Dienstag, 4. Dezember 2012

Die potemkinsche Hündin

Im Konzert-Café Schmid Hansl (das allein schon ein vielversprechender Name!) steht eine blaue ukrainische Grableuchte auf einem Tischlein. Daneben sind Cello und Gitarre platziert, am Boden drängt sich ein Sammelsurium von Effektgeräten und Kabeln. Cordula Simon soll hier aus ihrem Debutroman lesen, der "Der potemkinsche Hund" heißt. Deswegen auch die Grableuchten, derer mehr in verschiedenen Farben am unauffälligen Piano des Cafés stehen: "In Odessa sind die Friedhöfe bunt", erklärt sie mir mit ihrer kindlich gebliebenen Begeisterung. Trotzdem solle man da nachts lieber nicht hingehen. Habe ich auch nicht vor, mir reicht vorerst eine Lesung mit Grablaternchen und "Friedhofsmusik", wie die junge Autorin die stimmungsvollen Klangkaskaden von Sainmus nennt - das sind zwei studierte Jazzmusiker, die hier für Gulasch, Bier und Hutgeld mit ihrer bemerkenswerten Musik Simons Lesung untermalen.

Das Café Schmid Hansl ist eines jener Wiener Cafés, bei denen es selbst einen bekennenden, aber nicht immer ganz konsequenten Nichtraucher wie mich reut, dass hier nicht mehr gepafft wird. Dicke Rauchschwaden würden dem Raum gut stehen. Geraucht wird hier aber nur im Hinterzimmer. Deshalb hält sich dort auch Cordula Simon viel lieber auf als vorne am Lesetisch, umrahmt von Friedhofslaternchen und Friedhofsmusik. Trotzdem steht ihr das, als sie dann Platz nimmt, verblüffend gut.

Im hinteren Teil des Cafés hat sich eine Schulklasse eingefunden - oder auch einfinden müssen. 15 heiße Schokoladen wurden hier schon lange nicht mehr verkauft. Sie alle lauschen dem exaltierten Sprachduktus der in Odessa lebenden, aber in der Steiermark so seltsam gewordenen Autorin. Wieder einmal überlistet sie uns alle, als sie vom scheinbaren Erzählen direkt in das erste Kapitel ihres Romans gleitet. Sie tut immer so, als müsste sie uns zuerst erklären, was es mit ihrer Hauptfigur, dem Anatol Grigorjevic Ivanov, auf sich hat, und auf einmal bemerkt man, dass sie jetzt in das Buch schaut und also liest. Funktioniert immer. Das ist ihr ganz persönlicher Häschen-aus-dem-Hut-Schmäh. Irgendwie charmant, auch wenn man ihr das nicht zutrauen würde.

Sainmus bieten zwischen den Kapiteln ganz famose, verjazzte Stimmungsmusik. Zwar will sich keine Friedhofsstimmung einstellen (Gott sei Dank!), aber das  dramatische Dröhnen des Cellos und die aufgeregte, zuweilen quietschvergnügte Gitarre lassen sogar die Schulkinder in den hinteren Reihen die Justin-Bieber-Scheitel wippen. Die zwei Musiker schauen sich nach dem musikalischen Intermezzo gegenseitig verwundert an. Ja, das war tatsächlich großartig!

Simon wehrt sich gegen den Applaus mit dem Kapitel, das aus der Sicht des Hundes geschrieben ist. Sie erklärt, dass man ihr anfangs davon abgeraten habe. Doch Cordula Simon lässt sich von gar nichts abraten. Immerhin hat sie ja jetzt auch einen Vermögensverwalter. Das Kapitel ist aber sehr gelungen und eigentlich auch nur konsequent. Sätze wie der folgende lassen uns glauben, dass Simon selbst die allergrößte Hündin ist: "Wenn die wüssten, wie Wurst gemacht wird, man konnte es ja riechen (!), dann würden sie sie selbst bestimmt nicht anrühren."

Ja, die potemkinsche Hündin liest aus ihrem seltsamen Roman und bittet uns nach der Lesung noch in das Hinterzimmer, wo ukrainischer Vodka gereicht wird. Ich erlaube mir zu sagen, dass der letzte, den sie von dort mitgebracht hatte, besser war, was sie gewohnt abgeklärt mit dem Satz quittiert: "Das dürfte daran gelegen sein, dass du ihn aus der Flasche trankst." So, oder so ähnlich hat sie es gesagt. Jedenfalls erinnere ich es so. Mit ihrer tiefen Damenstimme, die sie sich über die Jahre antrainiert hat, und die man so mag; zumindest als Alternative zu ihrer Furienstimme oder ihrer Quietschstimme. Ein "Stimmchen" hatte sie noch nie, die Hündin. Aber eine Sprache, die hat sie schon immer gehabt...

Sollten Sie einmal in die Verlegenheit kommen, ein Buch von Simon kaufen und signieren lassen zu können: tun sie es! Sie schreibt da gerne ganz fiese Sachen rein, die aber nur halb so schlimm sind, weil man diese odessitische Sauklaue ohnehin kaum lesen kann! Wir sind froh, dass Cordula Simon nicht Ärztin geworden ist.

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