Donnerstag, 23. Februar 2012

Faschingsquintett mezzo forte


Es schiebt sich ein Hexenmeister an die Theke. Imposant wirkt sein Hut, das Gesicht will nicht recht dazu passen. Hinter ihm steht seine Freundin, die sich an einem Hexenlachen versucht, denn sie ist natürlich als Hexe unterwegs. Sie krächzt schwächlich vor sich hin, der Hexenmeister dreht sich zu ihr um, lacht und sagt: „Mei, bist du schiach!“ Auch der Pirat, der wandelnde Mülleimer und die Wanderhure lachen jetzt. Endlich dürfe er das einmal in der Öffentlichkeit sagen, verkündet der Hexenmeister. Der Mülleimer und die Wanderhure schauen verwundert. „Sagst du ihr das sonst immer nur privat, oder wie?“, feixt der Pirat. Die Hexe sieht den Hexenmeister böse an. Ihre künstliche Warze scheint auf ihrer Nase hin und her zu zucken.

In der Tat sieht die Hexe unheimlich hässlich aus. Erfrischend hässlich eigentlich, denn die meisten der jüngeren Damen nutzen den Fasching bloß dazu, sich möglichst aufreizend anzuziehen, um unter dem Vorwand einer Verkleidung kokett sein zu dürfen – was sie sich selbst ansonsten strikt verbieten. Dies gilt leider auch für viele Damen, die nicht mehr so jung sind. Es geht ja so einfach: Hotpants mit Strumpfhose in hohen Stiefeln, tiefes Dekolleté und dann Hasen- oder Katzenohren aufgesetzt. Was ohne die entsprechenden Ohren aussehen würde wie das Outfit einer Freizeitprostituierten, ist eben dann eine Katzen- oder Häschenverkleidung. Warum? Damit sie dann neckisch sagen verkünden können „Ich bin ein Haserl“ oder „Ein Katzerl bin ich“, wenn ihnen ein schwer betrunkener Clown ein unvermeidliches „Wos bist leicht du!?“ ins Gesicht rülpst.

Die Hexe aber, die hat wirklich nichts Attraktives an sich. Die Wanderhure würde von sich das Gegenteil behaupten, denn bei ihr handelt es sich um eine dieser älteren Damen, die sich im Fasching dem betrunkenen männlichen Publikum auf unansehnlichste Weise feilbieten. „Wos bist leicht du?!“ röhrt ihr der Mülleimer ins Ohr. „Ich bin die Wanderhure!“ kichert sie. Der Mülleimer sieht sie etwas verdutzt von oben bis unten an und macht nur „Aha“. Etwas hat sich im Mülleimer entschieden. Er dreht sich zum Piraten und bestellt zwei Schnäpse. Er hat zwar von einer Wanderhure noch nie etwas gehört, aber das Wort erscheint ihm vielversprechend und als Mülleimer darf man wohl auch nicht gar so heikel sein.

Der Hexenmeister und seine Freundin stehen ein bisschen beklommen herum und deswegen bekommen sie vom Piraten auch einen Schnaps. Der Mantel des Hexenmeisters, der wohl eigentlich einmal ein Friseurumhang war, bereitet seinem Träger unheimliche Schwierigkeiten. Es sieht aus, als suche der Hexenmeister darin ständig seine Hände bzw. seine Hände die Freiheit. Nach einigem angestrengten Herumhantieren gleitet zur Überraschung des Hexenmeisters und aller Anwesenden plötzlich seine rechte Hand unter dem Umhang an einer vollkommen unvorhergesehenen Stelle hervor und greift nach dem Schnapsglas. Das ganze sieht aus, als hätte der Hexenmeister die Kontrolle über seine Hände verloren. „Der Zauberlehrling hat aus seinem Umhang gefunden!“, kommentiert der Pirat die Szene. „Hexenmeister!“, kreischt die Hexe empört. „Prost!“ Der Hexenmeister leert sein Glas und seine Hand verschwindet wieder in seinem Umhang als hätte sie ihre Schuldigkeit nun getan und dürfte sich nun wieder in ihr unerklärliches Versteck zurückziehen.

