Montag, 25. März 2013

Sprechen Sie Deutsch ?/!

Touristen und Einwanderer haben es nicht leicht im Gebirge. Nicht nur ist es die ihnen oft unvertraute Landschaft, welche die Beschwerlichkeit des Berganschreitens genauso in sich birgt wie die oft schwer vorherzusehenden Wetterwechsel, die im Gebirge nicht nur unterhaltsam, sondern eben auch gefährlich sein können; viel öfter scheitert der Wille zum Wohlfühlen an der seltsamen Sprache der Innergebirgler. Denn der Bergmensch kann und will es nicht verstehen, dass er außerbergs nicht verstanden wird. Vielmehr: Es ist ihm egal. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass trotz mittlerweile flächendeckenden Englisch-Unterrichts, der Gebirgler auf dieser Sprache nur phrasenhaft kommunizieren mag. Sein Gebrauch des Englischen beschränkt sich zudem meist auf Wegbeschreibungen, die sich wiederum in den vielsagenden Anweisungen "down" und "up" erschöpfen. "Go up, donn hintre ... hinter... behind hoit. Nochand links... left!" Ahja.

Freilich, der Gebrauch der Englischen Sprache ist nicht jedermanns everyday business. Aber im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends kann mir kein Bewohner einer schon seit fast einem Jahrhundert touristischen Region erzählen, dass er einem Ortsunkundigen nicht auf Englisch den Weg zum nächsten Wirtshaus (als ob er den nicht kennen würde!) oder zum Skiverleih erklären könne. Der Grund, warum diese Situationen in echt immer wieder scheitern, liegt ganz einfach im Unwillen des sogenannten Einheimischen, etwas anderes als seine, die einheimische, Sprache zu sprechen. Diese Verweigerung macht nicht bei einer Weltsprache wie dem Englischen halt. Es erstreckt sich erschreckenderweise sogar auf die standardisierte, überregional verständliche Variante unserer Muttersprache.

Es sind nicht nur "arrogante Deutsche", die vorgeben, rein gar nichts von dem zu verstehen, was der Gebirgler ihm in breitestem Pinzgauer Dialekt zu verstehen gibt. Freilich, es schon auch solche, die sich absichtlich blöd stellen (oder einfach noch keinen Sprachkontakt mit uns hatten oder wollten), und die gleichzeitig davon ausgehen, dass wir ihrem Thüringischen oder Rheinfränkischen Dialekt so ohne weiteres folgen können. Ignorant sein, das kann man auch - und vor allem - in der Sprache.

Viel schlimmer ist die Weigerung des Bergmenschen, seinen Dialekt kurzzeitig zugunsten einer allgemein verständlicheren Variante des Deutschen aufzugeben, wenn er mit Menschen kommuniziert, die dem Deutschen durchaus mächtig sind bzw. sich zumindest alle Mühe geben, es sein zu wollen. Die Rede ist von Zuwanderern, denen ja immer gesagt wird, sie sollen gefälligst zuerst Deutsch lernen, bevor sie es sich bei uns gemütlich machen. Diese Menschen sind nicht abgeneigt zu tun, was von ihnen verlangt wird, ja manche sind mit Eifer und Freude bei der Sache - bis sie merken, wie wenig ihnen im sprachlichen Alltag ihr Wissen nützlich ist. Dort nämlich treffen sie auf den Bergmenschen, der, sobald er die ersten deutschsprachigen Bemühungen des Lernenden bemerkt, anfängt, mit diesem konsequent Pinzgauerisch zu reden. "Ko jo eh Deitsch. Des vastehta scho!", heißt es dann.

So fürsorglich und kameradschaftlich das vielleicht gemeint ist, so frustrierend ist es für den, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Sprache zu lernen, die angeblich in Österreich gesprochen wird. Sprachlernende, die ohnehin schon Mühe haben, das Deutsche in der freien Wildbahn des Alltags (im Gegensatz zur gepflegten Konstruiertheit des im Klassenraum Erlernten) sinnerfassend zu verstehen, sind verwundert: Was ist das für eine Sprache, die die Menschen hier sprechen?

Über die Unterschiede zwischen dem standardisiertem Deutsch und unserem Dialekt sind wir vielleicht zu wenig im Bilde. Wir können uns nicht vorstellen, wie unsere Umgangssprache für jemanden klingt, der sich gerade Mühe gibt, das Lautinventar, die oft komplexe Satzgrammatik und die Intonation des Deutschen zu durchschauen bzw. zu erhören. Für die Sprachlernenden aber ist es eine frustrierende Erfahrung: All die Mühe, die man vor allem am Anfang in ein Sprachstudium des Deutschen steckt, scheint umsonst gewesen zu sein. Das im Klassenzimmer mühsam Angeeignete hat in der Praxis wenig bis gar keinen Wert.

