Freitag, 29. April 2011

Der Trichter

Böse Zungen behaupten ja, der Franz würde seine Schnäpse, die er im Lokal verkauft, mit Wasser verdünnen. Tatsächlich soll es vorgekommen sein, dass der eine oder andere Gast einmal ein Schnapserl bestellt hat, das dann weniger stark als zuerst angenommen war. Da kann es dann natürlich vorkommen, dass sich der eine oder andere Gast beschwert, weil er sich ... wie soll man sagen ... vom Franz hinters Licht geführt vorkommt. Mit einem schnöden "Der ist ja g'wassert!" kommt man aber dem Franz nicht bei. Mit so einem Vorwurf konfrontiert, setzt er nämlich das entsetzteste Gesicht auf, das er im Repertoire hat, schüttelt den Kopf und sagt nur "Nein, nein!". Dann räumt er meist irgendwelche Gläser von einem Regal in's andere oder geht Bestellungen aufnehmen - auch bei Tischen, die er gerade eben erst mit Getränken versorgt hat.

Einmal hat uns der Franz auf ein Stamperl eingeladen (was selten genug vorkommt). Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, sagt man, und trinkt also den Gurktaler dankbar aus, wundert sich diskret über den gar so leichten Geschmack und grinst die übrigen Mittrinkenden wissend an. Ich habe mich dieses eine Mal erfrecht, dem Franz zu sagen, dass sein Gurktaler wohl der mildeste in ganz Graz sei. Da hat der Franz kurz ein wenig erschreckt geschaut, aber als ich ihm dann freundlich in's Gesicht gelacht habe, da hat der Franz auch lachen müssen.

Es ist eine stille Übereinkunft mit dem Franz, dass man über seine Schnapserl nicht redet. Günstig genug sind sie ja. Man stelle sich vor: Manchmal, wenn es auf den Straßen und Gassen in der Grazer Innenstadt sehr zugeht, verirrt sich der eine oder andere Klogänger in das Lokal vom Franz. Höflicherweise danach gefragt, ob man seine Toilette benutzen dürfe, entgegnet der Franz immer: "Freilich, das kostet aber einen Euro. Dafür gibt's einen Gratis-Schnaps!" Geradezu vergnügt nimmt jeder Klogänger diesen Handel an, drückt dem Franz eine Münze in die Hand, geht aufs Klo und erfreut sich nach erledigtem Geschäft über das Gratis-Schnapserl, das dann schon fertig auf der Theke steht. Darauf, dass sie im Lokal als zahlende Kunden die Toilette benutzt haben, kommen die wenigsten. Alle denken sich nämlich, dass sie für's Klogehen einen Euro bezahlt haben, was sie als einen fairen Preis erachten, und zusätzlich von dem netten Wirten einen Schnaps gratis bekommen haben. Manche gehen daraufhin sogar mehrmals aufs Klo, nur des Schnapserls wegen.

Aber auch sonst bewirbt der Franz seine Stamperl mit dem knackigen Slogan "Jeder Schnaps einen Euro, jeder doppelte zwei Euro!", dem man sich zugegenermaßen nur schwer entziehen kann. Wie der Franz seine Schnapserl zubereitet, darüber gibt es nur Spekulationen. Manch einer soll sogar schon einen wirklich starken bekommen haben. Berichte wie diese sind aber rar und man soll ja auch nicht immer gleich alles glauben, was die Leute erzählen. Fakt ist: Beim Franz holt man sich nur sehr unwahrscheinlich eine Alkoholvergiftung - und das ist ja auch irgendwo löblich.

Manchmal sieht man den Franz hinter der Theke mit allerlei Flaschen hantieren, die Etiketten tragen, die man noch nie vorher irgendwo gesehen hat. Er füllt dann um, leert aus, schraubt auf und wieder zu, irgendwie ist es, als sehe man einem Hütchenspieler zu und man wartet nur darauf, dass der Franz einen plötzlich fragt: "Wo ist jetzt der Alkohol drin?" Das passiert aber freilich nie, denn so dreist ist der Franz nicht. Wenn der Franz also mit diesen Flaschen hantiert, ist immer auch ein Trichter dabei. Das ist natürlich sinnvoll, weil sonst würde er ja zum Schluss noch einen guten Schnaps oder einen seiner vielen vorzüglichen Weine verschütten. "Der Trichter ist dein wichtigstes Arbeitsgerät, gell?", habe ich ihn einmal - wiederum frecherweise - gefragt. Da hat er wieder so komisch erschreckt geschaut, aber gleich auch wieder gelacht. "Jaja", hat er gekichert, "der Trichter ist schon wichtig." Wenn er so etwas sagt, will man aber natürlich immer noch mehr wissen, ohne jetzt unbedingt gleich mit der Tür ins Haus fallen zu wollen. Also habe ich nur gesagt: "Wie heißt es immer? Wo kein Trichter..." "... da kein Richter!", hat mich der Franz ergänzt und gleich sein spitzbübisches Lachen, nämlich das eines älteren Herren, das nur er kann, erklingen lassen.

Wo kein Trichter, da kein Richter. Was das jetzt wieder heißen soll, was man aus dem Spruch herauslesen kann oder will, das bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Vielleicht hält man es am besten so, wie der Franz es selber mit vielen Dingen hält. Er sagt nämlich oft: "Ich will es gar nicht so genau wissen."

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