Sonntag, 7. Juli 2013

Grazer Reminiszenzen 3: Die Sprache

"Kernöil ... Kernöuhl ... Kernaöl ... Kernauöil ...", probierte ich oft allein in meinem Studentenzimmer. Alles fängt mit dem Kernöl an. Nicht nur beim Essen, sondern auch in der Sprache. Der im bairischen Sprachraum vielgepriesene "Oachkatzlschwoaf" ist quasi die Eintrittskarte für Zugewanderte. An ihm demonstriert der Bayer oder Österreicher, dass du nie dazugehören wirst, egal wie gut dein "Oachkatzlschwoaf" auch ist - irgendwo zwischen "Oach" und "oaf" wird man immer erkennen, dass du eigentlich von woanders bist. Das Kernöl aber, das ist, von kundigen Sprechern gesagt, ein Wort von solcher phonetischer Subtilität, dass jeder Nicht-Steirer an seine natürlichen Sprachgrenzen stoßen muss. Weil man nämlich tausendmal glaubt, dass man es jetzt hat; und der Steirer dir gegenüber schüttelt unentwegt den Kopf. Das nicht-steirische Ohr hört das richtige "Öl" nicht, sondern immer etwas anderes. "Öil, Öuhl, Aöuil, ..." Manchmal glaubt man sogar das "l" verschwinden zu hören. Kontaktassimilation nennt der Phonetiker das. Aber auch der Phonetiker ist hilflos gegenüber dem Kernöl, weil es für die phonetische Transkription keine geeigneten Zeichen im phonetischen Inventar gibt. Es lässt sich nicht erhören oder erfassen.

Man hört das Wort nämlich weniger als man es spürt. Damit ist es der Urvater aller steirischen Wörter. Das Steirische erschöpft sich nämlich überhaupt nicht im allgemein angenommenen "Bellen". Freilich, der Student der Sprachwissenschaften schmunzelt, wenn er im ersten Semester erfährt, dass die neuhochdeutsche Diphthongierung, also jener Lautwandelprozess, der aus einem einfachen Vokal einen Doppelvokal werden lässt, im 12. Jahrhundert vom südostbairischen Sprachraum ausging: dem heutigen Kärnten und der Steiermark. Auch lässt sich der steirische Dialekt recht leicht (zureichend aber nicht hinreichend) parodieren, wenn man einfach aus jedem Vokal einen Zwielaut macht. Wer aber jemals Kontakt mit Süd- oder Oststeirern hat, merkt schnell, dass es damit nicht getan ist. Der steirische Dialekt prügelt einem das Trommelfell und verleitet zum Mitnicken beim Zuhören. Manchmal klingt es, wie wenn ein Volksschüler ein Gedicht im jambischen Versmaß übertrieben zu rezitieren versucht, um sich selbst vor dem Leiern zu bewahren. Das Steirische ist zuweilen anstrengend, aber es ist eine agile, nie langweilige und manchmal lustig hopsende Sprache. Und es ist (siehe Kernöl) komplexer als man denkt.

Im lexikalischen Bereich findet man als in die Kulturstadt gezogener Innergebirgler wenig Auffälliges. Im Lokal muss man sich halt daran gewöhnen, dass für den Steirer offenbar der Inbegriff eines Glases einen nullkommadreilitrigen Inhalt hat. Das "Glasl Bier" ist demnach das unsrige "Seitl" bzw. "Seitei". Zu Schwierigkeiten kommt es dabei aber nicht, weil auch die Variante "Seidl" bekannt ist. Am "Seitei" erfreuten sich die Grazer unverständlicherweise aber besonders, und so konnte ich stets mit meiner bescheidenen Bestellung Amusement erzeugen. "Seite! Seite!", riefen die Grazer vergnügt, und so war auch ich vergnügt darüber, dass ihnen das "ei" am Schluss ähnlich entgangen war wie mir manches Mal das "l" beim Kernöl.