Umgekehrt geht der Einheimische her und hat mit den fortlaufenden Verständnisschwierigkeiten des Zuwanderers nur wenig Nachsehen: "Der lernt's nia!", heißt es dann lapidar. Und wenn er es lernt, der Herr Gastarbeiter, dann kommt dabei ein Kauderwelsch heraus, der jenseits der Grenzen des Bezirks wenig kommunikativen Alltagsbestand haben wird. Ein schlecht gelerntes Deutsch, das sich aus Dialektversatzstücken, der Grammatik der Muttersprache und ein bisschen Hochdeutsch konglomeriert, marginalisiert mehr als es integriert. Von keinem Einwanderer, der Deutsch ohne Vorkenntnisse erlernt, kann man erwarten, dass er es eines Tages akzentfrei sprechen wird, und das soll und kann auch gar nicht Ziel der sprachlichen Integration sein. Aber man kann als Muttersprachler den Lernwilligen eine kleine Hilfestellung leisten, indem man mit ihnen so kommuniziert, dass sie nicht nur verstehen, sondern im selben Zug auch noch wiedererkennen und dazulernen. Was kostet uns das mehr als eine kleine sprachliche Mühe, die eigentlich jeder Volksschüler im Unterricht aufzubringen imstande ist?

Woran also liegt es, dass die Gebirgler mit ihren so geschätzten Saisonkräften nicht ordentlich Deutsch sprechen können oder wollen? Einerseits wird da das Berufsumfeld des Gastgewerbes ins Spiel gebracht, das es angeblich unmöglich macht, Anweisungen in verständlichem Deutsch zu geben, weil alles "ruck-zuck" gehen muss und eigentlich sowieso alles ohne Worte ablaufen sollte. Nur: Wer seinen Angestellten Anweisungen auf Pinzgauerisch zubellt, läuft eben Gefahr, nicht richtig verstanden zu werden. Das hat entweder Nachfragen zur Folge (was auch wieder Zeit kostet) oder ein Missverständnis, das dazu führt, dass die erteilte Aufgabe nicht richtig erledigt wird - was noch mehr Zeit kostet.

Viel öfter aber scheint es so, als wolle der Innergebirgler gar kein ordentliches Deutsch sprechen. Er sieht den Dialekt als eine Art Geheimsprache, deren Verwendung Zugehörigkeit signalisiert. So manifestiert sich das allseits bekannte "Mia san mia" vor allem in der Sprache. Dem Lernenden wird damit signalisiert, dass er, so sehr er sich auch bemühen mag, es eben nie lernen wird. Er wird nie dazugehören. So gut sein Deutsch auch sein mag, der Gebirgler wird ihm mit seinem Dialekt immer voraus sein. "Haha, des vasteht a nid, ge?", ergötzt sich der Bergmensch am Unverständnis des Migranten. Diese "anti-integratorische" Komponente des Dialekts wird nie wirklich übersehen. Im Gegenteil: Der Dialekt ist dem Einheimischen sein Rückzugsort, wenn es ihm in der touristischen Interaktion zu viel wird, und er sich darauf besinnen möchte, dass er etwas Besonderes ist. Schließlich kann man sich eine Lederhose und einen Hut mit Gamsbart kaufen - eine kernige Aussprache jedoch nicht. An der hat sich noch immer gezeigt, ob einer ein "Dosiger" oder ein "Zuag'roaster" ist. Und die Zuag'roasten kann man ja jederzeit wieder "ausgrausigen", wie es heißt.

3 Kommentare:

  1. Köstlichst! Man möge davon ein Skript für angehende Daf-LehrerInnen machen, sodass sie die Komplexität der deutschen Sprache nun auch rechtfertigen können...

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  2. Harryvederrie ;-)da habe ich mit meinem Flachlanddeutsch 2x lesen müssen weil es einfach meine Sprache nicht ist und auch meine Jacke nicht! :-)
    jedoch: guuuuuut

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  3. Verwandte Baustelle, andere Dimension: Als Kinder haben wir Hochdeutsch irrsinnig lächerlich gefunden. In der ersten Klasse kam ein Mädchen aus Wien neu zu uns. Wir haben sie ein Jahr lang traktiert bis sie breiter gepinzgauert hat als das übliche Einzugsgebiet der Schüttdorfer Volksschule eigentlich zulassen würde. Unsere Kampagne gegen die scheiß Wiener war damit an ihrem Anpassungsgeschick gescheitert.

    Feiner Text!

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