Der Mantel des Hexenmeisters ist mit verschiedenen Zeichen bemalt, die für seine okkulten Machenschaften Pate stehen sollen. Darunter ist auch ein Davidstern zu entdecken. Der Mülleimer zeigt mit seinem langen Finger auf den Stern und gröhlt: „Sog amoi, du bist jo a Jud!“ Verdutzt schaut der Hexenmeister an sich herunter und beäugt den Davidstern. Seine Hände zupfen von innen den Umhang zurecht; es sieht aus, als würde sich der Davidstern den Betrachtern von selbst zur Schau stellen. „Ajo!“ sagt der Hexenmeister überrascht und fügt gleich entschuldigend hinzu, dass den Mantel seine Freundin bemalt habe.
„Das hätte wohl ein Pentagramm werden sollen“, sagt der Pirat gescheit. „Naja, so ein Satansstern hätt das sein sollen“, erklärt der Hexenmeister und sucht seinen Mantel nach anderen unglücklichen Symbolen ab. Die Hexe hat sich weg gedreht und schaut in ihr Glas als suche sie etwas darin.
„Bist halt ein Zauberjud!“, sagt der Mülleimer kichernd. „Wie der Gargamel!“, fügt der Pirat hinzu, „der war ja auch Zauberer und ganz offensichtlich ein Jude!“ - „Hexenmeister!“, protestiert die Hexe wieder, „der Gargamel war auch ein Hexenmeister! Kein Zauberer!“
„Wo ist denn da der Unterschied?“, fragt die Wanderhure. „Lebt der eigentlich noch?“, fragt der Pirat und kichert. „Wer? Der Zauberlehrling?“ - „Nein, der Gargamel!“ - „Hexenmeister! Nicht Zauberlehrling!“ - „Ich bin kein Gargamel!“, schreit der Hexenmeister. „Aber a Jud bist! Hast ja den Stern auf deinem Umhang!“ ereifert sich der Mülleimer. „Ja und? Und woher willst du eigentlich wissen“, er wendet sich dem Piraten zu, „ob der Gargamel Jude war?“
„Er schaut semitisch aus und seine Katze heißt Azrael – das sind doch alles jüdische Namen. Gargamel, Azrael. Alles mit -el hinten. Das heißt 'Gott' oder so.“, verteidigt sich der Pirat. „Du bist ja ein Nazi! Was soll das heißen, der schaut semitisch aus?“ Der Hexenmeister wird böse, aber es ist nicht zu sagen, ob er gegen antisemitische Vorurteile ins Feld ziehen oder bloß sein unglücklich verziertes Kostüm verteidigen will.
„Der frisst Schlümpfe, sag ich dir!“ Es klingt wie das letzte Argument des Piraten. „Nein, die will er zu Gold machen!“, nuschelt die Wanderhure, die jetzt dem Schnaps nachgegeben hat. „Also doch ein Jud!“, ruft der Pirat. „Jetzt hör aber auf!“, unter dem Umhang des Hexenmeisters fuchteln seine Hände wild herum als wollten sie ins Freie. „Woher wisst's ihr überhaupt so viel über die Schlümpfe?“, wundert sich die Hexe. „Is ja wurscht jetzt!“ Der Mülleimer versucht, die Aufgebrachten zu beruhigen und klammert sich an die Wanderhure, die ihrerseits nur noch schlapp im linken Arm des Mülleimers hängt. „Mir is schlecht“, sagt sie. Der Mülleimer rüttelt verzweifelt an ihr.

„Gut, bin ich halt ein Jud!“, verkündet der Hexenmeister. „Nein, du bist ein Hexenmeister!“, gibt sich die Hexe uneinsichtig. „Ein Hexenmeister mit Davidstern!“, sagt der Pirat. „Ja, genau. Ein Hexenmeister mit Davidstern bin ich. So geh ich nächstes Jahr zum WKR-Ball nach Wien und schau, was die neuen Juden dazu sagen!“ Der Pirat, der Hexenmeister und die Hexe kichern. Auch der Mülleimer lacht sein blechernes Lachen, wobei ihm die Wanderhure aus dem Arm gleitet.


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