Donnerstag, 2. Februar 2012

Rupert denkt um die Ecke


„De Deppattn san oft liab“, sagt der Josef und gluckst in sein Bier hinein, von dem er nur zum Zwecke dieses Satzes kurz abgelassen hat. Nach einem weiteren, tiefen Schluck fügt er hinzu: „De Schiachn aa!“
Wieso das so sei, wird er vom Rupert gefragt, der von sich selbst immer behauptet, er sei ja „im Grunde ein Liberaler“, beziehungsweise – so korrigiert er sich selber oft – ein „Freigeist“. Andere Leute behaupten, beim Rupert sei es mit dem Geist nicht so weit her, aber das stört den Rupert wenig.
„Was meinst?“, fragt der Josef und schaut dabei dem Rupert am Bier vorbei an, das immer noch leicht gekippt in seiner großen Hand ruht, bereit, weiter in seinen Schlund geleert zu werden. Eigentlich schaut er dem Rupert auf den Hals, denn ganz hinauf bis zum Gesicht kommt der Josef mit seinen Augen heute nicht mehr.
„Naja, du hast gesagt, die Deppattn und die Schiachen sind oft lieb. Wieso, glaubst du, ist das so? Ich mein, ich finde das ja auch, aber einfach so daher sagen kann man das, finde ich, nicht. Warum also?“ Der Rupert wird immer sehr eifrig, wenn er sich in etwas verbissen hat. Er glaubt nämlich von sich selber, dass er immer alles hinterfrägt, weil das, so habe er einmal wo gelesen, die Art eines Freigeistes sei.
Mit einer für seinen Zustand überraschend dynamischen Bewegung kippt der Josef den letzten Rest seines Bieres in sich hinein. Von der Seite sieht das aus, als würde das Bier von seinem mächtigen Vollbart aufgesogen. Dass es aber definitiv im Magen gelandet ist, erkennt man an einem beherzten Rülpsen, das dem Josef jetzt entfährt. Stolz grinsend blickt er sich um – man sieht seinen Mund durch den Bart hindurch zwar nicht, aber die zusammen gekniffenen Augen mit den dicken Augenbrauen sind Zeugen seines inneren Vergnügens. Langsam dreht er sich zum Rupert hin und stützt sich mit seinem rechten Ellenbogen auf der Bar ab. Was wohl lässig und überlegen wirken soll, wird zu einem kurzen Kampf um sein Gleichgewicht. Einmal eingependelt sucht der Josef wieder die Augen vom Rupert und findet sie wieder nicht.
„Weil eana nix ondas übrig bleibb!“, nuschelt er und der Satz kostet ihm die letzte Kraft. Der Josef fällt vornüber auf die schwere Holztheke, die in diesem Moment ihren wahren Zweck offenbart. Die sehr klobige Bar ist für das winzige Lokal eigentlich viel zu groß, aber nun sieht man, dass sie einzig und allein dafür gemacht ist, die Last schwerer Oberkörper auf sich zu nehmen. „Bummsdi!“, kommentiert der Wirt den Fall des Josef vergnügt. „Des klescht immer so wüd!“, lacht er, während er einen Schnaps einschenkt und diesen neben den großen Kopf vom Josef hinstellt. Dem fragenden Blick Ruperts antwortet er: „Des brauchta donn imma.“
„Sauft der immer so viel?“, fragt der Rupert den Wirt. „Jojo, mei. Er oaweit jo a den gonzn Tog!“, meint der Wirt und lacht wieder. Was denn der Josef arbeite, will der Rupert wissen. „Ah, wos woas i. Im Winta duata meistns Liftln und im Summa is a bei da Bohn und duat Boizn schmian oda so eppas.“ - „Aha“, macht der Rupert.
„Owa wosa sogg, des stimmb scho, des mit de Deppatn und de Schiachn“, sagt der Wirt weiter, „dass de oft liab sand.“ „Ahja“, nickt der Rupert nachdenklich. „Er is jo a im Grunde aa a Liaba“, erklärt der Wirt, deutet auf den bewusstlosen Josef und kichert.
„Und ist es dann umgekehrt auch so, dass die Gescheiten und die Feschen nicht lieb sind?“, fragt der Rupert und man merkt, dass er auf diese Frage ungemein stolz ist. Man müsse, so hat ihm nämlich sein Großvater immer gesagt, auch einmal um die Ecke denken. Als kleiner Bub hat der Rupert lange Zeit gedacht, es ginge da um die Egge, also das landwirtschaftliche Gerät, und dass der Großvater eigentlich meinte, man müsse auch an die Egge denken, wenn er gesagt hat, man „muas a amoi um d'Eggn denga“. Da der Großvater in Oberösterreich eine Landwirtschaft führte und auch sonst komisch redete, dachte der kleine Rupert damals, dass die Wendung „um die Egge denken“ auf Oberösterreichisch etwa so viel heiße wie „sich um die Egge sorgen“ bzw. eben „an die Egge denken“. So blieb ihm der Sinn des großväterlichen Stehsatzes lange Zeit verrätselt, aber seit er ihn entschlüsselt hat, ist es sein Motto, wie er immer behauptet.
Wos moanst?“, fragt der Wirt und schaut ihn ein bisschen verständnislos an. „Naja, wenn die Schiachn und Deppatn lieb sind, sind dann die anderen alle nicht lieb? Also die Feschen und die Gescheiten?“ Der Rupert hat jetzt, so glaubt er zumindest selber, den coolen Look eines Kommissars, den er daheim immer vor dem Spiegel übt: Augen ein bisschen zusammenkneifen, eine Augenbraue hoch ziehen, Kinn anheben und Kopf nach vorne schieben.
Aso moast. Des woas i nid, mia homm koane Feschn und Gscheidn do!“, sagt der Wirt, lacht lauthals und haut mit der flachen Hand mehrmals auf den Tresen, als würde er sich damit selbst applaudieren. Davon wacht der Josef wieder kurz auf. Er sieht den Schnaps, lässt ihn beinahe mit Eleganz in seinem Bart verschwinden und kippt sogleich wieder in seine vorherige Lage zurück.

Der Rupert steht jetzt ein bisschen verdutzt da. Seine Versuche, mit diesen einheimischen Volk in Kontakt zu kommen, waren bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt. Auf seine hintersinnige Frage bekam er nur eine Prise innergebirglerischer Selbstironie präsentiert. Er wusste da noch nicht, dass er einem ganz raren Phänomen auf die Spur gekommen ist...

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