Dass der Spritzwein bei den Grazern lapidar "Mischung" genannt wird, finde ich immer noch höchst kurios und es lässt mich den Steirern eine generelle Vorliebe für Oberbegriffe andichten. Glasl, Mischung, ... dauernd möchte man dem Steirer entgegenschreien "Wos? A Glasl wos? A Mischung wos? Wos wüst du mischen?! Wos wüst du in dei Glasl hom?!", aber eigentlich findet man das ganze eh recht drollig und lässt den Steirer gewähren. Die Vagheit der Begriffe "Glasl" und "Mischung" im Auge wundert es einen dann aber doch, dass ein Radler ein Radler bleibt, auch wenn der vorzugsweise mit Lederhosenlimonade gemacht wird. So gibt es konsequenterweise auch die "Almdudlermischung" - ein Wort von faszinierender Eleganz, vor allem, wenn es von einem Bewohner der südlichen Steiermark ausgesprochen wird.

Wenn der Steirer einige Glasln Bier und Mischungen verschiedenster Art getrunken hat, geht er meistens liegen. "Liegen gehen" heißt ganz eigentlich, dass man sich zum Schlafen niederlegt. Auch hier bleibt der Steirer sprachlich wieder sehr allgemein und sagt nicht genau, was er macht. Anfangs stellte ich mir Studenten vor, die wach auf ihrem Bette ruhen und sich Gedanken über die Unbestimmtheit der steirischen Sprache machen, wenn jemand sagte, er ginge jetzt liegen. Für die höchst passive Tätigkeit des einfachen Daliegens oder gar Schlafens hat die Wendung "liegen gehen" einen unangebracht aktiven Charakter. Es klingt fast wie Arbeit, schließlich muss man sich ja erst zu einer geeigneten Liegestätte begeben: "Ich gehe jetzt liegen" klingt nach Auftragserfüllung, wohingegen "Ich leg mich ein bisschen nieder" schon in der Ankündigung vor Faulheit stinkt. Zusätzlich meidet der Steirer mit dieser Phrase das Alarmwort "schlafen". Der Steirer schläft nie! Er liegt immer nur bzw. befindet sich Zeit seines Lebens immer nur auf dem Weg zu einer Ruhestätte. Wir können das einen Euphemismus nennen, sind aber im gleichen Moment nicht sicher, ob hier tatsächlich etwas Unangenehmes durch etwas Unverdächtiges ausgedrückt wird. Uns beschleicht vielmehr die Vermutung, dass der Steirer uns einfach täuschen will - auf gut deutsch: Er will uns verarschen. Oder aber er schämt sich. So wie man sagt "ich muss mal wohin" und niemals "ich habe Durchfall".

Wir erkennen also im Steirischen den Hang zur Verschleierung. Laute werden verschleiert, indem sie durch Hinzufügen von Zwischenlauten verwaschen werden. Möglichst allgemeine Begriffe ersetzen eindeutige Ansagen. Der Steirer täuscht und tarnt, wo er nur kann, er lässt uns im Unklaren über die wahre Natur der Dinge. Vielleicht lebt er aber auch nur konsequent die philosophische Grundannahme, dass die Dinge an sich eh nicht verfügbar sind - warum sich also die Mühe machen, sie möglichst genau zu beschreiben versuchen? Wir können den Steirer Sprachpragmaten nennen, der aber wegen eines untrüglichen Sinns für melodische Eleganz sich dankenswerter Weise einem jaulenden Singsang verpflichtet hat, der uns bei Laune hält und uns manchmal schmunzeln lässt; vielleicht neidisch schmunzeln lässt, weil wir uns zu Hause vor dem Spiegel wiederfinden, das Lautinventar des Kernöls betend: "Kernäöl, Kernauöil, Kernöuil, ..."

1 Kommentar:

  1. Also "Kernöl" habe ich dich tatsächlich niemals richtig aussprechen gehört, da konnte sogar ich noch besser Pinzgauerisch! xD

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