jahren, wenn alle Sandplätze dieser Welt blau sein werden, die Geschichte vom wahnsinnigen Rumänen erzählen, der es in Madrid das erste Mal wagte, ein Masters-Turnier auf blauem Sand spielen zu lassen. Oder man wird sich an diesen einmaligen Ausrutscher erinnern, als irgendjemand (ein wahnsinniger Rumäne) einmal dachte, es sei eine gute Idee, Tennissand blau zu färben, und wie sich diese Schnapsidee dann nie durchgesetzt hat.
Jedenfalls wird in ein paar Tagen ein Tennisspieler behaupten können, er habe als erster (und vielleicht einziger) ein Masters-Turnier auf blauem Sand gewonnen. Das ist doch auch eine schöne Geschichte und sie kommt ganz ohne James Cameron und Reaktorunfall aus.

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