Sonntag, 6. November 2011

Wenn es "wildelt"

Am Abend gab es Hirsch. Der Koch wurde gelobt, weil der Hirsch nicht "gewildelt" hat. Das habe nichts mit dem Kochen zu tun, so der bescheidene Koch abwehrend, sondern damit, wann der Hirsch geschossen wurde. Brünftige Hirschen "wildeln" mehr. "Aha, jaja", machen die Gäste. Von wem er den Hirsch habe, und ob der gewildert wäre, fragt man den Koch scherzhaft. Ich sage, dass es gewildert wohl besser schmecke als gejagt. Der Koch und die Gäste lachen. Das müsse ich als Schmittinger wohl am besten wissen, sagt mir mein Gegenüber augenzwinkernd.

Der Dessertwein ist gut. Ein Kracher, sagt man mir. Ich finde, das ist übertrieben. Dann eröffnet sich mir, dass damit das Weingut gemeint ist. Weingut Kracher, Illmitz, Burgenland. "Achso!", mache ich in mich selbst hinein und amüsiere mich über meine diesbezügliche Ahnungslosigkeit. Der Kracher sei schon gestorben, heißt es - leider. Aber der Wein schmeckt immer noch ausgezeichnet. Weltruhm habe er mit dem Süßwein erlangt.

Den Grappa lassen wir Jungen aus. Stattdessen trinken wir Vodka lemon. So jung, so dynamisch. Mit Red Bull könne ich es nicht mehr trinken, meine ich. Da schlafe ich schlecht. Mein Gegenüber überrascht mich mit der Aussage, dass er gern Red Bull trinke. Er sagt "ein Red Bull" und das, obwohl er damit nicht aufgewachsen ist, so wie ich. Ältere Leute sagen ja oft "einen Red Bull", weil der Bulle ja männlich ist. Dieser ältere Herr überrascht mich also doppelt. Ich sage, ich würde das "nicht mehr" erleiden und trinke es eigentlich nur noch beim Autofahren. Das lange Ennstal, jaja. Schrecklich alt komme ich mir jetzt vor, weil ich kein Red Bull mehr erleide, - mein Gegenüber aber sehrwohl und auch seine Frau trinke es gern, wie sie mir versichert.

Die Gastgeberin erzählt, wie sie den Koch kennengelernt hat. Also eigentlich ihren Mann, der für diesen Abend der Koch ist. Beide waren sie Schilehrer damals. Sie eine Anwärterin, er schon ein gestandener Schilehrer. Eingestaubt habe er sie alle und lässig dagestanden sei er. Seinen Kollegen, der die Ausbildung geleitet hat, habe er gefragt, was für Hasen dieser heute parat hätte. Unsympathisch sei das gewesen. Aber später habe er ihr einmal geholfen, als sie mit den Kindern beim Schlepplift war und alle Hände voll zu tun hatte. Das habe der Kollege nicht gemacht, der sei nur dagestanden und habe gegrinst. Es zahlt sich also doch aus, wenn man einmal nett auch ist und nicht nur lässig dasteht. Später haben sie sich dann auf einer Schihütte wieder getroffen. Beim gemeinsamen Runterfahren, sagt der Koch, habe er dann gewusst, dass er sie jetzt habe. "Die hab ich", hat er sich gedacht. Alle lachen, weil es eine schöne Geschichte ist und sie so schön erzählt wurde.

Beim Dessert habe ich dann Dessertwein, Kaffe und Vodka lemon vor mir stehen. Aber auch diese Kombination schmeckt gut. Man muss es ja im Mund nicht mischen. Und im Magen kommt ja bekanntlich eh alles zusammen. Die Jugend meint, dass früher alles besser gewesen sei. Wir (also die Vodka-lemon trinkende Jugend) klingen neidig, weil die Älteren so tolle Geschichten erzählen. Es klingt alles so heimelig und spannend zugleich. Ganze Gruppen von Schihaserln seien da immer gekommen, aus Schweden, Holland und Dänemark. Fesch! Heute kommen ja nur mehr die dicken Engländerinnen - was haben wir es schlecht! Nein nein, früher sei auch nicht alles so rosig gewesen, versichert man uns. Man erinnere sich halt nur an die schönen und lustigen Sachen. Dass aber früher alle rauschig Auto gefahren sind, das stimme schon. Und beim Schifahren habe keiner einen Helm getragen. Heutzutage geht das ja nicht mehr. Die Technologie! Alles schneller, viel mehr Leute. Und rücksichtslos sind die! Deswegen gehe ich immer nur in der Früh, sage ich. Ja, da sei es auch am schönsten, bestätigt man mich.

Diese Gegend ist voller unhingehbarer Wahrheiten, denke ich mir. Das ist gut, aber auch schlecht. Einerseits ist das irrsinnig konservativ. Wobei, wenn hier etwas konserviert wird, kann das ja so schlecht auch nicht sein. Andererseits nimmt auch keiner die Wahrheiten so wahnsinnig ernst. Der Witz stirbt zuletzt und wer zuletzt lacht, der muss ein Schnapserl mehr trinken.

Dumm ist auch, wenn man sagt, etwas sei gut, aber auch schlecht. Mein Vater erzählt mir öfter, dass ich als kleiner Bub beim Spazierengehen einmal einen Kuhfladen nachdenklich betrachtet habe. Anscheinend habe ich dann gesagt, dass es schon interessant sei, dass überall, wo etwas Schlechtes ist, auch etwas Gutes sei. Mein Vater hat sich über mich gewundert. Ich habe mich über die Fliegen gewundert, die die Kuhscheiße so interessant fanden. Gut, aber auch schlecht. Was denn nun? Ich weiß es bis heute nicht. Und will mich auch nicht entscheiden. Wie sagt man hier? Es hilft eh nix. Oder: wenn's nicht hilft, schadet es auch nix. So wie Topfenwickel oder Essigpatscherl.

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