Montag, 31. Dezember 2012

Pfeifenberger ist nicht eitel

Es war Pfeifenbergers größte Furcht, mit dem jungen Peter Handke verwechselt zu werden. Gegen Verwechslungen mit dem alten Peter Handke hatte Pfeifenberger wenig einzuwenden und konnte sich derer auch nicht erwehren, glich sein Haarschnitt und sein misstrauischer Blick doch sehr dem gealterten Literaten. "Der junge Handke, der war entsetzlich!", soll Pfeifenberger einmal gesagt haben. Und das meinte er nicht nur im literarischen, sondern vor allem auch im optischen Sinne. "Handke ist eigentlich überhaupt entsetzlich. Ganz entsetzlich!", sagte Pfeifenberger ein anderes Mal und bezog das vor allem auf das literarische Schaffen des Kärntner Schriftstellers. Trotzdem fühlte er sich von den Vergleichen mit dem alten Handke immer ein wenig geschmeichelt. "Frisur hat er ja eine gute! Aber seine Prosa, die ist entsetzlich. Zumindest sehr mau!" Ein Lieblingswort Pfeifenbergers war nämlich das Wort "entsetzlich". Ein anderes war "mau". Selten verwendete er beide in Verbindung: entsetzlich mau. Das geht eigentlich nicht, und das wusste auch Pfeifenberger.

Von September bis Anfang Dezember jeden Jahres schnitt sich Pfeifenberger nie die Haare. Er meinte immer, er müsse seinen "Winterpelz" gedeihen lassen. Tatsächlich sprach Pfeifenberger von "gedeihen", denn seine Haarpracht war für ihn so etwas wie eine Naturgewalt, über deren Wachstum er keine Kontrolle hatte. Freilich aber freute er sich über seine Mähne, die er gern stundenlang vor dem Spiegel begutachtete, bewunderte und pflegte. Manchmal probierte Pfeifenberger verschiedene Frisuren aus, blieb aber dann doch meistens bei einer Scheitelvariante, die einen Mittelscheitel vorgaukelte, sich aber bei genauerem Hinsehen als leichter Rechtsscheitel entpuppte. Ein Mann voller Subtilitäten - das war Pfeifenberger!

Die Idee mit dem Winterpelz hatte Pfeifenberger von seinen Vorfahren abgeschaut, die allesamt aus dem Lungau, der kältesten Region des Innergebirgs, stammten. In Tamsweg, der Bezirkshaupt- und einzigen Stadt der Region, erzählt man sich, die Pfeifenbergers hätten einst den Lungau gegründet. Dabei handelt es sich natürlich nur um einen Gründungsmythos, der aber bezeugt, welch hohes Ansehen die Familie Pfeifenberger im Lungau schon immer genossen hat. "Als Pfeifenberger trägst du einiges mit dir herum!", soll der Pfeifenberger einmal gesagt haben und damit hat er nicht seine Haare gemeint. Obwohl der Satz natürlich besonders für die winterliche Haarvariante des Pfeifenbergers gegolten hätte, denn was sich da jedes Jahr bis Anfang Dezember auf dem Pfeifenbergerkopf angesammelt hat, musste mehrere Kilo schwer gewesen sein. Die richtige Länge hatten Pfeifenbergers Haare dann, wenn er sie hinten zu einem kleinen Zopf zusammenbinden konnte. Das Volumen, das mit dieser Haarlänge einherging, füllte dann auch die Winterhaube vom Pfeifenberger vollständig aus. Das bedeutet aber: Hätte sich der Pfeifenberger die Haar schon ab August wachsen lassen, dann wären sie im Dezember so voluminös geworden, dass sie nicht mehr unter die Haube gepasst hätten. Und weil der Pfeifenberger ein recht verfrorenes Männlein war (trotz seiner Lungauer Herkunft), konnte er das nicht riskieren.

Der Friseurbesuch im Dezember fand dann meistens in Salzburg statt. Denn Pfeifenberger ging niemals zu einem anderen Friseur als zum Sturmayr in Salzburg. Dort nämlich hatte er seine Friseurin, die einzige, die seine Mähne entsprechend zu schneiden wusste. Die Ingrid - so hieß sie - hätte der Pfeifenberger auch geheiratet, hat er einmal gemeint. Denn Friseurinnen - nicht alle! - seien ordentliche Frauen, so Pfeifenberger. Man darf jetzt nicht glauben, dass der Pfeifenberger ein Mann von großer Einfalt war - im Gegenteil! Pfeifenberger war ein studierter Mann, ein belesener zumal, was ja heutzutage nicht mehr selbstverständlich ist. Aber er hatte ein gutes Gespür für die einfachen Dinge im Leben. Wäre er Politiker gewesen, hätte man gesagt, der Pfeifenberger sei ein "Mann für die kleinen Leut'" und hätte damit nicht die geringe Körpergröße gemeint, die den Pfeifenberger zu einer höchst sympathischen Erscheinung machte.
Die Ingrid hat der Pfeifenberger jedenfalls nicht geheiratet. Wohl auch deshalb nicht, weil er einmal gesagt haben soll, dass Haare und Liebe nicht zusammengehen. Das eine sei eine Sache der Vernunft, das andere eine Sache des Herzens. Mit solchen Sätzen frappierte Pfeifenberger regelmäßig die Menschen.

Wer jetzt glaubt, der Pfeifenberger hätte sich den ganzen Winterpelz im Herbst wachsen lassen, um ihn dann zu Winterbeginn wieder abzuschneiden, der denkt nicht mit und hat den Pfeifenberger mit Sicherheit nicht verstanden - oder ihn gar unterschätzt (was der Kardinalfehler in Bezug auf diesen Mann ist). Mit der langen Wachstumsperiode stellte Pfeifenberger nur sicher, dass sich genügend Haare für den kalten Winter auf seinem Kopf befanden - dem Wildwuchs aber gab er seine Haare deswegen nicht hin. So wurden sie jeden Dezember in Salzburg von der Ingrid formschön geschnitten, also in Fasson gebracht, ohne dabei zu viel Material verloren gehen zu lassen. Wenn dann der Pfeifenberger aus der Sturmayr-Filiale trat und der Salzburger Innenstadtwind zum ersten Mal seine frisch geschnittenen Haare streichelte, fühlte sich Pfeifenberger erhaben. Und er sah dann auch erhaben aus! Wie der alte Peter Handke eben. Nur, dass Pfeifenberger ein viel humorvollerer und wahrscheinlich auch angenehmerer Mensch war als Handke; das gilt sowohl für den alten wie auch für den jungen.

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